Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

Jetzt fährt der Ministerpräsident nach Katar - ein Land, gehörig zu den Golfstaaten, mit diversen Problemen.

Schauen wir uns das Land, in welches die Niedersächsische Landesregierung reisen möchte, etwas genauer an: Neben einer deutlichen Einschränkung des Rechtes auf Meinungsfreiheit hält dieses Land u. a. an der Todesstrafe fest.

Hinterfragen wir Einzelheiten: Unter den vergangenen zwei Tagesordnungspunkten haben wir uns gemeinsam dem Kampf gegen den Antisemitismus gewidmet. Der Landtag hat sich selbstverständlich geschlossen hinter Antisemi- - - hinter dem Kampf gegen die Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland positioniert. - Entschuldigung, man darf sich auch mal versprechen.

(Zuruf von der AfD: Es ist so laut hier!)

Neben dem rechten Antisemitismus besteht für jüdische Mitbürger eine ebenso große Gefahr durch muslimischen Judenhass. Besonders hervorgetan hat sich in dem Bereich die sogenannte Muslimbruderschaft, zu deren wichtigsten Gönnern und finanziellen Unterstützern Katar und die Türkei gehören - so berichtet der Tagesspiegel vom 19. Mai 2019.

Obwohl Frauen in Deutschland per Gesetz gleichberechtigt und frei leben können, geht das auch Protagonisten im Niedersächsischen Landtag nicht weit genug. Hier will man Frauenrechte mit dem sogenannten Paritätsgesetz per Quote regeln. Glaubt man dem Bericht von Amnesty International, sind Frauen in Katar nach wie vor in fast allen Bereichen des täglichen Lebens benachteiligt, fernab von jeglicher Gleichberechtigung.

Sexuelle Identitäten und Präferenzen dürfen in Deutschland schon lange nicht mehr zur Benachteiligung eines Menschen führen. In Katar kann bis heute für Homosexuelle die Todesstrafe verhängt werden - siehe auch aktuelle Warnungen zu den derzeit stattfindenden Olympischen Spielen!

Niedersachsen engagiert sich stark für die Aufnahme von Flüchtlingen. Katar ist ein reiches Land, trotzdem nimmt es faktisch keine Flüchtlinge aus Kriegsgebieten auf. Bürokratische Einreisehürden, teure Visa und fehlende Anerkennung eines Flüchtlingsstatus verhindern dies zuverlässig. Als Begründung geben die Golfstaaten an, soziale Unruhen zu befürchten, wenn Flüchtlinge im Land leben, die nicht so leicht auszuweisen sind wie Gastarbeiter aus stabilen Ländern.

„Gastarbeiter“ ist ein gutes Stichwort. Seit Jahren werden Gastarbeiter, die mit der Vorbereitung der Fußball-WM 2022 in Katar zugange sind, ausgebeutet und wie Sklaven gehalten. Todesfälle sind keine Seltenheit und werden billigend in Kauf genommen.

Das alles müsste einem Gremium mit derartig hohen moralischen Ansprüchen, wie sie von Ihnen allen hier im Niedersächsischen Landtag gern postuliert werden, genügen, um einen großen Bogen um dieses Land zu machen.

Leider ist das noch nicht alles. Die staatliche Wohltätigkeitsorganisation Qatar Charity, zu deren Vorstandsmitgliedern zufällig häufig Regierungsmitglieder gehören, unterhält ein europäisches Programm, welches unter dem Deckmantel der Flüchtlingshilfe 260 Millionen Euro u. a. in Frankreich, Spanien, Großbritannien und Deutschland zur Durchsetzung der politischen Ziele der Muslimbruderschaft zur Verfügung gestellt hat.

Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Ägypten und Saudi-Arabien strengten eine Klage wegen der Unterstützung radikaler Islamisten, u. a. der Hamas, gegen Katar an. Zeigten sich während des Arabischen Frühlings erste Freiheitsbemühungen im arabischen Raum, unterstützte Katar die Konterrevolution der Muslimbrüder.

Spätestens nach diesen Informationen müssten diese Reisepläne Geschichte sein - sind sie aber nicht! Ich zitiere: Niedersachsen und Katar haben insbesondere aufgrund der gemeinsamen Beteiligung am VW-Konzern langjährige „wichtige Wirtschaftsbeziehungen“. Stephan Weil hat das Emirat bereits im Jahr 2015 besucht. „Katar gehört aufgrund seiner Rohstoffvorkommen zu den wohlhabendsten Ländern der Welt.“

Sind es also wirtschaftliche Interessen, die relativ schnell dafür sorgen, über Menschenrechtsverletzungen, Terrorfinanzierung, mangelnde Gleichberechtigung, Homophobie und vieles mehr hinwegzusehen getreu dem Motto: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“?

Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, Herr Ministerpräsident!

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Guth. - Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Dr. Christos Pantazis das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, mir geht es nicht allein so, dass wir bei den von Ihrer Fraktion angemeldeten Aktuellen Stunden von der Thematik und Terminologie her nicht immer genau wissen, wohin die sprichwörtliche Reise gehen soll.

