Das klingt zwar zunächst einmal logisch und eigentlich wie selbstverständlich, aber leider ist die Realität eine andere. Deutschland, Schweden und Österreich nehmen heute deutlich die meisten Flüchtlinge auf. Länder wie Italien oder Griechenland sehen sich aufgrund ihrer geografischen Lage
mit speziellen Herausforderungen und Problemen konfrontiert. Dann gibt es wiederum andere Länder, die wenig bis gar keine Verantwortung übernehmen oder sich am liebsten komplett aus der Frage verabschieden würden.
Um es sehr deutlich zu sagen, meine Damen und Herren: Es ist ein erbärmliches Armutszeugnis, wenn sich die Mehrheit der europäischen Staaten zurücklehnt, nur weil sie vom Zustrom der Flüchtlinge nicht betroffen ist oder zu sein scheint.
Es ist leicht, dann einfach die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen, man wolle nichts wissen von einer verpflichtenden Verteilquote. Mein Eindruck in solchen Momenten ist immer wieder: Europa wird offenbar von einzelnen Mitgliedstaaten als eine Art Kuchentheke verstanden, aus der man sich die frische Sahnetorte herausnimmt und die trockenen Plunderteilchen für die anderen übrig lässt. Aber das macht nicht den europäischen Gedanken aus; das wird ihm auch nicht im Ansatz gerecht, meine Damen und Herren.
Das unterstreichen auch die Zahlen. Es wurde erst kürzlich errechnet, dass die Staaten Osteuropas insgesamt 55 % aller EU-Hilfen erhalten. Das finde ich in Ordnung. Nicht in Ordnung ist allerdings, dass die gleichen Länder nur knapp 16 % der Flüchtlinge, die in Europa ankommen, aufnehmen. Das ist ein unhaltbarer Zustand, meine Damen und Herren.
So funktioniert Europa nicht. Ich als jemand, der mit großen Hoffnungen in eine europäische Wertegemeinschaft aufgewachsen ist, bin zutiefst davon überzeugt, dass wir diesen Weg nicht gehen können wollen. Ein unsolidarisches Europa ist nicht das Europa, das wir haben wollen. Europa darf hier nicht versagen.
Ich will ausdrücklich loben, dass die Bundesregierung das nachdrücklich unterstützt, eingreift und jetzt dafür sorgt, dass diese Stimme in Europa auch wahrgenommen wird. Die Rede von Herrn Juncker gestern lässt hoffen, dass auch über neue Aspekte geredet wird. Die Zeit, um hier darauf einzugehen, reicht leider nicht aus.
Aber lassen Sie mich eines abschließend sagen: Wenn wir wollen, dass Europa auch noch in den nächsten Jahrzehnten von den nachfolgenden Generationen als das wahrgenommen und authentisch empfunden wird, was wir alle wollten und wofür wir alle gearbeitet haben, dann wird es höchste Zeit, dass europäische Solidarität gelebt wird. Und wenn die Europäische Kommission nicht davor zurückschreckt, z. B. wegen fehlender Kläranlagen bei Kommunen Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, dann muss sie, wie ich finde, auch darüber nachdenken, wie sie mit Mitgliedstaaten umgeht, die sich einer humanitären Verpflichtung kaltschnäuzig entziehen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Da zu Punkt c keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, stelle ich fest, dass die Besprechung dazu beendet ist.
d) Abschottungspolitik Europas beenden - Einwanderung ermöglichen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4160
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in ganz Deutschland sehen tagtäglich die grauenvollen Bilder aus Syrien und dem Nordirak. Sie sehen die entsetzlichen Bilder von an den Küsten von Lampedusa, Kos und im Mittelmeer ertrunkenen Menschen.
Meine Damen und Herren, im April dieses Jahres starben in einer Woche 1 000 Flüchtlinge im Mittelmeer. Aber - unsere Fraktionsvorsitzende hat es angesprochen - bereits 2011 fragte die damalige Bürgermeisterin von Lampedusa, Guisi Nicolini: „Wie groß muss der Friedhof auf meiner Insel noch werden?“
Seitdem ist nichts passiert. Doch - ich muss mich korrigieren: Es wurden zur Grenzsicherung die Mission Triton installiert, ein neuer Grenzzaun an der ungarischen Grenze zu Serbien mitfinanziert
und ein erneuter Plan der Europäischen Kommission zur Bekämpfung illegaler Einwanderer und ihrer Schleuser gebilligt.
Ja - ich muss es so sarkastisch ausdrücken -, die bösen illegalen Einwanderer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan! So sehen es die Europäische Union und ihre Nationalstaaten im Moment.
Wenn es bei der Rettung des Euros so kläglich wenig Einsatz gegeben hätte wie bei der Rettung von Flüchtlingen, meine Damen und Herren - es gäbe den Euro schon längst nicht mehr.
Nun haben sich Tausende Menschen einfach auf den Weg gemacht, ohne auf die angekündigte Relocation-Maßnahme der EU zu warten. 40 000 Menschen sollten nach dem Beschluss im Frühjahr von Griechenland und Italien nach Europa, nach Deutschland verteilt werden. Diese Menschen haben aber nicht darauf gewartet. Sie haben sich auf den Weg gemacht, zu Fuß, über Tage und Wochen, mit Schlauchbooten oder Luftmatratzen von der türkischen Küste zu der ein paar Kilometer entfernten griechischen Insel Kos auf der sogenannten Balkanroute nach Deutschland - im 21. Jahrhundert zu Fuß als Flüchtling nach Europa unter dem Einsatz des eigenen Lebens.
