Protokoll der Sitzung vom 24.10.2018

Zusätzlich rufe ich auf den

Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung: Digitale Barrierefreiheit ohne Ausnahmen - die Landesregierung muss bei der Umsetzung der EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen nachlegen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/1847

Wird das Wort zur Einbringung dieses Antrages gewünscht? Die Grünen haben im Rahmen der ersten Beratung den Vorrang.

(Zurufe von den GRÜNEN: Nein!)

Wenn dem nicht so ist, können wir die Beratung eintreten. Für die Fraktion der CDU hat sich die Kollegin Gudrun Pieper gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den öffentlichen Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen tätigen wir einen weiteren gelungenen Schritt als Einstieg in das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel einer umfassenden Barrierefreiheit auch im nicht öffentlichen Sektor. Weitere Schritte werden im Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetz folgen und natürlich auch folgen müssen, um unser Ziel sukzessive zu erreichen.

Kernpunkte dieses Gesetzentwurfes sind erstens eine verpflichtende Erklärung zur Barrierefreiheit der Website oder mobilen Anwendung inklusive Feedback - also Rückmeldung - für die Nutzer, zweitens ein wirksames Durchsetzungsverfahren, indem wir eine Schiedsstelle einrichten, damit sich Nutzer im Bedarfsfall an sie wenden können, und drittens die regelmäßige Überwachung der Barrierefreiheit auf den Websites und mobilen Anwendungen.

Ich weise darauf hin, dass wir in der Umsetzung schon ein wenig in Verzug sind. Wir haben den Gesetzentwurf deswegen relativ schlank gefasst. Eine Umsetzung der EU-Richtlinie findet natürlich 1 : 1 statt. Ein Mehr gehört unseres Erachtens eher in das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz, jedoch nicht in diesen Gesetzentwurf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kein Gesetzentwurf verlässt den Landtag so, wie er eingebracht wurde. Auch wir haben im zuständigen Fachausschuss durch intensive Beratungen und auf Grundlage der schriftlichen Anhörung um Formulierungen gerungen, die eines zum Ausdruck bringen sollen: Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Menschen mit Behinderungen muss auch auf den Websites und in den mobilen Anwendungen barrierefrei sein.

Die öffentlichen Einrichtungen übernehmen Vorbildfunktion. Selbstverständlich können auch Private dem vollumfänglich folgen.

Wir sehen diesen Gesetzentwurf als Einstieg auf dem Weg dorthin. Er berücksichtigt sowohl die Anpassung an EU-Recht im Anwendungsbereich zur Barrierefreiheit als auch im inhaltlichen Bereich. Somit bedeutet er eine weitere schrittweise Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Im Ausschuss haben wir den § 9 und die folgenden Paragrafen ausgiebig beraten, die in der schriftlichen Anhörung von den Behindertenverbänden kritisch betrachtet wurden. Die Fraktionen von SPD und CDU meinen, dass mit den überarbeiteten Formulierungen zur Barrierefreiheit und auf Websites vieles berücksichtigt werden konnte und dass dies dem Wohl und der Teilhabe der Menschen mit Behinderungen dient. Das haben wir auch in unserer Beschlussempfehlung formuliert.

Kritisiert wurde ebenfalls, dass eine Ausweitung auf den privaten Sektor nicht erfolgt sei. Meine Damen und Herren, dazu ist anzumerken, dass mit dem Gesetzentwurf nicht die Intention verfolgt wird, dass rein private Stellen in den Anwendungsbereich einzubeziehen sind. Das, meine Damen und Herren, gehört - wenn überhaupt - in die Novellierung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes.

Ebenso kann ein geforderter gesetzlicher Anspruch gegenüber privaten Anbietern, bestimmte Inhalte barrierefrei zur Verfügung zu stellen, unverhältnismäßig sein. Der Anbieter muss das Recht behalten, u. a. auch wirtschaftliche Erwägungen mit einzubeziehen. „Par ordre du mufti“ ist mit uns nicht zu machen.

Die Fraktionen von CDU und SPD sagen: Wir wollen alle, wirklich alle, mitnehmen, Öffentliche und Private, aber bitte schön im Konsens und nicht gegeneinander! - Insofern gehört der Punkt 1 des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

zurzeit nicht in diesen Gesetzentwurf. Wir wollen Teilhabe mit einer breiten Akzeptanz erreichen. Ein Mehr ist immer wünschenswert. Es bedeutet aber auch - das hat sich im Fachausschuss deutlich gezeigt -, dass ein Mehr Konnexität auslösen kann.

