Protokoll der Sitzung vom 14.04.2016

- Ich würde jetzt gerne den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen, aber das kann ich nur machen, wenn hier jetzt Ruhe einkehrt. Ich bitte auch um Ruhe auf der Regierungsbank.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 15: Abschließende Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Heimgesetzes - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 17/3914 - b) Keine Unterbringung im Doppelzimmer gegen den Willen der Betroffenen - Wunsch- und Wahlrecht Sozialhilfeberechtigter in der vollstationären Altenpflege berücksichtigen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5283 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/5493 - Schriftlicher Bericht - Drs. 17/5528 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drucksache. 17/5553

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf mit Änderungen und den Antrag unverändert anzunehmen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU zielt zu den Nrn. 3, 7 und 10 der Beschlussempfehlung

auf Änderungen gegenüber der Beschlussempfehlung.

Wir treten jetzt in die Beratungen ein. Es liegt eine erste Wortmeldung des Kollegen Uwe Schwarz vor. Herr Schwarz, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von dem früheren Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, stammt die Formulierung: Es kommt kein Gesetz so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist. - Für das vorliegende Niedersächsische Heimgesetz stimmt das nach meiner Auffassung uneingeschränkt.

(Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann übernimmt den Vorsitz)

Seit Anfang Oktober 2015 hat sich der Sozialausschuss durch diesen Entwurf gekämpft. Heute liegt ein erheblich veränderter Gesetzentwurf zur Verabschiedung vor. Einige wenige von uns, die sich noch gut an die außerordentlich komplizierten Beratungen im Jahre 2010 erinnern konnten, hatten dabei sicherlich so etwas wie ein Déjà-vu. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dem GBD und den verantwortlichen Mitarbeitern im Sozialministerium für die intensive und schnelle Zuarbeit während dieser Beratungen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hinter dem lapidaren Begriff „Heimgesetz“ verbergen sich erhebliche gesellschaftliche Veränderungen, Veränderungen in der Altersstruktur, ein massiver Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen und deutlich veränderte Bedarfe mit Blick auf die Inanspruchnahme von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Dieser Entwicklung wird schon mit der Gesetzesüberschrift Rechnung getragen. Aus dem „alten“ Heimgesetz wird das Niedersächsische Gesetz über unterstützende Wohnformen.

Fast alle Pflegeheime leisten eine hoch engagierte, tolle Arbeit. Aber mit den klassischen Altersheimen haben sie nichts mehr zu tun. Diese sind allenfalls durch sogenannte Altersresidenzen abgelöst worden - sofern man sie sich leisten kann.

Der Weg ins Heim ist, wenn überhaupt, meistens der letzte Schritt im allerletzten Lebensabschnitt, und er ist im Übrigen selten selbstbestimmt. Nicht selten wird er direkt aus dem Krankenhaus vollzogen, vor allem dann, wenn keine Bezugspersonen

mehr da sind, die die Betroffenen betreuen können. Heime übernehmen an dieser Stelle zunehmend die Aufgaben von Hospizen. Daher haben wir auch die Regelungen zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung mit in das Gesetz aufgenommen.

Meine Damen und Herren, die Menschen wollen heute so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung - möglichst in der eigenen Wohnung - bleiben. Wenn wir uns selber prüfen, dürften wir feststellen, dass das für die meisten von uns genauso zutrifft. Diesen Wunsch und den Grundsatz „ambulant vor stationär“ hat übrigens auch der Bundesgesetzgeber aktuell mit den beiden Pflegestärkungsgesetzen deutlich untermauert.

Neben dem Verbleib in der eigenen Wohnung, unterstützt durch ambulante Pflegedienste, gibt es heute vielfältige alternative Wohnformen im Alter oder auch bei Handicaps, z. B. unzählige Formen des betreuten Wohnens - ein leider immer noch ungeschützter Rechtsbegriff, sodass die Möglichkeit des Wildwuchses und Missbrauches zulasten der Betroffenen besteht. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn der Bundesgesetzgeber hier endlich eine korrigierende Formulierung findet.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt unzählige Formen von Wohngemeinschaften: Alten-WGs, ambulant betreute WGs, selbstverwaltete WGs usw. usf. Und es gibt extrem starke Zuwächse bei der Tagespflege. Die Tagespflege ist ein Segen für viele Demenzerkrankte und deren sie zu Hause pflegende Angehörige. Die Aufgaben der Tagespflege unterscheiden sich von den Aufgaben des Heimes nur durch die Tatsache, dass die Bewohner abends wieder nach Hause gehen. Versuchen, im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens der Tagespflege den Schutzauftrag des Gesetzes zu entziehen, haben wir eine klare Absage erteilt. Das haben wir abgelehnt.

