Protokoll der Sitzung vom 22.01.2015

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wahlmann. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Dr. Genthe das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Homosexuelle Menschen waren in der Vergangenheit immer wieder der Verfolgung ausgesetzt. Im Deutschland vor 1945 nahm diese Verfolgung geradezu apokalyptische Ausmaße an. Es war daher absolut notwendig, dass der Deutsche Bundestag die Verurteilungen, die unter diesem Unrechtsregime ausgesprochen worden sind, als Verletzung der Menschenwürde bezeichnet und die Betroffenen rehabilitiert hat.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Aber auch die junge Bundesrepublik Deutschland - wir haben es eben gehört - hat die Stigmatisierung von Menschen, die homosexuell sind, nicht sofort aufgegeben. Gleiches gilt übrigens auch für das Gebiet der ehemaligen DDR.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Die §§ 175 und 175 a wurden ursprünglich am 15. Mai 1871 verabschiedet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie mehrfach entschärft, aber erst nach der Wiedervereinigung, im Jahr 1994, wurden sie für das komplette Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft.

Meine Damen und Herren, es war zu recherchieren, wie viele Menschen am Ende von einer Rehabilitierung, so wie es der Antrag vorsieht, tatsächlich profitieren würden. Während in den 50er- und 60er-Jahren die Anzahl der Verurteilungen noch vierstellig gewesen ist, kam es zum Ende der 60er

Jahre zu einem deutlichen Rückgang der Zahlen. Ab 1970 ging die Zahl der Verurteilungen von 340 auf 44 im Jahr 1994 zurück. An diesen Zahlen ist ein deutlicher Wandel in der Gesellschaft ablesbar, aber auch die Notwendigkeit, über eine Rehabilitierung nachzudenken.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich kann für die FDP darauf hinweisen, dass wir bereits in unserem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1980 die Gleichstellung von Homosexuellen in gesellschaftlicher und auch in rechtlicher Hinsicht gefordert haben und den § 175 streichen wollten.

(Beifall bei der FDP)

Bei der Regierungsbildung mit der SPD, damals unter Helmut Schmidt, konnten wir uns mit dieser Forderung allerdings nicht durchsetzen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den Folgejahren verschiedene Vorstöße im Deutschen Bundestag von einer breiten Mehrheit aus SPD, CDU und auch FDP abgelehnt wurden.

Umso erfreulicher ist es, dass der Bundesrat im Jahr 2012 die Bundesregierung aufgefordert hat, die Rehabilitierung von Menschen, die nach 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen verurteilt wurden, vorzuschlagen. Warum die Bundesregierung diesen Ball noch nicht aufgenommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber der aktuelle Bundesjustizminister wird ja von der SPD gestellt. Darum gehe ich davon aus, dass die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag ihrem Parteikollegen insoweit Beine machen wird.

Meine Damen und Herren, der Wert einer Gesellschaft bemisst sich u. a. daran, wie tolerant, wie souverän sie mit Minderheiten umgeht. Wir erleben in diesen Tagen auch an anderen Stellen, wie versucht wird, Menschen auszugrenzen, die eigentlich am Leben unserer bürgerlichen Gesellschaft teilnehmen möchten. Obwohl die oft schweigende Mehrheit genau weiß, wie tief wir uns damit ins eigene Fleisch schneiden, füllen sich die Straßen und auch die Plätze.

Die üblichen Rituale der Kaste der Berufspolitiker bis hin zur Empörung werden am Ende nicht mehr ausreichen. Wir brauchen vielmehr eine Auseinandersetzung über sämtliche, möglicherweise unbehagliche Themen, die vielleicht auch nicht ins eigene politische Weltbild passen. In diesem Sinne sehe ich die Diskussion, die wir hier führen, und diesen Antrag als einen Baustein in einer viel grö

ßeren gesellschaftlichen Diskussion, die dringend geführt werden muss.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Natürlich reden wir an dieser Stelle auch über Bundesrecht, und natürlich reden wir über rechtskräftige Entscheidungen. Dennoch wird die FDPFraktion diesen Antrag aufgrund der eben aufgeführten Argumente positiv begleiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die CDUFraktion hat nun Herr Kollege Calderone das Wort. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Gerechtigkeit für die Opfer der HomosexuellenVerfolgung in Deutschland! Rehabilitierung durchsetzen!“ Ich denke, das ist ein wichtiges Thema, mit dem sich heute der Landtag in erster Lesung befasst und mit dem sich dann der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen befassen wird. Dies ist ein wichtiges Thema, weil der Staat, zumal der freiheitliche demokratische Rechtsstaat, nicht nur die Aufgabe hat, überprüfbares Recht zu setzen, sondern durch seine Rechtsordnung auch eine Art Gerechtigkeit verwirklichen möchte.

