Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Herr Kollege Bode, ich empfehle Ihnen: Fragen Sie direkt nach. Ihnen werden ja sowieso zwei Antworten schriftlich nachgereicht. Wenn noch eine Frage offen ist, geben Sie sie einfach im direkten Gespräch mit auf den Weg; denn das Kontingent der Zusatzfragen ist erschöpft.

Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kann ich den Tagesordnungspunkt der Dringlichen Anfragen für diesen Tagungsabschnitt des Landtages hiermit abschließen.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 33: Abschließende Beratung: Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/2885 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 17/3716

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag unverändert anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir treten in die Beratung ein. Als Erster hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Dr. Christos Pantazis das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Willkommens- und Anerkennungskultur in Niedersachsen. Denn heute werden wir nach drei erfolglosen Anläufen in 2009, 2010 und letztmalig 2012 die Beratung zum hier vorliegenden Antrag „Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen“ abschließen und folglich in unserem weltoffenen Land mit seiner langen Einwanderungsgeschichte die Vielfalt, aber vor allem auch die Teilhabe von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft stärken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In unserer Koalitionsvereinbarung „Erneuerung und Zusammenhalt“ hat sich die Regierungskoalition darauf verständigt, allen Menschen das Recht einzuräumen, sich aktiv an der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes zu beteiligen. Im Sinne einer teilhabeorientierten Politik bekennen wir

uns daher zum Kommunalwahlrecht für alle rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland und in Niedersachsen lebenden Einwohner. Wie ich bereits in der Erstberatung unseres Entschließungsantrags im Februar dieses Jahres bekräftigt habe, tun wir dies, weil wir davon überzeugt sind, dass das gut für unsere Demokratie ist, und was gut für unsere Demokratie ist, ist auch gut für unsere Kommunen.

(Zustimmung bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Blick in die Historie zeigt: Bereits seit 1992, also seit der Einführung des Maastrichter Vertrages, ist es EU-Bürgern möglich, an hiesigen Kommunalwahlen teilzunehmen. Hat diese Veränderung dem gesellschaftlichen Zusammenleben unserer Demokratie oder den einzelnen Kommunen geschadet? - Nein, im Gegenteil. Durch die Möglichkeit der politischen Teilhabe wurde und wird die Idee eines gemeinsamen Europas weitergetragen und grundlegend verstetigt. In diesem Zusammenhang beschritten seinerzeit mehrere EU-Mitgliedsstaaten auch den Weg zur Einführung dieses Rechts für Drittstaatsangehörige, sodass in mittlerweile 16 Staaten der Europäischen Union diese erweiterte Form des Kommunalwahlrechts eine gängige Rechtspraxis darstellt. Teilweise ist diese an bilaterale Verträge oder eine bestimmte Aufenthaltsdauer geknüpft. Aber es gibt die Möglichkeit der politischen Teilhabe für Drittstaatsangehörige.

Und hier in Niedersachsen? - Hier leisten wir es uns, Drittstaatsangehörigen - das sind ca. 280 000 an der Zahl - auch nach jahrelangem Aufenthalt in unserem Land das Recht abzusprechen, sich aktiv an der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes zu beteiligen. Diese Praxis ist nicht nur mit unserem Rechtsempfinden, sondern vor allem auch mit unserem Verständnis von Willkommens- und Anerkennungskultur unvereinbar.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund fordern wir mit dem hier vorliegenden Entschließungsantrag die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für ein kommunales Wahlrecht für alle dauerhaft hier lebenden Menschen einzusetzen und mittels einer Bundesratsinitiative eine Änderung des Artikels 28 Abs. 1 des Grundgesetzes zu erreichen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ziel dieser Vorgehensweise ist es, den Ländern zu ermöglichen, in ihrem Wirkungskreis die Ausweitung des Kommunalwahlrechts auch auf die Gruppe der Drittstaatsangehörigen vorzunehmen. Für Niedersachsen würde das entsprechende Regelungen im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz bedeuten.

In diesem Zusammenhang freut es mich außerordentlich, dass die Landesregierung - - -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Pantazis, einen Moment! - Es kann nicht angehen, dass dort hinten mit lautem Gelächter eine Parlamentsrede unterbrochen wird. Herr Kollege Bode, das geht wirklich nicht! Wenn Sie solche lustigen Gespräche führen wollen, machen Sie es bitte draußen.

