Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn es ein Lagebild gibt, meine Damen und Herren, das es erforderlich macht nachzusteuern, dann werde ich gemeinsam mit der Sozialministerin einen Weg finden. Aber ich werde Ihnen jetzt nicht ad hoc eine Antwort auf einen Einzelfall geben, den Sie mir nicht genau benennen konnten.

Meine Informationen sind die - und nur auf die kann ich mich im Augenblick berufen -, dass kein Flüchtling mit einer nach einer serologischen Untersuchung erkannten infektiösen Krankheit auf die Kommunen verteilt wird. Das ist der Anspruch, und das ist die Regel.

Ich sage auch ausdrücklich - damit bin ich beim zweiten Punkt meiner kurzen Ausführungen zu diesem Thema -: Wir alle - und damit meine ich nicht nur uns hier im Haus, sondern auch in den Bundesländern insgesamt - sind uns darin einig, dass die Situation, die wir heute in den Erstaufnahmeeinrichtungen in allen Bundesländern haben, keine ist, die uns auch nur annähernd zufriedenstellen kann. Darüber gibt es doch keine zwei Meinungen.

Es gibt auch keine unterschiedliche Bewertung dessen, dass wir uns wünschten, dass in Einrichtungen, die für 600 oder 700 Menschen ausgelegt sind, nicht 2 000 oder 3 000 untergebracht sind. Das gefällt niemandem von uns. Man kann sogar sagen: Man schämt sich ein bisschen dafür, dass es nicht anders geht.

Aber wir haben doch auch gemeinsam festgestellt, dass die Zahlen so explosionsartig angewachsen sind, dass niemand damit rechnen konnte. Und das gilt nicht nur für Niedersachsen - Sie dürfen ja gern auf die Landesregierung einschlagen, wenn Ihnen das Befriedigung verschafft -, sondern das ist in allen Bundesländern ähnlich.

(Editha Lorberg [CDU]: Eben nicht!)

- Doch, es ist ähnlich. Die Telefonschaltkonferenz - ich würde Sie gern einmal dazu nehmen, Frau Lorberg, damit Sie etwas dazulernen - spiegelt genau dieses Bild wieder. Das ist die Realität mit Abstufungen in die eine oder andere Richtung.

Meine Damen und Herren, wir haben in einer unserer Eingangsbemerkungen gemeinsam zum Ausdruck gebracht, dass es sich hier um eine nationale Aufgabe von hoher Bedeutung handelt - die nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung der Nachkriegsgeschichte nur vergleichbar ist mit der Finanzkrise und der deutschen Einheit. Unsere gemeinsame Aufgabe muss doch sein, dass wir in dieser Frage die Reihen schließen. Wir dürfen uns gern gegenseitig kritisieren und auf Fehler aufmerksam machen. Aber wir müssen als Demokraten geschlossen stehen und dürfen kein Blatt zwischen uns kommen lassen, das da heißt: Wir spalten die Gesellschaft, wir schüren Ängste.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass nach neuesten Umfragen in Sachsen die AfD wieder bei 13 % steht. Das, meine Damen und Herren, muss uns Sorge machen, weil das diejenigen sind, die die demokratische Verantwortung nicht so wahrnehmen wie wir.

Deshalb mein Appell: Lassen Sie uns bei aller Kritik, die geübt werden muss und der sich jeder von uns auch jeden Tag zu stellen bereit ist, die Sachlichkeit nicht aus dem Auge verlieren!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Kollegin Polat das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Es geht jetzt darum, wieder einen geordneten und nachverfolgbaren Umgang mit der großen Zahl von Flüchtlingen zu schaffen“ - so Kanzlerin Dr. Angela Merkel gegen Mitternacht auf der gestrigen Pressekonferenz nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten.

Meine Damen und Herren, man muss sich wirklich wundern - an dieser Stelle muss das gesagt sein -, was bei dieser Bundesregierung auf einmal möglich ist. Sie ist endlich ein Stück weit aufgewacht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von Editha Lorberg [CDU])

- Frau Lorberg, Sie kritisieren seit Monaten die Handlungsunfähigkeit der Landesregierung.

