Vielen Dank, Herr Kollege Lynack. - Wir fahren in der Beratung fort. Nun hat das Wort für die FDP Herr Kollege Dr. Birkner. Bitte! - Alle anderen darf ich noch einmal um Aufmerksamkeit bitten!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel stellt der anhaltende Zustrom von Flüchtlingen eine große Herausforderung für Staat und Gesellschaft dar.
Dabei geht es zum einen um die Frage, ob die Rahmenbedingungen stimmen und in welcher Höhe der Zuzug, der hier erfolgt, gesellschaftlich bewältigt werden kann, also um die weiterhin ausstehende Begründung für die Behauptung, dass man das so schaffen werde. Dafür muss man materielle Voraussetzungen definieren - unter welchen Voraussetzungen wollen wir die Zuwanderung denn aus unserem eigenen Interesse heraus? -, und man muss auch darüber nachdenken und diskutieren, wem wir wie lange bei uns Schutz gewähren können.
Ein zweiter Punkt, den man beachten muss - auch wenn sich das nicht ganz scharf voneinander trennen lässt -, ist die Frage nach der Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen und auch der Politik.
Wir müssen doch feststellen, dass ungeachtet der politischen Präferenzen - das wird in der SPD genauso sein wie in der CDU; für die FDP kann ich es definitiv sagen; bei den Grünen bin ich mir nicht immer ganz sicher, aber das ist kein Vorwurf, sondern einfach nur eine Feststellung - in der Bevölkerung ein aus meiner Sicht dramatischer Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der staatlichen Institutionen stattgefunden hat. Davon sind übrigens auch die damit natürlich intensiv befassten kommunalen Verwaltungen nicht ausgenommen. Dieser Vertrauensverlust richtet sich somit insgesamt gegen die demokratisch legitimierten Institutionen.
Diese anhaltende Überforderung und anhaltende Notstandsituation birgt eine Gefahr in sich, die meines Erachtens nicht unterschätzt werden darf, weil sie am Ende eine Gefahr für die freie Gesellschaft - nämlich für ihre Institutionen - und für die Demokratie in sich trägt und den Nährboden für Extremismus bildet.
Einen kleinen Moment, bitte, Herr Kollege! - Herr Bode, die Beratungen in der letzten Reihe der FDP-Fraktion stören wirklich. Es spricht Ihr Kollege.
Vor diesem Hintergrund ist es also notwendig, die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen. Dafür, meine Damen und Herren, ist aber eine entscheidende Voraussetzung, dass die Politik in diesem entscheidenden Punkt beweist, dass sie handlungsfähig ist.
Das gilt natürlich in besonderem Maße für diejenigen, die Verantwortung tragen. Auf Bundesebene ist das eine Große Koalition aus SPD und CDU, die, wie man leider feststellen muss, in dieser entscheidenden Frage jedes Mindestmaß an Einigkeit vermissen lässt. Das gilt aber auch für die Landesregierung, die - das ist vom Kollegen Thümler völlig zutreffend dargestellt worden - nur vorgibt, einig zu sein, und bei der bei den zentralen Punkten - gerade dann, wenn es um die Umsetzung von wichtigen Entscheidungen geht - diese Einigkeit eben tatsächlich nicht gegeben ist.
Das Schauspiel, das wir derzeit in Berlin erleben, wird den Herausforderungen ganz gewiss in keiner Weise gerecht. Das gilt für die SPD genauso wie für die CDU auf Bundesebene. Wenn man diesen Streit über Transit- oder auch Registrierzonen - wie immer man sie auch nennen mag -, über den subsidiären Schutz, den Familiennachzug und die Wiederanwendung der Dublin-Regeln nach außen trägt, dann ist das ganz sicher nicht geeignet, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik und damit auch der staatlichen Institutionen wiederherzustellen. Im Gegenteil: Es verstärkt den Vertrauensverlust und nährt die Zweifel.
Meine Damen und Herren, dabei geht es ausdrücklich nicht darum, dass man sich nicht öffentlich auseinandersetzen und politisch streiten sollte. Das ist notwendig, und das ist gut. Es geht meines Erachtens um die Form, wie das getan wird.
