Protokoll der Sitzung vom 20.11.2019

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich befürchte, diese Debatte wird uns in den kom

menden Jahren noch länger mit verschiedensten Gruppierungen beschäftigen. Ich finde es wichtig, dass die Justiz, die Sicherheitsbehörden, aber eben auch die Sozial- und Präventionsbehörden gut aufgestellt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg.

Herr Henze, Sie haben sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass nach § 77 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung Kurzinterventionen in der Aktuellen Stunde nicht zugelassen sind.

Ich erteile nun Frau Justizministerin Havliza das Wort für die Landesregierung. Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema „IS-Rückkehrer und IS-Rückkehrerinnen“ - die Rückkehrerinnen sind nicht zu vergessen! - ist ein hochaktuelles und bedarf der Bestandsaufnahme. Fakt ist - das ist hier schon mehrfach betont worden -: Die Bundesrepublik ist verpflichtet, im Ausland inhaftierte IS-Anhänger mit deutscher Staatsangehörigkeit - dazu gehören auch Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, wenn eine davon die deutsche ist - wieder hier aufzunehmen. Das ist, vorsichtig gesprochen, keine populäre Maßnahme - im Gegenteil! Denn IS-Anhängerinnen und IS-Anhänger sind mit ihrer menschenverachtenden Ideologie des IS bei uns in Deutschland - und vor allem sicherlich auch hier in Niedersachsen - nicht willkommen. Das sind sie nirgendwo!

Fakt ist aber auch: Wenn diese Menschen nach Deutschland zurückkehren und wir sie aufnehmen müssen, dann ist es in jedem Fall besser, wenn das geordnet und unter strengster Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden geschieht, als wenn sie versuchen, unkontrolliert und unerkannt hier wieder einzureisen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Entweder werden sie dann hier festgenommen, oder sie werden engmaschig beobachtet werden.

Das ist unsere Pflicht, und diese Pflicht werden wir auch erfüllen.

In der Justiz ist für diese Verfahren in erster Linie der Generalbundesanwalt in Karlsruhe als zuständige Strafverfolgungsbehörde auf dem Gebiet des Staatsschutzes gefordert. Von dort können Verfahren mit sogenannter „minderer Bedeutung“ an die Generalstaatsanwaltschaften in den Ländern abgegeben werden. Dies betrifft jedoch nur einzelne Verfahren. Grundsätzlich und zumindest zunächst bearbeitet immer der Generalbundesanwalt sämtliche Verfahren in eigener Zuständigkeit. Dies gilt insbesondere bei Rückkehrern und für Verfahren, denen der Verdacht der Teilnahme an Kampfhandlungen zugrunde liegt.

Hier in Niedersachsen werden vom Generalbundesanwalt abgegebene Verfahren von der Zentralstelle Terrorismusbekämpfung bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle bearbeitet und angeklagt. Eine konsequente Verfolgung derartiger Straftaten ist vor dem Hintergrund der terroristischen Bedrohung und des Sicherheitsempfindens der Bevölkerung von außerordentlicher Bedeutung. Es handelt sich um Straftaten, für die das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorsieht. Es handelt sich also um Verbrechen.

Der Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwaltschaften bringen diese Verfahren immer dann zur Anklage, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, also weder rechtlich noch tatsächlich Hinderungsgründe bestehen. Eine konsequente Strafverfolgung ist dabei immer die oberste Priorität.

Um auf Ihren Einwand einzugehen, Herr Kollege Birkner: Die Örtlichkeit der Anklageerhebung richtet sich nach bestimmten StPO-Vorschriften. Die kenne Sie, glaube ich, ebenso gut wie ich.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Die kannte ich mal!)

Dass der GBA da eine begrenzte Steuerungsmöglichkeit hat, das wissen wir auch alle. Denn meistens haben diese Menschen zu mehreren Bundesländern einen Bezug, sodass es dann um die Auslastung der OLGs in den verschiedenen Bundesländern gehen kann.