Vor dem Hintergrund der Vielfalt unterschiedlicher Betreuungsformen waren wir uns parteiübergreifend sehr schnell einig, dass die Fokussierung auf „das Heim“ nicht mehr zeitgemäß ist und dass die unterschiedlichen Wohnformen gleichberechtigt nebeneinander im Gesetz stehen müssen. Ich glaube, dass wir diesen Kraftakt gemeinsam gut hinbekommen haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im Vordergrund des Gesetzes steht die Absicht, den betroffenen Menschen ihre individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung sowie die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben innerhalb und außerhalb von Einrichtungen zu sichern zu fördern. Es geht aber auch darum, die fachliche Qualität der Betreuung und des Wohnens zu sichern und die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten.

Der Spagat zwischen dem Schutz der Bewohner auf der einen Seite und ihrer Entmündigung und Gängelung auf der anderen Seite ist sowohl fachlich als auch rechtlich schwierig. Mit dem Gesetz von 2010 hat das seinerzeit nicht hinreichend funktioniert. Ich bin zuversichtlich, dass uns der Balanceakt diesmal gelungen ist. Die von uns nach fünf Jahren vorgesehene Evaluierung wird uns Aufschluss hierüber geben.

Wir haben dieses schwierige Gesetz im Ausschuss gemeinsam konzentriert und zielorientiert beraten, wie es bei uns im Sozialbereich üblich ist. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Die von der CDU in der Schlussberatung übernommene Forderung der kommunalen Spitzenverbände, wonach betreute Wohnformen weder räumlich noch organisatorisch mit einer vollstationären Pflegeeinrichtung verbunden sein dürfen, würde nach unserer Auffassung erstens sehr simple Umgehungstatbestände fördern, und das entspricht zweitens in keiner Weise der Lebenswirklichkeit. Die möglichst lange Selbstständigkeit mit der Möglichkeit der Ergänzung professioneller Hilfe im Bedarfsfall ist die Idealvorstellung vieler Menschen, verbunden auch mit der Vorstellung, im Falle der vollständigen Pflegebedürftigkeit die Bezugspersonen nicht wechseln zu müssen. Das sogenannte Servicewohnen entspricht genau diesen Vorstellungen und ist darüber hinaus für viele Pflegeheime eine wichtige Existenzperspektive. Der CDU-Antrag geht daher nach unserer Auffassung an dieser Stelle ins Leere, bzw. er ist absolut kontraproduktiv und wird von uns abgelehnt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf die erweiterte Präambel des Gesetzes eingehen.

Erstens. Wir wollten und wollen kein modernes Gesetz verabschieden, das eine veraltete Begriffsbestimmung von Menschen mit Behinderungen entgegen der Begriffsformulierung der UN-BRK benutzt. Das stellen wir in der Präambel klar, nachdem der Bund das in seiner uns bindenden Rahmengesetzgebung in den vergangenen fünf Jahren immer noch nicht geheilt hat. Ich finde das problematisch.

Zweitens. Wir erneuern im Gesetz die Festlegung, dass Menschen nicht gegen ihren Willen durch den Betreiber in Mehrbettzimmern untergebracht werden dürfen.

(Petra Tiemann [SPD]: So ist es!)

Es gibt leider auch in Niedersachsen immer noch örtliche Sozialhilfeträger, die ausschließlich aus Kostenersparnisgründen Menschen in Mehrbettzimmer zwingen. Wir stellen jetzt zusätzlich in der Präambel klar, dass die in Artikel 1 unseres Grundgesetzes verankerte Menschenwürde von allen Beteiligten zu berücksichtigen ist. Genau darum geht es, meine Damen und Herren: um die Achtung der Menschenwürde im letzten und im allerletzten Lebensabschnitt.

