Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 16; das ist die Fortsetzung der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort, mit Ausnahme der Tagesordnungspunkte 26 und 27, die wir bereits gestern behandelt haben. Die heutige Sitzung soll demnach gegen 19.10 Uhr enden.
Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer Herr Onay mit. Bitte, Herr Onay!
Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Justizministerin Barbara Havliza bis 15 Uhr, von der Fraktion der SPD Marcus Bosse bis 13 Uhr, Stefan Klein und Dr. Alexander Saipa, von der Fraktion der CDU Laura Rebuschat und nach der Mittagspause Ulf Thiele, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Julia Willie Hamburg.
Wir beginnen mit dem Antrag der Fraktion der SPD, es folgt der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und dann kommt der Antrag der Fraktion der FDP.
Ich erteile das Wort der Vorsitzenden der SPDFraktion, Frau Modder, und darf Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Bitte, Frau Modder!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am letzten Samstag, am 19. Januar, haben wir ein besonders Ereignis feiern können: Vor genau 100 Jahren durften zum ersten Mal Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Aus heutiger Sicht eine Selbstverständlichkeit - doch musste diese Errungenschaft sehr hart und mit großer Ausdauer erkämpft werden. An vielen Orten in unserem Land wurde durch beeindruckende Veranstaltungen und Aktionen an diese mutigen Frauen erinnert. Meine Fraktion zeigt heute ihre Dankbarkeit und ihren Respekt durch unsere weiße Kleidung - so, wie sie die Frauen damals, 1919, in der Nationalversammlung getragen haben.
Meine Damen und Herren, es waren die Frauen selber, die damals für die gleichberechtigte Gesellschaft und die volle Teilhabe am demokratischen Leben gekämpft haben. Heute, nach 100 Jahren, stellen wir fest: Wir haben vieles erreicht - keine Frage -, aber wir haben auch noch einige Hürden zu beseitigen. Seit dem Erreichen des Frauenwahlrechts gab es in keinem deutschen Parlament jemals eine paritätische Besetzung, und genau das wollen wir ändern.
Meine Damen und Herren, Elisabeth Selbert, eine der vier Mütter unseres Grundgesetzes und Sozialdemokratin, verdanken wir Artikel 3 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ 1981 stellte Elisabeth Selbert fest:
„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“
Wenn wir über die tatsächliche Gleichberechtigung in anderen gesellschaftlichen Bereichen sprechen, müssen wir feststellen, dass da noch einiges zu tun ist. Ich will beispielhaft auf den Gender Pay Gap hinweisen: Wie kann es sein, meine Damen
und Herren, dass Frauen noch im 21. Jahrhundert bei gleicher Arbeit bis zu 21 % weniger Gehalt erhalten als Männer? Von den patriarchalen Machtstrukturen auf den Chefetagen ganz zu schweigen! - Viele Frauen kennen das Gefühl der gläsernen Decke in ihrem Berufsalltag viel zu tun.
Oder blicken wir in die Reihen dieses Parlaments, des Landtages: von den 137 Abgeordneten sind gerade einmal 38 Frauen - ein Anteil von sage und schreibe 27 %. Meine Damen und Herren, mit freiwilligen Angeboten sind wir leider in den letzten Jahrzehnten nicht viel weiter gekommen. Ganz im Gegenteil: Wir sind im Rollback. Dies zeigt der Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag, in diesem Haus, in den Kreistagen, in den Gemeinderäten oder anderen politischen Ämtern.
Meine Damen und Herren, ganz ehrlich: Ich habe auch keine Lust mehr, noch weitere zig Jahre darauf zu warten oder vertröstet zu werden, dass sich eventuell auf freiwilliger Basis etwas zugunsten der Frauen entwickelt.
Wir haben in meiner Partei viele Erfahrungen mit Quoten und dem Reißverschlussverfahren gemacht. Das Ergebnis zeigt: Wir brauchen gesetzliche Regelungen.
Wer sich allerdings ein bisschen mehr mit der Materie befasst, stellt schnell fest, dass diese Forderung nicht ganz einfach umzusetzen ist. Wir haben Direktmandate und Listenaufstellungen, und deshalb brauchen wir eine echte Wahlrechtsreform. Wie schwer Wahlkreisreformen allerdings sind, wissen wir alle, glaube ich, allzu gut. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind ernst zu nehmen, und die Vorbereitung wird Zeit brauchen. Das schreckt uns aber nicht ab.