Eine konsequente Strafverfolgung bedeutet aber nicht nur, bestehende Straftatbestände konsequent anzuwenden. Es muss immer darauf geachtet werden, dass keine inakzeptablen Strafbarkeitslücken entstehen oder bestehen. Und nach meiner Auffassung gibt es da leider welche. Gegenwärtig

wird bestraft, wer eine terroristische Vereinigung gründet, ihr als Mitglied angehört, sie unterstützt oder wer Mitglieder für eine solche Vereinigung anwirbt. Ein allumfassender strafrechtlicher

Schutz, sollte man meinen.

Tatsächlich gibt es jedoch weitere brandgefährliche Handlungen ideologisierter und radikalisierter Menschen, die bislang keinen Straftatbestand erfüllen. Dies ist aber der Fall, wenn eine Unterstützungshandlung im Versuchsstadium stecken

bleibt. Denken wir beispielsweise an jemanden, der zwar kein IS-Mitglied ist, aber Gelder sammelt, um den IS und seine Mitglieder zu unterstützen! Noch bevor er diese Gelder ins Ausland weiterleiten kann, wird z. B. das Konto eingefroren oder die Gelder gehen verloren, sie kommen nicht an, wie auch immer. Oder denken wir an Fälle, in denen Waffenlieferungen an den IS an der Grenze abgefangen werden! In beiden Fällen können die Täter nicht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bestraft werden. Das Geld bzw. die Waffen haben den IS nicht erreicht. Eine Versuchsstrafbarkeit existiert bei Unterstützungshandlungen nicht.

Die geschilderten Fälle zeigen, die Unterstützungshandlung ist und bleibt gefährlich, ganz gleich, ob sie zum Erfolg führt. Es ist oft lediglich Zufall, ob die Terrorvereinigung am Ende tatsächlich davon profitiert. Gerade solche Unterstützungshandlungen sind es, die terroristischen Vereinigungen zum Aufschwung verhelfen und ihren Fortbestand sichern. Umso wichtiger ist es, auch fruchtlos gebliebene Unterstützungsversuche verfolgen zu können. Hierfür habe ich mich in der Vergangenheit eingesetzt und werde das auch zukünftig tun.

Wofür ich mich ebenfalls einsetze, ist einer Erhöhung der Strafrahmen. Das haben Sie sicherlich auch schon gehört. Täter, die eine terroristische Vereinigung gründen, ihr als Mitglied angehören oder sie unterstützen, können gegenwärtig zu maximal zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Wir sprechen hier von terroristischen Vereinigungen, die sich u. a. Mord, Totschlag, Völkermord und Kriegsverbrechen zum Ziel gemacht haben.

(Vizepräsident Bernd Busemann über- nimmt den Vorsitz)

Jeder, der beschließt, Teil einer solchen Vereinigung zu sein, entscheidet sich gezielt für diese Art von Straftaten und leistet teils erhebliche Beiträge zu ihrer Verwirklichung. Um hierauf angemessen reagieren zu können, ist meines Erachtens eine

Anhebung der Strafobergrenze auf 15 Jahre erforderlich. Auch das habe ich immer gefordert, und dafür setze ich mich weiter ein.

(Zustimmung von Jens Nacke [CDU] und von Dirk Toepffer [CDU])

Eine konsequente Strafverfolgung setzt aber auch voraus, dass die Justiz in den Ländern personell in der Lage ist, diese Verfahren mit dem immer erforderlichen hohen Aufwand abzuarbeiten. Deshalb haben wir in Niedersachsen z. B. zum Jahresbeginn 2018 einen zweiten Staatsschutzsenat in Celle eingerichtet und personell ausgestattet. Die beiden Staatsschutzsenate sind bereits jetzt mit Verfahren ausgelastet. Ihnen steht hierfür bislang lediglich ein Saal im OLG zur Verfügung, der sich mit den besonderen Herausforderungen von Staatsschutzverfahren, gelinde gesagt, schwertut. Die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen können nur mit einem sehr hohen Personaleinsatz bei Justiz und Polizei vorgenommen werden. Der Sitzungssaal ist zu klein. Verfahren gegen fünf Angeklagte sind bereits eine riesige Herausforderung.

