Protokoll der Sitzung vom 19.11.2019

(Zustimmung bei der CDU)

Das aktuell erforderliche neue Genehmigungsverfahren zur Errichtung neuer, moderner Anlagen auf der gleichen Fläche ist aus meiner Sicht absurd. Meine Damen, meine Herren, diese Absurdität ist aber Realität. Ein Großteil der vor ungefähr 20 Jahren genehmigten Standorte ist heute meist aus Gründen des schon diskutierten Artenschutzes nicht mehr genehmigungsfähig. Warum? - Weil sich die Störche und ihre Artgenossen einfach

nicht an unsere Gesetze halten. Sie halten sich einfach nicht an die Regeln des formulierten Artenschutzes.

(Wiard Siebels [SPD]: Das ist eine Sauerei!)

Sie siedeln sich ausgerechnet unter den Windenergieanlagen an, vor denen das Naturschutzrecht sie doch schützen will, mit der Konsequenz, dass diese Flächen dann für die Windenergie bei der nächsten Überarbeitung der Flächennutzungspläne und der regionalen Raumordnungsprogramme nicht mehr zur Verfügung stehen. Wie gesagt: Das ist absurd!

Meine Damen, meine Herren, wenn wir hier die Frage diskutieren, welche Abstandsregeln den Ausbau der Windenergie am stärksten beschränken, dann sind dies mit Sicherheit die gesetzlichen Abstände des Naturschutzrechtes. An dieser Stelle ist daher Bundesumweltministerin Schulze gefragt. Sie muss eine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes mit Ausnahmen für die Windenergie von Artenschutz und Ausgleichsmaßnahmen vorlegen. Denn wenn wir das Klima nicht schützen, gibt es die Arten, die das Bundesnaturschutzgesetz schützen will, bald nicht mehr. Meine Damen und Herren, deswegen muss siebtens der Klimaschutz - da gebe ich Herrn Siebels und dem Ministerpräsidenten völlig recht - Vorrang vor dem Artenschutz bekommen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, genauso muss die Bundesregierung endlich die überbordenden Abstandsregelungen zu Flugsicherheits- und zu Bundeswehrradarstandorten auf europäische Standards absenken; denn auch das bringt zusätzliche konfliktarme Flächen für den Ausbau der Windenergie.

Meine Damen, meine Herren, wir haben hier auch einige Positionierungen zur von der Bundesregierung vorgeschlagenen 1 000-m-Abstandsregelung zur Wohnbebauung gehört. Ich empfehle, sich diese ohne Vorbehalte anzusehen. Denn insbesondere die dort vorgesehene Opt-out-Regelung für die Kommunen ist ein kluger und ein guter Weg, die notwendige Abwägung von Interessen vor Ort vorzunehmen und im Einzelfall unter diese 1 000 m zu gehen, wenn dies vor Ort konfliktfrei geboten ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Insofern bin ich mir sicher, dass es zu diesem Thema insbesondere im Vermittlungsausschuss des Bundesrates noch einige sehr kluge und intensive Diskussionen geben wird.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Birkner zu?

Der liebe Stefan Birkner darf immer Zwischenfragen stellen. Gern.

Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Thiele, herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Ich frage mich - nein, ich frage Sie -: Wie stehen Sie denn dann zu der Äußerung des Ministerpräsidenten, dass wir die 1 000 m eben nicht in Niedersachsen haben wollen? Sie haben ja jetzt gesagt, das sei eigentlich eine ganz kluge Regelung. Wie ist also die Haltung der CDU-Fraktion zu den Äußerungen des Ministerpräsidenten?

(Jörg Bode [FDP]: Das ist eine kluge Frage!)

Ich habe ja gerade gesagt, ich rate zu einer Betrachtung der Regelung ohne Vorbehalte.

Im Moment ist die Situation ja die, Herr Birkner, dass es eine ganze Reihe von Bundesländern gibt, die zunächst einmal diese Regelung, diesen Vorschlag, den Referentenentwurf infrage stellen - was mich zu der Annahme verleitet, dass diese Regelung im Vermittlungsausschuss des Bundesrates diskutiert werden wird und es dort mutmaßlich zu einem Kompromiss kommen wird. Erst danach sind wir hier als Gesetzgeber gefragt, auf der Basis eines dort gefundenen Kompromisses eine Lösung, die für Niedersachsen passt, zu finden.

Ich bin mit dem Ministerpräsidenten einig, dass es klug ist, dass es sinnvoll ist, insbesondere die Gegebenheiten vor Ort zu betrachten und dann im Einzelfall die Möglichkeit zu geben, unter die 1 000 m abzuweichen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Ihr habt wieder keine Haltung! Das ist unfass- bar!)

- Wissen Sie, Herr Birkner, wenn ich das noch als Antwort auf Ihren Zwischenruf „Das ist keine Haltung“ sagen darf:

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Keine ein- heitliche Haltung!)

