Protokoll der Sitzung vom 18.05.2018

(Zurufe: Guten Morgen!)

Tagesordnungspunkt 29: Mitteilungen der Präsidentin

Die Reihen sind bereits gut gefüllt, sodass ich die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen kann.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 30, der Fragestunde. Anschließend setzen wir die Beratungen mit Ausnahme der gestern bereits behandelten Tagesordnungspunkte 24 und 35 fort. Die heutige Sitzung soll gegen 13.45 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer Herr Onay mit. Bitte, Herr Onay!

Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Ministerpräsident Stephan Weil ab 12.30 Uhr, Justizministerin Barbara Havliza ab 12.30 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Stefan Klein, von der Fraktion der CDU ab 10.30 Uhr Herr Thomas Adasch, von der Fraktion der FDP ab 12 Uhr Herr Dr. Stefan Birkner, Herr Jörg Bode und Herr Dr. Marco Genthe.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 30: Fragestunde - Drs. 18/835

Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich als bekannt voraus. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich stelle fest: Es ist 9.05 Uhr.

Wir beginnen mit

Frage 1: Sicherheitslage in Niedersachsen

Sie wird von dem Abgeordneten Ahrends vorgetragen. Bitte, Herr Ahrends! Sie haben das Wort. -

(Unruhe)

- Alle anderen darf ich um etwas mehr Ruhe bitten. - Einen Moment noch, Herr Kollege! - Bitte!

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Sicherheitslage in Niedersachsen wird von der Landesregierung positiv beurteilt. So war von Innenminister Pistorius auf der Seite des MI am 28. Februar 2018 zu lesen: Niedersachsen ist so sicher wie seit 35 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig ist die Kriminalität eines der Hauptthemen, welches die Menschen in unserem Lande bewegt. Messerattacken, Vergewaltigungen, zuletzt die Enthauptung eines Babys in Hamburg und jüngst eines Obdachlosen in Koblenz am 28. März 2018. Es gibt zunehmend Stimmen aus der Bevölkerung, die die Kriminalitätsstatistik anzweifeln.

(Zurufe von der SPD)

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Welche Bemühungen unternimmt die Landesregierung, um den Niedersachsen ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild vom Ausmaß der Kriminalität in unserem Land zu erstellen?

2. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Andre Schulz, so geäußert in Focus Online am 5. Mai 2018, liegen die tatsächlichen Kriminalitätszahlen weit über den in der PKS 2017 registrierten Straftaten. Die Wissenschaft geht dem erwähnten Bericht zufolge von bis zu fünfmal mehr Straftaten aus. Teilt die Landesregierung diese Einschätzung, und wie begründet sie ihre Sichtweise?

3. Von welchen Kriminalitätsbereichen glaubt die Landesregierung, dass diese zukünftig vermehrt in Erscheinung treten werden, und von welchen nimmt sie an, dass diese in Zukunft weniger vorkommen werden?

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Für die Landesregierung antwortet Ihnen Herr Innenminister Pistorius. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zunächst einmal erläutern - weil es manche anscheinend nicht genau wissen -, worüber wir bei der Polizeilichen Kriminalstatistik - kurz: PKS - eigentlich reden.

Die PKS wird auf der Grundlage bundesweit abgestimmter Richtlinien erstellt. Sie stellt damit in den Bundesländern und im Bund ein wesentliches Element zur Beobachtung der Kriminalität insgesamt und einzelner Deliktsarten, des Umfangs und der Zusammensetzung der Zahl der Tatverdächtigen sowie der Veränderung von Kriminalitätsquotienten dar. Damit dient sie als ein wichtiges Instrument zur Erlangung von Erkenntnissen zur vorbeugenden und verfolgenden Kriminalitätsbekämpfung und für kriminalpolitische Maßnahmen.

Die PKS wird als sogenannte Ausgangsstatistik geführt, was bedeutet, dass mit ihr nur die Straftaten erfasst werden, die der Polizei bekannt geworden sind und durch sie bis zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft bearbeitet wurden. In der PKS werden ferner auch die vom Zoll bearbeiteten Rauschgiftdelikte abgebildet.