(Beifall bei der CDU, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Deswegen möchte ich voranstellen, dass Homosexuelle auch in der Bundesrepublik viele Jahre kriminalisiert und stigmatisiert wurden. Das bedauert die CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen und schließt sich im Wortlaut einem Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2000 an, mit dem dieser einstimmig sein Bedauern aussprach.

Um diesem sicherlich auch gesellschaftspolitisch nicht einfachen Thema gerecht zu werden, müssen wir uns im Ausschuss tatsächlich eingehend mit allen Fragen rund um den damaligen § 175 StGB befassen. Diese Fragen sind eben nicht trivial. Da macht es sich aus meiner Sicht der Antragstext von SPD und Grünen an der einen oder anderen Stelle sprachlich zu einfach. Das Themenfeld eignet sich eben nicht für eine plakative Sprache,

sondern nur für eine sehr sachliche, aber durchaus auch den Menschen, die sich in der Vergangenheit mit dem § 175 StGB konfrontiert sahen, zugewandte politische Behandlung.

Zu dieser sachlichen Behandlung gehört die Feststellung, dass das Thema in der politischen Debatte der Bundesrepublik nicht neu ist - zum Glück. Der Bundestag hat sich - es wurde darauf hingewiesen, auch heute - in den vergangenen Jahren mehrfach, zuletzt 2009, mit dieser Thematik befasst. Zu einer sachlichen Debatte gehört auch, dass der Bundesrat bereits im Jahr 2012 die Bundesregierung aufgefordert hat, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlich homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen. Zu dieser sachlichen Behandlung gehört auch, dass Rechtsetzung und Rechtsprechung in einem Rechtsstaat wie Westdeutschland nicht einfach in eine gedankliche Linie mit Rechtsetzung und Rechtsprechung in Unrechtsstaaten gesetzt werden darf.

(Beifall bei der CDU)

Das gilt für die Verfahren vor 1945 im Verhältnis zu denen nach 1945, aber auch für die Verfahren in der Bundesrepublik und in der DDR.

Zu dieser sachlichen Behandlung gehört auch die Feststellung, dass das Bundesverfassungsgericht - meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen - in einem, zugegeben, zurückliegenden Urteil aus dem Jahre 1957 die in der Bundesrepublik bis 1969 gültige Fassung als verfassungskonform bewertet hat.

Aus heutiger Sicht steht außer Zweifel, dass die strafrechtliche Verfolgung einvernehmlich gleichgeschlechtlicher Handlungen als mit dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes unvereinbar anzusehen ist. Diese heute richtige Bewertung sollte als Ergebnis der gewandelten gesellschaftlichen Überzeugungen allerdings nicht dazu führen, Entscheidungen des demokratischen Rechtsstaates und seiner Gerichte heute pauschal als Unrecht zu bewerten. Ich glaube, da muss Politik, bei aller Neigung zur großen politischen Botschaft, vor dem Hintergrund der Teilung der staatlichen Gewalten sehr vorsichtig sein. Aus diesem Prinzip der Gewaltenteilung folgt, dass jede der drei Staatsgewalten grundsätzlich verpflichtet ist, die von den beiden anderen Staatsgewalten erlassenen

Staatsakte anzuerkennen und als rechtsgültig zu behandeln. Rechtskräftige Urteile, meine Damen

und Herren, stehen eben nicht zur Disposition des Gesetzgebers.

