Protokoll der Sitzung vom 20.06.2018

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst kurz einordnen, wie dieses gegen den Volkswagen-Konzern verhängte Bußgeld eigentlich zu bewerten ist.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat im Rahmen ihrer Zuständigkeiten am 13. Juni 2018 einen Bußgeldbescheid in Höhe von 1 Milliarde Euro mit einer Zahlungsfrist von sechs Wochen gegen den VW-Konzern verhängt. Rechtsgrundlage für das Bußgeld sind im Wesentlichen § 130 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 und 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. Das Bußgeld fließt damit der Landeskasse zu.

Der Bußgeldbescheid ahndet eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung im VW-Konzern. Das betrifft ausschließlich Abgasmanipulationen bei den Dieselmotoren zweier Typen, nämlich EA189 und die US-Nachfolgeentwicklung EA288 Generation 3, für die VW beim Kraftfahrt-Bundesamt eine Typge

nehmigung beantragt hatte, der die verkauften Fahrzeuge, wie wir alle wissen, nicht entsprachen. Weltweit wurden von diesen Fahrzeugtypen im relevanten Gesamtzeitraum 2007 bis 2015 insgesamt 10,74 Millionen Stück verkauft.

Anders als in der öffentlichen Diskussion zum Teil behauptet, handelt es sich bei dem Betrag von 1 Milliarde Euro insgesamt und nicht nur in Teilen um ein Bußgeld. Dieses setzt sich zusammen aus einem Ahndungsanteil in Höhe der Maximalsumme von in diesem Fall 5 Millionen Euro und einer Vorteilsabschöpfung beim VW-Konzern in Höhe von 995 Millionen Euro.

Die Festsetzung des Bußgeldes berücksichtigt auch, dass durch dessen Höhe die Durchsetzung etwaiger zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Geschädigter gegen den VW-Konzern nicht gefährdet oder gar vereitelt werden sollen. Von der Festsetzung dieses Bußgeldes bleiben sowohl die bei den Gerichten anhängigen zivilrechtlichen Verfahren - etwa die Klagen von Autokäufern - als auch die bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig weitergeführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sowie weitere von anderen Staatsanwaltschaften geführte Verfahren unberührt.

Die Dieselaffäre ist mit dieser Bußgeldfestsetzung also nicht beendet. Es ist allenfalls ein Kapitel dieser unrühmlichen Geschichte abgeschlossen. Zwei weitere Kapitel - bei Mercedes und bei Volkswagen - wurden in diesen Tagen aufgeschlagen. Das wird sicherlich heute auch noch eine Rolle spielen.

Mir ist wichtig, an dieser Stelle festzustellen, dass die immer wieder erhobene Forderung, im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts Gerechtigkeit für die geschädigten Fahrzeughalter und Händler zu erreichen, auf diesem Wege - auch wenn man das noch so sehr bedauern mag - nicht erreichbar ist. Das Land wird schon des Wesens des Bußgeldes wegen durch dessen Vereinnahmung nicht anstelle von VW verpflichtet, Käufer betroffener Wagen direkt oder indirekt zu entschädigen. Da diese weltweit zu suchen sind, ist das für das Land von vorneherein eine Unmöglichkeit.

Unsere Aufgabe ist es also, angemessen und verantwortungsvoll mit dieser VW-Milliarde umzugehen. Angemessen und verantwortungsvoll, Herr Birkner, wäre es in dieser Situation nicht - da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu -, Forderungskataloge aufzustellen. Die Milliarde wäre sofort mehrfach überzeichnet, und es blieben immer nur Verärgerte zurück, die nichts oder ihrer Meinung nach viel zu wenig abbekommen hätten. Die Kapriolen,

die der Richterbund in diesem Zusammenhang vor wenigen Tagen geschlagen hat, will ich an dieser Stelle nur am Rande erwähnen.

(Zuruf von Dr. Marco Genthe [FDP])

Angemessen und verantwortungsvoll ist es, stattdessen erst einmal zu klären, ob die Milliarde überhaupt eine Milliarde ist oder ob nicht Teile des Bußgeldes von VW als Betriebsausgabe abgezogen werden - das hat die Staatsanwaltschaft nämlich offen gelassen -, den Gewinn des Konzerns mindern und in der Folge auch die Dividendenzahlung an seine Gesellschafter - in unserem Fall wäre das der VW-Vorab - reduzieren sowie die Steuerlast mindern können. Erst wenn das geklärt ist, können konkrete Überlegungen dazu angestellt werden, wie diese außerordentliche Einnahme verwendet werden soll.

Meine Damen, meine Herren, als Haushälter mache ich aus meiner persönlichen Meinung dazu aber auch kein Hehl. Die verbleibenden WindfallProfits aus diesem Bußgeld gegen den VWKonzern sind ganz sicher am besten so zu behandeln, wie ein vorsichtiger Kaufmann es tun würde: Erstens die Haushaltsrisiken des Haushaltsjahres abwarten, und am Ende einen Strich drunter machen, zweitens im möglichen Umfang Schulden tilgen, und drittens in der Zukunft notwendige Investitionen sichern und vorfinanzieren.