Ähnliches gilt für die Forderung unter Punkt 3, für öffentliche Stellen, für die durch die Herstellung von Barrierefreiheit unverhältnismäßige Belastungen entstehen, eine finanzielle Unterstützung des Landes zu gewährleisten. Das erschließt sich uns nicht; denn nach § 9 a Abs. 6 ist doch bereits zu dokumentieren und somit auch nachprüfbar, ob es tatsächlich unverhältnismäßig ist, Barrierefreiheit herzustellen. Das haben wir bereits berücksichtigt. Das Mehr gehört insofern in das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz. Deswegen - es tut uns schrecklich leid - lehnen wir Ihren Antrag heute ab.

Ich betone abschließend: Die nächsten notwendigen, richtigen Schritte zu einem inklusiven barrierefreien Niedersachsen sind mit diesem Gesetzentwurf gemacht. Weitere Initiativen folgen - ich verweise nur auf den Aktionsplan „Inklusion“ -, und wir als CDU-Fraktion sind sehr zuversichtlich, dass dies auch in einem sehr breiten Konsens geschehen wird.

Bedanken möchte ich mich bei allen Fraktionen, beim GBD, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums und bei der Sozialministerin für die konstruktive Zusammenarbeit und Mitarbeit. Auch wenn wir in manchen Positionen etwas unterschiedlicher Meinung sind, war die Beratung sehr konstruktiv.

Vielen Dank. Ich hoffe, dass alle dem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. - Für die AfDFraktion spricht jetzt der Abgeordnete Bothe. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Die Schaffung einer barrierefreien Umgebung ist eine Grundvoraussetzung, um die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Das wollen wir als AfD

Fraktion ebenfalls. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Wenn wir von Teilhabe sprechen, zu der die Barrierefreiheit gehört, dann reden wir vor allem auch von einem Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen. Daher unterstützen wir selbstverständlich den Gesetzentwurf der Landesregierung.

Zu dem Antrag der Grünen: Wir alle wollen die Barrierefreiheit verbessern, aber man darf das nicht erzwingen wollen. Denn, meine Damen und Herren, in dem Moment, in dem auch private Anbieter zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet werden, wird sich mit 100-prozentiger Sicherheit ein breites Bündnis von sogenannten Antidiskriminierungsverbänden und ihren Freunden anschicken, kleine Selbstständige und kleine Vereine mit Klagen zu überziehen, nur weil sie die rechtzeitige Umsetzung dieser Barrierefreiheit nicht gewährleisten können. Damit riskieren wir den guten Willen - eine tragende Säule unserer Gesellschaft, die für die Teilhabe grundsätzlich offen ist. Das werden wir nicht mittragen, und das ist in Wirklichkeit auch nicht im Sinne derjenigen, um die es heute geht.

Daher lautet mein Appell an Sie, liebe Fraktion der Grünen - - -

(Zuruf von den GRÜNEN)

- Sie haben meinen Appell doch noch gar nicht gehört!

Barrierefreiheit ist eine gesellschaftliche Generationsaufgabe. Diese übers Knie zu brechen, wird auf Dauer zur Ablehnung innerhalb der Gesellschaft führen. Daher werden wir Ihren Antrag ablehnen. Dem Gesetzentwurf werden wir folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. - Es folgt jetzt die FDP. Kollegin Sylvia Bruns, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes, auch wenn es ein bisschen süffisant ist, möchte ich mich bei den Fraktionen von SPD und CDU bedanken, dass sie sich des dringlichen Themas angenommen und den Gesetzentwurf als Fraktionen eingebracht haben.

So können wir eventuell den drohenden Strafzahlungen noch entgehen. Der übliche Weg ist das halt nicht. Eigentlich hätte das Ministerium schon lange liefern müssen.

