Nun erteile ich zur Verlesung der Anfrage der Frau Abgeordneten Dr. Niewerth-Baumann das Wort. Bitte! Sie haben das Wort, Frau Kollegin.
Der Staat steht in der Verantwortung, Kriminalitätsopfern in jeder Phase des Strafverfahrens wirksam zu helfen und sie zu schützen, vor allem, wenn es um Gewaltstraftaten geht. Im Strafverfahrensrecht in Deutschland standen jedoch lange die Täterinnen und Täter sowie deren Motive im Fokus. Die Tatfolgen für die Opfer, ihre Gefühle und Ängste spielten eine untergeordnete Rolle.
Diese Vorstellungen gehören inzwischen der Vergangenheit an. Der Opferschutz ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Strafprozessrechts. In den Verfahren, die Terroranschläge oder Amokläufe zum Inhalt haben, hat sich gezeigt, dass es noch Lücken im Opferschutz gibt.
2. Gibt es in anderen Ländern ebenfalls eine zentrale Stelle und damit einen Ansprechpartner für Opferschutz?
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun antwortet für die Landesregierung Frau Justizministerin Havliza. Bitte, Frau Ministerin!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der beste Opferschutz besteht immer darin, Straftaten zu verhindern. Natürlich tun wir im Justizministerium gemeinsam mit dem Landespräventionsrat bereits eine Menge dafür, sei es beim Schutz vor Wohnungseinbrüchen oder bei der Prävention sexuellen Missbrauchs.
Kommt es aber dennoch zu einer Tat, so kommen die Betroffenen häufig erstmals in ihrem Leben mit der Justiz in Kontakt. Viele von ihnen haben hinsichtlich des auf sie nun zukommenden Verfahrens viele Fragen und sicher auch Zweifel und Ängste, weil sie befürchten, dass ausschließlich die Täterin oder der Täter im Mittelpunkt steht oder weil sie sich sorgen, dass man als Opfer mit seinen Nöten alleingelassen wird.
Es trifft fraglos zu, dass das deutsche Strafrecht auf den Täter ausgerichtet ist. Es ist eben ein Strafrecht und kein Opferrecht. Von einer Straftat Betroffene kommen, wenn sie nicht als Nebenkläger zugelassen werden, lediglich als Zeuginnen und Zeugen zu Wort, weil es im Strafverfahren vor allem darum geht, die konkrete Schuld des Täters oder der Täterin festzustellen und eine konkrete Strafe für diese Tat zu verhängen.
Dies bedeutet aber nicht, dass Opfer von Straftaten keine Rechte haben oder dass man sie nicht unterstützen könnte. Wenn Menschen durch eine Straftat verletzt worden sind, sind der Staat und die Gesellschaft sogar in der Pflicht, den Betroffenen zu helfen.
In den vergangenen Jahren konnte in Niedersachsen die Situation und Stellung von Opfern, vor allem Kriminalitätsopfern, immer weiter verbessert und gestärkt werden. Dies geschieht z. B. im gesamten Strafverfahren durch das Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung, und es geschieht außerhalb des Strafverfahrens durch Stiftungen und Opferhilfebüros, durch Beratungsstellen, durch hilfreiches Informationsmaterial für Kriminalitätsopfer und durch finanzielle Unterstützung.
Eine Situation, die Opferschutzstrukturen in besonderem Maße fordert, entsteht bei solchen Ereignissen und Straftaten, die eine große Anzahl von Verletzten nach sich ziehen. Terroranschläge und Amokläufe sind bisher glücklicherweise absolute Ausnahmen in Deutschland und in Niedersachsen.
Die traurigen Fälle, wie beispielsweise der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, zeigen, dass der Opferschutz in diesen Fällen eine ganz besondere Herausforderung ist. Denken Sie aber auch an die schrecklichen Taten in Lügde! Für solche Fälle müssen wir gewappnet sein, weil rasche Hilfe bei der Bewältigung der Folgen hilft und langfristige Belastungen der Opfer vermeiden kann.
Die Lehren aus dem Anschlag vom Breitscheidplatz und auch aus Lügde müssen bundesweit gezogen werden. Das haben wir in Niedersachsen in relativ kurzer Zeit getan.
Zu Frage 1: Das Land Niedersachsen verfügt über eine etablierte und bewährte Hilfsstruktur, die sich an alle Betroffenen von Straftaten richtet, vom Diebstahl bis hin zum Terroranschlag. Ganz generell ist zwischen psychosozialen Hilfen, finanziellen Hilfen und zentralen Anlaufstellen zu unterscheiden.
Von justizieller Seite aus sind hier insbesondere die Stiftung Opferhilfe, die bereits genannte psychosoziale Prozessbegleitung und die Fachstelle Opferschutz anzuführen.
Für schwer traumatisierte Opfer ist das TraumaNetzwerk Niedersachsen ansprechbar, welches durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie koordiniert wird.