Diese Frage ist insbesondere vor dem Hintergrund der vielen Auseinandersetzungen in den kommunalen Parlamenten, die wir ja erleben, so komplex - sie ist übrigens einer der Gründe dafür, warum wir momentan einen so geringen Zuwachs an Potenzialflächen für die Windenergie haben -, dass mir einfache Antworten, wie Sie sie geben,

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Der Minis- terpräsident hat das gemacht!)

zu billig sind. Der Ministerpräsident hat lediglich angekündigt, dass wir uns die Regelung für Niedersachsen ansehen werden und eine für Niedersachsen passende Regelung diskutieren werden.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das hat sich anders angehört! Das gucke ich noch mal nach!)

Genau das werden wir freundschaftlich und gemeinsam in dieser Koalition tun.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen, meine Herren, aus aktuellem Anlass möchte ich auch die Lage bei Enercon ansprechen. Enercon ist in meiner Heimat Ostfriesland einer der wichtigsten Arbeitgeber und eines der innovativsten Unternehmen. Dem Unternehmen ging es durch die vom Gesetzgeber geschaffenen Rahmenbedingungen für die Windenergie lange sehr gut. Das hat sich in den letzten zwei, drei Jahren - wenn man es genau nimmt: seit dem 1. Januar 2018 - dramatisch geändert.

Nach der Entlassungswelle des vergangenen Jahres wird der angekündigte Abbau von 1 500 der insgesamt 3 000 betroffenen Arbeitsplätze die Region Ostfriesland hart treffen. Das ist der Grund, warum die Spitzen der Kommunen, die maßgeblich zu erwarten haben, dass bei ihnen Arbeitsplätze verloren gehen, heute hier anwesend sind. An die Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister auch von unserer Seite ein herzlicher Gruß und ausdrücklich für Sie, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Enercon und den be

troffenen Töchtern des Enercon-Konzerns unsere Solidarität!

(Beifall bei der CDU)

Der Arbeitsplatzverlust wird Ostfriesland hart treffen. Er trifft die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch viele kleine Unternehmen vom Bäcker bis zum Kfz-Gewerbe und natürlich die Kommunen, deren wirtschaftliche Entwicklung auch auf dem Erfolg von Enercon beruht. Kurzum: Für die betroffenen Menschen vor Ort ist der Verlust der Arbeitsplätze eine Katastrophe.

Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Die Kaltschnäuzigkeit, mit der das Enercon-Management bei dieser zweiten Entlassungswelle jetzt erneut vorgeht, macht mich traurig und wütend. Wie schon im vergangenen Jahr legt die EnerconGeschäftsleitung großen Wert darauf, dass sie keinen direkten Einfluss auf die Maßnahmen der betroffenen Zulieferbetriebe habe, als habe sie nichts mit den Unternehmen zu tun, die jetzt Mitarbeiter entlassen müssen - außer, dass man dorthin Aufträge vergibt oder diese entzieht.

Herr Siebels, Sie wissen das: Das Konzerngeflecht spricht eine völlig andere Sprache. Da wäre zunächst die Aloys Wobben Stiftung. Sie ist die alleinige Gesellschafterin von Enercon und sämtlicher zur Enercon-Gruppe gehörenden Unternehmen. Es gibt den GRP Aloys B A Wobben Breeze Trust mit Sitz in Lichtenstein. Dieser wiederum ist Eigentümer der Technologies de Vent S.A., ebenfalls mit Sitz in Lichtenstein. Und diese ist Eigentümerin der International Blade Handling B.V., einer Briefkastenfirma in Amsterdam. Und diese wiederum ist Eigentümerin zahlreicher sogenannter EnerconZulieferer, auch der gerade von Entlassungen betroffenen Unternehmen. Diese können in Wahrheit - ich spreche das hier so an, wie die Mitarbeiter es mir sagen - ohne Zustimmung der EnerconSpitze nicht mal einen Bleistift bestellen, geschweige denn einen Mitarbeiter entlassen.

Meine Damen, meine Herren, die Position des Enercon-Managements, es handele sich bei den Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen sollen, um selbstständige Gesellschaften, denen Enercon Aufträge entziehe, die jedoch eigenständig entscheiden, ist daher zynisch gegenüber den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dass offenbar Mitarbeiter in den Enercon-Unternehmen und den Zulieferbetrieben, die in Wahrheit Töchter von Enercon sind, denen im kommenden Jahr Entlassungen drohen, eingeschüchtert und unter

Druck gesetzt werden, ist aus unserer Sicht ein Skandal.

