Protokoll der Sitzung vom 23.08.2018

Bitte schön!

Verehrte Frau Kollegin, wie lange würde es nach dem bisherigen Ausbauplan dauern, bis Schulsozialarbeit an allen Schulen in Niedersachsen stattfindet?

2020 bis 2022. So ist das. Dann kriegen wir mehr als 1 000 Stellen. Insgesamt werden dafür 55 Millionen Euro eingestellt. Ab 2021/2022. Darauf muss man sich verlassen. Das wissen Sie aber auch.

(Björn Försterling [FDP]: Wir kommen darauf zurück!)

Gut hilft hier der Orientierungsrahmen Kooperation soziale Arbeit in schulischer Verantwortung und Kinder- und Jugendhilfe. Ich kann für unsere Stadt sagen: Das funktioniert gut. Die sind dabei.

Das Letzte, was hier kritisiert worden ist, wird uns im Ausschuss sicherlich dargestellt, nämlich das neue Programm Schule [PLUS]. Die 20 ausgewählten Schulen müssen noch bis zu den Herbstferien erklären, ob sie daran teilnehmen wollen. Ich finde, das ist ein gutes Programm, das wir hier nicht gleich kleinreden sollten. Diese Schulen arbeiten ja in einem schwierigen sozialen Umfeld.

Das weiß ich; denn ich habe mit einem Schulleiter gesprochen. Mit diesem Programm sollen u. a. der Lebensort bzw. die sozialräumliche Ressource stärker in die Entwicklung der Schule einbezogen werden. Ich finde, das ist ein toller Ansatz. Wir sind hier also schon auf einem guten Weg, um Schulen, die vor allem vor pädagogischen und organisatorischen Herausforderungen stehen, zu unterstützen.

Den von Ihnen geforderten festen Kriterienkatalog, wonach die vorhandenen Ressourcen auf die Schulen verteilt werden, halte auch ich für absolut unabdingbar; denn Schulen mit besonderen Herausforderungen gibt es nicht nur oft in den großen Städten, sondern die gibt es mittlerweile auch auf dem Land, in den Regionen. Sie alle brauchen unsere Unterstützung.

Wir sind uns also einig: Unsere Schulen müssen zukünftig noch stärker unterstützt werden. Jetzt gilt es, die optimale Form der Unterstützung zu finden. Ob nun das Bremer Sozialindikatorensystem oder der Hamburger Sozialindex die passende Lösung für die Verteilung von Ressourcen ist, wage ich zu bezweifeln. Ich habe die 18-seitige Antwort des Bremer Senats an die Bürgerschaft auf eine Anfrage der Linken vom Dezember gelesen, Sie sicherlich auch. Ich konnte darin nicht so ganz etwas Erhellendes finden. Das Gleiche gilt übrigens für das Hamburger Modell. Niedersachsen ist ein Flächenland und hat von daher auch ganz andere Strukturen als diese beiden Stadtstaaten.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das stimmt!)

Außerdem treibt mich die Sorge um, ob ein transparentes und allzu einsichtiges Sozialindikatorensystem am Ende vielleicht nicht auch zu einem negativen Stigma für die Schulen führt. Ich weiß nicht, ob wir Lehrer finden werden, die dort gern unterrichten wollen. Ich weiß auch nicht, ob es sich Eltern nicht gut überlegen, dort ihr Kind anzumelden. Was ich aber sicher weiß: Mit der Einführung des Index ginge für Niedersachsen zudem ein riesiger - ich will nicht „gigantischer“ sagen - Verwaltungsaufwand einher; denn die Bezugsgrößen für den Index sind schwer zu ermitteln.

Ich habe also große Bedenken, immer mehr Geld für bürokratische Dinge anstatt für die Arbeit am Schüler direkt auszugeben. Mit dem Indikatorensystem, wie Sie es fordern, wäre der Ruf nach einem Umverteilungsverfahren aller Personalressourcen im Bildungssystem nicht weit.