Wenn Herr Stegner Transitzonen als „Internierungslager mit kurzem Prozess“ diffamiert, wenn Herr Schäuble von einer Flüchtlings-Lawine spricht und wenn, mit Verlaub, Sie, Herr Watermann, in der Diskussion der Union ohne irgendeinen erkennbaren Anlass unterstellen, auf kommunaler Ebene die Situation der Flüchtlinge für politische Zwecke zu missbrauchen, dann wird es den Ansprüchen, den Notwendigkeiten und der Ernsthaftigkeit dieser Debatte in keiner Weise gerecht.
Es schadet auch, wenn die Grünen im Landtag den Ministerpräsidenten bei wichtigen Entscheidungen am Ende im Stich lassen und ins offene Messer laufen lassen. Denn wie man hört, Herr Ministerpräsident, waren die Entscheidungen bei den Grünen längst gegen Sie gefallen. Man hat Sie und den Innenminister aber munter weiterverhandeln lassen. Wenn das der Stil ist, in dem dieses Land regiert wird und mit dem man dieser Krise Herr werden will, dann wird das leider nichts werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss vor diesem Hintergrund zu den Anträgen der Union sagen: Die Beratung wird sicherlich in den Ausschüssen vertieft werden.
Ich glaube sogar, dass Sie, Herr Innenminister, ein eigenes Interesse daran haben, dem Parlament so transparent und so intensiv wie möglich Informationen über die Entwicklung zu geben - von mir aus auch wöchentlich, wenn es die Dynamik der Entwicklung nahelegt. Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum es notwendig ist, darüber eine parlamentarische Debatte zu führen. Denn von sich aus sollte das Innenministerium heute hier zusagen, diese Information ab nächster Woche wöchentlich zur Verfügung zu stellen. Dann wäre diese gesamte Debatte überflüssig. Denn es liegt in Ihrem eigenen Interesse, dieses Parlament gut zu informieren, damit dann vor Ort Antworten gegeben werden können. Deshalb finde ich die ablehnende Haltung der SPD hier bedenklich.
Zu dem anderen Antrag ist zu sagen: Der Antrag enthält viele einzelne Punkte. Meine Bitte ist, dass wir über diese Punkte eine sachliche Debatte führen. Der Ministerpräsident hat ausweislich der Presse gestern auch viele andere Dinge noch einmal thematisiert. In Diktion und Richtung unterscheiden sie sich in keiner Weise von dem, was z. B. die CDU jetzt hier vorschlägt. Deshalb, glaube ich, muss man darüber eine sachliche Diskussion führen können.
Wir haben einen eigenen Entwurf zum sogenannten vorläufigen humanitären Schutz eingebracht, der einen Ansatz dazu bietet, viele der Probleme, die wir haben, kurzfristig zu lösen oder zumindest Entlastung zu schaffen. Wir werden diesen Antrag heute noch einbringen und über ihn beraten.
Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Jetzt hat sich Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich im Wesentlichen auf den Entschließungsantrag „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern!“ konzentrieren, den die CDU-Fraktion vorgelegt und heute Morgen mit einem Änderungsantrag überarbeitet hat. Denn über den Gegenstand des anderen Antrages, die Information durch das Innenministerium über Zahlen und Fakten, haben wir schon in der Debatte zur Geschäftsordnung gesprochen.
Meine Damen und Herren, Sie greifen in Ihrem Entschließungsantrag den Beschluss auf, der letzte Woche zwischen den Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD gefallen ist. Interessant ist, welche Punkte dieses Beschlusses Sie in Ihrem Antrag aufgegriffen haben und welche Sie weggelassen haben. Dabei handelt es sich um Punkte, die im Moment zu einer hitzigen Debatte in dieser Gesellschaft führen.
Das Thema Familiennachzug sprechen Sie in Ihrem Entschließungsantrag und in Ihrem Änderungsantrag nicht an. Was hierzu auf Bundesebene vorgeschlagen wurde, sehen wir sehr kritisch und können wir nicht mittragen. Bei uns hat die Familie einen verfassungsrechtlichen Rang. In Bezug auf den Familiennachzug zu Personen, die unter subsidiärem Schutz stehen, ist das Gesetz gerade erst, am 1. August 2015, aufgrund der Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union angepasst worden. Mich würde im weiteren Verlauf der Debatte im Ausschuss interessieren, warum Sie ausgerechnet diesen Punkt weggelassen haben.
