Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

Zu Wort gemeldet hat sich jetzt der Herr Innenminister Pistorius. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Zählung der Einsatzkräfte der PD Hannover haben in der Spitze 8 300 Menschen an der Demonstration am vergangenen Samstag teilgenommen. Ich hatte schon vorab deutlich gemacht, dass ich es sehr begrüße, wenn sich Menschen politisch engagieren und friedlich demonstrieren, und ich freue mich, dass die Demonstration eine sehr friedliche war. Dafür bedanke ich mich bei allen Beteiligten auf allen Seiten.

Es war zu erwarten, meine Damen und Herren, dass Änderungen bei einem Polizeigesetz in einer pluralistischen, offenen, meinungsfreudigen Gesellschaft auch auf Widerstände treffen und dass dem nicht alle zustimmen. Das Interesse daran spricht für die politische Kultur und auch das politische Bewusstsein der Menschen in unserem Land, und darüber können wir alle uns erst einmal gemeinsam freuen.

(Beifall bei der SPD - Miriam Staudte [GRÜNE]: Was hat das jetzt konkret mit dem Polizeigesetz zu tun?)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich will noch einmal in Erinnerung rufen, warum ein neues Polizeigesetz erforderlich ist. Das scheinen viele vergessen zu haben.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Aha!)

Das jetzt gültige Gesetz stammt aus dem Jahr 2007. Ich erinnere daran: Das war das Jahr, in dem das erste Smartphone auf den Markt kam. Kein Mensch sprach damals von MessengerDiensten, Whatsapp-Telefonie usw. In 2007 spielte auch der islamistische Terrorismus in Deutschland noch keine nennenswerte Rolle, und seine Erscheinungsformen waren auch andere als heute. Wir haben aufgrund der Digitalisierung und der neuen islamistischen Bedrohung die Notwendigkeit gesehen - und die kann niemand bestreiten -, die Befugnisse der Polizei hier an die Entwicklung anzupassen.

Ich will zur Diskussion über das Polizeigesetz folgendes Grundsätzliches sagen - auch mit Blick auf die Kritik -: Vieles, was von den Demonstranten und auch hier kritisiert wird, entspricht schlicht nicht dem, was der Gesetzentwurf beinhaltet. Dabei möchte ich gar keine böse Absicht unterstellen, sondern es gibt Missverständnisse und Unwissenheit, was sich hinter den - zugegebenermaßen - nicht immer einfachen rechtlichen Formulierungen verbirgt. Daher will ich die Aktuelle Stunde gerne nutzen, um noch einmal einige Unklarheiten auszuräumen.

Erstens zum Bereich Videoüberwachung. Eine flächendeckende Videoüberwachung, wie immer wieder behauptet, ist mit der neuen Regelung weder beabsichtigt noch möglich. Es wird eine maßvolle Erweiterung bei der Bildaufzeichnung eingeführt, und vor dem Hintergrund der Ereignisse in Köln Silvester 2016 soll die Bildaufzeichnung in öffentlich zugänglichen Räumen künftig nicht nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig

sein, sondern auf alle Straftaten erweitert werden. Es bleibt aber dabei, dass in jedem Einzelfall Tatsachen vorliegen müssen, aus denen geschlossen werden kann, dass an den zu beobachtenden Orten künftig Straftaten begangen werden.

Zweitens wird behauptet, die neuen Befugnisse zur Verhütung terroristischer Straftaten seien gegen jeden Menschen einsetzbar, und jeder sei verdächtig, er könne terroristische Gedanken im Kopf haben. Auch dazu war bei der Demonstration einiges zu lesen und zu hören. Es wird abenteuerlicherweise behauptet, der Begriff „Gefährder“ sei im Gesetz viel zu schwammig definiert. - Spätestens an dem Vorwurf wird deutlich, dass die Kritiker das Gesetz gar nicht gelesen haben; denn der Begriff „Gefährder“ wird überhaupt nicht definiert, sondern es wird an den Straftaten angesetzt, die zu befürchten sind. - Das vielleicht zu den Irrungen und Wirrungen in dieser Diskussion.

Im Gesetzentwurf wurden vielmehr möglichst präzise die Anforderungen an die Verdachtslage umschrieben, um die es geht und aufgrund derer die Polizei bestimmte Maßnahmen ergreifen darf. Diese Anforderungen sind so spezifisch formuliert, dass ein einzelnes Verhalten einer Person eben nicht automatisch dazu führt, dass Ermittlungen wegen einer drohenden Terrorgefahr angestellt werden. Es reicht z. B. nicht aus - auch das wurde immer wieder kolportiert -, dass sich jemand Mittel beschafft, die zur Herstellung von Sprengstoffen geeignet sind. Hier müssen erhebliche weitere Verdachtsmomente hinzukommen, die auf einen terroristischen Zusammenhang hindeuten. Auch dass sich jemand zufällig im Umfeld einer Moschee aufhält, die als Treffpunkt gewaltbereiter Gruppierungen bekannt ist, würde nicht genügen, wenn nicht weitere Indizien auf eine Gruppenzugehörigkeit hindeuteten.

