Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

verbesserten Standards in der frühkindlichen Bildung und Betreuung. Ob Bund, Land, Kommunen, Eltern, Erzieher und Erzieherinnen, Parteien oder Medien, alle sind sich einig: Es muss sich etwas tun. Nur Herr Försterling und Herr Hilbers sagen, das sei gerade kein relevantes Thema.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Immer mit dabei ist meine Kollegin Astrid Vockert - schade, dass sie hier heute nicht gesprochen hat -, die unentwegt Standardverbesserungen anmahnt und behauptet, die Landesregierung tue nicht genug.

(Astrid Vockert [CDU]: Genau!)

- Frau Kollegin, es waren die rot-grünen Mehrheitsfraktionen, die die dritte Kraft in Krippen eingeführt haben. Dieser Schritt war längst überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Und was macht Ihre Partei, während Sie versuchen, der CDU ein Image der neuen Kita-Partei zu verpassen? - Sie beschließt erneut eine gesellschaftspolitische Rolle rückwärts und lässt Sie im Kampf für Qualitätsverbesserungen im Regen stehen, Frau Vockert. Äußerst schade.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ihre Partei möchte nämlich die frei werdenden Bundesmittel lieber in ein Landesbetreuungsgeld stecken und verlässt dabei, Herr Hilbers, mit ihren „Wünsch-Dir-Was-Beschlüssen“ auf diesem Landesparteitag die finanzpolitische Seriosität.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn wenn Sie echte Wahlfreiheit schaffen wollten, müssten Sie erst einmal den Kita-Ausbau und Qualitätsverbesserungen voranbringen, bevor die Gelder dafür ausschütten, dass Eltern ihre Kinder zu Hause lassen.

Aber diese vermeintliche Wahlfreiheit ist ja auch gar nicht Ihr Ansinnen. Realitätsverweigerung treibt Ihre politischen Entscheidungen in diesen Fragen an. Sie wollen nicht akzeptieren, dass die Zeichen der Zeit sich geändert haben.

(Astrid Vockert [CDU]: Es geht um das Kindeswohl!)

Und dass es Frau Joumaah - sie ist leider gerade nicht im Raum - als frauenpolitische Sprecherin der

CDU-Landtagsfraktion nach dem Urteil ernsthaft als falsches familienpolitisches Signal bezeichnet hat, dass der Staat Frauen - in der Regel sind es ja Frauen - nunmehr kein Geld dafür bezahlt, dass sie ihre Kinder zu Hause lassen, erstaunt mich doch wirklich sehr.

Sie alle von der CDU kennen doch sicherlich die Studien zum Betreuungsgeld. Dann werden Sie auch wissen, dass es vornehmlich Familien sind, die ihre Kinder zu Hause lassen, die ohnehin schon eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, dass es Kinder aus als bildungsfern beschriebenen Familien sind und dass es gerade die Frauen sind, die ein geringes Einkommen haben, die das Betreuungsgeld beziehen und zu Hause bleiben. Lesen Sie doch die OECD-Studie! Lesen Sie doch die Studie der TU Darmstadt! Machen Sie das doch einfach mal, wenn Sie es nicht glauben!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das sind Frauen, die ohnehin vornehmlich von Altersarmut bedroht sind und die somit durch Sie einen zusätzlichen Anreiz bekommen, ihre Erwerbsbiographien zu unterbrechen. Ihnen wird ein Wiedereinstieg in den Beruf somit unattraktiv gemacht. Ist das Ihre Frauenpolitik? Meinen nicht auch Sie, dass eine Auszahlung des Betreuungsgeldes so positive familienpolitische Anreize wie das von Frau von der Leyen eingeführte Elterngeld vollständig konterkariert, dass Sie damit ein Frauenbild festigen, von dem Sie sich eigentlich schon verabschiedet hatten? - Ich dachte zumindest, dass Sie da schon weiter wären. Offensichtlich ist das leider nicht der Fall. Aber wir streiten dafür, dass dieser frauenpolitische Ansatz endlich in den Geschichtsbüchern steht und nirgendwo sonst mehr vorkommt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Solange die Betreuungssituation so aussieht, wie sie aussieht, und Frauen immer noch diejenigen mit den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und auch den geringen Einkommen sind, so lange kann doch keiner in diesem Hause ernsthaft von Wahlfreiheit sprechen!

Die 90 Millionen Euro, die nun durch das Kippen des Betreuungsgeldes frei werden, werden in Niedersachsen für eine gute Betreuung gebraucht. Das eint das Haus, und das freut mich. Vor diesem Hintergrund können wir uns, Herr Försterling, in diese aktuelle und relevante bundespolitische De

batte einmischen und fordern, dass der Bund das Geld an die Länder ausschüttet. Das ist doch schon einmal eine verbindende Erkenntnis.