(Beifall bei der FDP)

Zu dem Gesetzentwurf und zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen:

Nach Punkt 1 des Antrags sollen Anbieter und gemeinnützige Organisationen verpflichtet werden, Barrierefreiheit innerhalb ihrer Online-Angebote und Websites herzustellen, wenn sie für die Allgemeinheit bestimmte kommerzielle Güter und Dienstleistungen herstellen. Wir als Freie Demokraten sind der Auffassung, dass das auch über Ausschreibungen der Kommunen geregelt werden kann. Das heißt, die Kommunen können festlegen, wem sie den Zuschlag geben wollen und welche Anforderungen sie stellen. Sie können das durchaus in die Ausschreibung schreiben. So würden wir das Problem nicht haben. Deswegen lehnen wir diesen Punkt ab.

Die in Punkt 2 geforderte Streichung der Ausnahmen entspricht hingegen genau dem, was auch wir wollen. Das ist auch die Marschrichtung unserer Bundestagsfraktion, die das schon in den Bundestag eingebracht hat. Ausnahmen in Einrichtungen des Landes zuzulassen, halte ich für widersinnig. Denn ich meine, das Land sollte schon mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es möchte, dass ihm die anderen folgen. Rechtstechnisch ist es aber nicht einfach, das an § 9 anzudocken, da es weitreichender Folgeänderungen bedarf. Deswegen haben wir zu diesem Punkt keine Änderung vorgeschlagen.

Zu Punkt 3: Wir finden nicht, dass die öffentlichen Stellen auch noch Unterstützung des Landes bekommen sollen, wenn sie das tun.

Der Punkt 4 ist ganz spannend. Dabei geht es um die Schaffung eines gesetzlichen Anspruchs. Gudrun Pieper hat schon viel dazu gesagt. Im aktuellen Gesetzentwurf ist stattdessen in § 9 d ein Durchsetzungsverfahren eingebracht worden. Das halten wir für besser durchführbar und für praktikabler als einen rechtlichen Anspruch. Die Schlichtungsstelle wird ja genau die moderierende und entscheidungsbefugte Position einnehmen, die wir in dem Bereich brauchen. Gudrun Pieper hat dies schon im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit deutlich gemacht.

Bei Punkt 5, der Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Barrierefreiheit, habe ich mich ein bisschen gewundert; denn ganz zu Anfang der 17. Wahlperiode haben wir einen Leitfaden „Barrierefreiheit“ gefordert. Damals ist uns auch vonseiten der Grünen erzählt worden, das liege alles vor, das alles bräuchten wir nicht. Deswegen finde ich es spannend, dass Sie das jetzt fordern. Es ist schön, dass Sie den Vorschlag nach fünf Jahren aufgegriffen haben.

Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Bislang hatten wir uns noch enthalten, weil wir in der Fraktion noch darüber reden mussten. Spannend finde ich in dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf deshalb - an dieser Stelle ein besonderer Dank an Uwe Schwarz, der das eingebracht hat -, dass die Berichte der Überwachungsstelle des Bundes zugleich dem Parlament zugeleitet werden sollen. Unsere Bundestagsfraktion hatte das vergeblich gefordert. Es war im Bund nicht möglich, dies durchzusetzen. Das heißt, dort ist das nicht gesetzlich verankert worden. In unserem Gesetzentwurf ist das nun enthalten. Ich finde es wichtig, dass das Parlament diese Berichte bekommt.

Noch ein paar Sätze zum Thema Inklusion.

Wir reden ganz viel über Inklusion, und wir möchten gerne mit den Menschen anstatt ohne die Menschen etwas machen und möchten sie beteiligen und fragen.

Ich war am Montag in Belm, in einer Einrichtung für Früher-Phase-F-Patienten, für schwerstbehinderte Patienten. Ein junger Mann soll das Heim verlassen, ist aber nicht einmal gefragt worden, was er glaubt, was für ihn die richtige Lösung ist. Vielmehr wird über seinen Kopf hinweg entschieden, wo er jetzt zu sein hat. Er wird aus seiner Umgebung herausgerissen. Ich meine, wir reden immer über Inklusion, wir wollen alle mitnehmen, und dann wird man in einem solchen praktischen Fall noch nicht einmal gefragt, in welche Einrichtung jemand möchte, sondern dort wird von oben herab entschieden.

Das heißt, wir haben noch eine große Aufgabe vor uns. Daran würde ich gerne weiter mitarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wir danken auch, Frau Kollegin Bruns. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt ihre Vorsitzende, Frau Anja Piel. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit auch die Menschen, die es angeht, meine Rede mitverfolgen können, werde ich versuchen, sie in so einfacher Sprache zu halten, wie es an dieser Stelle möglich ist.