Zum Thema Taser ist hinlänglich ausgeführt worden. Sie als Haushaltsgesetzgeber haben übrigens jederzeit die Möglichkeit, darauf zu achten, dass wir nicht Geld für die Beschaffung von Tasern ausgeben. Aber dazu hat niemand Lust. Niemand will, dass Taser in allen Einheiten der Polizei eingesetzt werden.

Zur Anhebung der Gewahrsamsdauer auf 74 Tage will ich noch einmal deutlich machen, dass es sich dabei um eine absolute Höchstfrist handelt, die bei maximaler Ausschöpfung insgesamt dreimal durch einen Richter angeordnet werden muss. Diese Präventivhaft betrifft ausdrücklich nur Personen, von denen eine konkrete terroristische Straftat

bzw. Gefahr erwartet wird oder erwartet werden kann. Das ist sehr spezifisch eingegrenzt, und die Vermutung, die Behauptung oder die Angst, jeder könne jetzt ohne irgendeinen weiteren Verdachtsmoment in Haft genommen werden, ist absurd. Ich habe - offenbar mehr als andere - großes Vertrauen in die Polizei und auch in die Richter, die hier jeweils zustimmen müssen. Die geltende Höchstdauer von zehn Tagen kann eben im Einzelfall nicht ausreichend sein.

An diesen Punkten zeigt sich im Ergebnis: Das neue Polizeigesetz greift nicht übermäßig in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen ein, sondern es ist verhältnismäßig. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen sind für eine funktionierende Polizeiarbeit vor dem Hintergrund meiner einleitenden Bemerkungen unerlässlich, um die Sicherheit der Menschen angesichts der veränderten Bedrohungsform gewährleisten zu können. Niemand kann bestreiten, dass die Polizei auch in der digitalen Welt Befugnisse braucht, wie sie sie unbestritten auch in der analogen hat und rechtssicher anwendet, um Straftaten zu verhindern, um Gefahren abzuwehren. Das ist Aufgabe der Polizei, und unsere Aufgabe ist es, in einem sauberen politischen Diskurs hier dafür zu sorgen, dass das rechtssicher und verhältnismäßig geschieht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will, da die Zeit davonläuft, zum Schluss noch auf zwei Dinge eingehen.

Ich möchte, an die Adresse der Grüne-Fraktion gerichtet, feststellen: Ich bin einigermaßen verwundert, wie Sie sich hier zu bestimmten Punkten des Gesetzentwurfes positionieren. Schließlich sind große Teile der neuen Befugnisse deckungsgleich mit dem, was im rot-grünen Entwurf 2017 vereinbart wurde.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: So ähn- lich!)

Dort wurde z. B. erstmalig die terroristische Straftat definiert. Instrumente wie Meldeauflagen, Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote und die elektronische Fußfessel waren bereits darin enthalten.

Und es war übrigens das grüne Justizministerium, das sich damals dafür ausgesprochen hat, auf einen Richtervorbehalt für diese Maßnahmen zu verzichten.

(Zurufe von der CDU: Ah!)

Auch die Änderungen bei der Videoüberwachung, die ich Ihnen eben dargestellt habe, wurden von der Fraktion der Grünen unterstützt. Ich weiß ja, meine Damen und Herren, liebe Freunde von den Grünen, das Sein bestimmt das Bewusstsein.

(Bernd Busemann [CDU]: Amnesie!)

Möglicherweise liegt es an der veränderten Rolle hier im Hohen Hause. Aber es ist schon erstaunlich, wie hierzu eine 180-Grad-Wende vollzogen wird. Ich halte es ein Stück weit für nicht ehrlich im politischen Umgang mit den politischen Mitbewerbern, wenn Sie dann Begriffe wie „Polizeistaat“ und anderes in einem demokratisch gewählten Parlament gegenüber einem demokratisch legitimierten Innenminister in den Raum werfen. Ich finde das einigermaßen befremdlich und werde mich dagegen auch in Zukunft zur Wehr setzen. Davon können Sie sicher ausgehen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Schließlich zwei Schlussbemerkungen.

Es gilt auch hier: Kein Gesetz verlässt ein Parlament so, wie es hineingekommen ist.

(Johanne Modder [SPD]: Genau so!)