(Dana Guth [AfD]: Nach Katar! Steht doch drin!)

War es letztmalig noch ein Nestbau, der sich bei genauerer Recherche als Bundesaufnahmeprogramm für 500 traumatisierte Flüchtlinge entpuppte, das Sie im Rahmen der Plenardebatte öffentlichkeitswirksam zu ächten suchten, so soll die aktuelle Reisestunde heute in das Golfemirat Katar gehen.

Nun fragt sich der geneigte Bürger: Was hat das schwerreiche Golfemirat in einer Aktuellen Stunde des Niedersächsischen Landtags verloren? - Streng genommen reichlich wenig - Sie haben es hier angesprochen -, wenn nicht eine vom Ministerpräsidenten höchstpersönlich angeführte hochkarätige Wirtschaftsdelegationsreise, der auch einige unserer Kolleginnen und Kollegen angehören werden, in das besagte Golfemirat für Ende dieses Monats anstehen würde.

(Dana Guth [AfD]: Ja!)

Was liegt dann näher, als diese Reise im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie - einer Technik, die Sie hier im Hause bis zum Exzess betreiben - im Vorfeld zu skandalisieren? Das tun Sie, indem Sie diese Reise und damit der gesamten Delegation - ich zitiere - „meinungsflexibles“ Reisen vorwerfen - ein Adjektiv, das erstmals als Charakteristikum des zurückgetretenen DFB-Präsidenten Reinhard

Grindel im Umgang mit Mesut Özil herhalten musste.

Nur dass wir uns hier nicht falsch verstehen: Der gesamten Delegation soll damit mangelnder Anstand und mangelnde Haltung in strittigen Fragen rund um das Golfemirat, z. B. bei Lohn- und Arbeitsbedingungen, oder der internationale Terrorismus vorgeworfen werden - Vorwürfe, denen sich Katar nunmehr seit der Katarkrise 2017 durch Mitglieder des Golfkooperationsrates aus Gründen

der politischen und wirtschaftlichen Rivalität ausgesetzt sieht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang unmissverständlich klarstellen, dass der von Ihnen geäußerte Vorwurf der mangelnden Haltung in strittigen Fragen gegenüber dem Ministerpräsidenten, aber auch den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen hier in unseren Reihen jeglicher logischer Grundlage entbehrt.

(Beifall bei der SPD)

Weder ist der Ministerpräsident noch sind Frau Lesemann, Herr Bode und Herr Schünemann, die allesamt an der Reise teilnehmen, meinungsflexibel reisend in Katar unterwegs. Ganz abgesehen davon ist sowohl die bundesdeutsche als auch die niedersächsische internationale Politik mitnichten meinungsflexibel, sondern seit jeher werteorientiert und interessengeleitet.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Als Exportland Nummer eins leben Deutschland und Niedersachsen von ihrer Offenheit und Vernetzung. Es gilt daher, die Chancen der Globalisierung zu nutzen und ihre Risiken zu minimieren. Um die Globalisierung nach verbindlichen Regeln zu gestalten, werden neue Themen wie Rohstoffsicherheit, Klimaschutz, Wasserfragen, Migration und Internetfreiheit in den Blick genommen.

Auch wenn Europa und die transatlantische Partnerschaft die Grundpfeiler unserer internationalen Politik bleiben, müssen wir uns auch auf den Auf- und Ausbau von Partnerschaften mit den neuen Kraftzentren konzentrieren. Neben China und Indien steht hierfür beispielhaft das Emirat Katar. Seit vielen Jahren unterhalten wir gute Beziehungen mit dem Emirat und arbeiten in zahlreichen unterschiedlichen Feldern eng zusammen. Die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder sind vielfältig. Immer mehr Deutsche leben und arbeiten in Katar. Deutsche Firmen eröffnen Niederlassungen in Doha, und katarische Institutionen haben erhebliche Investitionen in deutsche Unternehmen, wie die Deutsche Bank, Hochtief oder Volkswagen, getätigt. Dieses Engagement sichert auch deutsche Arbeitsplätze.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will aber nicht verhehlen: Elementarer Bestandteil einer wertorientierten internationalen Politik stellt das selbstbewusste Werben für Menschenrechte und

würdige Arbeitsbedingungen dar. Das gilt auch und insbesondere für das Golfemirat Katar.

(Beifall bei der SPD)

Dieses stetige Werben hat dazu geführt, dass sich das Emirat den offenkundigen Missständen gestellt hat. Als erster Golfstaat überhaupt hat es sich beispielsweise gegenüber der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, verpflichtet, den

Rechtsstatus sowie die Arbeitsschutz- und Sozialstandards der Arbeiter zu verbessern und zu kodifizieren.