(Zustimmung bei der CDU - Editha Lorberg [CDU]: Ja, genau! - Helge Limburg [GRÜNE]: Die angebliche Handlungsunfähigkeit!)

Minister Boris Pistorius und Ministerpräsident Stephan Weil haben immer darauf hingewiesen - das bestreitet auch keiner der Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer -, dass das eine gesamtstaatliche, eine nationale Aufgabe ist. Aber warum ist es dem Bund jetzt möglich, binnen zwei bis drei Wochen 40 000 zusätzliche Plätze für die ankommenden Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen? Wieso jetzt, meine Damen und Herren?

(Jens Nacke [CDU]: Weil die Bun- deswehr eingesetzt wird!)

Bundesverteidigungsministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen - da ist mir die Kinnlade heruntergefallen - antwortete heute Morgen im „morgenmagazin“ auf die Frage, wie viel Personal sie zur Unterstützung des BAMF und der Länder abordnen könne, verblüfft: Da gibt es keine Grenze nach oben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, endlich! Es war höchste Eisenbahn, dass auch die Bundesregierung ihre Unterstützung zumindest für diesen Teil der Herausforderungen leistet.

Damit das klar ist: Das löst - der Ministerpräsident hat das sehr deutlich gemacht - formal und kurzfristig nur die logistische Herausforderung mit Blick auf die Menschen, die an den vergangenen zwei Wochenenden zu Zehntausenden gekommen sind, und diejenigen, die sich sozusagen schon wieder vor den Grenzen sammeln.

Aber, meine Damen und Herren, welche Lösungen wurden jenseits dessen vorgeschlagen, angeboten, um den Menschen zu helfen, die sich noch auf den Weg machen oder schon unterwegs sind? Und vor allem: Wie soll endlich sichergestellt werden, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken? Gemäß den neuesten Nachrichten aus der Türkei gibt es wieder eine neue Fluchtroute: über Edirne. In Datça sind gestern wieder Menschen ertrunken, darunter auch einige Kinder. Damit muss endlich Schluss sein! Und auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, müssen endlich einmal sagen, was Ihre Antwort ist, ob Sie einer Erweiterung der Kontingente und der legalen

Einreisemöglichkeiten für diese Menschen zustimmen oder sich weiterhin abschotten wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Deshalb ist es richtig: Wir brauchen ein geordnetes Verfahren, aber nicht nur für die Verteilung - Stichwort „EU-Quote“ -, sondern auch für die Einreise. Wir brauchen keine Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, wie von Ihrer Schwesterpartei, von Herrn Orbán jetzt durchgesetzt. Das ist sicherlich kein Beitrag, um diese humanitäre Katastrophe in Syrien und im Nordirak zu lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Björn Thüm- ler [CDU]: Sie haben es immer noch nicht begriffen, oder?)

Frau Kanzlerin Dr. Angela Merkel hat gesagt: Ja, wir schaffen das. - Aber ich betone noch einmal: Entscheidend ist, dass legale Einreisewege ausgebaut, erweitert und vor allem entbürokratisiert werden, um die Flüchtlinge schon unterwegs zu schützen und ein geordnetes Verfahren herbeizuführen, das nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch unserem Land bei der Aufnahme hilft. Wir haben die besten Erfahrungen mit dem humanitären Aufnahmeprogramm des Bundes und des Landes über Friedland gemacht. Wir haben immer kritisiert, dass die Zahlen - 20 000 Menschen - viel zu gering sind. Viele Verwandte haben auf den Familiennachzug gewartet; es gab Probleme bei den Visumsantragsverfahren in den Botschaften; Termine wurden auf dem Schwarzmarkt verkauft. All dies hat auch dazu geführt, dass die Menschen losgegangen sind und über Griechenland und die Balkanroute gekommen sind. Wenn Sie das Problem lösen wollen, dann schaffen Sie endlich ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das seinen Namen auch verdient, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Zu den Einlassungen von Herrn Nacke möchte ich Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung zitieren - ich könnte ihn immer wieder zitieren -:

„Nun, im Spätsommer und Herbst 2015, beginnt, hoffentlich, das, was schon vor 23 Jahren hätte beginnen können: eine Flüchtlingspolitik, die sich den Problemen stellt und nicht vor ihnen davonläuft; es beginnt, hoffentlich, eine Flüchtlingspolitik, die im Flüchtling nicht den Eindringling sieht, sondern den Menschen, der Schutz braucht.