Konsumtive Ausgaben, die die mittelfristige Finanzplanung mit Personalkosten und sonstigen dauerhaften Ausgaben belasten, wird es - da können Sie sicher sein - aus dieser einmaligen VWMilliarde mit der CDU-Fraktion nicht geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Thiele. - Für die AfDFraktion hat nun das Wort Herr Abgeordneter Lilienthal. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wohin mit der VW-Milliarde? - Diese Frage schwebt seit etwa einer Woche durch Niedersachsen, und kaum jemand hat an sich halten können, nicht Forderungen zu formulieren, was damit zu machen sei. Darunter war beispielsweise die Forderung nach der Einrichtung eines Zukunftsfonds. Da sollte es dann um so etwas wie den Ausbau der Glasfasernetze gehen, also darum, die Digitali

sierung voranzubringen. Das ist eine gute Idee, aber das brauchen wir in Niedersachsen nicht; denn wir haben ja den Masterplan Digitalisierung - bzw. ich habe ihn noch nicht, aber viele andere vielleicht.

Ich habe kürzlich zu einem unserer Referenten gesagt, dass die Milliarde doch direkt an die NORD/LB überwiesen werden könne, ohne vorher dem Land zur Verfügung gestellt zu werden. Dann wäre die NORD/LB ohne Steuergeld einen Schritt weiter. - Diese Bemerkung war nicht ganz ernst gemeint. Ich habe dafür trotzdem eine scharfe Rüge von unserem Referenten bekommen. Er hat gesagt: Peer - so heiße ich mit Vornamen -, die NORD/LB braucht doch kein Steuergeld! - Das hatte ich vergessen. Das stimmt natürlich.

Außerdem wurden noch Straßenausbau, Schienenausbau, mehr Ladestationen für E-Autos und alles Mögliche gefordert.

Aber ganz der Reihe nach: VW ist in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren zur Zahlung eines Bußgeldes verdonnert worden, weil VW seine Aufsichtspflicht verletzt hat. Das Bußgeld besteht aus einem Ahndungsteil und einem Abschöpfungsteil. Die Ahndung beläuft sich auf 5 Millionen Euro und die Abschöpfung auf den restlichen Betrag, also auf 995 Millionen Euro. Der Charakter dieses Ahndungsteils ist selbsterklärend. Ich weiß, dass die Juristen jetzt gleich an die Decke gehen, weil das natürlich völlig falsch ist; aber es hat irgendwie einen Strafcharakter.

Interessant ist der Abschöpfungsteil. Hier hat das Gericht ermittelt, welchen wirtschaftlichen Vorteil VW aus der Manipulation gezogen hat, und hat diesen Vorteil dann praktisch als fiktive Betriebsausgaben abgezogen, also abgeschöpft. Dieser widerrechtlich erlangte Vorteil sollte also kompensiert werden. Im Rahmen der Pressekonferenz wurde der Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig dann gefragt, wie es sich denn mit den steuerlichen Auswirkungen dieser Zahlung verhalte, und er antwortete darauf - ich zitiere -: Keine Ahnung!

Genau das ist auch ein großes Problem. Denn hier reicht der Blick ins Gesetz möglicherweise gar nicht aus. Klar ist eines: Auch der Steuergesetzgeber hat sich Gedanken darüber gemacht und zwischen Abschöpfung und Ahndung unterschieden. Es könnte sein - da knüpfe ich an das an, was Herr Thiele gesagt hat -, dass das als Betriebsausgaben abgezogen werden kann. Das ist deshalb ganz besonders dramatisch, weil das den Gewinn

mindert - das ist wirklich steuer- und abgabenrechtliches Hochreck -, zumal das mehrere Jahre umfasst. Diese Manipulation und diese Abschöpfung umfassen ja nicht nur ein Jahr, sondern mehrere Jahre. Das wird also ganz besonders schwierig sein. Wir werden das MF morgen in der Unterrichtung im Ausschuss auch fragen, welche Auswirkungen das hat. Denn das zu berechnen, ist wirklich schwierig.

Die Frage ist also: Was bleibt überhaupt netto beim Land? Erst wenn das geklärt ist, kann man überlegen, was damit passiert.

Ich habe auf Nachfrage auch ganz klar gesagt: Auch wir wollen, dass mit dem Rest, der dann möglicherweise übrig bleibt, die Tilgung der Altschulden forciert wird. Damit werde ich auch hier nicht hinter dem Berg halten. Aber - wie gesagt - an allererster Stelle steht erst einmal, dass wir berechnen müssen - gerade weil das so kompliziert ist -, was überhaupt übrig bleibt. Denn VW hat ja öffentlich erklärt, auf Rechtsmittel zu verzichten. VW hat aber nicht erklärt, darauf zu verzichten, die steuerlichen Folgen zu ziehen - es sei denn, Sie wissen das, und ich habe es nicht mitbekommen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Der Auf- sichtsrat könnte ja etwas dazu sagen!)