Ich denke, Ihre Anträge sind gut gemeint, vielleicht aber noch nicht ganz zu Ende gedacht. Vielleicht wäre es sinnvoller, erst einmal weiter an der Personalausstattung zu arbeiten. Unser bestehendes System aus Schulsozialarbeitern und multiprofessionellen Teams, die wir ja schon haben, sollte anhand sozialer oder fester Kriterien weiter ausgebaut werden. Ein Ziel haben wir gemeinsam: Wir wollen jedem Kind die bestmöglichen Bildungschancen mit auf den Weg geben. Ob letztlich ein kompliziertes, verwaltungsaufwendiges und vielleicht auch stigmatisierendes Sozialindikatorensystem der richtige Weg ist, ist in den kommenden Wochen zu diskutieren. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Christoph Bratmann. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bildung darf nicht von der Herkunft bestimmt werden. Der das wohl erstmalig gesagt hat, war der Braunschweiger Wilhelm Bracke. Nun werden einige vielleicht googeln und sich fragen: Was war das denn für ein Bildungsforscher? - Bracke war kein Bildungsforscher, sondern Bracke war einer der Urväter der Sozialdemokratie und liegt heute in meinem Wahlkreis begraben.

Er hat das im Jahr 1877 gesagt. Bracke, der selber aus gutem Hause kam - er war Unternehmersohn -, hat sich Zeit seines politischen Lebens und Wirkens dafür eingesetzt, dass auch Unterprivilegierte - so nannte man sie zu dieser Zeit -, also arme Kinder, zu einem Bildungserfolg kommen konnten. Dass dieser Ausspruch heute noch aktueller denn je ist, muss uns alle umtreiben und uns alle zum Handeln veranlassen. Das tut es ja auch. In dieser Hinsicht ist die Initiative von FDP und Grünen durchaus zu begrüßen, greift sie doch ein Thema auf, das enorm wichtig ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Der Weg dorthin - darin bin ich mir mit meiner Vorrednerin durchaus einig - scheint mir aber zu kritisieren zu sein; denn die beiden Anträge orientieren sich sehr stark an den Verhältnissen in Stadtstaaten wie Bremen oder Hamburg, was einem Flä

chenland wie Niedersachsen in dieser Frage aus meiner Sicht nicht unbedingt gerecht wird.

Zunächst einmal stellt sich die Frage: Worum geht es eigentlich konkret?

Es geht darum, dass Kinder, deren Eltern aus unterschiedlichsten Verhältnissen kommen und, vereinfachend gesagt, nicht in der Lage sind, ihre Kinder auf ihrem Weg zum Bildungserfolg adäquat zu unterstützen, eine besondere Unterstützung erfahren. Beim Blick in andere europäische Länder, aber auch in andere Bundesländer kann man feststellen, dass sich zwei Maßnahmen in jeglicher Hinsicht bewährt haben, nämlich die Ganztagsbetreuung und die Schulsozialarbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir hier bereits in der vergangenen Legislaturperiode wichtige Meilensteine gesetzt haben. Insbesondere die Anerkennung der Schulsozialarbeit als Landesaufgabe war entscheidend dafür und ist Grundvoraussetzung, um nun den flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit weiter voranzubringen. Das war ein wirklicher Meilenstein, wie ich hier einmal so sagen muss, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Nun hat in Niedersachsen gerade erst das neue Schuljahr angefangen. Viele Schülerinnen und Schüler sind nun von der Grundschule auf eine weiterführende Schule übergegangen. Man muss ganz klar sagen: Eltern treibt dabei nicht nur die Fragestellung um: Welches pädagogisches Konzept hat eine weiterführende Schule? Wie ist die Schule ausgestattet? Wie ist der Schulweg? Welches Kollegium ist dort zugegen? Welche Schwerpunkte und welches Profil hat die Schule? - Natürlich spielt auch eine Rolle, in welchem sozialen Umfeld sich die Schule befindet. Das kann man nicht wegdiskutieren.