Meine Damen, meine Herren, dass, wie Berichten zu entnehmen ist, Betriebsräte, Gewerkschaften und die Belegschaft eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden, ist ein inakzeptables Verhalten der Verantwortlichen. Solch eine Kultur der Angst erschüttert mich, und ich schließe mich der Einschätzung der Landesregierung ausdrücklich an: Bei Enercon herrscht nach wie vor kein offenes Klima, sondern eines, das von Druck und Angst geprägt ist. Bislang versäumt das Unternehmen, die Krise für einen Neuanfang im Umgang mit seinen Beschäftigten und den Gewerkschaften zu nutzen. Vielmehr heißt es von den Verantwortlichen - das ist gesagt worden -, die Messe sei gelesen. - Das ist für mich das komplett falsche Signal, auch wenn offenbar aufseiten der Unternehmensführung kein Interesse besteht, die Arbeitsplätze zu retten. Wir können eine solche Position zum jetzigen Zeitpunkt nicht akzeptieren.

Vor diesem Hintergrund danke ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, für die klaren Worte, die Sie am vergangenen Samstag bei Ihrem Gespräch mit Betriebsräten und Vertretern der IG Metall in Aurich gefunden haben. Ich danke insbesondere Wirtschaftsminister Bernd Althusmann ausdrücklich dafür, dass er bereits am Mittwoch in Aurich erstmals überhaupt Vertreter des Enercon

Managements und der IG Metall im Kreishaus in Aurich an einen Tisch gebracht hat. Dort wurde vereinbart, dass Unternehmen und Gewerkschaften, dass das Wirtschaftsministerium, die Agentur für Arbeit, die Wachstumsregion Ems-Achse und die Kommunen in einer Taskforce Enercon gemeinsam an Lösungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, von Kurzarbeit über Qualifizierungsmaßnahmen und Transfergesellschaft bis hin zu Sozialplänen. So selbstverständlich das klingen mag: Für den Weltkonzern Enercon ist eine solche Zusammenarbeit mit der IG Metall historisch einmalig.

Es ist eine Chance. Dafür, dass Ihnen das gelungen ist, Herr Minister Althusmann, dankt Ihnen die Region.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Ob diese Gespräche allerdings konstruktiv verlaufen, wird maßgeblich davon abhängen, ob die Vertreter des Enercon-Konzerns bereit sind, geplante Maßnahmen der sogenannten konzerneigenen Zulieferer infrage zu stellen; denn der jetzt geplan

te Arbeitsplatzabbau hängt in Wahrheit nur zu einem Teil mit der schlechten Marktlage und den schlechten Rahmenbedingungen für die Windenergie zusammen.

Ich will Wiard Siebels an dieser Stelle ausdrücklich unterstützen. Die Unternehmensleitung hat inzwischen an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass ein wesentlicher Teil der geplanten Entlassungen eine knallharte betriebswirtschaftliche Kostenentscheidung ist, die im Wesentlichen der Korrektur unternehmerischer Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre dient. Das müssen wir bei dieser Krise zur Kenntnis nehmen, weil wir sonst an der falschen Stelle verhandeln.

Meine Damen, meine Herren, vor diesem Hintergrund ist es unsere Aufgabe als Parlament, die Konzernleitung an ihre Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Region, in der sie arbeiten, zu erinnern. Der Enercon-Konzern hat über viele Jahre von Entscheidungen des Gesetzgebers und auch der Region vor Ort für die Windenergie profitiert. In einer solchen - ja, sehr ernsten - Lage ist der Konzern daher aus unserer Sicht in der Pflicht, mit der Politik und den Gewerkschaften gemeinsam an tragfähigen und fairen Lösungen für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzuarbeiten.

Dem Management von Enercon muss klar sein, dass sein Verhalten auch maßgeblich auf die Ausgestaltung der Energiewende Einfluss hat. Der Windenergiesektor ist - das wissen wir alle - ein knallhartes Geschäftsmodell, aber es wird für dieses Geschäftsmodell der Energiewende umso schwerer werden, in der Bevölkerung Akzeptanz zu finden, wenn das Flaggschiff der Windenergiebranche in Deutschland, wenn Enercon in einer solchen Krise verantwortungslos und menschenverachtend handelt. Auch vor diesem Hintergrund müssen wir einfordern, dass sich Enercon seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber fair verhält und mit uns gemeinsam für jeden einzelnen betroffenen Mitarbeiter eine gute Lösung findet.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen, meine Herren, abschließend habe ich eine Bitte an die Landesregierung und an dieses Parlament. Meine Heimatregion Ostfriesland ist von der Krise in der Windkraftindustrie, vom Strukturwandel in der Automobilwirtschaft sowie in der Agrarwirtschaft und auch im Tourismus maßgeblich wirtschaftlich betroffen. Alle vier Branchen befinden sich nahezu zeitgleich in einem Struktur

wandel. Deshalb müssen wir die wirtschaftliche Struktur der Region offensiv neu und diversifiziert denken und umbauen. Dazu hat die Wachstumsregion Ems-Achse die gute und nachhaltige Idee einer Projektfabrik entwickelt, die wir unterstützen sollten. Die Projektfabrik soll die bestehenden Unternehmen besser miteinander vernetzen, Neugründungen unterstützen und Investitionen fördern.