Und - ganz wichtig - seit dem 1. November 2019 haben wir mit dem unabhängigen Landesbeauftragten für den Opferschutz zusätzlich eine zentrale Anlaufstelle im Niedersächsischen Justizministerium etabliert. Der Landesbeauftragte, Herr Leitender Oberstaatsanwalt a. D. Pfleiderer, ist heute hier anwesend. Vor ihm liegen wichtige Aufgaben. Ich denke - das hat die Präsidentin dankenswerterweise gerade betont -, dass das ganze Haus ihn bei dieser Aufgabe unterstützen wird.
Mit der Stiftung Opferhilfe verfügen wir im Flächenland Niedersachsen über eine umfassende, dezentrale Struktur des Opferschutzes. Die Stiftung wurde von der Niedersächsischen Landesregierung im September 2001 errichtet. In allen elf Landgerichtsbezirken ist ein Opferhilfebüro ansässig. So kann man von einer flächendeckenden Versorgung für alle Opfer von Straftaten sprechen.
In den Opferhilfebüros sind professionelle, kompetente und hoch qualifizierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter tätig, die den Betroffenen vor Ort beistehen und sie dabei unterstützen, ihre Rechte zu wahren. Auf diese Weise leisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen tagtäglich wertvolle Unterstützung und verantwortungsvolle Arbeit. Den Kolleginnen und Kollegen vor Ort möchte ich an die
Die psychosoziale Prozessbegleitung wird in Niedersachsen von 54 qualifizierten Fachkräften angeboten. Das Angebot erstreckt sich auf alle elf Landgerichtsbezirke. Die Fachkräfte sind regional sehr gut untereinander vernetzt.
Bei der psychosozialen Prozessbegleitung handelt es sich um eine umfassende Form der Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten wie beispielsweise Kinder und Jugendliche sowie Sexualopfer. In allen Landgerichtsbezirken stellen wir eine hohe und steigende Nachfrage nach dem Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung fest.
Meine Damen und Herren, bei der Versorgung der Opfer von Gewalttaten stehen die teilweise sehr schweren psychischen Traumatisierungen oft im Vordergrund. Das Trauma-Netzwerk Niedersachsen bietet den Betroffenen eine fachkompetente therapeutische Soforthilfe zur Behandlung ihres Traumas an.
Landesweit stehen 22 Kliniken und Institutionen für Betroffene im Erwachsenenalter sowie 10 Einrichtungen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung, denen auch im Falle von sogenannten Großschadensereignissen, also einem Anschlag oder Unglück - denken Sie beispielsweise an das Unglück bei der Love-Parade in Duisburg -, psychosoziale Unterstützung und Hilfe angeboten werden können.
Sollte es eine Vielzahl von Verletzten geben, wurde ein Notfallkonzept entwickelt, mit dem ein möglichst zügiger und reibungsloser Ablauf bei der Bearbeitung von Entschädigungsansprüchen gewährleistet werden soll.
Über all diese und weitere Angebote können sich Betroffene und Angehörige über die landeseinheitliche Internetpräsenz opferschutz-niedersach
Einen Moment, bitte, Frau Ministerin! Sie sollen die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses haben. - Ich darf Sie bitten, die Gespräche hier im Plenarsaal
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Das Land Niedersachsen ist im Bereich des Opferschutzes dezentral bereits sehr gut aufgestellt. Allerdings gilt es auch zu bedenken, dass ein Anschlag oder ein großes Unglück eine zunächst unübersichtliche und chaotische Situation darstellen kann, die zusätzlicher zentraler Ansprechstrukturen für Betroffene und Angehörige bedarf. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben daher im Juni 2018 beschlossen, dass zentrale Strukturen im Bereich des Opferschutzes sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene erforderlich sind und eingerichtet werden sollen.
Niedersachsen ist das sechste Bundesland, das nach Prüfung der vorhandenen Strukturen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Handlungsbedarf hinsichtlich der Einsetzung eines zentralen Opferschutzbeauftragten als Ansprechpartner für alle von Gewalt und Kriminalität Betroffenen sowie insbesondere für Betroffene von Großschadensereignissen besteht.
Deshalb hat das Land Niedersachsen mit Kabinettsbeschluss Herrn Leitenden Oberstaatsanwalt a. D. Thomas Pfleiderer mit Wirkung zum 1. November 2019 zum Niedersächsischen Landesbeauftragten für Opferschutz ernannt. Der Landesbeauftragte übt seine Funktion ehrenamtlich sowie sachlich unabhängig und frei von Weisungen aus. Er wird durch eine mit hauptamtlichem Personal besetzte Geschäftsstelle im Niedersächsischen Justizministerium unterstützt.
Zu Frage 2: In den Ländern ist der Aufbau entsprechender Strukturen bislang unterschiedlich weit entwickelt. Neben Niedersachsen verfügen erst fünf Länder über Opferschutzbeauftragte mit einer Geschäftsstelle. Dies sind die Länder Berlin,
Rheinland-Pfalz und Sachsen. Sachsen-Anhalt und Hessen wollen dies zum 1. Januar 2020 bzw. zum 1. April 2020 etablieren und Beauftragte oder zentrale Anlaufstellen einrichten. In den übrigen Ländern befinden sich diese Strukturen erst im Aufbau.