An dieser Stelle ist ein Blick nach Hamburg interessant; denn dort hat das Sozialindikatorenmodell eine negative Auswirkung. Die Sozialindikatoren sind öffentlich. Man kann also einsehen, wie die 117 weiterführenden Schulen in Hamburg hinsichtlich dieser Sozialindikatoren bewertet werden. Man kann sehen, dass sich die Eltern daran orientieren. Schulleitungen in Hamburg sagen: Wir sind noch so gut ausgestattet. Wir haben viel gemacht, um an unserem Profil zu arbeiten. Wir unterbreiten gute Angebote. Und trotzdem wollen Schülerinnen

und Schüler nicht hierher, weil wir beim Sozialindikator negativ bewertet werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Problematik und die Krux bei der ganzen Geschichte, weil das auch immer mit einer gewissen Stigmatisierung von Schulen einhergeht. Das muss man sich, glaube ich, einmal vergegenwärtigen. Darum gibt es in Hamburg immer mehr Kritiker dieses Sozialindikatorenmodells, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Das ist eine Problematik, weil die zuständigen Schulverwaltungen keinen Einfluss auf das Umfeld haben, in dem sich eine Schule befindet. Jeder Schule in Hamburg wird ein Sozialindex zugeordnet, der die soziale Lage ihres Einzugsgebietes widerspiegelt. Anhand eines Skalenwertes können die Schulen miteinander verglichen und in eine Rangfolge gebracht werden, was ich im Übrigen sehr kritisch sehe.

Erhoben werden neben dem obligatorischen Migrationshintergrund und den üblichen Variablen der Sozialstatistik wie Haushaltseinkommen, Bildungsabschlüsse der Eltern auch Daten der Ungleichheitsforschung, die man mit der sogenannten Kapitalausstattung betreibt. Man guckt also: Welches soziale Kapital ist vorhanden? Welches kulturelle Kapital ist vorhanden? Und so weiter und so fort. Das ist sicherlich interessant und auch wichtig. Aber das allein als Anhaltspunkt zu nehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, greift zu kurz.

Ähnlich ist es in Bremen, wo das Indikatorenmodell jedoch etwas anders ausgestattet ist und etwas anders angewandt wird. Aber auch dort wird die Kritik immer lauter, weil die Bremer Schulleitungen inzwischen sagen: Das Sozialindikatorenmodell ist viel zu grobmaschig und erfasst die individuellen Problemlagen der Schulen nicht wirklich.

Nun muss man eines sagen: Wenn Schulen besser ausgestattet sind, können sie der umfeldbedingten Problemlagen deutlich besser Herr werden. Das erfahre ich permanent im Gespräch mit meiner Schwester, die Lehrerin an der bekannten Rütli-Schule in Berlin-Neukölln ist.

Wir haben schon Etliches gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Kollege Försterling hat es angesprochen: In der Vergangenheit gab es Ausstattungen für Schulen an sozialen Brennpunkten - ich mag diesen Begriff nicht sonderlich -, es gibt das Programm Schule [PLUS], es gab das Programm BBS mit BVJ. Da spreche ich

aus Erfahrung. Auch die berufsbildenden Schulen, die ein BVJ anbieten, sind mit sozialpädagogischen Stellen ausgestattet und müssen dies auch sein. Es gab die Fortführung des Hauptschulprofilierungsprogramms. Und so weiter und so fort.

Das alles sind Programme, die sich an den individuellen und umfeldbedingten Voraussetzungen der Schulen orientieren. Diesen Weg müssen wir weitergehen. In dieser Hinsicht fordert jetzt die FDP: Wir müssen uns an Bremen orientieren. - Die Grünen sagen: Wir müssen uns an Hamburg orientieren. - Ich sage: Wir müssen unseren eigenen niedersächsischen Weg finden, und das werden wir auch tun!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bratmann. - Für die AfDFraktion spricht nun der Kollege Rykena. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit zwei ähnlich gelagerten Anträgen der Fraktion der Grünen sowie der Fraktion der FDP über die Einführung von Sozialindikatoren zur besonderen Einschätzung von Schulen bezüglich ihres Bedarfes aufgrund ihrer Schülerzusammensetzung.