Die alte Struck’sche Formel. Es ist das hohe und vornehme Recht des Parlaments und im Übrigen auch das Recht der jeweiligen einbringenden Fraktion oder auch der einbringenden Regierung, zu Erkenntnissen zu gelangen, die man vorher nicht hatte oder auf die man vorher nicht gekommen ist oder die man vielleicht noch einmal bestätigt finden wollte. Ich habe immer gesagt: Ich habe nichts gegen mehr Richtervorbehalte, weil ich als Innenminister und Chef der Polizei nichts zu verbergen habe.

Die letzte Schlussbemerkung an all diejenigen, die glauben, die Befugnisse der Polizei zu Gefahrenabwehr rechtfertigten alles, was technisch möglich und wünschenswert ist: Nein, meine Damen und Herren. Wir leben in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, in der niemand 100-prozentige Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleisten kann. Deswegen würde es von mir auch keine Unterschrift unter einen Gesetzentwurf geben, mit dem Befugnisse für die Polizei festgeschrieben werden sollen, die weit über das vertretbare, verhältnismäßige Maß hinausgehen - nur in dem irrsinnigen Glauben an das Versprechen, zu 100 % öffentliche Sicherheit irgendjemandem garantieren zu können.

Auch deswegen wehre ich mich gegen diese Diffamierung, was den Gesetzentwurf angeht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Der Kollege Belit Onay hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Herr Kollege, zwei Minuten!

Sehr geehrter Herr Präsident, ganz herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Sie in Richtung unserer Fraktion unseren Gesetzentwurf zur Sprache gebracht und auf gewisse Ähnlichkeiten mit dem heutigen Gesetzentwurf angespielt haben.

Ich meine, dass es ganz massive Unterschiede zu unserem Gesetzentwurf gibt. Der für uns alle sichtbarste Unterschied sitzt hier vorne. Damals war die CDU noch auf der Zinne, als es um unseren Gesetzentwurf ging. Heute hingegen blicken Sie in durchweg zufriedene Gesichter.

Aber, um auch auf die inhaltlichen Punkte noch einmal einzugehen: Sie hatten hier schon einmal, nicht ganz der Wahrheit entsprechend, behauptet, wir hätten mit unserem Gesetzentwurf den Staatstrojaner und die Quellen-TKÜ mitgetragen. Das ist mitnichten so. Das ist, wie ich glaube, ein sehr massiver Unterschied. Dazu hat Herr Oetjen sehr gut ausgeführt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Sie haben gerade in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass die Polizei das, was sie im Analogen dürfe, sozusagen auch in der digitalen Welt tun darf. Ich möchte hierzu auf die Strafprozessordnung hinweisen, nach der Sie z. B. bei einer Hausdurchsuchung dann, wenn keine Person vor Ort ist, jemanden dazu bitten müssen - bis hin zum Nachbarn -, sodass dann ein Zeuge dabei ist. Bei einer Quellen-TKÜ, einer Onlinedurchsuchung hingegen werden Sie niemals etwas davon erfahren, wenn Sie nicht bei Gericht durch die Beweisunterlagen damit konfrontiert werden.

Das gilt aber auch für das Feintuning des Gesetzes, auf das ich noch einmal eingehen möchte. Wir haben nie dem Grundsatz widersprochen, dass wir das Gesetz anfassen, reformieren oder modernisieren müssen. Vollkommen klar! Aber schauen

Sie sich das Feintuning doch einmal an! Bei der Definition ging es uns darum - schauen Sie bitte in unseren Koalitionsvertrag! -, das Polizeigesetz zu entschärfen und Bestimmtheit reinzubringen. Das war unsere Stoßrichtung. Heute hingegen haben wir eine Versiebenfachung der Dauer der Präventivhaft.

Ich nenne auch beispielsweise die Meldeauflagen. Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass das legal definiert sein muss, einer eigenen Bestimmung bedarf und die Generalklausel nicht ausreicht. Aber legen Sie die Gesetze doch einmal nebeneinander! Es ist doch noch viel schlimmer. Das habe ich eben gar nicht erwähnt.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss.

Ihre Gefahrenbeschreibung gleicht fast wortidentisch der, die die Bayern für die drohende Gefahr gewählt haben. Legen Sie die Wortwahl bitte mal nebeneinander! Dann werden Sie das erkennen.

In diesem Sinne meine ich, dass es erhebliche Unterschiede zwischen unserem und Ihrem Gesetzentwurf gibt. Deshalb unterstellen Sie uns hier bitte auch nicht, dass wir uns hier nicht ehrlich in die Debatte einbringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Onay. - Weitere Wortmeldungen liegen - - -

(Minister Boris Pistorius meldet sich zu Wort)

- Entschuldigung. - Herr Minister, bitte schön!