Protokoll der Sitzung vom 15.12.2014

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Für die Antragsteller hat der Abgeordneter Stefan Politze, SPD-Fraktion, als Erster das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dick gefüllte Akte, die ich Ihnen hier einmal zeigen darf, ist der Vorgang zur Ausschussberatung des Antrags. Die Akte besteht im Wesentlichen aus sehr positiven, aber durchaus auch kritischen und insbesondere sehr sachorientierten Stellungnahmen. Das ist etwas anderes als das, was wir teilweise auf Demonstrationen und auf der

heutigen Pressekonferenz der AfD erlebt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der von den Regierungsfraktionen eingebrachte und von der FDP im Ausschuss auch mitgetragene Entschließungsantrag lautet: „Schule muss der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten gerecht werden - Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern - Diskriminierung vorbeugen.“ Genau darum geht es uns: Diskriminierung und Ausgrenzung haben im Klassenzimmer nichts verloren. Wir wollen einen offenen Umgang mit den unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten. Wir wollen Toleranz in der Schule und keine Ausgrenzung.

Glaubt man der Vielzahl der Pressepublikationen und der merkwürdigen Veranstaltungen, die darum herum stattfinden, dann geht es uns nicht um sexuelle und geschlechtliche Identitäten, sondern um die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Praktiken. Damit wird ein Anliegen, das sich aus dem Bildungsauftrag des Niedersächsischen Schulgesetzes - § 2 - ergibt, nämlich die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten, in die Schmuddelecke gerückt - und das wollen wir nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unser Ziel ist mitnichten eine neue Form der Sexualpädagogik oder, wie es in Pressebeiträgen heißt, die Integration von Lack und Latex als Lehrgegenstand in den Bildungsplänen voranzutreiben.

Bereits im Jahr 2012 wurde unter der damaligen CDU/FDP-Regierung vom Niedersächsischen

Landtag beschlossen, das Thema Intersexualität neben den Themen Sexualität, Liebe und Partnerschaft als Bestandteil des Unterrichts in den Schulen angemessen zu behandeln, um den Schülerinnen und Schülern Kompetenzen gegenüber Vorurteilen zur Intersexualität zu vermitteln. Aus diesem Grund wird das Thema Intersexualität bereits bei den neuen Lehrplänen berücksichtigt - und dies hat offenbar bisher nicht zu einer Frühsexualisierung geführt, wie es unserem Antrag unterstellt wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unser Antrag enthält Konkretisierungen, indem auf die Lehrkräfteausbildung, die Lehrpläne und die Schulbücher verwiesen wird. Dabei kommt der in den jeweiligen Klassenstufen und Lerngruppen angemessenen Behandlung der Inhalte eine besondere Bedeutung zu. Neu ist, dass die Schulen auch finanzielle Unterstützung erhalten können. Allerdings bleibt die Entscheidung darüber in der Zuständigkeit der Schule, und das ist auch richtig so. Das gilt im Übrigen auch für die Einbeziehung von Externen in den Unterricht und schließt die Aufsichtspflicht mit ein.

Das Elternrecht gemäß § 96 ist zu beachten und wird mit unserem Antrag überhaupt nicht angetastet. Initiativen wie z. B. SchLAu werden schon jetzt durch das Sozialministerium unterstützt. Das ist also alles nichts Neues, und deshalb verstehen wir die Aufgeregtheit in dieser Debatte überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Uns geht es darum, die gute Arbeit zu intensivieren und zu verbessern. Die Aussagen des Antrags zum Schulprogramm und zu Anti-Mobbing-Konzepten sind so gewählt, dass sie den Spielraum der Schulen vor dem Hintergrund der Eigenverantwortung für pädagogische Prozesse nicht einschränken werden.

Der vorliegende Antrag zielt auf eine Verhaltensänderung gegenüber Menschen mit einer anderen sexuellen Identität als der eigenen ab. Die Diskriminierung gleichgeschlechtlich orientierter, transidentischer oder intersexueller Menschen wird thematisiert, und die betroffenen Personengruppen werden explizit benannt. Er stellt insofern auch keinen von einigen herbeigeredeten Paradigmenwechsel der Sexualpädagogik des Landes dar. Er erweitert diese vielmehr um den Aspekt der Antidiskriminierung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die konkrete Umsetzung des Antrages liegt auch weiterhin in der pädagogischen Verantwortung der Lehrkräfte, die am besten wissen, wie das Thema in den von ihnen betreuten Lerngruppen zu behandeln ist. Niedersachsen hat mit diesem Vorgehen bisher gute Erfahrungen gemacht, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Zum Abschluss möchte ich auf die sehr kritische, aber sehr differenzierte Stellungnahme des Katholischen Büros eingehen. Das Katholische Büro bringt darin u. a. zum Ausdruck, dass es zur Achtung der Menschenwürde geboten ist, Diskriminierung abzubauen und drohende Diskriminierung und Phobien zu verhindern. Genau dem kommen wir mit unserem Antrag nach, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!)

