Wir treten in die Beratung ein. Zu den diversen Anträgen gibt es unterschiedliche Antragsteller. Ich orientiere mich zunächst an Punkt 3 - Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen -, und die erste Wortmeldung liegt auch aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Kollegin Julia Willie Hamburg möchte zu allen Tagesordnungspunkten - also 3 bis 7 - sprechen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Ihnen wirklich sagen: Ich finde es sehr bitter, dass wir heute erneut eine Abstimmung in diesem Landtag vollziehen, mit der wir die Qualität in den Kitas in Niedersachsen nicht verbessern werden. Die Ausstattung an Kindertagesstätten hat sich seit den 90er-Jahren nicht relevant verändert oder verbessert. Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen von Ihren Besuchen vor Ort, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Wir müssen etwas tun!
Denn wie sieht der Alltag einer Erzieherin oder eines Erziehers heutzutage im Vergleich zu den 90er-Jahren aus? Die Kita ist nicht mehr eine Halbtags-, sondern in der Regel eine Ganztagseinrichtung. Es gibt einen 60-seitigen Orientierungsplan, den sich Niedersachsen leistet und den Erzieherinnen und Erzieher heutzutage berücksichtigen müssen: frühkindliche Bildung, Schulvorbereitung, Konzepte für Ernährung, Gewaltprävention, Demokratie und Teilhabe, Umwelterziehung. Die Sprachförderung ist mittlerweile ein großes Thema an unseren Einrichtungen, und die vorschulische gezielte Sprachförderung ist es mittlerweile - dank Ihres Kita-Gesetzes aus dem letzten Jahr - auch.
Gleichzeitig wollen Eltern Elterngespräche führen. Sie wollen an der Begleitung ihrer Kinder in der Einrichtung teilhaben. Es gibt Dokumentationspflichten. Es gibt die Pflicht, sich regelmäßig weiterzuentwickeln und auf neue Voraussetzungen einzugehen. Es gibt den Bedarf an Teamsitzungen. Nicht zuletzt gibt es in einer Einrichtung pro Gruppe 25 Kinder mit ihren Eltern, mit ihren ganz
unterschiedlichen Bedarfen und Päckchen, die sie mit in die Einrichtung bringen. Wer soll das alles leisten? Zwei einfache Fachkräfte pro Gruppe, die da strampeln, die versuchen, das hinzubekommen, und schlichtweg überfordert sind.
Sie wissen von Ihren Besuchen vor Ort, wozu das führt: Der Krankenstand ist hoch. Die Überstunden sind fast schon nicht mehr abzubummeln. Es gibt Erschöpfung. Es gibt Frustration. Vor Ort wissen die Erzieherinnen und Erzieher vor Arbeit oft nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht.
Nicht umsonst war die Kita-Volksinitiative so erfolgreich. Es war die erfolgreichste Volksinitiative, die es in Niedersachsen je gab. Der Handlungsdruck ist immens, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich muss Ihnen sagen: Leider bleiben Sie hier alle Antworten schuldig. Nicht zuletzt sorgt das auch für Frustrationen bei all den Bürgerinnen und Bürgern, die in den letzten Jahren für genau diese Volksinitiative gestritten haben. Sie wissen, dass wir hier eine Antwort geben müssen.
Der Gesetzentwurf, den wir als Grüne hier eingebracht haben, ist nun auch nicht ein klassisch als Oppositionsentwurf abzutuender Entwurf; denn in diesem Entwurf sind kleine realistische Schritte enthalten. Das ist der Stufenplan, von dem wir alle in diesem Haus immer reden, der es ermöglichen würde, die dritte Kraft in der Kita sukzessive einzuführen.
Dann sagt der Kollege von Danwitz von der CDU in Gruppengesprächen oder auch in Unterhaltungen mit Verbänden: Na ja, so ein Stufenplan wäre ja schön. Wir müssen mal nachdenken, und wir müssen mal rechnen. - Ich sage Ihnen ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen nicht mehr rechnen. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Es ist alles durchgerechnet. Es befindet sich in den Schubladen des Ministeriums. Auch der SPD dürfte es bekannt sein. Auch Ihnen müsste das mittlerweile bekannt sein, Herr von Danwitz. Das ist kein Argument, um hier und heute diesen Stufenplan abzulehnen. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.
