(Anja Piel [GRÜNE]: In Halle sind un- bescholtene Bürger gestorben! - Wei- tere Zurufe - Unruhe - Glocke der Präsidentin)
Das müssen Sie einfach ein bisschen mehr spezifizieren. Zehntausende von Sportschützen - viele, viele Reservisten darunter, Säulen der Gesellschaft -, Zehntausende von Jägern, also aktive Naturschützer, wollen Sie schon wieder in kollektive Geiselhaft nehmen, auch wenn das hier bestritten wird.
(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! - Anja Piel [GRÜNE]: Das haben Sie völlig miss- verstanden!)
(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! - Anja Piel [GRÜNE]: So ein Unfug! - Unruhe)
Frau Kollegin Hamburg, Sie können sich gleich noch melden, und Frau Piel, ich bitte darum, dass es jetzt etwas leiser wird.
Wer ist denn dann Extremist, wenn Sie sich hier durchsetzen? Muss ein Sportschütze oder Jäger dann aufpassen, was er noch sagen darf?
Wann muss er Angst haben, dass ein Landesamt für Verfassungsschutz z. B. die Bevölkerung aufruft, Verdächtige zu melden? So ist es gerade erst in Bremen geschehen.
(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Dazu gibt es Rechtsprechung! Sie sind doch Jurist! - Anhaltende Unruhe)
Herr Kollege Wichmann, wir werden Ihre Redezeit verlängern müssen, wenn jetzt nicht gleich Ruhe einkehrt.
Dabei hat das Land Bremen bei 680 000 Einwohnern laut eigenen Auskünften etwa vier rechtsextreme Gefährder. Von ihnen sind derzeit alle in Haft.
Aber mal eben einen Aufruf zur Denunziation starten, und zwar nicht, um Terrorismus zu melden - dafür hätte ich großes Verständnis - oder meinetwegen auch Gefährder zu melden - auch dafür hätte ich großes Verständnis -, sondern Extremisten! Wer kann das denn bitte definieren? Können Sie es mir aus dem Stegreif definieren, was der Verfassungsschutz dazu sagt? - Das können Sie nämlich nicht.
(Eva Viehoff [GRÜNE]: Dass Sie das nicht können, ist klar! - Anja Piel [GRÜNE]: Das müssen wir nicht im Parlament klären! Das klärt der Ver- fassungsschutz! - Weitere Zurufe - Unruhe)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Piel! Ich bitte doch sehr darum, dass die verbleibenden zwei Minuten Redezeit jetzt noch in Ruhe zu Ende gebracht werden können. Dann können Sie sich ja noch einmal zu Wort melden. - Vielen Dank.
Im Übrigen: Der Verfassungsschutz kann bereits jetzt auf die Daten im nationalen Waffenregister zugreifen und so jedenfalls mitwirken, Extremisten den Zugang zu legalen Schusswaffen gezielt zu verwehren. Sollte es bei der Informationsübermittlung Hindernisse geben, wären wir selbstverständlich wiederum für Kompromisse offen.
Aber diesen Antrag dann unter Bezugnahme auf Halle zu stellen - da frage ich mich wirklich: Für wie blöd halten Sie eigentlich die Menschen?
Der Täter von Halle hat sich bei seinem Verbrechen ausschließlich selbstgebauter Waffen bedient. Er hat also keine legalen Waffen benutzt, noch nicht einmal klassische illegale.
Er hat sie in einem 3-D-Drucker ausgedruckt. Was wollen Sie dagegen tun? - Das meine ich nicht polemisch. Was wollen Sie dagegen tun?
Das ist nämlich wirklich ein Problem dieser Gesellschaft. Wollen Sie ein nationales 3-D-DruckerRegister einrichten? Wollen Sie vielleicht 3-DDrucker nur noch nach Genehmigung und Gesinnungsprüfung ausgeben? - Sie erwähnen aber diese Tatsache nicht einmal angemessen.
Kurt Schumacher hat einmal gesagt: Politik fängt an mit der Betrachtung der Realität. - Das haben Sie hier nicht getan. Nein, Sie erweisen jedenfalls mit dem Titel Ihrer Aktuellen Stunde durch Ihre Verkürzung dem Kampf gegen den Extremismus einen Bärendienst.
Ihr Antrag ist auch sachfremd, populistisch und verantwortungslos. Sie spalten, statt da zu einen, wo ein Minimalkonsens tatsächlich möglich wäre. Sie haben nichts Besseres zu tun, als unbescholtene Bürger zu verunsichern.
(Anja Piel [GRÜNE]: Wenn Ihnen das unangenehm ist, dann tut uns das leid! - Unruhe - Glocke der Präsiden- tin)
Danke, Herr Wichmann. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn man nicht einer Meinung ist, müsste es dennoch auch bei den Redebeiträgen grundsätzlich etwas leiser sein.
Wir haben jetzt als letzte Wortmeldung zum Punkt c die Meldung unseres Innenministers Herrn Boris Pistorius.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen auch heute wieder viel über die Bekämpfung des Rechtsextremismus, und das ist richtig so. Ich habe in den vergangenen fast sieben Jahren als Innenminister allerdings auch eine Erfahrung gemacht: Man konnte in Deutschland und auch in Niedersachsen lange nicht nur über den Rechtsextremismus reden, ohne dass gleichzeitig reflexhaft gefordert wurde, doch bitte schön auch immer über alle anderen Formen des Extremismus zu sprechen, und zwar in der gleichen Tonlage und mit der gleichen Schärfe. Reflexartig wurde das immer wieder gefordert, in den letzten Jahren natürlich auch immer von der AfD.
Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen: Wir gehen gegen jede Form des Extremismus konsequent vor, und zwar gemeinsam mit allen Behörden. Das kann niemand bestreiten. Richtig ist allerdings auch, meine Damen und Herren: Die verschiedenen Formen des Extremismus treten nun einmal teils sehr unterschiedlich in Erscheinung, sowohl in der Art und Weise der Radikalisierung nach innen, aber auch gerade in ihrem Auftreten und ihrer Gefährdung, die von ihnen ausgeht, nach außen.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Ich nehme alle Formen des Extremismus vor diesem Hintergrund sehr ernst. Gerade deshalb halte ich es für wichtig, sie auch gesondert zu betrachten und zu behandeln. Schon mit meinem Amtsantritt 2013 habe ich deshalb auch ein eigenes Referat zu Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus eingerichtet.
Der Rechtsextremismus - wir haben es in den letzten Wochen und Monaten gehört und diskutiert - dringt dynamisch in die Mitte der Gesellschaft vor und ist dabei, unsere demokratische plurale Gesellschaft in unvergleichlicher Weise zu vergiften. Das ist eine völlig andere Bedrohung als die, womit wir es an anderer Stelle zu tun haben.
Meine Damen und Herren, ich habe auch mehrfach deutlich gesagt: Es ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen der letzten Jahre - eigentlich muss man sogar sagen: zehn Jahre und mehr - absolut nicht hinnehmbar, wenn Rechtsextremisten ganz legal Waffen besitzen dürfen. Mir ist schleierhaft, wie man darüber überhaupt nur unterschiedlicher Auffassung sein kann.
Wer unsere Gesellschaft bedroht und wer sie abschaffen will, der darf sich nicht bewaffnen und schon gar nicht legal. Mit Blick auf die laxen Waffengesetze in den USA schütteln viele, wie ich finde, mit Recht den Kopf. Das ist mehr als berechtigt.
Wir müssen aber auch bei uns in Deutschland bestehende Sicherheitslücken schließen, gerade mit Blick auf die hohe Gewaltbereitschaft und die große Waffenaffinität der rechtsextremistischen Szene. Ende 2016 hatte ich die niedersächsischen Waffenbehörden angewiesen, bei Reichsbürgern regelmäßig von einer Unzuverlässigkeit im Sinne des Waffenrechts auszugehen. Gemeinsam mit den Waffenbehörden konnten wir so die waffenrechtlichen Erlaubnisse von 60 Reichsbürgern widerrufen. Rund 100 Waffen wurden eingezogen und unbrauchbar gemacht.
Meine Damen und Herren, Waffen gehören nicht in die Hände von Rechtsextremisten, Nationalisten und Verfassungsfeinden. Hier kommt es nun einmal auf die Waffenbehörden an.
Sehr geehrter Herr Wichmann, ich will es Ihnen noch einmal erklären: Das Landesamt für Verfassungsschutz ist eine Fachbehörde, die aber nicht entscheidet, ob Sie oder irgendjemand anders einen Waffenschein bekommt. Sie entscheidet auch nicht, ob irgendjemand einen Jagdschein oder eine Waffenerlaubnis bekommt. Sie stellt lediglich auf Anfrage fest, wenn die gesetzlichen Grundlagen da sind, ob jemand unter den Aspekten des Verfassungsschutzes als gefährlich und extrem einzustufen ist. Wenn Sie dann die Waffenerlaubnis nicht bekommen, Herr Wichmann, dann können Sie zu Gericht gehen und dagegen klagen. So ist das in einem funktionierenden Rechtsstaat. Das entscheidet weder das Verfassungsschutzamt noch der Innenminister, sondern am Ende ein Gericht, wenn Sie mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind.
Niemand fordert, dass nur Rechtsextremisten die Waffen entzogen oder verweigert werden sollen. Das gilt selbstverständlich für den gesamten Extremismus.
Ich sage Ihnen auch noch etwas, das erkläre ich Ihnen auch gerne: Ein Waffengesetz - in diesem Fall noch dazu ein Bundesgesetz - wird nicht unterscheiden
- genau, das ist eine Selbstverständlichkeit -, ob es ein linker, rechter oder islamistischer Terrorist ist, sondern wer bei einer Regelanfrage die Voraussetzung erfüllt, dass etwas gegen ihn vorliegt, dem wird die Zuverlässigkeit nicht zugestanden, und der wird keine Waffe bekommen. So einfach ist das geregelt.
Ich weiß, wie der Verfassungsschutz heute arbeitet. Er arbeitet sehr gut und sehr fachlich orientiert. Ich weiß allerdings auch - das macht mir Sorge, wenn ich daran denke; aber es ist ja noch nicht so weit, oder, besser gesagt, hoffentlich wird es nie dazu kommen -, wie der Verfassungsschutz arbeiten würde, wenn Sie das Sagen hätten, meine Damen und Herren.