Dieser Wandel wäre ohne den stetigen Dialog nicht möglich gewesen. Das ist mitnichten meinungsflexibel, sondern folgt einer politischen Handlungsmaxime, die am Montag dieser Woche ihren 50. Jahrestag gefeiert hat. Sie lautet schlicht „Wandel durch Annäherung“, weil wir ein Volk der guten Nachbarn sein wollen, im Innern und nach außen. Das ist von Willy Brandt. Aber mit dem haben Sie reichlich wenig zu tun. Hauptsache, Sie können mit ihm während der Wahlkämpfe plakatieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Für die CDUFraktion hat sich der Kollege Ehbrecht gemeldet. Bitte sehr, Herr Kollege!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, die Damen und Herren der Fraktion der AfD, kritisieren mit dieser Aktuellen Stunde die Delegationsreise unseres Ministerpräsidenten im Dezember nach Katar.

Das steht Ihnen natürlich frei. Es gibt schließlich genug Gründe und Missstände, um das Land Katar und seine archaische Gesellschaft zu kritisieren. So dürfen die Lebensbedingungen der fast 2 Millionen Arbeitsmigranten, deren schlechte, zum Teil ausbleibende Entlohnung, die fehlende Meinungsfreiheit im Land, die angebliche Unterstützung radikal-islamischer Gruppen und mutmaßlicher Terrororganisationen sowie der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht nicht unerwähnt bleiben, wenn man über Katar spricht.

Meine Damen und Herren, Katar - das sind rund eine Viertelmillion Untertanen und fast 2 Millionen Gastarbeiter, die von morgens bis abends, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der glühenden Hitze unter menschenunwürdigen Bedingungen das Land für Touristen und sportliche Großereignisse umbauen. Der gemeine Scheich Tamim bin Hamad Al Thani pflegt sich zu diesen Zeiten in klimatisierten Räumen aufzuhalten, weil die lebensfeindlichen Bedingungen des Wüstenstaates am Golf nicht anders zu ertragen sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Katar die Liste der weltweit höchsten Pro-Kopf-CO2-Emissionsausstöße anführt. Das alles ist möglich, weil Katar mit einem Pro-Kopf-Einkommen von fast 125 000 US-Dollar - das ist der Stand von 2017 - das materiell reichste Land der Welt ist und weil vor der Küste das bisher mit Abstand größte entdeckte Gasfeld der Welt liegt. Das wird sich auf absehbare Zeit auch kaum ändern, meine Damen und Herren. Deswegen bleibt Katar auf derzeit nicht absehbare Zeit einer der wichtigsten Erdgasexporteure und der weltgrößte Exporteur von Flüssiggas.

Damit kommen wir zum Thema LNG: 2017 sind in Katar 77 Millionen t produziert worden. Ab 2024 soll die Produktion um über 40 % auf 110 Millionen t steigen. Angesichts der weltweiten Anstrengungen zur Reduzierung von CO2-Emissionen kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage nach LNG steigen wird.

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU in Niedersachsen ist festgehalten, dass ein Flüssiggasterminal - LNG - an der niedersächsischen Küste geschaffen werden soll, zunächst bei uns in Wilhelmshaven. Dazu liegt bereits ein GRW-Förderantrag der Uniper SE für ein entsprechendes Projekt vor, meine Damen und Herren. Das in Katar produzierte Flüssiggas könnte auch an diesen Terminalstandort geliefert werden.

Der Botschafter von Katar in Deutschland, Scheich Saoud bin Abdulrahman Hassan Al-Thani, hat den Standort im November 2018 auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Oldenburg und Wilhelmshaven besucht. Herr Minister Lies hat an diesem Treffen teilgenommen. Laut Medienberichten erwägt Katar gemeinsam mit der deutschen Regierung, das Land beim Aufbau eines Terminals für den Anschluss an das globale LNG-Netz und damit auf dem Weg hin zu weniger CO2Emissionen zu unterstützen.

Die Defossilisierung der energieverbrauchenden Sektoren erfordert mittel- und langfristig solch große Mengen sowohl an grünem Wasserstoff als auch an anderen Brückenenergieträgern, dass auch der Aspekt des Imports dieses Energieträgers an Bedeutung gewinnt. Deswegen rücken zwangsläufig auch politisch brisante Weltregionen in den Fokus, die entsprechende Vorteile bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien besitzen. Ich nenne Nordafrika und natürlich auch den Mittleren Osten mit Katar.

Daher gilt es für die Politik, die niedersächsischen Wirtschafts- und Infrastrukturinteressen in Katar zu vertreten und mit Katar einen leistungsstarken Partner für die Gestaltung der Energiewende zu gewinnen.

Zugleich dürfen wir die zuvor von mir schon geschilderten Probleme des Landes mit seiner archaisch geprägten Gesellschaft nicht vergessen. Hiervor darf die Landesregierung ihre Augen nicht verschließen. Das wird sie auch nicht tun. Sie spricht diese Themen gerade auf Delegationsreisen an. Sie prüft auch regelmäßig, ob die wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar aufrechtzuerhalten sind.