In der EU leben rund 80 Millionen Menschen mit einer mehr oder minder schweren Behinderung. Das sind mehr als 15 % der gesamten europäischen Bevölkerung. Sie alle sollen sich in den Ländern der Europäischen Union wohlfühlen und die Hilfe und die Vergünstigungen erhalten, die sie benötigen. Eine besondere Bedeutung kommt hier u. a. kulturellen Einrichtungen zu, die die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander ermöglichen.
Es gibt aber auch eine Kehrseite: Häufig wird diese Hilfestellung im europäischen Ausland verwehrt, da der Schwerbehindertenausweis im Ausland keine Gültigkeit besitzt. Ich möchte aus einem Brief eines behinderten Menschen zitieren. Er schreibt:
„Ich bin schwerbehindert, kann aber trotz meiner Behinderung noch sehr viel unternehmen. So bin ich oft unterwegs auf Reisen durch ganz Europa. Gerade in Frankreich passiert es mir andauernd, dass mir
Vergünstigungen verwehrt werden, die andere Franzosen mit ihrem Schwerbehindertenausweis bekommen. Es hieß, mein in Niedersachsen ausgestellter Ausweis hätte in Frankreich keine Gültigkeit.“
Diese Ungerechtigkeit sollten wir beseitigen. Mit diesem Antrag wollen wir das auch gerne unterstützen.
Leider haben sie auch auf die Vergünstigungen, die sie in Deutschland problemlos erhalten, in anderen Ländern keinen Rechtsanspruch. Zwar stellen die Ämter auf Wunsch eine Bescheinigung in englischer, französischer, spanischer oder auch italienischer Sprache aus, in der das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft nach deutschem Recht amtlich bescheinigt wird. Diese Bescheinigung kann dem Schwerbehindertenausweis auch beigelegt werden. Aber auch hier besteht kein Rechtsanspruch, und auch hier müssen wir sehen, dass wir Nachteilsausgleiche verabschieden.
Es gibt auch noch einen umgekehrten Fall, den Sie vollkommen ausgeblendet haben: Probleme mit dem Schwerbehindertenausweis gibt es in Deutschland dann, wenn ein schwerbehinderter Mensch lange Zeit im Ausland gelebt hat. Dann kann es ihm passieren, dass ihm hier der Schwerbehindertenausweis aberkannt wird und er alle Formalitäten wieder von vorne beantragen muss. Auch das gilt es zu beenden. Insofern ist der heute zu beschließende Antrag ein Schritt in die richtige Richtung.
Abschließend möchte ich noch etwas sagen. Mit Verlaub, was hat sich eigentlich die AfD mit der Anfrage im Bundestag gedacht? - Es ist menschenverachtend, einen Zusammenhang zwischen einer Behinderung und einer Art - ich sage mal - Verschuldensprinzip herzustellen!
(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Wiard Siebels [SPD]: Richtig! Unglaublich!)
Ich finde es richtig, dass sich der Ethikrat sehr eingehend mit dieser Anfrage beschäftigt. Ich bin selber Leiterin einer Einrichtung für körper- und schwer mehrfachbehinderte Kinder gewesen. Familien so unter Generalverdacht zu stellen und zu unterstellen, dass, wenn diese Personen untereinander heiraten, eine Behinderung gemeinsamer
Vielen Dank, Frau Pieper. - Jetzt liegt mir eine Wortmeldung der Kollegin Sylvia Bruns für die FDP-Fraktion vor. Bitte, Frau Bruns!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ganz viel gesagt worden. Natürlich stimmen wir dem Antrag zu.
Wie vorher muss ich aber auch ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Ich habe hier ein kleines Merkblatt der EU mitgebracht. Es umfasst 34 Seiten.
Wie Sie wissen, gibt es bereits einen europäischen Parkausweis für Behinderte. Auf diesen 34 Seiten können sich die Besitzer dieses europäischen Parkausweises darüber informieren, welche Sonderregelungen in den 27 Ländern - einzeln aufgeführt mit Regelungen oder fehlenden Regelungen - bestehen, zusammen mit der Anmerkung:
„Bevor Sie in andere Länder reisen, machen Sie sich mit den geltenden Bestimmungen des Landes vertraut. In einigen Fällen werden Sie vor Ort weitere Informationen einholen müssen.“
Dazu muss ich ganz ehrlich sagen - denn alle, die wir hier sitzen, arbeiten ja mit Europaabgeordneten zusammen -: Da gibt es noch sehr viel zu tun. Wenn man ein solches 34-seitiges Merkblatt liest, wird deutlich, dass der Behinderten-Parkausweis zwar eine kleine Erleichterung sein mag - aber in Brüssel gibt es noch etwas anzupacken.
Es ist aber nicht die Intention der FDP-Fraktion, zu sagen: In Brüssel funktioniert das alles ohnehin nicht; das sieht man ja daran, dass es überall unterschiedliche Regelungen gibt. - Nein, das Friedensprojekt „Brüssel“ ist gut, und die EU ist gut.
Wir müssen daran arbeiten - genauso, wie es jetzt getan wird; aber vielleicht sollte es mal nicht 20 Jahre dauern -, dass diese Regelungen angepasst werden. Gudrun Pieper hat gesagt, das alles
ist auf einem guten Weg. Man bespricht das auch schon in Brüssel. Aber, ehrlich gesagt, denke ich manchmal - so habe ich eben flapsig gesagt -, wenn man das in Brüssel bespricht, sind drei Generationen schon wieder weg.
