Protokoll der Sitzung vom 15.11.2018

Obdachlose vor Kälte geschützt werden“. Die Beiträge erschienen im Kontext einer Aktionswoche der Wohnungslosenhilfe in Westniedersachsen. Ziel der Aktionswoche war es, Bürger und insbesondere uns Politiker auf die schwierige Situation Wohnungsloser aufmerksam zu machen. Stellungnahmen kamen dabei u. a. von den niedersächsischen Städten Hannover, Oldenburg, Göttingen, Wolfsburg, Braunschweig und Lüneburg. Im Grundtenor äußern alle Städte, dass die Zahl der Obdachlosen zwar zunehme, man sich allerdings für den Winter gut aufgestellt sehe und jedem Obdachlosen eine Notunterkunft bieten könne. Dies ist keine freiwillige Leistung der Städte. Die Kommunen kommen damit ihrer gesetzlichen Aufgabe im Rahmen der Gefahrenabwehr nach.

Neben dem kommunalen Angebot gibt es eine Vielzahl ehrenamtlicher Hilfsprojekte, wie z. B. den Kältebus der Johanniter hier in Hannover. In meiner Heimatstadt Cloppenburg wurde im Oktober eine neue Obdachlosenunterkunft des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer eröffnet. Hier können für maximal drei Monate jeweils vier Personen in Einzelzimmern unterkommen, und sie werden gleichzeitig intensiv betreut, um in der Gesellschaft wieder Fuß fassen zu können.

Die Dramaturgie der Anfrage, liebe Fraktion der AfD, hinsichtlich von Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Kälteopfer scheint da etwas überspitzt. Die von Ihnen angeführten Beispiele sind in Hamburg, Düsseldorf und Köln zu verorten und nicht in Niedersachsen. Ein Tod durch Erfrieren - Frau Bruns hat es gerade gesagt - muss nicht sein. Sollte es dennoch dazu kommen, sind stets der Einzelfall und seine Umstände zu betrachten. Oft liegt es auch nicht am Mangel an Unterkünften, sondern an Problemlagen, die in der Person begründet sind.

Ihre Anfrage gibt uns aber noch einmal die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass unsere Sozialministerin, Frau Dr. Reimann, im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung am 22. Februar über die Arbeitsschwerpunkte und Ziele ihres Ressorts berichtete. Dabei stellte sie heraus, dass man in diesem Jahr einen ganz besonderen Schwerpunkt auf die Prävention vor Wohnungslosigkeit legen werde. In ihrem Haus wird ein Gesamtkonzept entwickelt. SPD und CDU wollen ein niedrigschwelliges Angebot für Wohnungslose, insbesondere für Frauen, schaffen.

Auf den Entschließungsantrag von SPD und CDU vom Mai dieses Jahres haben die angehörten Ver

bände und Vereinigungen positiv reagiert, und sie haben unseren Ansatz begrüßt. Von allen wird jedoch auch aufgeführt, dass in einem ersten Schritt die Schaffung von sozialem und bezahlbarem Wohnraum das Wichtigste sei. Wir nehmen uns dieser Aufgabe an, wie auch gestern beim Antrag der SPD zur Aktuellen Stunde „Erfolgreiche Bündnisarbeit für Niedersachsen - gemeinsam günstigen Wohnraum schaffen“ deutlich geworden ist. Auch da war das ja Thema.

Unbestritten ist, immer mehr Personen finden keinen bezahlbaren Wohnraum. Notlösungen, wie z. B. das Leben auf Campingplätzen, kommen leider immer häufiger vor. Wohnungslosigkeit ist vielfältig. Das Thema steht in seiner gesamten Komplexität auf der Agenda des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, und Frau Ministerin Dr. Reimann bringt es mit unserer Unterstützung in ihrem Ministerium voran.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Eilers. - Meine Damen und Herren, wir sind noch in der Aussprache zur Fragestunde. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass nach dieser Fragestunde die Landwirtschaftsministerin eine Unterrichtung vornehmen wird. Das in Richtung Aufmerksamkeit und insbesondere auch Präsenz der Agrarpolitiker.

Weiter geht es mit Herrn Lottke, SPD-Fraktion. Bitte sehr!