Und es wird, hoffentlich, dem Asylrecht endlich ein Einwanderungsrecht zur Seite gestellt.

Ein Einwanderungsgesetz wird das Asylrecht entlasten, es wird Deutschland nutzen. Das wird Anstrengung, Kraft und viel Geld kosten. Die Alternative heißt: Einmauern. Solche Einmauerei hat noch nie in der Geschichte geholfen. Der Kaiser, der in Max Frischs gleichnamigem Stück ‚Die chinesische Mauer‘ bauen lässt, tut dies, ‚um die Zukunft zu verhindern‘. Es wäre schlecht, wenn dieser Kaiser in Europa noch immer seine Minister hätte.“

Da hat Herr Prantl recht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Toepffer das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Polat, eines muss man Ihnen lassen: Bei Ihnen wissen wir wenigstens, woran wir sind.

(Zustimmung bei der CDU)

Das unterscheidet Sie - in wohltuender Weise, muss ich sagen - von unserem Ministerpräsidenten. Herr Weil, Sie ziehen seit Tagen durch das Land und fordern einen Plan B zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Und wir erleben hier, dass Sie nicht den geringsten Beitrag oder Ansatz zur Entwicklung dieses Planes leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich muss Ihnen sagen: Von dem Ministerpräsidenten eines so großen Landes wie Niedersachsen haben wir schlichtweg anderes erwartet.

Aber wenn man ehrlich ist und der Wahrheit ins Gesicht sieht, liebe Kolleginnen und Kollegen - das müssen wir irgendwann einmal tun -, dann müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass wir nicht nur keinen Plan B haben, sondern wir haben eigentlich auch keinen Plan A.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wie dieser Plan A zur weltweiten Flüchtlingskrise aussehen soll, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Wir alle fordern eine EU-Flüchtlings

politik - das ist sicherlich gut und richtig. Aber darüber, wie sie aussehen soll, gibt es unterschiedliche Meinungen. Einige sagen, alle Länder in der EU müssten dem Beispiel von Deutschland und Schweden folgen. - Das ist natürlich völlig unrealistisch; das wird nicht passieren. Und das nicht deswegen nicht, weil die Ungarn und Polen per se schlechtere Europäer oder schlechtere Menschen sind - nein, das wird deswegen nicht funktionieren - der Kollege Dürr hat es eben beschrieben -, weil es innerhalb der EU völlig unterschiedliche Asylrechte gibt. Und die Staaten verfügen über eine völlig unterschiedliche Leistungsfähigkeit. Das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern; deswegen kann das nicht der Plan A sein.

Aber vielleicht geht es auch eine Nummer kleiner - ich nenne den Juncker-Quoten-Plan. Es ist zu Recht gesagt worden, dass es weltweit eine gigantische, so nie dagewesene Flüchtlingsentwicklung gibt. Es gibt 50 bis 60 Millionen Flüchtlinge weltweit - eine Million davon dieses Jahr in Deutschland. Frau Modder, ich stimme Ihnen zu: Wenn wir uns über die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen im Jahr 2015 geeinigt haben, dann sind wir noch nicht wirklich einen Schritt weiter. Das ist ein richtiges Zeichen, aber kein Plan zur Lösung der weltweiten Flüchtlingskrise.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Und wenn im Jahr 2015 Polen 9 000 und die Slowakei 1 500 Flüchtlinge aufnehmen, bringt uns das auch nicht wirklich weiter.