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Herr Kollege Dr. Pantazis, setzen Sie jetzt bitte fort.

Herzlichen Dank, Herr Präsident.

In diesem Zusammenhang freut es mich außerordentlich, dass die Landesregierung diesem Ansinnen bereits nachgekommen ist, indem sie sich Mitte Juni dieses Jahres einer entsprechenden Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz angeschlossen hat. Stellvertretend möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident Weil, für den Beitritt der Landesregierung zu dieser Initiative meinen herzlichen Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Sprecher meiner Fraktion für Migration und Teilhabe freut es mich ferner, dass im Rahmen der nunmehr abgeschlossenen parlamentarischen Beratung die Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe dem federführenden Innenausschuss einstimmig die unveränderte Annahme des Antrages der Koalitionsfraktionen empfahl. Mit den Stimmen der Ausschussmitglieder der Koalitionsfraktionen folgte dieser der ausgesprochenen Empfehlung gegen die Stimmen der CDU und offensichtlich auch gegen die Stimmen der FDP. Wie ich eben gehört habe, muss es offensichtlich bei der FDP eine kleine Verwechslung gegeben haben. Ich denke,

dass diese Entscheidung einen weiteren wichtigen Beitrag für die Wertschätzung der Arbeit dieser Kommission darstellt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei allen Vorbehalten, die möglicherweise bestehen, stellt das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige auch eine essenzielle Form der Wertschätzung dar. Infolgedessen sind wir der festen Überzeugung, dass Mitglieder einer Gemeinschaft, die regelmäßig Steuern zahlen, auch in politischen Organen vertreten und originär repräsentiert sein sollten, die darüber befinden, wie diese Gelder verteilt werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Selbstverständlich schließt das dann auch Angehörige eines Drittstaates ausdrücklich mit ein. Und nicht nur das. Wir glauben ferner, dass das niedrigschwellige Angebot der politischen Partizipation auf kommunaler Ebene Drittstaatsangehörige dazu ermutigen könnte, sich einbürgern zu lassen. Denn das Zugeständnis des kommunalen Wahlrechts fördert die politische und letztendlich auch die gesellschaftliche Teilhabe von Zuwanderern in unserer Gesellschaft. Die Einbürgerung könnte daher die Krönung dieses Prozesses darstellen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund, dass wir Deutschland als Einwanderungsland begreifen, appelliere ich daher abschließend an Sie alle, heute gemeinsam ein Zeichen der Kultur des Willkommens und der Anerkennung zu setzen. Sagen wir gemeinsam Nein zu einer Kultur der Abschottung und einer ethnisch homogenen Vorstellung von Nationalstaaten! Lassen Sie uns gemeinsam Ja sagen zu einer teilhabeorientierten Migrationspolitik, in der das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige eine Selbstverständlichkeit und folglich gesetzliche Normalität darstellt!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Das Wort hat jetzt für die FDP-Fraktion der Abgeordnete JanChristoph Oetjen.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Anders als in der Tagesordnung zu diesem Plenarabschnitt aufgeführt, wird die FDP-Fraktion ihre Position nicht ändern und daher dem von RotGrün vorgelegten Antrag, das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einzuführen, selbstverständlich zustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Johanne Modder [SPD]: Sehr gut!)

Das ist die Position. Diese Position haben wir schon bei den Debatten in der vergangenen Legislaturperiode vertreten. Seit vielen Jahren setzen wir uns als Freie Demokraten hier im Landtag dafür ein, dass wir eine Willkommenskultur gestalten und Toleranz darstellen.