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Thema wohnungsloser Menschen nicht so ernst wäre - und ich sage: mir persönlich und meiner Fraktion ist es sehr ernst -, dann müsste man Ihnen, meine Dame und Herren von der AfD, zu Ihrer Anfrage sagen: Sie könnten den Wohnungslosen prima helfen, wenn Sie die heiße Luft, die Sie hier im Landtag produzieren,

(Zuruf von der AfD)

nutzbar machen für die Betroffenen. Aber so bleibt es bei heißer Luft - nutzlos wie immer.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dirk Toepffer [CDU])

Wenn die Anfrage der AfD wirklich ernst gemeint wäre und eine Verbesserung der Situation wohnungsloser Menschen zum Ziel hätte, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass die Zuständigkeit, wie schon beschrieben, in der originären Verantwortlichkeit der Kommunen liegt. Dieses Wissen ist gar nicht so exklusiv, und Sie hätten das bei der von Ihnen zitierten Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe nachlesen können. Aber dafür hätten Sie sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen müssen, und das liegt Ihnen nun mal nicht.

Dann hätten Sie ehrlicherweise auch zitieren müssen - denn so geht es auf der Internetseite weiter -, dass die BAG W das Recht auf Wohnung auch ausdrücklich Migrantinnen und Migranten zuspricht. Aber, wie gesagt, diese Erkenntnis gewinnen Sie nur, wenn Sie ernsthaft an der Sache interessiert sind. Menschen mit Migrationshintergrund gehören, freundlich gesagt, natürlich nicht zu Ihrem Kerngeschäft.

(Zuruf: Doch!)

Meine Damen und Herren, nun können Sie ja fragen: Was regt er sich eigentlich auf? Weiß er das besser? - Ja, ich glaube schon, ich weiß es besser; denn ich bin vor meinem Eintritt in den Niedersächsischen Landtag Einrichtungsleiter einer Gesellschaft gewesen, und da haben wir uns u. a. um obdachlose Menschen gekümmert.

Wenn man sich mit der Situation wohnungsloser und obdachloser Menschen ernsthaft beschäftigt, dann findet man schnell Gründe, warum viele Obdachlose trotz vorhandener Unterkünfte diese nicht nutzen: Sie haben Angst vor Gewalt. Viele Unterkünfte sind schlicht zu voll, oder man erlaubt nicht, wie schon berichtet wurde, dass Hunde mitgenommen werden. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin sofort bei Ihnen, wenn wir ernsthaft mit den Kommunen in den Dialog darüber gehen wollen, was das Land tun kann, um sich auf gemeinsame Standards bei der Ausrichtung und bei der Qualität der Unterbringung zu einigen, die auch die Akzeptanz der Betroffenen finden.

Aber bleiben wir noch mal bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit Ihrer Fragestellung. Welche politischen Initiativen gab es denn seitens der AfD für die von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen bisher? - Den Blick ins Parteiprogramm können Sie sich sparen.

Und, liebe Kollegen der AfD, Sie, die Sie sich in populistischen Ergüssen immer als die Partei der kleinen Leute verkaufen wollen, Sie sind in Wahr

heit die Partei der Bonzen, der Eliten, die Partei der sozialen Kälte

(Widerspruch bei der AfD)

und die Partei der Ausgrenzung und der Spaltung.

(Wiard Siebels [SPD]: So ist es!)

Hören Sie auf, die Menschen im Land und uns für dumm zu verkaufen!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dirk Toepffer [CDU] - Zuruf von der AfD)

Wenn man sich umschaut, dann findet man in den Kommunen viele gute Beispiele, die sich wie ein Mosaik aus vielfältigen Hilfen für obdachlose Menschen zusammensetzen. Da gibt es Kältebusse, wie schon genannt. Die Türen von U-BahnStationen bleiben zum Winter geöffnet, damit diese als Schlafplätze genutzt werden können. Lokale Initiativen bringen sich mit konkreten Hilfsangeboten menschlich würdiger Solidarität ein.

Unbestritten ist, dass mehr getan werden muss; denn jeder Obdachlose, der stirbt - das wurde schon mehrfach gesagt -, ist einer zu viel. Es müssen Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, die den Ansprüchen an ein Mindestmaß an Privatheit genügen und die tagsüber und auch nachts aufgesucht werden können. Auch die Mitnahme von Hunden muss geregelt werden. Dort, wo die Aufenthaltsdauer befristet ist, müssen wir sehen, dass wir diese Einschränkung langfristig aufheben.

Spezielle Schutzräume für wohnungslose Frauen sind ebenso notwendig wie besondere Rufnummern auf kommunaler Ebene, bei denen sich zivilcouragierte Menschen in Notfällen melden können, wenn sie eine hilflose, durch Kälte gefährdete Person auffinden.