Und wenn wir uns anschauen, welche Positionen die Expertinnen und Experten, die Verbände und die Öffentlichkeit zum Betreuungsgeld bezogen haben, dann bleibt nur eine Erkenntnis: Egal, ob es der Kinderschutzbund, pro familia, die Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände, das Kinderhilfswerk oder Frauenverbände waren - die Liste ist lang, Sie merken es -, sie alle fordern vehement die Umwidmung der Mittel für einen qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagesstätten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, stehen alleine da, aber wollen es einfach nicht wahrhaben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Landesregierung hat nun Frau Sozialministerin Rundt das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 21. Juli dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld des Bundes für nichtig erklärt. Niedersachsen hat die klageführenden Länder im Übrigen intensiv unterstützt.

Das Urteil war auch eine absolut richtige Entscheidung; denn das Betreuungsgeld steht im klaren Widerspruch zu familienpolitischen Weichenstellungen der letzten Jahre wie der Einführung des ElterngeldPlus, der Reform des Unterhaltsrechts und dem Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder.

Vielleicht bietet sich jetzt die Gelegenheit, gleich mit ein paar Hilbers’schen Legenden aufzuräumen.

Erstens wird niemandem etwas weggenommen; denn wir haben volle Besitzstandswahrung zugunsten derer, die das Betreuungsgeld bereits beziehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens. Wenn wir uns Gedanken über das Thema Ehegattensplitting machen, dann deshalb, weil wir mehr für Kinder tun und für sie neue Systeme einführen wollen - bis hin zu Überlegungen zu einer Kindergrundsicherung.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Reinhold Hilbers [CDU]: Das kauft Ihnen doch keiner ab!)

Drittens kann ich mich noch gut daran erinnern, dass die Verbände vor dem Regierungswechsel Sturm gelaufen sind und gesagt haben: „Wir brauchen unbedingt eine dritte Kraft in den Krippen“, aber bei der CDU/FDP-Regierung schnöde abgeblitzt sind.

Im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld gibt es einen Abschlussbericht, nämlich die „Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen in Deutschland“, eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung, die zu einem eindeutigen Ergebnis kommt: Familienpolitische Ziele wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und die wirtschaftliche Stabilität in den Familien werden am besten durch den Aufbau der Kinderbetreuung und der Kindertageseinrichtungen erreicht. Ein wie auch immer geartetes Betreuungsgeld ist absolut kontraproduktiv.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilbers zu?

Nein.

Bitte!

Im Übrigen gibt es für ein solches Betreuungsgeld weder eine breite gesellschaftliche noch eine politische Mehrheit im Land. Auch innerhalb der CDU war es nämlich durchaus umstritten. Da nimmt es schon ein bisschen Wunder, dass die CDU in Niedersachsen auf dem Landesparteitag nun die CSU rechts überholt hat.

Sehr geehrte Abgeordnete der CDU, ich glaube, auch Sie wissen genau, dass das Betreuungsgeld bildungs-, gleichstellungs-, teilhabe- und wirtschaftspolitisch verfehlt ist. Und es ist auch so, dass Argumente wie „Wahlfreiheit“ oder „Anerkennungsleistung“ das Ganze nicht besser machen; denn Wahlfreiheit besteht ja erst, wenn die Nachfrage von Eltern nach qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung überhaupt gedeckt werden kann. Ein Landesbetreuungsgeld wäre sonst nichts weiter als ein Geldgeschenk für die, die ihren Kindern diese frühkindliche Bildung nicht zukommen lassen. Das entspricht, glaube ich, unser aller Vorstellung von einer guten und gerechten Familienpolitik nicht.

Ich habe, muss ich sagen, größten Respekt vor der enormen Erziehungsleistung aller Eltern, und zwar unabhängig davon, ob sie die Kinder zur Betreuung in eine Kita geben oder ob sie sich für eine Eigenbetreuung entscheiden. Mein Respekt gilt insbesondere den Eltern, die sich aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus dafür entscheiden müssen, ihr Kind tagsüber durch engagierte Fachleute betreuen zu lassen und sich dann abends nach einem eigenen langen Arbeitstag sehr, sehr intensiv, voll und ganz ihren Kindern widmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch für diese Familien wird eine Wahlfreiheit erst dann bestehen, wenn sich die wirtschaftliche Situation nachhaltig gebessert hat.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt uns eine einmalige Chance, nämlich die freigewordenen Mittel zum Ausbau von Kindertagesstätten zu nutzen. Die Landesregierung wird gemeinsam mit anderen Bundesländern im Bundesrat einen Entschließungsantrag auf den Weg bringen, in dem es genau darum geht.

Wenn Sie sich also bei Ihrem Parteifreund Schäuble gerne dafür einsetzen wollen, dass das Geld diesen Weg an die Länder nimmt, dann freue ich mich ganz besonders.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Ich habe die Sorge, dass Sie das nicht vernünftig verwenden! - Gegenruf von Christian Grascha [FDP]: Die Sorge ist berech- tigt!)

Darüber hinaus bitte ich um eines: Eben kam das Problem zur Sprache, dass drängende, aktuelle Probleme sowohl thematisch als auch möglicherweise finanzpolitisch gegen die Frage des Betreu

ungsgeldes ausgespielt werden könnten. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Themen Flüchtlinge und Betreuungsgeld auf gar keinen Fall miteinander vermischt werden dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)