Sie enthält keine Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte - mit Ausnahme von Verstößen gegen §§ 315, 315 b StGB und § 22 a StVG -, Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden, und Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze, mit Ausnahme einschlägiger Vorschriften der Landesdatenschutzgesetze. Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören - z. B. Finanz- und Steuerdelikte - bzw. die unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und ausschließlich von ihr bearbeitet werden - z. B. Aussagedelikte -, sind ebenfalls nicht in der PKS enthalten.

In der PKS wird nur - und das ist wichtig - das sogenannte Hellfeld, also die der Polizei bekannt gewordene Kriminalität, erfasst.

Niedersachsen hat, über die bundesweiten PKSStandards hinaus, die statistische Erfassung zudem für einige Bereiche - u. a. häusliche Gewalt oder Straftaten im Schulkontext - gesondert erwei

tert, um zu eingehenderen Aussagen und Bewertungen zu kommen.

Aufgrund fehlender statistischer Daten kann das sogenannte Dunkelfeld - die der Polizei nicht bekannt gewordene Kriminalität - in der PKS nicht abgebildet werden. So können z. B. Änderungen im Anzeigeverhalten der Bevölkerung die Grenze zwischen dem Hell- und dem Dunkelfeld verschieben, ohne dass sich der Umfang der tatsächlichen Kriminalität verändert hat.

Insofern unterliegt die Erfassung von Straftaten in der PKS u. a. den Einflussfaktoren Anzeigeverhalten, polizeiliche Kontrollintensität sowie gegebenenfalls erfolgte Änderungen des Strafrechts. Auf diesen Umstand wird bei der Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik für Niedersachsen, so zuletzt am 26. Februar 2018, hingewiesen.

In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass Niedersachsen nunmehr schon zum dritten Mal - übrigens als einziges Bundesland - zur Aufhellung des Dunkelfeldes eine „Befragung zu Sicherheit und Kriminalität“, eine sogenannte Dunkelfeldstudie, durchgeführt hat, deren Ergebnisse zeitgleich mit der oben genannten Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik veröffentlicht wurden.

Nach Kenntnis der Landesregierung wurde eine derartige gemeinsame Präsentation der Kriminalitätslage - Hellfeld und Dunkelfeld - damit erstmals durch Niedersachsen durchgeführt. Mit der seit dem Jahr 2013 im Abstand von zwei Jahren durch das Landeskriminalamt Niedersachsen durchgeführten oben genannten periodischen Dunkelfeldstudie schafft Niedersachsen somit neben der PKS eine weitere Grundlage, um die Entwicklung der Sicherheitslage im Land noch besser bewerten zu können.

Im Jahr 2017 wurden - wie in den vorherigen Studien - insgesamt 40 000 niedersächsische Bürgerinnen und Bürger im Alter ab 16 Jahren anonym befragt. Aufgrund des regelmäßig sehr hohen Rücklaufs der versandten Fragebögen - im letzten Jahr waren es 45,2 % - bildete die Stichprobe die niedersächsische Bevölkerung nach Alter und Geschlecht repräsentativ ab, sodass sich die Ergebnisse ohne Einschränkung auf Niedersachsen übertragen lassen.

Zusätzlich wurde jeweils einmalig ein separates Befragungsmodul integriert. 2013 war es Partnergewalt, 2015 Cybercrime und 2017 Hasskriminalität. Niedersachsen war das erste Bundesland, das mit der „Befragung zu Sicherheit und Kriminalität“

eine periodische Befragung, also eine sich wiederholende Befragung, dieser Art durchführte. Mittlerweile folgen andere Länder diesem Beispiel, auch Anstrengungen zur Etablierung einer bundesweiten Dunkelfeldforschung orientieren sich stark an der niedersächsischen Studie.

Gemeinsam mit den Daten der PKS und weiteren Lagedarstellungen, u. a. zu „Organisierter Kriminalität und politisch motivierter Kriminalität“ liegen in Niedersachsen, anders als Sie, Kolleginnen und Kollegen der AfD, augenscheinlich den Anschein erwecken wollen, somit hervorragende Grundlagen vor, um Art und Ausmaß der Kriminalität im Land zu beschreiben und zu bewerten; sie tragen dazu bei, kriminalitätsrelevante Entwicklungen noch besser zu erkennen und entsprechende Maßnahmen und Strategien der Landesregierung optimal anzupassen.