Auch die Frage des Geldes dürfte kein Argument mehr sein; denn Niedersachsen bekommt mit dem Gute-Kita-Gesetz des Bundes viel Geld, um Qualitätsverbesserungen in Niedersachsen voranzu
bringen. Allein Ihr Problem ist: Sie haben das ganze Geld an die Kommunen zur Kompensation der Beitragsfreiheit gegeben. Das ist eine Zweckentfremdung dieser Mittel. Auch hierzu haben wir einen Antrag eingebracht, indem darum gebeten wird, zu prüfen, wie man die Bundesmittel für Qualitätsverbesserungen verwenden kann, und zu prüfen, mit welchen ersten Schritten man an Kitas doch etwas bewegen kann, um Entlastung zu schaffen. Auch den wollen Sie hier heute ablehnen. Ein gutes Argument dafür bleiben Sie schuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber schauen wir uns doch mal Ihren Antrag an: Er ist leider - das muss ich so hart sagen - nicht mehr als ein bloßes, müdes Lippenbekenntnis an all die, die seit Jahrzehnten für Qualitätsverbesserungen an den Kitas streiten. Ich sage Ihnen deutlich: Bei jedem Kita-Besuch, den Sie künftig machen und so argumentieren - damit werden Sie nicht durchs Loch kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn Sie noch nicht einmal bereit sind, diese kleinen Schritte unseres Gesetzentwurfes mitzugehen, dann fehlen Ihnen jegliche Ambitionen, im Bereich Kita-Qualität überhaupt etwas zu bewegen. Ich muss Ihnen leider sagen: Sie haben keinerlei Ambitionen, Qualität in den Kitas zu gestalten. Offensichtlich ist frühkindliche Bildung bei Ihnen in sehr schlechten Händen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Da muss man auch noch eine andere Frage stellen. Wir reden ja immer über den verheerenden Fachkräftemangel im Bereich der Kitas.
Ich sage Ihnen deutlich: Mit Ihrer Entscheidung, an der Qualität nichts zu verändern, werden Sie den Fachkräftemangel in Niedersachsen verschärfen. Wohin führt es denn, dass wir schlechte Arbeitsbedingungen haben? Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die in Kitas tätig sind - Herr Santjer, das wissen Sie wahrscheinlich aus Ihren Einrichtungen vor Ort -, bleiben schlichtweg nicht in dem Beruf, sondern sie orientieren sich um, sie bilden sich weiter. Sie verlassen die Kitas, weil diese Art zu arbeiten für sie nicht leistbar ist oder weil sie sich etwas ganz anderes unter ihrem Beruf vorgestellt haben.
Aber, wie reagiert das Ministerium auf das Thema Fachkräftemangel? Es bietet schlicht keine Lösung an. Der erste Schritt Richtung Schulgeldfreiheit ist krachend gescheitert. In der Antwort auf eine Anfrage konnten wir lesen, dass ein Großteil der Menschen, die Anträge auf Schulgeldbefreiung gestellt haben, wegen mangelnder Haushaltsmittel gar nicht erst eine Bewilligung bekommen haben. Der große Schritt zur Schulgeldfreiheit lässt auf sich warten. Es gibt hier keine überzeugenden Konzepte, und gleichzeitig diskutiert Herr Tonne über weitere Qualitätsstandards, Absenkungen im Bereich der Erzieherinnen und Erzieher, indem er das Modell „Erzieherinnen nur für Kitas“ erfindet.
Ich sage Ihnen ganz deutlich, wenn Sie jetzt auch noch die Qualitätsstandards in der Ausbildung absenken, werden Sie den Fachkräftemangel vor Ort nicht lösen. Sie werden ihn deutlich verschärfen und den Berufsstand abwerten. Und das geht überhaupt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir brauchen eine Aufwertung des Berufes. Wir müssen die Qualifikation endlich anerkennen. Wir müssen bessere Bezahlungen auf den Weg bringen. Wir müssen die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern, damit die Kolleginnen und Kollegen lange im Beruf bleiben können und nicht herauswechseln müssen. Nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass es eine Ausbildungsvergütung gibt. Darüber sind wir uns hier auch alle einig. Allein der Weg, wie Sie das umsetzen, ist meiner Meinung nach überhaupt nicht zielführend und wird zu Recht flächendeckend kritisiert.
Ich möchte Sie inständig bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zu überlegen, wie Sie sich hier heute positionieren und was Sie damit im Land bewegen; denn frühkindliche Bildung ist ein Thema, das uns allen am Herzen liegt. Wir reden seit Jahrzehnten darüber, dass wir hier etwas bewegen wollen. Aber heute werden wir wieder Abstimmungen erleben, nach denen sich für die Qualität in Niedersachsen nichts verbessert.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg. - Für die Fraktion der SPD hat sich der Abgeordnete Uwe Santjer gemeldet, und zwar zu Punkt 3. Ich denke
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tja, Frau Hamburg, ich kann das verstehen. Als Sie sich hier hingestellt und mit dem Satz, Sie seien sehr verbittert darüber, dass wir als regierungstragende Fraktionen nicht mehr auswerfen könnten, begonnen haben, habe ich für mich festgestellt, dass ich sehr darüber verbittert bin, dass unsere Bemühungen, mit Ihnen etwas gemeinsam auf den Weg zu bringen, nicht erfolgreich waren, weil Sie sich dazu nicht geäußert haben. Das ist sehr bedauerlich, aber so ist es.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kindertageseinrichtung ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Das ist eben auch schon angeklungen. In ihr gibt es Integration und Inklusion, da ist es an der Tagesordnung. Deshalb ist die Kita heute ein Ort für alle Kinder. Kinder machen bei der Auswahl ihrer Freunde keinen Unterschied nach Nationalität, Glauben, Geschlecht, Sprache, Handicap, sozialem Status oder irgendetwas anderes. Kinder suchen sich ihre Freunde aus denen, die da sind, aus Teilen der Gesellschaft.
