Protokoll der Sitzung vom 13.11.2015

Meine Damen und Herren, ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt auf den

Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung: „Demokratie braucht politische Bildung“ - Niedersachsen braucht wieder eine Landeszentrale für politische Bildung! - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4526

Zur Einbringung dieses Antrages hat sich für die SPD-Fraktion Herr Marco Brunotte zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Brunotte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Niedersachsen braucht wieder eine Landeszentrale für politische Bildung!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Miriam Staudte [GRÜNE]: Nicht nur für Herrn Thiele!)

Wir freuen uns sehr - das macht für beide Regierungsfraktionen auch die Stimmung deutlich -, dass wir es geschafft haben, dieses Thema auf die heutige Tagesordnung zu bringen.

Das Jahr 2004 war ein harter Bruch mit dem bisherigen politischen und gesellschaftlichen Konsens in diesem Land. Nach den bitteren Erfahrungen aus Krieg und Faschismus waren sich 1945 nach Befreiung und Wiederaufbau die Demokraten einig: Wir brauchen Instrumente, die uns mit verpflichten, demokratische Persönlichkeiten herauszubilden, die uns in die Lage versetzen, eine stabile Demokratie für dieses Land aufzubauen und zu erhalten, und die auch unter dem Ausspruch von Friedrich Ebert, dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, unter dem Motto „Demokratie braucht Demokraten“ deutlich machen, wo die gesellschaftlichen Aufgaben liegen. Das ist auch im Münchener Manifest aller Landeszentralen bekräftigt worden: Demokratie braucht politische Bildung!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Niedersachsen hat am 1. September 1954 die Landeszentrale für Heimatdienst ins Leben gerufen, die sich dann zur Landeszentrale für politische Bildung weiterentwickelt hat und die über Jahrzehnte wertvolle und wichtige Arbeit geleistet hat, die wahrscheinlich für viele, die heute hier im

Raum sind, ein wichtiger Ansprechpartner war, die dort entweder als Schülerin bzw. Schüler, als Kommunalpolitiker oder in anderen Funktionen Kunde waren, die Seminare belegt und Angebote genutzt haben. Es waren sich eigentlich alle einig: Diese Landeszentrale für politische Bildung ist eine wichtige Institution für das Land Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Auflösung im Jahre 2004 war eine Zäsur für Niedersachsen und auch eine bundesweite Zäsur. 15 Bundesländer hatten eine Landeszentrale für politische Bildung - nur ein Bundesland meinte, verzichten zu können.

Die Auflösung hat der Landeszentrale für politische Bildung die Chance genommen, sich zu reformieren. Diese Reform wäre sicherlich auch notwendig gewesen und hätte ihr gut getan. Diese Auflösung hat dem Landeshaushalt 1,6 Millionen Euro gespart - auf Kosten unserer Demokratie!

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist ja Quatsch! Das stimmt überhaupt nicht!)

Diese Auflösung war im Jahr 2004 ein schwerwiegender politischer Fehler.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Auch das ist falsch!)

Sie hat dem Land eine Handlungsebene genommen, die wir sehr vermissen. Ich möchte Helmut Schmidt zitieren: Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer auf die Seite www.nlpb.de geht, der sieht das traurige Ende dieser Einrichtung.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist ja eine Trauerrede!)

Wenn wir uns in die aktuelle politische Situation hineinversetzen, wenn wir sehen, was in unserer Gesellschaft in Bewegung geraten ist: Wir haben eine sinkende Wahlbeteiligung. Wir haben die Bewegung Pegida auf den Straßen und Islamophobie. Wir haben eine abnehmende Beteiligung an politischen Prozessen. Wir haben viele Themen, für die in diesem Land eine Institution, eine Einrichtung fehlt, die analytische Aussagen treffen kann, die Austauschforen bietet und die für die politische Bildung Unterstützung, Koordinierung und Impulse geben kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Verfassungsschutz verrichtet als Nachrichtendienst eine gute Arbeit, Herr Dr. Birkner, aber er ist nun wahrlich die Handlungsebene für politische Bildung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Braunschweiger Zeitung hat am 5. November in einem Artikel zur Wiedereinrichtung der Zentrale für politische Bildung den Politikwissenschaftler Professor Bandelow von der TU Braunschweig mit einem Kommentar zu Wort kommen lassen, in dem es heißt:

„Es gibt einen Bedarf, gerade in Zeit aufkommender Fremdenfeindlichkeit junge Menschen für politische Aussagen zu sensibilisieren. Bildung kann ein Schlüssel sein, Toleranz zu erlernen“

Er hat in diesem Zusammenhang dafür geworben, die Zentrale für politische Bildung mit genau diesem Anspruch wiederzubeleben.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Brunotte, Herr Grascha würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Bitte schön!

Herr Kollege Brunotte, herzlichen Dank dafür, dass Sie meine Zwischenfrage zugelassen haben.