Auf dieser breiten Informationslage kann festgestellt werden, dass Niedersachsen im Vergleich mit den anderen Bundesländern, meine Damen und Herren, erneut zu den sichersten Ländern in der Bundesrepublik Deutschland gehört.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Ich komme nun zu den Fragen.

Zu Frage 1: Ich verweise auf meine Ausführungen in den Vorbemerkungen.

Zu Frage 2: Aus der oben genannten „Befragung zu Sicherheit und Kriminalität“ ergibt sich, meine Damen und Herren, dass in Niedersachsen ca. ein Drittel der tatsächlich begangenen Straftaten angezeigt wird. Das waren 29,7 % im Jahr 2012, 29,2 % im Jahr 2014 und 32,1 % im Jahr 2016. Das war allerdings nie grundlegend anders.

Der Umfang des Dunkelfeldes wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu gehören u. a. die Schwere des Delikts und die Anzeigebereitschaft. Insofern ist eine pauschale Bewertung zum Ausmaß des Dunkelfeldes natürlich nicht möglich. Während schwerwiegende Delikte nahezu ausnahmslos angezeigt werden bzw. der Polizei bekannt werden, z. B. Tötungsdelikte - darauf wird noch einzugehen sein -, bleiben andere Delikte in einem größeren Umfang unbekannt. Dazu gehört z. B. das Kriminalitätsphänomen der Cybercrime, also die Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten oder die mittels dieser Informationstechnik begangen werden. Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen der genann

ten Dunkelfeldstudie werden bei diesem Kriminalitätsphänomen deliktsbezogen lediglich 5 bis 12 % der Taten tatsächlich angezeigt.

Ferner trägt die Landesregierung durch eigene Maßnahmen dazu bei, das Dunkelfeld bestimmter Kriminalitätsphänomene zu verkleinern. So ist auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse zu folgern, dass durch die Verbesserung der Kooperation zwischen den niedersächsischen Schulen und den Strafverfolgungsbehörden nunmehr mehr Straftaten, die im Schulkontext begangen werden, bekannt werden und somit noch gezieltere Präventionsmaßnahmen initiiert werden können.

Zu Frage 3: Es ist festzustellen, dass die Verteilung der Kriminalität in den durch die Polizei registrierten Hauptgruppen in den zurückliegenden Jahren, so auch im Jahr 2017, im Wesentlichen gleich geblieben ist.

Straftaten gegen das Leben sowie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung umfassten in diesem Jahr mit rund - ich bitte um Aufmerksamkeit - 0,1 % bzw. rund 1 % der Straftaten einen äußerst geringen Anteil der registrierten Gesamtkriminalität. Der Hauptanteil der registrierten Kriminalität wurde in den Bereichen der Diebstahlsdelikte sowie Vermögens- und Fälschungsdelikte - hier u. a. auch Cybercrime - mit rund 35 % bzw. 20 % der Gesamtkriminalität erfasst. Rohheitsdelikte, z. B. Körperverletzungen, umfassten rund 15 %, sonstige Straftaten nach dem Strafgesetzbuch, z. B. Sachbeschädigungen und anderes, rund 20 % der Gesamtkriminalität. Bei weiteren rund 10 % aller Straftaten handelte es sich um Verstöße gegen strafrechtliche Nebengesetze, wie z. B. Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Die Befassung mit Kriminalitätsprognosen ist eine Daueraufgabe des Bereichs „Kriminologische Forschung und Statistik“ im Landeskriminalamt Niedersachsen. Dort wird kontinuierlich erforscht, wie sich die Kriminalitätslage zukünftig - insbesondere vor dem Hintergrund des demographischen Wandels - darstellen könnte. Die Ergebnisse der Forschung waren bislang heterogen. Auch Studien der Deutschen Hochschule der Polizei und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen haben gezeigt, dass fundierte Prognosen zur Kriminalitätsentwicklung aufgrund verschiedener, vielfältiger Variablen nicht sicher möglich sind.

Festzustellen ist, dass das Phänomen der Cybercrime in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung zugenommen hat, und das wird sich vermutlich auch so weiter entwickeln. Diesem Um