Wollen wir uns in Niedersachsen der Aufgabe der konsequenten und effizienten Verhandlung derartiger Großverfahren von herausragender Bedeutung unter vernünftigen und sicheren Bedingungen mit der gebotenen Darstellung einer wehrhaften Justiz als Vertreter einer wehrhaften Demokratie auch zukünftig gut widmen, müssen wir an den bestehenden Zuständen arbeiten und uns massiv für eine Verbesserung einsetzen. Der Wille zu einer wehrhaften Demokratie bedingt, dass alle Staatsorgane und Behörden unsere freiheitliche demokratische Grundordnung bewahren und

schützen müssen. Und wehrhaft zu sein, bedeutet auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die Polizei und die Justiz in der Lage sind, diesem Auftrag nachzukommen. Kosten-NutzenAbwägungen verbieten sich in einer Demokratie an dieser Stelle.

Wir sind hier in Niedersachsen mit den im Staatsschutzbereich tätigen Staatsanwältinnen und

Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern, mit hochqualifizierten Leuten gut gerüstet, uns diesen Herausforderungen zu stellen. An dem Rest arbeiten wir ganz deutlich und massiv.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zustimmung von Horst Kortlang [FDP])

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen aus dem Plenum zu diesem Teil der Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor, sodass wir damit die Erledigung des Punktes b feststellen können.

Ich rufe auf und eröffne die Besprechung zu

c) Soziale Spaltung in Niedersachsen bekämpfen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/5130

Ich habe eine erste Wortmeldung vorliegen, und zwar von Frau Anja Piel, die den Antrag einbringen möchte. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird kälter in diesem Land, kälter insbesondere für diejenigen, die weniger haben. 1,2 Millionen Menschen in Niedersachsen sind arm. Das ist rund jeder sechste Mensch. Viele von ihnen sind es, obwohl sie arbeiten.

Jeder vierte Beschäftigte in Niedersachsen arbeitet im Niedriglohnsektor. Diese Menschen bekommen für ihre Arbeit gerade einmal den Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde oder etwas mehr. Für viele von ihnen reicht das zum Leben nicht aus, sie müssen ihr Einkommen mit Sozialleistungen aufstocken.

Die Einführung des Mindestlohns 2014 war ein echter Meilenstein. Fünf Jahre später aber müssen wir feststellen: Von einem Mindestlohn, der Menschen auch im Alter wirksam vor Armut beschützt, sind wir noch mindestens 3 Euro pro Stunde entfernt.

Aber, meine Damen und Herren, Armut ist mehr als statistische Zahlen. Hinter diesen Zahlen stehen Menschen. Da sind z. B. die vielen Kinder und Jugendlichen, die tatsächlich ausgeschlossen sind, weil das Geld, das sie haben, für viele Dinge nicht ausreicht. Das sind diejenigen, die bei Klassenfahrten zu Hause bleiben, vielleicht vorgeschoben wegen Krankheit. Das ist die alleinerziehende Mutter, der Mitte des Monats schon das Geld zum Leben ausgeht, oder die ältere Dame, die in ihrer kalten Wohnung lieber eine warme Jacke anzieht, statt die Heizung hochzustellen, weil dafür das Geld einfach nicht reicht. Armut trifft oft Kinder, und

Armut ist auch sehr oft weiblich. Dagegen müssen wir etwas tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Armut in Deutschland ist mit dem Begriff „Hartz IV“ verknüpft. Das ist ein Begriff, der Menschen stigmatisiert, die auf soziale Absicherung angewiesen sind. Er steht außerdem für die Gängelung durch den Staat und die Ausweglosigkeit dieser Situation.

(Zuruf von der AfD: Wer hat Hartz IV denn eingeführt? Rot-Grün!)

Hartz IV ist ein Schreckgespenst geworden, das bis weit in die Mittelschicht hinein Ängste vor sozialem Abstieg schürt.