Da kann mensch doch fragen: Warum fliegen diese Menschen nicht einfach nach Europa? - Natürlich gibt es jeden Tag Flüge von Kairo, Istanbul, Beirut oder Khartum nach Europa. Diese Flüge sind natürlich nicht nur sicherer, sondern auch noch billiger als z. B. die lebensgefährliche Mittelmeerüberquerung. In vier Stunden kommt man für knapp 500 Euro von Beirut nach Frankfurt. Flüchtlinge kostet dieselbe Strecke, teils über Schlepper organisiert, knapp 15 000 Euro - wenn sie denn lebend ankommen.
Aber Europa investiert auch eine Menge: Millionen flossen an Libyen unter dem damaligen Diktator Gaddafi, um afrikanische Flüchtlinge fernzuhalten - schon fast vergessen. 2013 investierte Europa 340 Millionen Euro in das Überwachungssystem Eurosur - European Border Surveillance System - mit Aufklärungsdrohnen und im All installierten Satelliten. Verdoppelt wurde der Etat für Frontex; Millionen gab es für Triton und Millionen auch für das Projekt Smart Borders. Immer begleitet von dem Ziel „fight against irregular immigrants“, sind so Tausende Menschen - auch Kinder und Frauen - ertrunken, meine Damen und Herren.
Diese „Flüchtlingspolitik mit Todesfolge“, wie Pro Asyl zu Recht scharf formuliert, schneidet den Flüchtlingen den legalen Weg nach Europa ab. So werden Flüchtlinge in die Arme von Schleppern getrieben. Also müssen wir nicht über Quoten diskutieren, sondern erst einmal, wie Herr Dürr zu Recht gesagt hat, über legale Fluchtwege nach Europa, meine Damen und Herren.
Und dann das Dublin-System. Mittlerweile ist die Erkenntnis auch bei allen Fraktionen angekommen, dass das System gescheitert ist, welches darauf bedacht ist, Menschen hin- und herzuschieben.
Tausende Menschen werden von A nach B verschickt, von C nach D, um dann wieder von B nach A zu wandern und von D nach C.
Meine Damen und Herren, wenn Ahmed Jusafi einen Onkel in Amsterdam hat, dann erklären Sie mir bitte - trotz Quote -, was dieser Mann dann in Budapest soll.
So konzentriert sich Europa bzw. - ich muss es präzisieren, damit das hier auch einmal politisch wird - so konzentrieren sich die konservativen Regierungen dieses Europas mit ihrer EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, der auch die Partei Orbáns angehört, weiterhin auf die Abwehr von Flüchtlingen anstatt auf die Aufnahme über Kontingente, Resettlements oder humanitäre Aufnahmeprogramme. Meine Damen und Herren, diese Praxis ist mit dem Geist der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar und entspricht auch nicht dem Bild unserer europäischen Wertegemeinschaft.
„In Deutschland werden Flüchtlinge mit großer Herzlichkeit aufgenommen, viele europäische Länder verweigern sich aber. Doch Europa erstickt nicht, wenn es syrische Flüchtlinge aufnimmt. Es erstickt, wenn es sie nicht aufnimmt - an Geiz und Heuchelei.“
Deshalb: Sagen Sie Nein zu Dublin und Ja zu einer deutlichen Erhöhung humanitärer Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten! Sagen Sie Nein zum Asylbewerberleistungssystem und Ja zu einer Einwanderung in den Arbeitsmarkt! Sagen Sie Nein zu einer europäischen Subventionspolitik, die die Existenz von Bauern und Fischern in Afrika zerstört!
Sagen Sie Ja zu einer Migrationsgesellschaft, die Einwanderer - vielen Dank, Herr Präsident - nicht als Problem sieht, sondern als Chance anerkennt!
Die nächste Wortmeldung liegt mir vom Abgeordneten Dirk Toepffer, CDU-Fraktion, vor. Sie haben das Wort, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Polat, wäre ich spitzfindig, würde ich sagen, der Überschrift Ihres Antrags zur Aktuellen Stunde liegt ein Denkfehler zugrunde. Denn wenn Sie sagen „Einwanderung statt Abschottung“, dann gehen Sie ja, zumindest vom Sprachlichen her, davon aus, dass man mit Abschottung Einwanderung verhindern kann. Aber wir alle wissen, dass das nicht der Fall ist. Das haben wir heute in vielen eindrucksvollen Redebeiträgen gehört.
Meine Damen und Herren, Einwanderung findet derzeit in Europa in einem nie geahnten Ausmaß statt, und leider auch ungeordnet und chaotisch. Die Versuche, sich gegen diese Form von Einwanderung zu wenden, haben Sie ansatzweise beschrieben. Leider ist dies schon sehr, sehr lange Praxis in Europa. Grenzzäune beispielsweise sind nichts Neues.
An der spanisch-marokkanischen Grenze steht ein solcher Zaun seit 20 Jahren. Er ist mittlerweile 6 m hoch. Allein im Jahr 2014 ist er 65-mal gestürmt worden. In den letzten zehn Jahren gab es dort 15 Tote, ohne dass darüber berichtet worden ist.