Vorwegschicken möchte ich, dass wir beide Initiativen begrüßen. Wir halten sie für dringend geboten. Sicherlich wird man aus beiden sehr ähnlichen Ansätzen ein gemeinsames System, gestützt auf Erfahrungen aus anderen Bundesländern, konstruieren können.

Endlich könnte ein planmäßiger Ansatz entwickelt werden, der die öffentlichkeitswirksamen, aber in ihrer Wirkung begrenzten Feuerwehrmaßnahmen, die wir bisher infolge von Hilferufen durch die Medien hatten, ersetzt. Endlich könnte nach einer hoffentlich ideologiefreien Bestandsaufnahme gezielt an den Schwachpunkten der derzeitigen Schullandschaft gearbeitet werden. Diese Schulen müssten tatsächlich besonders ausgestattet sein, und zwar mit Lehrern, weiterem sozialpädagogischen Personal, mit spezifischem Materialangebot und - ganz wichtig - einem speziell angepassten Lehrplan.

Wir fragten zuletzt, ob aus einzelnen Brennpunktschulen in Niedersachsen gar ein Flächenbrand werde, ob es zunehmend mehr Brennpunktschulen im Lande gebe. Die Antwort darauf waren wütende Angriffe gegen uns. Heute sehen wir uns darin bestätigt, sonst würden Grüne und FDP nicht diese Anträge stellen, die als Ziel die Identifizierung und anschließende bedarfsgerechte Ausstattung dieser Schulen hätten.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das ist doch nichts Neues! Wir haben doch schon darüber geredet, als Sie noch gar nicht im Landtag waren!)

Sonst hätte auch Herr Minister Tonne nicht unlängst das Pilotprojekt Schule [PLUS] für 20 Schulen angekündigt. „Pilotprojekt“ bedeutet: Es scheint noch mehr als 20 Schulen zu geben, die darauf angewiesen sind.

Ich stelle mir folgende Frage: Wenn solche Maßnahmen notwendig werden und sie es in der Vergangenheit nicht waren, was hat sich denn in den letzten Jahren verändert? Hat die Schulpolitik versagt? Oder hängt das mit etwas anderem zusammen, was hier im Landtag immer wieder argumentativ umkurvt wird, weil es nicht beim Namen genannt werden darf? Hängt die Zunahme der Zahl von Brennpunktschulen vielleicht doch mit der Massenmigration in deutsche Sozialsysteme zusammen?

Ich denke, es ist beides. Die Veränderungen in der Schulpolitik waren sicherlich nicht förderlich. Gerade die Bundesländer, die sich in den vergangenen Jahrzehnten am konservativsten verhalten haben, die die Segnungen der modernen Schulpolitik am zögerlichsten umgesetzt haben - nämlich Sachsen und Bayern -, schneiden in allen innerdeutschen Vergleichen am besten ab und haben übrigens auch die wenigsten Probleme mit Brennpunktschulen.

Der andere Punkt aber - und das stelle ich hier einmal fest -, die Massenmigration in die Sozialsysteme, ist der Hauptgrund für die Zunahme der Zahl von Brennpunktschulen.

(Beifall bei der AfD)

Alle Brennpunktschulen zeichnen sich durch einen extrem hohen Anteil an Migrantenkindern aus, und das ist nun einmal Fakt. Weiter treffen hier etliche von der FDP vorgeschlagene Indikatoren insbesondere auf bestimmte Migrantengruppen zu, die konzentriert in diesen sozialen Brennpunkten wohnen, als da wären: ein hoher Sprachförderbedarf,

die Zahl der inklusiv beschulten Kinder, eine hohe Nicht-Abiturquote, bestimmte Bereiche aus der Kriminalitätsstatistik, beispielsweise Körperverletzungsdelikte, Schulabsentismus und die Transferleistungsdichte.

Diese Schulen können dieser massiven Überforderung einfach nicht mehr standhalten. So wird aus einer bestehenden Regelschule fast zwangsläufig eine Brennpunktschule.