Damit das so bleiben kann und damit das tatsächlich der Alltag in der Zukunft in unseren Einrichtungen sein kann, ist es uns wichtig, dass wir noch einmal 60 Millionen Euro investieren, damit gerade die Einrichtungen mit mehr Personal bestückt werden können, die die großen Herausforderungen der Integration in Niedersachsen meistern müssen. Das ist auch eine Forderung der Basis gewesen: Helft uns gerade in den Regionen, in denen wir viele Herausforderungen mit der Integration haben. - Das haben wir hiermit getan, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Manche werfen uns vor, dass das der Einstieg in einen besseren Personal-Kind-Schlüssel im Kitabereich - mit Blick auf die Drittkräfte - sei. Ich finde, das ist ein guter Einstieg, weil wir nun - das haben wir eben schon gehört - von einem Stufenmodell sprechen können. Diese Maßnahme ist eine Forderung aus der Basis. Wir stellen fest, dass damit die Kita noch besser ein Ort des Zusammenseins, eine Kita der sozialen Kontakte und der Verantwortung für sich und für andere sein kann. Kinder entdecken durch das Spielen mit anderen sich selbst und ihre Umgebung, sie lernen Handeln für ihr Leben.
Kinder müssen sich auch beteiligen können. Sie selbst wissen am besten, was sie wann für den nächsten Entwicklungsschritt brauchen. Wir sind uns mit der Fachebene einig: Kinder brauchen mehr Vertrauen. Damit das Zusammenleben und dieses Vertrauen überhaupt für Kinder erfahrbar werden, ist es wichtig, an dem Ziel festzuhalten, jedem Kind in Niedersachsen einen entsprechenden Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsplatz anzubieten. Wir sind den vielen Trägern und Kommunen zu Dank verpflichtet, dass wir gemeinsam jedem Kind in Niedersachsen einen Platz in unseren Einrichtungen anbieten werden. Dazu haben wir auch noch einmal 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit wir 5 000 neue Krippenplätze schaffen können. Ich finde, das ist ein richtiger, das ist ein guter Weg. Niemand muss in Niedersachsen vor der Tür stehen bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass wir hier eine Einigkeit erzielen, dass wir in der Definition nicht auseinander sind. Die Kita ist ein Ort der Bildung; ein wesentlicher, wie wir Sozialdemokraten finden. Wir kämpfen seit Bestehen unserer Partei für den Zugang zur Bildung für alle. Von daher ist es uns förmlich in die Gene gelegt, dass der Zugang zur Bildung nichts mit den finanziellen Möglichkeiten der Erziehungsberechtigten zu tun haben darf. Bildung muss einen gebührenfreien Zugang haben. Daher ist es richtig, die Gebührenfreiheit eingeführt zu haben. Alle die, die dagegen sind, lassen Leute draußen vor der Tür, und alle die, die dagegen sind, schaffen es nicht, jedem die Bildungschancen zu eröffnen. Da sind wir mit CDU und SPD in Niedersachsen anders unterwegs. Ich finde, das haben wir gut und richtig gemacht.
Die niedersächsischen Kindertagesstätten sind Orte, an denen Kinder das Recht auf Gleichbehandlung haben, ein Recht, das auch in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt wurde. Für jeden gilt: So, wie du bist, bist du willkommen.
Am besten ist eine Betreuung wohnortnah. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder nicht aussortiert werden, dass sie nicht die Einrichtung verlassen müssen, um z. B. in die vorschulische Sprachförderung zu gehen. Wenn du willst, dass Kinder in den Einrichtungen willkommen sind, dann musst du Angebote schaffen, damit alle dort ihre Förderung bekommen.
Deshalb war es richtig zu sagen, die frühkindliche Sprachförderung findet an dem Ort statt, wo die Kinder ihren Lebensmittelpunkt haben. Andere wollen die Kinder herausgeben, wir wollen sie in die Einrichtung hereinholen. Deshalb ist die Sprachförderung dort richtig, und wir unterstützen sie mit 32 Millionen Euro jedes Jahr. Das hat Niedersachsen unter anderen Landesregierungen noch nie gesehen, aber jetzt unter Schwarz-Rot. Ich finde, auch das ist ein guter Schritt.