Mit dem vorgelegten ergänzenden Entschließungsantrag beauftragen wir die Landesregierung, sich in diesem Sinne gegenüber dem Bund für eine entsprechende Änderung des SGB XII einzusetzen.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ohne Frage eines der großen sozialpolitischen Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode. Gleichzeitig setzt die rot-grüne Koalition einen weiteren zentralen Punkt ihrer Koalitionsvereinbarung um. Ich hoffe, wir machen das heute wie vor sechs Jahren,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

als wir aus der Opposition heraus die damalige Novelle von CDU und FDP nach intensiven kollegialen Beratungen mitgetragen haben, und freue mich auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. Ich hätte Ihre Rede an einer Stelle unterbrechen sollen, um darum zu bitten, mehr Ruhe im Plenarsaal zu wahren; es ist doch sehr viel Unruhe, sehr viel Lauferei hier.

Ich bitte Sie, den Rednern in aller Ruhe zuzuhören. Wenn Sie Gespräche führen wollen, dann machen Sie das bitte außerhalb des Plenarsaals.

Jetzt hat für die CDU-Fraktion der Kollege Burkhard Jasper das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 15. September hat der zuständige Fachausschuss über das Gesetz beraten. Das zeigt schon: Es ist keine einfache Angelegenheit. Es geht darum, einerseits neue unterstützende Wohnformen zu fördern und andererseits den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten. In der Anhörung gab es unterschiedliche Ansichten. Trotzdem ist es uns im Ausschuss gelungen, in vielen Bereichen Übereinstimmung herzustellen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU)

Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass deutlich geworden ist, dass es sich um abgestufte Anforderungen handelt. Wir haben sechs verschiedene Einrichtungen. Es beginnt mit Formen des betreuten Wohnens, mit ambulant betreuten Wohngemeinschaften, in denen man die Pflegeleistungen frei wählen kann. Dann gibt es zwei Arten, in denen Miet- und Pflegevertrag miteinander gekoppelt sind, die Tagespflege und die Heime.

Wir haben den Wunsch nach einem Einzelzimmer in die Präambel aufgenommen. Die CDU begrüßt diesen Punkt, wir werden uns aber bei der Abstimmung zu dem Antrag wie im Ausschuss der Stimme enthalten, weil wir großes Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung haben. Das wird dort richtig gemacht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Thomas Schremmer [GRÜNE]: Die stellen wir doch gar nicht infrage!)

Den Zeitraum der Gründungsphase haben wir einvernehmlich auf ein Jahr gekürzt. Wir halten das für richtig, weil dadurch einerseits die Träger unterstützt werden, solche Wohnformen zu gründen, andererseits die Bewohnerinnen und Bewohner schneller wählen können.

Wir haben die Größe der Wohngemeinschaften auf zwölf Personen festgelegt.

Die Palliativmedizin ist gewährleistet, eine Evaluierung ist vorgeschrieben.

Auch bei der Anzeigepflicht haben wir Einigkeit erzielt. Wir haben gesagt: Bei mehr als zwei Personen muss das gemacht werden, damit das Gesetz überhaupt greift.

Unterschiede haben wir bei den Wohnformen, die Heime sind. Ich betone: die Heime sind. - Es ist etwas seltsam, dass gerade für diese Formen die Heimpersonalverordnung nicht gelten soll. Das ist von den Begriffen her ein Widerspruch. Einrichtungen, die Heime sind, fallen nicht unter die Heimpersonalverordnung, d. h., dort gilt die Fachkraftquote nicht. Vor dem Hintergrund all der Diskussionen um die Pflegekammer ist mir völlig unverständlich, dass Sie einerseits sagen: „Die Qualität der Pflege ist ganz wichtig“, hier aber andererseits nicht die richtigen Prioritäten setzen.

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der FDP)

Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ich die Pflege frei wählen kann, habe ich dadurch eine Kontrolle; das ist der Wettbewerb. Die resolute ältere pflegebedürftige Dame kann den Pflegedienst jeden Monat wechseln. Sie kann sagen: Der ist mir zu teuer, ich finde das Pflegepersonal nicht gut oder die Qualität ist nicht in Ordnung. - Da gibt es überhaupt keine Probleme. Wenn aber die Verträge miteinander verbunden sind, dann muss die ältere Person ausziehen; sie hat sonst keine Chance, den Pflegedienst zu wechseln. Das muss man wissen. Darum meinen wir, dass der Schutz dieses Gesetzes greifen muss. Wir finden es nicht richtig, dass die Heimpersonalverordnung dort nicht gilt.