Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

Ihnen werden finanzielle Lasten aufgedrückt, die eigentlich der Bund tragen müsste. Die nach diesem Gesetz bisher Leistungsberechtigten müssten endlich in das Sozialgesetzbuch überführt werden.

Sie alle haben sich gewünscht bzw. den Wunsch geäußert, dass wir die Menschen schneller in Arbeit und schneller aus diesen Einrichtungen bringen. Hier ist die Chance dafür: Machen Sie sich gemeinsam mit uns dafür stark, dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wird!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, gerade mit Blick auf das, was in Europa passiert, können wir uns eine Politik, die symbolisch agiert, ohne die Realitäten anzuerkennen, nicht leisten. Die vielen Initiativen erwarten von uns, dass die Debatte von unserer Seite nicht vergiftet wird, sondern dass die positiven Ansätze genutzt werden.

Man mag das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten, über das nun wieder diskutiert wird, aus grundsätzlichen Überlegungen so oder so bewer

ten. Viel wichtiger ist doch aber die Frage: Was erreichen wir denn tatsächlich, wenn wir Länder pauschal für sicher erklären? - Mit der Umetikettierung lindern und ändern wir nicht die Umstände. Ein Land wird nicht dadurch sicherer, dass wir es als sicher deklarieren. Sie alle hier kennen die Bilder der Elendsquartiere in Mazedonien und Rumänien, und Sie wissen genau wie ich, dass es dort Menschen gibt, die diskriminiert werden, die in bitterer Not leben und denen es schlecht geht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Rumänien ist Mitglied der Europäischen Union!)

Bevor die Krisen und die Armut in diesen Staaten nicht behoben werden, wird das Leben für diese Menschen dort nicht sicher sein, und sie werden auch weiterhin auf der Suche nach Perspektiven und Frieden zu uns fliehen. Dessen können wir sicher sein.

Wir sollten nicht mehr Zeit auf den Streit um Etiketten verwenden, sondern wir sollten wirklich nach Lösungen suchen, wie wir den Menschen, die zu uns kommen, helfen können. Im Moment organisieren wir nur eine Schleife: Sie kommen her, wir schicken sie zurück. - Das ist Unsinn. Wir brauchen ein System für diejenigen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten wollen. Ein Zugang zum Arbeitsmarkt wäre für alle Beteiligten besser als das augenblickliche Verschieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schließlich, meine Damen und Herren - das ist mir ein wichtiges Anliegen -, müssen wir auch im Auge behalten, welche unmittelbaren Auswirkungen unsere Reden und die Debatten, die wir hier führen, auf die Realität haben. Gruppen von Menschen, die einfach ein Interesse an einem sicheren Leben haben, gegeneinander auszuspielen, sät Unfrieden. Die Menschen, über die wir hier reden, leben oft viele Monate lang auf engstem Raum zusammen. Wir müssen unbedingt vermeiden, unter ihnen die Konkurrenzsituation zu verschärfen. Wenn für die einen Asyl nicht das passende System ist, brauchen wir etwas anderes. Solange es das nicht gibt, verbietet es sich, die Menschen, die zu uns kommen, für die Gründe, aus denen sie kommen, zu diffamieren und sie gegen andere abzugleichen und zu sagen: Die haben nicht so gute Gründe. - Das verbietet sich!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Herausforderungen, vor die uns die aktuellen Flüchtlingstragödien stellen, gehören auf einen Tisch und gelöst. Ich bin sehr froh, dass wir heute an dieser Stelle auch noch über die Verantwortung reden, die wir haben, uns gemeinsam konsequent und eindeutig gegen Rassisten zu stellen. Wir treten Nazis und Brandstiftern in diesem Land entschlossen und geschlossen entgegen - nicht nur in Salzhemmendorf, sondern überall.

Unsere Worte haben Folgen. Der Landrat von Hameln-Pyrmont, Tjark Bartels, hat das ebenso deutlich benannt wie die Gewerkschaften, die Kirchen und die Unternehmerverbände, die uns gemeinsam aufrufen, die aktuelle Situation nicht für Gezänk zu missbrauchen. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf die Debatte zu der entsprechenden Resolution gegen Rassismus, die wir heute noch gemeinsam verabschieden werden, und ich danke auch allen Fraktionen im Landtag für die gemeinsame Arbeit an dieser Resolution.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir wollen gemeinsam in den Blick rücken, dass es in Niedersachsen unzählige Beispiele für Aufnahme- und Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge gibt und dass auch wir selbst in der Lage sind, uns den bestehenden Problemen mit Realismus und Zuversicht zu stellen - gemeinsam!

Vielen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich darf Ihnen allen für die sehr engagierte Aussprache danke sagen und schließe hiermit die Besprechung.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde

Für diesen Tagesordnungspunkt sind mir vier Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie der Tagesordnung entnehmen können. Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich bei

allen Beteiligten, auch bei der Landesregierung, als bekannt voraus.