Wir haben am Donnerstag im Sozialausschuss die Gelegenheit, unseren Antrag und den Ergänzungsantrag der Grünen weiter zu beraten. Ich bin gespannt, wie sich die AfD in diesen Prozess einbringt. - Ich wünsche uns eine gute Beratung am Donnerstag.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Lottke. - Im Rahmen der Aussprache hat sich jetzt die Fraktion der AfD

gemeldet. Ich erteile der Abgeordneten Dana Guth das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal herzlichen Dank an die SPD für ihre tiefenpsychologische Betrachtung. Nicht, dass wir uns eben mit den Kita-Gebühren befassten, die ja momentan ein kommunales Problem sind. Aber sei es drum. Wir sind da großzügig.

Ich bedanke mich auf jeden Fall bei den Kollegen der anderen Fraktionen, die bereit waren, dieses ernsthafte Thema zumindest auch ernsthaft mit uns zu beraten.

(Beifall bei der AfD)

Denn was wir hier fragen, das dürfen wir immer noch selbst entscheiden.

Wir reden über Kältetote - ein Thema, das in einem Land wie dem unseren keines sein sollte. Wir hören stets und ständig: Es geht uns so gut wie nie, die Steuereinnahmen sprudeln, die Finanzlage ist sehr gut. - Und trotzdem erfrieren Menschen in diesem Land. Ja, auch die AfD darf hier sagen, dass Menschen erfrieren. Das haben Sie nicht gepachtet. Sehen Sie es mir nach!

(Beifall bei der AfD)

Wie wir eben gehört haben, haben fast 7 000 Menschen in Niedersachsen keine Wohnung. Sie sind Strandgut, durch das soziale Netz gefallen. Die Gründe sind ebenso vielfältig wie traurig: Firmeninsolvenzen, Trennungen, Suchtprobleme, Schulden und vieles mehr.

Es sind in der Regel keine gesunden Menschen, die sich des Nachts auf Parkbänken, in Lichtschächten, in U-Bahn-Bereichen oder in Hauseingängen unwürdig zur Ruhe legen. Ja, ist doch super; U-Bahnen öffnen ihre Türen. - Eine Wohnung, das ist das, was ein Mensch braucht!

Ein Schlafplatz ist nicht immer vorhanden. Die nötigen x Euro pro Nacht - - - Wie viel das eigentlich kostet, was ein Ärmster der Armen noch dafür zahlen muss, dass er irgendwo einen Schlafplatz bekommt, ist hier nicht bekannt. - Aber ist ja nicht so schlimm, sage ich mal, interessiert ja auch nicht wirklich, ist ja Problem der Kommunen. - Ich weiß.

Der gesundheitliche Zustand von Wohnungslosen ist häufig sehr schlecht. Obdachlose haben im Vergleich zu der normalen Bevölkerung ein drei- bis viermal höheres Risiko, vorzeitig zu versterben. Häufige Diagnosen sind: Erkrankungen des At

mungssystems - 6 % bis 14 % -, des Kreislaufsystems - 7 % bis 20 % -, Verletzungen und Vergiftungen - 15 % bis 20 % - sowie Infektionen oder parasitäre Erkrankungen.

Aufgrund vielfältiger Barrieren ist die Nutzung des medizinischen Regelversorgungssystems für diese Menschen gar nicht einfach. Eine fehlende Krankenversicherung trotz bestehender Krankenversicherungspflicht, das Gefühl, nicht willkommen zu sein, eine fehlende Krankheitswahrnehmung - auch die geht den Menschen verloren, wenn sie auf der Straße leben - und eine eingeschränkte Kooperationsfähigkeit sind für Wohnungslose oftmals ein großes Problem, medizinische Hilfsangebote zu erhalten.

Es sind natürlich besondere Dienstleistungen entstanden. Wir hörten eben: Straßenambulanz, Zahnmobil, ärztliche Versorgung in Tagestreffs. Das ist schön, aber oftmals ist damit der Weg zum Facharzt trotz allem immer noch versperrt.

Die medizinischen Angebote sind regional unterschiedlich und häufig unterfinanziert. Die häufigsten Barrieren für eine Teilnahme von Wohnungslosen an der ambulanten medizinischen Regelversorgung sind der fehlende oder unklare Versicherungsstatus, auch Gefühle wie Scham, wie Angst, fehlendes Vertrauen, zu weite Entfernung, körperliche bzw. psychische Unfähigkeit, fehlende Begleitpersonen, die beim Arztbesuch unterstützen können, finanzielle Gründe, Sprachprobleme, fehlende Krankheitswahrnehmung, Unwissenheit und Orientierungslosigkeit darüber, wo sich Arztpraxen befinden, Sorge um den eigenen Besitz bei Abwesenheit. Hausärzte berichten tatsächlich auch darüber, dass sie Obdachlose ihren anderen Patienten nicht zumuten könnten. Im Übrigen steht die Suche nach einem Schlafplatz oft im Vordergrund und ist dringender als ein Arztbesuch.