Mit Bedauern haben wir zur Kenntnis genommen, dass die CDU ihre vermeintliche Zustimmung zu diesem Antrag nicht aufrechterhalten hat, sondern einen eigenen Antrag, der weit hinter den zurückfällt, auf die Tagesordnung gebracht hat. Das finde ich ausgesprochen schade; denn ich hatte mich auf eine moderne, junge und bunte CDU gefreut, Herr Thiele.

(Ulf Thiele [CDU]: Die ist aber anders als die, die Sie darstellen!)

- Sie können ja gleich ans Rednerpult kommen, Herr Thiele, und das alles klarstellen. Ich möchte an dieser Stelle auch nicht auf die teilweise entglittene Debatte im Kultusausschuss eingehen, die teilweise wirklich grenzwertig war.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist doch unver- schämt!)

Der Auftritt des hannoverschen OB jedenfalls war ein Beispiel für Toleranz in dieser Sache, Herr Thiele; den hätten Sie sich vielleicht angucken sollen.

(Björn Thümler [CDU]: Das hat mit To- leranz aber nichts zu tun!)

- Das ist Ihre Wertung.

Somit bleibt mir nur, um eine breite Unterstützung für unseren Antrag zu werben. Den Änderungsantrag der CDU werden wir wie im Kultusausschuss selbstverständlich ablehnen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Vielleicht kommen Sie noch zur Besinnung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Politze.

Meine Damen und Herren, bevor ich die Rednerin der CDU-Fraktion aufrufe, darf ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Fraktionen übereingekommen sind, heute nach dem zunächst vorgesehenen letzten Tagesordnungspunkt 16 noch die Tagesordnungspunkte 37 und 44 zu behandeln. Es handelt sich in beiden Fällen um zweite Beratungen, zu denen im Ältestenrat Einvernehmen bestand, dass sie ohne Aussprache im Parlament behandelt werden. Richten Sie sich also bitte auf diese beiden dann noch folgenden Abstimmungen ein.

Ich erteile jetzt im Rahmen der Aussprache zu diesem Entschließungsantrag für die CDU-Fraktion der Kollegin Karin Bertholdes-Sandrock das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sexuelle Vielfalt in ihrer ganzen Breite soll zum verbindlichen Unterrichtsinhalt gemacht werden, in allen Altersstufen und Fächern. Curricula sollen entsprechend geändert werden. Die Genehmigung der Schulbücher soll gar davon abhängig gemacht werden. Leute von SchLAu - in Ihrem Antrag war es nicht ganz so simpel geschrieben; der Kollege Politze hat jetzt versucht, das alles harmlos erscheinen zu lassen -

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

sollen in die Schule geholt und unterstützt werden. Schulprogramme und Fortbildung sollen darauf ausgerichtet werden.

Erst nach ganz gewaltigen Protesten von Eltern, Lehrern, Glaubensgemeinschaften - übrigens haben Sie das Katholische Büro unvollständig zitiert; gerade die fordern Toleranz in ihrer ganzen Breite; auch wieder eine Verfälschung -

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

haben Sie überhaupt die Rechte der Eltern und der eigenverantwortlichen Schule in die Beschlussempfehlung gebracht.

(Christian Dürr [FDP]: Darauf haben wir bestanden! Das stimmt!)

In Ihrem Antrag stand davon nämlich ursprünglich gar nichts. Ganz so reibungslos wie gedacht hat es also nicht geklappt. Und die eigentliche Diskussion - das sage ich Ihnen - wird noch folgen.

Ihre Motivation - keine Diffamierung von Homosexuellen zuzulassen - ist richtig. Aber wie soll das geschehen? Mit welchen Mitteln? Und zu welchem Zweck setzen Sie die Mittel ein? Bewirken die unter Umständen anderes als beabsichtigt?

Gucken wir auf andere Bundesländer! Das kann man nicht außer Acht lassen. - Es ist überhaupt interessant, was alles der Kollege Politze außer Acht gelassen hat.

(Björn Thümler [CDU]: Das kann er gut!)

Gucken wir nach Berlin und NRW! Entsprechende Praxis in Büchern, ob das nun „Lisa und Jan“ von Sielert ist oder andere: Das sind Illustrationen, die niedersächsische Eltern - nicht nur drei oder fünf, sondern Zigtausende -, die sich große Sorgen machen, empört haben.

Ihr Antrag öffnet Tür und Tor, weil er keine Grenzen setzt. Das ist die Schwäche des Antrags.

(Beifall bei der CDU)

Nicht umsonst gehen Sie - ob die Kollegin Hamburg oder der Kollege Försterling und auch Kollege Politze - jetzt in die Defensive, indem Sie sagen: Es geht ja nicht um Sexualpraktiken. Es geht nicht um Frühsexualisierung. Es geht um alles Mögliche nicht.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie haben überhaupt nichts verstanden! Das ist unglaublich!)

Dazu muss man einmal sagen: Um welche Fragen, welche Inhalte geht es für welche Altersstufen?