Ich eröffne die Besprechung zu

a) Flüchtlingspolitik: Was sind die finanzpolitischen Prioritäten der rot-grünen Landesregierung? - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/4157

Zur Einbringung erteile ich Herrn Kollegen Grascha das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Erfolg oder Misserfolg beim Umgang mit der Flüchtlingssituation wird wesentlich davon abhängen, wie es der Staat schafft, mit dieser Situation umzugehen, wie es der Staat schafft, Führung zu übernehmen und die Aufgabe professionell und menschlich zu meistern.

Als sich die Politik noch im Tiefschlaf befand, sind viele Bürgerinnen und Bürger aufgewacht und haben erkannt: Ja, wir müssen helfen! Ja, wir müssen diese Chance für unser Land nutzen! - Zum Glück, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wacht auch die Politik nun langsam auf. Auch Sie, Herr Ministerpräsident, haben offensichtlich die Phase des Tiefschlafs langsam verlassen und sind im Wachzustand. Das ist zwar spät, aber besser spät als gar nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Renate Geuter [SPD]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Wir stehen vor einer Riesenherausforderung, und unsere Pflicht ist es, diese Riesenherausforderung zu meistern, und zwar nicht nur aus Gründen der Nächstenliebe, sondern auch, weil wir die Chancen für unser Land nutzen wollen. In den letzten Tagen war in den Zeitungen zu lesen, dass wir hier in Niedersachsen in den nächsten 40 Jahren fast 2 Millionen Einwohner verlieren werden. Das ist jeder vierte Einwohner! Das ist ein massives Wohlstandsrisiko! Da gilt es gegenzusteuern, und an dieser Stelle besteht eine Chance, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Herr Ministerpräsident, Sie haben am vergangenen Dienstag stolz verkündet, dass Sie 300 Millionen Euro zusätzlich für die Flüchtlingsversorgung be

reitstellen wollen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen; das ist auch heute Vormittag schon deutlich geworden.

(Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Bei genauerer Betrachtung relativiert sich aber diese Zahl. Allein 180 Millionen Euro davon sind ein Abschlag für unsere Kommunen. „Abschlag“ heißt, dass diese Zahlungen mit späteren Zahlungen verrechnet werden. Es ist also ungewiss, ob die Kommunen unter dem Strich tatsächlich mehr erhalten.

Bleiben 120 Millionen Euro für die Erhöhung von Erstaufnahmekapazitäten, Sprachförderung und anderes. Das verkünden Sie zufällig zwei Tage, nachdem in Berlin eine Unterstützung für Niedersachsen in Höhe von ca. 300 Millionen Euro beschlossen worden ist. Sie nehmen also in Wahrheit 0 Euro Landesgeld in die Hand und schieben die Verantwortung in gewohnter Art und Weise nach Berlin ab. Das ist tatsächlich Anscheinserweckung und unredlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU - Unruhe)

Herr Grascha, einen Moment, bitte! - Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, dem Redner etwas mehr zuzuhören!

(Ulf Thiele [CDU]: Der Ministerpräsi- dent ist ja auch gegangen!)

Es ist sehr laut hier, sodass man die Rede schwer verfolgen kann. Ich darf Sie darum bitten, sich einfach etwas mehr zu konzentrieren. - Herr Grascha, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Dezember des letzten Jahres und im Juli dieses Jahres haben Sie, ohne mit der Wimper zu zucken, die Änderungsanträge von CDU und FDP, beispielsweise für eine bessere Sprachförderung, abgelehnt. Auch damals war schon klar, dass in diesem Jahr mindestens 40 000 Flüchtlinge kommen werden. Sie wollten aber das Geld für ganz andere Dinge bereitstellen. Sie hatten ganz andere Prioritäten.

Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für ein Naturschutzbüro für Verbandsfunktionäre. Statt für Sprachförderung für

Flüchtlingskinder haben Sie Geld für einen sogenannten regionalen Wohlstandsindex. Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für die sogenannte bürgerfreundliche Rechtssprache. Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für eine Klimaschutzagentur, die bis heute keine Aufgabe hat. Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für ein teures Büro für Frau Schröder-Köpf. Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für eine neue, schicke Homepage. Statt für Sprachförderung für Flüchtlingskinder haben Sie Geld für das Buffet des Demografiebeirats.

Meine Damen und Herren, Sie müssen endlich in der Haushaltspolitik gegensteuern und die Wohlfühlpolitik beenden! Insbesondere der Herr Ministerpräsident ist gefordert, endlich eine Notbremse in der Haushaltspolitik zu ziehen!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Renate Geuter [SPD]: Das gibt es doch gar nicht! Niveaulos!)

Angesichts dieser Riesenherausforderung, die vor uns liegt, müssen Sie sich endlich von dieser rotgrünen Folklore verabschieden. Schwerpunkte müssen sein: Bildung, Einwanderung, Flüchtlingshilfe, und das kombiniert mit Sparsamkeit und Schuldenabbau, Herr Ministerpräsident!

(Johanne Modder [SPD]: Ja, Sie wol- len Geld ausgeben und einsparen!)

Zeigen Sie endlich Führung, Herr Ministerpräsident!

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Nur so, meine Damen und Herren, kann Niedersachsen diese Situation professionell und menschlich meistern. Wir Freie Demokraten wollen den Menschen helfen, die zu uns kommen. Wir wollen ihnen aber auch Chancen geben. Denn deren Chance ist unsere gemeinsame Chance.