Verehrte Kollegin Modder, wir wollen Menschen, die lange bei uns leben und sich engagieren wollen, eben auch die Möglichkeit dazu geben, beispielsweise durch dieses kommunale Wahlrecht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist ein Einwanderungsland und das nicht erst, seitdem wir über Einwanderung diskutieren. Deutschland ist im Prinzip nach dem Zweiten Weltkrieg ein Einwanderungsland geworden, als in der Wirtschaftswunderzeit damals die sogenannten Gastarbeiter zu uns gekommen sind. Sie haben dabei geholfen, dass Wohlstand in Deutschland entstehen konnte. Viele dieser Menschen sind in Deutschland heimisch geworden und empfinden Deutschland als ihre Heimat. Sie haben hier Jahre und zum Teil Jahrzehnte gelebt, gearbeitet und ihre Steuern gezahlt. Ihre Kinder sind hier geboren und zur Schule gegangen. Sie engagieren sich vor Ort in Vereinen und Organisationen. Aber sie dürfen bei der Kommunalwahl nicht wählen. Aus meiner Sicht ist es keinem normalen Menschen verständlich zu machen, warum sich diese Menschen in die originären Angelegenheiten ihrer Kommune mittels Wahlrecht nicht einbringen können. Das muss geändert werden.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Leider können wir das hier nicht selber beschließen. Wir beschließen hier, eine Bundesratsinitiative starten zu wollen. Das Land Niedersachsen hat sich schon der Initiative aus Rheinland-Pfalz angeschlossen. Das unterstützen wir nachdrücklich. Aber wir können nicht im eigenen Wirkungskreis beschließen, dass diese Menschen bei der Kommunalwahl wählen dürfen, sondern wir brauchen

dafür eine verfassungsändernde Mehrheit im Deutschen Bundestag. Deswegen kommt auf die CDU hier eine ganz besondere Verantwortung zu.

Ich wünsche mir, dass wir, wenn wir das Thema Einwanderung und Integration ernst nehmen, irgendwann sagen: Ja, die Menschen, die hier leben und ihre Steuern bezahlen, deren Kinder hier zur Schule gehen und die Deutschland als ihre Heimat anerkennen, sollen auch auf kommunaler Ebene über das mitbestimmen dürfen, was bei ihnen vor Ort passiert. Sie sollen wählen dürfen und gewählt werden dürfen. - Ich glaube, dass das in bestem Sinne Integration wäre, wie wir sie anstreben sollten.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege Oetjen. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Abgeordneter Belit Onay jetzt das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute erneut über das kommunale Wahlrecht für Nicht-EUBürgerinnen und -Bürger. Die Frage, ob man dem zustimmt oder nicht, ist auch ein gewisser Gradmesser für die Frage, ob man Teilhabe wirklich ernst meint. Hier geht es letztendlich um nichts Geringeres als darum, ob wir Menschen in unserer Nachbarschaft, in unseren Kommunen und Orten, in den Gemeinden in Niedersachsen daran teilhaben lassen wollen, wie die Nachbarschaft gestaltet wird und wie politische Entscheidungen getroffen werden. Deshalb kann ich - das muss ich ehrlicherweise sagen - auch nach den Beratungen im Innenausschuss nicht nachvollziehen, warum die Union da nicht mitgehen will, obwohl sie jetzt Papiere verabschiedet, mit denen sie auf diesen Bereich einen Schwerpunkt legt, nämlich auf Teilhabe, Einwanderung und eine gewisse Willkommenskultur.

Die Argumente gegen die Einführung dieses Wahlrechts sind denkbar schwach. Zum einen wird ein rechtliches Argument bemüht, dass nämlich das Wahlvolk mit der Staatsangehörigkeit verknüpft sein muss. Das aber ist nur zum Teil richtig; Sie werden sich erinnern: Seit 1992 können EU-Bürgerinnen und -Bürger - also Ausländer und Ausländerinnen aus dem EU-Ausland, also Italienerin

nen und Italiener, Griechen, Spanierinnen usw. usf. - hier schon auf kommunaler Ebene wählen. Insofern hat man sich von diesem Prinzip schon längst verabschiedet.

Als weiteres Gegenargument wird ins Feld geführt, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht - Reziprozität - und die Staaten ihren Staatsangehörigen gegenseitig dieses Recht eingeräumt hätten. Das ist in europäischem Kontext richtig, aber gerade Länder, die mittlerweile eine ähnliche Struktur, eine ähnliche Migrationsgesellschaft, eine multikulturelle Gesellschaft wie Deutschland haben - ich nenne beispielhaft die Niederlande, Belgien oder Irland -, haben dieses Recht auch für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger eingeführt. Insofern greift auch hier dieses Argument nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.