Wenn wir alle mit EU-Parlamentariern zusammenarbeiten, müsste es möglich sein, etwas mehr Geschwindigkeit aufzunehmen. Das können sie sich tatsächlich ins Stammbuch schreiben.
Vielen Dank, Frau Bruns von der FDP-Fraktion. - Jetzt liegt mir eine Wortmeldung der Ministerin Frau Dr. Carola Reimann vor. Bitte, Frau Dr. Reimann!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße den Entschließungsantrag zur Einführung eines europaweit anerkannten Schwerbehindertenausweises.
Der Schwerbehindertenausweis wird ja im Moment sehr viel diskutiert. Er dient dazu, die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nachzuweisen, und ermöglicht die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Die Abgeordnete Hanna Naber hat ja schon über das Mädchen Hannah berichtet, die ihren Schwerbehindertenausweis in „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ umbenannt hat. Wir können diesen rechtlichen Begriff zwar nicht ändern, aber viele Menschen stören sich daran.
Ich habe deshalb in einem Wettbewerb Betroffene um ihre Vorschläge für eine andere Bezeichnung gebeten. Es gab eine Jury, die hieraus zwei Vorschläge angenommen hat, nämlich den „TeilhabeAusweis“ und den „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“. Damit sind zwei Begriffe ausgewählt worden, die mithilfe einer Hülle den Namen des Ausweises überdecken.
Über die gute Resonanz für diese Hüllen freue ich mich sehr. Über 2 500 solcher Ausweishüllen sind bereits angefordert und abgegeben worden. Das zeigt, dass dieses Thema die Menschen bewegt.
Neben dem Namen des Ausweises wird bereits seit längerer Zeit auch über die Reichweite des Ausweises diskutiert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist richtig: Zwischen den EU-Mitgliedstaaten besteht kein einheitliches Schwerbehindertenrecht, weder bei der Anerkennung von Beeinträchtigungen noch bei der Gewährung von Nachteilsausgleichen. Die nationalen Schwerbehindertenausweise sind nicht EU-weit gültig. Das bedeutet - das ist auch schon von meiner Vorrednerin gesagt worden -, Ansprüche im EU-Ausland - Frankreich war eben das Stichwort - ergeben sich aufgrund eines deutschen Schwerbehindertenausweises ebenso wenig wie umgekehrt Ansprüche in Deutschland aufgrund eines ausländischen Ausweises.
Sehr geehrte Abgeordnete, bei Reisen innerhalb Europas kennen wir in den meisten Fällen gar keine Grenzkontrollen mehr. Das ist sehr erfreulich. Für uns ist es inzwischen ganz selbstverständlich, ungehindert in unsere europäischen Nachbarländer zu reisen. Deshalb ist es auch nicht länger vermittelbar, weshalb eine Person mit einer staatlich anerkannten Schwerbehinderung nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen kann. Dadurch wird die Teilhabe erschwert.
Deshalb muss der Schwerbehindertenausweis EUweit anerkannt werden. Ziel ist eine gleichberechtigte Teilhabe auf Reisen vor allem in den Bereichen Kultur, Freizeit, Sport und Verkehr. Ich denke z. B. an Ermäßigungen - das sind Punkte, die hier schon genannt worden sind - beim Besuch von kulturellen Einrichtungen oder bei der Teilnahme an Führungen.
Ein gutes Beispiel ist nach meiner Ansicht durchaus der EU-weite Parkausweis, der seit 2011 verbindlich eingeführt wird. Dazu gibt es ein einheitliches und festgeschriebenes Format. Er wird in allen EU-Staaten anerkannt. Mit ihm können auch im EU-Ausland jeweils national geltende Nachteilsausgleiche der Mitgliedstaaten beim Parken in Anspruch genommen werden.
Auch wenn die in Deutschland gewährten Nachteilsausgleiche in anderen EU-Ländern nicht im gleichen Umfang bestehen, bedeutet ein solcher europäischer Schwerbehindertenausweis für die betroffenen Menschen doch eine generelle Erleichterung im Sinne von Gleichbehandlung und Teilhabe.
Ideen für einen praktikablen europäischen Behindertenausweis gesammelt werden sollen. Die Ergebnisse - da hat die Kollegin recht, da muss man sich in Geduld fassen - wird es erst im Jahr 2020 geben. Trotzdem können wir das Thema jetzt weiter voranbringen.
Im Interesse der schwerbehinderten Bürgerinnen und Bürger begrüße ich deshalb einen solchen Entschließungsantrag auch hier im Haus und den damit verbundenen Auftrag, auf Bundesebene darauf einzuwirken, eigene Initiativen für einen einheitlichen europäischen Schwerbehindertenausweis zu prüfen und umzusetzen.
Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU in der Drucksache 18/361 unverändert annehmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden.
Liebe Frau Hanna Naber, es wäre uns fast durchgegangen, dass Sie heute Ihre erste Rede als Abgeordnete in diesem Hohen Haus gehalten haben.
Dazu möchten wir Ihnen ganz herzlich gratulieren. Eigentlich ist es selten, dass jemand zu seiner ersten Rede so viel Zuspruch erhält und so viele positive Bezüge zu Ihrer ersten Rede hergestellt werden. Danke schön.