In dieser Debatte - das hat der Kollege Lynack angesprochen - und auch in der gestrigen Debatte zeigt sich, dass die Union im Moment ein wenig chaotisch und handlungsunfähig daherschippert. Die Parteivorsitzenden beschließen eine eng gefasste Änderung beim Familiennachzug - die wir kritisieren -, und am nächsten Tag kommt der Innenminister mit einer weitreichenden Einschränkung des Grundrechts heraus: Syrerinnen und Syrer sollen sozusagen auf subsidiären Schutz heruntergestuft werden, damit sie ihre Familien möglichst nicht mehr nachholen können.
Diesen Punkt hat zu Recht auch Ministerpräsident Weil kritisiert. Und nicht nur wir kritisieren die Wankelmütigkeit und Unkalkulierbarkeit des Bundesinnenministers an dieser Stelle, sondern auch breit aufgestellte gesellschaftliche Akteure wie Kirchen, Wohlfahrtsverbände - hier ist die Arbeiterwohlfahrt zu nennen - und Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren, in der FAZ wurde eine interessante philosophische Debatte geführt. Herr Thümler, Sie haben in diesem Zusammenhang Immanuel Kant zitiert. Es ist ungewöhnlich, dass Sie Immanuel Kant zitieren.
Aber ich möchte gerne aus einem offenen Brief zitieren, den alle Ordensoberinnen und Ordensoberen des Freistaates Bayern am 11. November an den Ministerpräsidenten Horst Seehofer geschrieben haben. Dieser offene Brief greift den Beschluss vom 5. November auf und enthält folgenden einmütigen Appell der Ordensoberinnen und -oberen:
Weil wir wissen, dass Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, die Meinung der Bevölkerung wichtig ist, richten wir heute das Wort an Sie - wissend, dass viele Menschen alle Kräfte einsetzen, um den Geflüchteten beizustehen.
- Wir appellieren an Sie, dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt. Wir plädieren vielmehr dafür, in den politischen Debatten und Entscheidungen die Geflüchteten zuerst als Mitmenschen zu sehen, die als Schwestern und Brüder zu uns kommen und unsere Solidarität brauchen.
- Wir appellieren an Sie, unbedingt von der Maßnahme Abstand zu nehmen, Transitzonen und Auffanglager einzurichten. Wir plädieren vielmehr dafür, auch die Asylanträge von Geflüchteten aus sog. ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ individuell und mit einem wohlwollenden Blick auf die Schicksale dieser Menschen zu prüfen. Denn nur die Einzelfallprüfung entspricht dem Grundgedanken unseres deutschen Asylrechts. …
Als Menschen ist es unsere Pflicht, anderen zu helfen. Als Christinnen und Christen treten wir ein für eine Kultur des Teilens. Als Ordensleute solidarisieren wir uns mit den Geflüchteten in vielfältigen Engagements, Hilfsaktionen und konkreten Initiativen. Damit stehen wir an der Seite aller Menschen guten Willens, die sich in unserem Land so überwältigend für die Geflüchteten einsetzen. Diese Hilfsbereitschaft, dieser oftmals ehrenamtliche Einsatz, der auch ungewöhnliche Anstrengungen nicht scheut, ist unseres Erachtens ein Schatz, mit dem es zu wuchern und Gesellschaft zu gestalten gilt. …
Abschottung, Grenzen und Begrenzungen sind für uns keine Lösung. Kreativität, guter Wille und eine Mentalität, die dem Teilen mehr zutraut als der Sorge nur für das eigene Wohlergehen, sind für uns zukunftsweisende Wege, für die wir uns einsetzen.“
Meine Damen und Herren, ich zitiere deshalb so ausführlich, weil die Ordensoberinnen und -oberen wirklich auf den Punkt gebracht haben, was wir Ihnen in vielen Debatten zu sagen versuchen:
Wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung. Wir brauchen Maßnahmen nicht zur Begrenzung, sondern zur Steuerung der Migration. Wir dürfen unsere Auseinandersetzung nicht auf dem Rücken bestimmter Flüchtlinge führen. Wir dürfen mit unserer Rhetorik nicht den Eindruck erwecken, dass 1 Million Menschen - welche 1 % der Bevölkerung ausmachen - unser reiches Land überfordern.
Der letzte Punkt, den ich sagen möchte: Wir haben immer gesagt, dass wir eine Entschleunigung brauchen. Denn im Katastrophenmodus, wenn die Menschen innerhalb weniger Monate kommen, können wir das nicht durchstehen.