Wir laden alle ein, uns auf diesem Weg zu begleiten. Wir sind auf diesem Weg auch nicht alleine unterwegs. Ich zitiere Angela Merkel: „Ziel muss die Parität sein.“ Rita Süssmuth: „Schluss mit den Trippelschritten! Wir müssen endlich aus der Bettelei rauskommen. Nein, wir wollen die Gleichberechtigung zu 50 %!“ Annegret Kramp-Karrenbauer fordert Diskussionen über eine Wahlrechtsreform und spricht vom Paritätsgesetz. Katarina Barley
fordert eine Novelle des Wahlrechts, Parität bei den Aufstellungen der Listen und Wahlkreisduos. Auch der Niedersächsische Landesfrauenrat streitet mit uns gemeinsam für die Parität.
„Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Meine Damen und Herren, es ist Zeit für Veränderungen. Wir laden herzlich dazu ein, uns dabei zu begleiten, damit wir auf dem Weg zur paritätischen Besetzung auch dieses Parlaments ein Stück weiter nach vorne kommen. Fangen wir damit an!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 100 Jahre Frauenwahlrecht - ich kann für die Freien Demokraten sagen, dass auch wir den sozialdemokratischen Frauen, die das damals durchgesetzt haben, sehr dankbar sind, dass wir jetzt die Chance haben, zu wählen.
Wir hatten damals - organisiert von Thela Wernstedt - eine schöne Veranstaltung zu dem Thema, bei der wir das historisch aufgearbeitet haben. Ich finde, davon profitieren wir alle noch.
Derzeit laufen relativ viele Fernsehsendungen, die in die BRD der Sechziger blicken. Ich weiß nicht, ob Sie diesen einen Ausschnitt aus der „Tagesschau“ von damals gesehen haben, in dem es um das Frauenwahlrecht ging. Da gab es Äußerungen wie „Frauen gehören an den Kochtopf“, und: Da die Frauen sowieso immer gegen die Männer verlieren würden, wäre es eine große Gnade, wenn
sie jetzt das Wahlrecht bekommen würden. - Und trotz vieler frauenpolitischer Errungenschaften nicht zu vergessen: Anfang der Neunziger war Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. Das heißt, das Feld, in dem wir uns bewegen, bildet noch keinen großen historischen Zeitraum ab. Wir sollten uns immer bewusst sein, dass viele der frauenpolitischen Errungenschaften noch gar nicht so alt sind.
Ich würde gern zwei Punkte im Zusammenhang mit dem Thema Parité-Gesetz beleuchten. Zum einen würde ich gern auf die Parlamentsarbeit, also auch auf unsere Arbeit hier, eingehen. Dabei erinnere ich an Ihre Kollegin Kathrin Wahlmann.
Ich finde, Politik ist nicht familienfreundlich und in dem Sinne auch nicht frauenfreundlich. Es gibt viele Termine, viele Ausschusssitzungen und auch die Parlamentssitzungen.
Wir haben im Vorfeld recherchiert, was es in anderen Parlamenten so gibt, weil ich finde, dass wir viele Aufgaben noch gar nicht gelöst haben. Ich finde, bevor wir uns mit der paritätischen Besetzung beschäftigen, müssten wir erst einmal unsere eigenen Hausaufgaben erledigen. In England z. B. können stillende Mütter später abstimmen. Bei uns gibt es für Abgeordnete keine Elternzeit. Auch die Parteien in sich haben familienunfreundliche Sitzungstermine.
Es gibt also noch sehr viele Aufgaben, die wir eigentlich erst einmal erledigen könnten. Da müssen wir rangehen, wenn wir tatsächlich eine größere Beteiligung von Frauen wollen. Da ist eine ganze Menge möglich.
Die einzige Partei, die das Thema wirklich verinnerlicht hat, sind die Grünen. Dort hat man das wahrscheinlich mit der Muttermilch aufgesogen.
Aber auch prozentual gesehen, sind die Grünen die einzigen, die das wirklich in jeder Liste durchziehen.
Die Problematik ist bekannt, und sie wurde hier ja auch schon angesprochen: Direktwahlkreise, Listen usw. Wir als FDP haben uns Gedanken darüber gemacht, wie wir mehr Frauen in die Partei bekommen. Dabei haben wir die ebenso ange