Sie haben gerade die Entstehung der PegidaBewegung mit der Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung in einen Zusammenhang gestellt. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie - weil die Pegida-Bewegung ja vor allem in Dresden zu Hause ist - gern fragen, ob der Freistaat Sachsen eigentlich eine Landeszentrale für politische Bildung hat.

Ich habe es zu Beginn ja gesagt: 15 Bundesländer haben eine Landeszentrale.

(Jörg Bode [FDP]: Wie konnte Pegida dann dort entstehen? Die müssten doch hier sein! - Gegenruf von Petra Tiemann [SPD]: Geht es noch fla- cher?)

Wenn wir uns Niedersachsen ansehen, dann können wir feststellen, dass wir es auch hier mit einem aufkommenden Rechtspopulismus zu tun haben. Der findet nicht nur in Dresden statt.

(Christian Grascha [FDP]: Ist es schlimmer als in anderen Bundeslän- dern?)

Wenn wir uns ansehen, was in Braunschweig auf den Straßen stattfindet, was in Hannover auf den Straßen stattfindet: Wir brauchen genau aus diesem Grund eine Landeszentrale für politische Bildung, die zivilgesellschaftliche Kräfte stärkt. - Es geht doch gar nicht darum, was wo schlimmer ist, sondern darum, dass in Niedersachsen genau diese Ebene fehlt.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: Dann müsste es hier schlim- mer sein als in anderen Bundeslän- dern! Ist es aber nicht! Im Gegenteil! Gehen Sie mal nach Dresden!)

- Herr Kollege Grascha, ich dachte eigentlich auch, dass wir unter Demokraten in dieser Debatte weiter wären.

Zwischen 2004 und 2015 hatten wir viele Institutionen, die im Bereich der politischen Bildung in die Lücke gesprungen sind und Verantwortung übernommen haben. Dafür wollen wir uns sehr bedanken. Wir wissen aber auch, dass all dies nicht die Lücke kompensieren konnte, die aufgrund des Wegfalls der Landeszentrale für politische Bildung entstanden ist.

(Christian Grascha [FDP]: Sie glau- ben, dass Sie ein paar Beauftragte einstellen können, und dann gibt es keinen Rechtsextremismus mehr! Das ist doch ein Witz!)

Uns geht es hierbei nicht um eine Institution, sondern um den Inhalt, der in dieser Institution, in dieser Landeszentrale stattfinden wird. Uns geht es um eine eigenständige, unabhängige und überparteiliche Einrichtung, die sich mit einem Kuratorium auch einer wissenschaftlichen gesellschaftlichen Debatte stellt, die sich in einem Netzwerk aus Gewerkschaften, Volkshochschulen, Heimvolks

hochschulen, Universitäten, Schulen und der Zivilgesellschaft bewegt, die in Kooperation Angebote unterbreiten kann, die sich mit der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und der Dokumentationsstelle sowie der Agentur für Erwachsenenbildung und vielen anderen gemeinsam auf den Weg macht, die sich mit deutscher und niedersächsischer Geschichte auseinandersetzen kann - wir haben das am Mittwochabend hier behandelt -, die sich mit der deutschen Vergangenheit befasst, die die Wiedervereinigung mit abbildet und die sich mit Europa und mit Medienkompetenz auseinandersetzt.

Wir wollen eine neue Landeszentrale, eine Landeszentrale, die eine dynamische Einrichtung ist, die neue Methoden, neue Medien mit aufnimmt, die dezentral arbeitet und die eine andere politische Didaktik widerspiegelt, eine Institution, die sich weiterentwickeln kann und wird, die integriert und die einen vertrauensvollen Rahmen bekommt.

Wir sind hier nicht alleine, sondern wissen viele an unserer Seite - den DGB, die GdP, den VDE, den Volksbund Kriegsgräberfürsorge, die EuropaUnion, den Geschichtslehrerverband, die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung und viele mehr -, die uns an dieser Stelle mit unterstützt haben: Macht euch auf den Weg!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen Lust auf Demokratie machen. Wir wollen Lust darauf machen, sich kritisch in dieser Gesellschaft zu bewegen, Teilhabe zu leben, und dafür mit einer Landeszentrale für politische Bildung genau das Angebot zu unterbreiten, das aktuell fehlt.

Wir freuen uns auf eine Anhörung im Fachausschuss, auf eine kritische Diskussion und auf einen Beginn. Wir wollen uns bei all denen bedanken, die mit uns für diese Landeszentrale gekämpft haben, die an diese Landeszentrale geglaubt haben, die mit am Antrag gearbeitet und die sich gemeinsam mit uns darüber gefreut haben, dass wir diesen Antrag hier heute im Parlament einbringen können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nun geht es an die nächsten Schritte. Wir freuen uns darauf, all die, die sich in Niedersachsen mit politischer Bildung befassen, in die Anhörung einzubeziehen, Meinungen zu hören, kritisch zu reflektieren, wie man das in der politischen Bildung macht, und hier im nächsten Jahr in zweiter Lesung einen guten Beschluss herbeizuführen und

endlich wieder sagen zu können: Niedersachsen hat eine Landeszentrale für politische Bildung.

Vielen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)