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Fraktionsvorsitzende Anja Piel. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal bedanke ich mich herzlich für die vielen Erklärungen, die wir eben gehört haben. Ich habe aber bisher die Aktuelle Stunde so verstanden, dass wir uns hier nicht in gegenseitigen Rechtsbelehrungen ergehen.

Die Verhaftung des Audi-Chefs dieser Tage zeigt in aller Schärfe: Die juristische Aufarbeitung dieses Betrugsskandals steht erst am Anfang. Da sind noch sehr viele Fragen offen. Es geht dabei um Verantwortung. Es dabei darum, ob noch Strafzahlungen zu tätigen sind. Es geht um Ansprüche von Verbrauchern und um Hardwarenachrüstungen. Und es stellt sich auch die Frage nach einer möglichen Manipulation des Aktienkurses durch zu späte öffentliche Information.

Die Lage ist nach wie vor ernst. Wenn Gerichte eindeutig nachweisen können, dass die Vorstandsebene an dem Betrug beteiligt war, würde sich für VW damit eine existenzielle Frage stellen. VW hat in Deutschland jetzt zunächst ein Bußgeld - es wurde hinlänglich erklärt, wie das passiert ist - von 5 Millionen Euro und eine Gewinnabschöpfung zu zahlen. Was strafrechtlich eine relativ klare Sache ist, wirkt dennoch missverständlich: „Bußgeld“ klingt erst einmal wie „falsch geparkt“. Einen Strafzettel bezahlt man an der Kasse, damit ist es erledigt. Erledigt ist der Dieselskandal mit der Bußgeldzahlung aber noch lange nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was bleibt, ist der tausendfache Betrug an Autokäuferinnen und -käufern, die viel dreckigere Autos fahren als gedacht. Es ist natürlich auch ein Betrug an Anwohnerinnen und Anwohnern von viel befahrenen Straßen, die durch dreckige Luft, die nicht gesund ist, gehen und fahren müssen und darin unterwegs sind - jeden Tag.

Auch wenn dies das höchste bisher in Deutschland verhängte Bußgeld ist, darf damit keinesfalls - ich spreche da auch als Niedersächsin - der Eindruck entstehen, dass VW sich aus dieser Verantwortung freikauft. Es gibt keinen Ablasshandel für Betrug. Dafür ist dieses Bußgeld nicht geeignet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle strafrechtlichen Ermittlungen laufen weiter, und die VW-Spitze kann aus dieser Bußgeldzahlung keinesfalls den Schluss ziehen, dass damit alles okay ist. VW muss sich weiter intensiv an der Aufklärung und an einer konsequenten Aufarbeitung beteiligen und auch die Ergebnisse der internen Untersuchungen veröffentlichen.

Am Dieselskandal werden auch die Schwächen des Unternehmensstrafrechtes in vielfacher Hinsicht deutlich. Wir werden dazu eine Initiative vorlegen.

Ich bin Herrn Dr. Althusmann dankbar. Er hat davon gesprochen, dass verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden muss.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Er ist ganz irritiert! Er guckt gerade so!)

- Ja, er ist irritiert. Das glaube ich.

Davon sind wir aber in der Tat noch Meilen entfernt. Und das ist auch keine Glaubensfrage, Herr Dr. Althusmann. Es geht nicht darum, ob Sie glauben, dass das Unternehmen dies schafft. Sie ha

ben in Ihrer Rolle andere Dinge zu tun, als Glaubensbekundungen zu liefern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Sie haben Leitplanken zu liefern.

Wenn die Autobauer zum jetzigen Zeitpunkt z. B. kein echtes Interesse an den technischen Nachrüstungen, an den Hardwarenachrüstungen haben, dann ist es Ihre Aufgabe, sich hier und in Berlin dafür stark zu machen, dass diese Nachrüstungen kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Großen Koalitionen in Hannover und in Berlin müssen sich in der Sache einig werden. Osnabrück steht dieser Tage vor einem Fahrverbot. Was soll denn noch passieren, damit sich beide politischen Ebenen dafür stark machen, dass diese Hardwarenachrüstungen - für die berechnet worden ist, dass sie ein gutes Ergebnis haben - endlich kommen und dies tatsächlich gegenüber den Autobauern durchgesetzt wird?

Wir erwarten von dieser Landesregierung, von Ministerpräsident Weil wie auch vom Wirtschaftsminister Althusmann, dass sie sich sichtbar an die Seite der betrogenen Verbraucherinnen und Verbraucher stellen und die betroffenen Kommunen besser dabei unterstützen, Aktionspläne umzusetzen, die die Luft sauberer machen, und alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Umweltminister der SPD an dieser Stelle schon etwas weiter ist.