(Beifall bei der CDU)

Gleichfalls sollten wir uns hüten, mit der heutigen - ich sage auch: in dieser Frage richtigen - Sicht der Dinge die vergangene politische und gesellschaftliche Betrachtung pauschal zu verurteilen. Denn irgendwann sind auch wir alle in diesem Haus Vergangenheit, und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass andere Generationen und nachfolgende Politiker Dinge anders bewerten und betrachten, als wir es heute tun. Ich wage noch nicht einmal eine Prognose, in welcher Weise sie das tun werden. Jedenfalls zeigt mir der Blick auf die globale Gemeinschaft, dass es aus unterschiedlichen Gründen - aus politischen, aus religiösen, aus wie auch immer gearteten Gründen - unterschiedliche Betrachtungsweisen in unterschiedlichen Gesellschaften gibt. Wir sollten uns hüten, heute im Niedersächsischen Landtag so zu tun, als hätten wir die alleinige Wahrheit und die alleinige Gerechtigkeit. Das hat noch nie gut funktioniert.

(Beifall bei der CDU)

Zu dieser sachlichen Behandlung - damit wird auch deutlich, dass sich die CDU dieser Thematik auch hier im Niedersächsischen Landtag tatsächlich sehr seriös widmen möchte - gehört die Feststellung, dass es 1969 die CDU-geführte Bundesregierung unter Kurt Georg Kiesinger war, die im Rahmen der großen Strafrechtsreform die Strafbarkeit homosexueller Handlungen Erwachsener abschaffte, und es war die CDU-geführte Bundesregierung unter Helmut Kohl, die 1994 die unterschiedlichen Schutzaltersstufen für homosexuelle und sexuelle Handlungen mit Jugendlichen in § 175 StGB auf einheitlich 14 Jahre festlegte.

Lassen Sie uns in diesem Sinne mit der erforderlichen Sachlichkeit, aber auch mit der nötigen Empathie für die Betroffenen in die Ausschussberatungen gehen!

Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Calderone. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Limburg das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Kathrin Wahlmann hat die Historie der Bestrafung homosexueller Männer umfassend dargestellt. Ich will das nicht alles wiederholen.

Nur zwei Dinge möchte ich noch unterstreichen: Es ist aus meiner Sicht im Rückblick eine großartige, gewaltige Leistung des damaligen sozialdemokratischen Bundesjustizministers Gustav Heinemann - vielleicht einer der besten Bundesjustizminister in der Geschichte der Bundesrepublik -, dass er den § 175 des Strafgesetzbuches, der in der Tat in der Version der NS-Zeit, in der Freisler-Version weitergegolten hat, deutlich reformiert hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD sowie Zustimmung von Christian Calderone [CDU])

Deutlich reformiert, denn endgültig gestrichen wurde die Benachteiligung homosexueller Männer, wie bereits von meinem Vorredner angesprochen, erst im Jahr 1994.

Vielleicht ist es jetzt, im Jahr 2015, in dem wir wieder einen sozialdemokratischen Bundesjustizminister haben, der wieder mit sehr viel Reformfreude ins Amt gegangen ist, an der Zeit, dass wir auch den letzten Schritt in der Reform gehen und dass wir endgültig zu einer Rehabilitierung der Betroffenen kommen. Ich würde es mir wünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Besonders bemerkenswert an der Strafwut des Staates gegenüber homosexuellen Männern ist aus meiner Sicht zweierlei: Zum einen in der Tat die Tatsache - Frau Wahlmann hat es ausgeführt -, dass nur homosexuelle Handlungen zwischen Männern bestraft worden sind. Hier wie auch an anderen Stellen des Strafrechts zeigte sich, dass damals Strafgesetzgebung fast ausschließlich von Männern gemacht wurde, meine Damen und Herren, und dass es in diesem Fall vor allem darum ging, altertümliche Vorstellungen von Männlichkeit zu schützen. Zum anderen handelt es sich bei dieser Strafnorm um eine Vorschrift, die ein Verhalten bestrafte, das überhaupt kein Opfer hatte. Es gab keinen Geschädigten bei dieser Norm. Es ging nicht darum, Menschen zu schützen, wenn man die einvernehmliche Homosexualität zwischen Erwachsenen - Herr Dr. Genthe hat es zu Recht betont - bestrafte, sondern es ging einzig und allein darum, mit dem schärfsten Schwert des

Rechtsstaats Moralvorstellungen der Gesellschaft zu schützen und durchzudrücken. Das, meine Damen und Herren, geht in einem modernen aufgeklärten Rechtsstaat nicht.