Protokoll der Sitzung vom 21.11.2019

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung: Offensive für Lesekompetenz - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/5065

Zur Einbringung hat sich Kollege Björn Försterling für die FDP-Fraktion gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lesen gehört zu den elementaren Kulturtechniken unserer Gesellschaft - ja, auch der zivilisierten Menschheit. Dennoch leben in Deutschland bis zu 7 Millionen Analphabeten unter uns. Wie kann das eigentlich sein in einem System, in dem seit Jahrzehnten Schulpflicht herrscht? Wie kann jemand durch die Schule gehen, und niemand erkennt, dass er Analphabet ist?

Für uns sind die Ergebnisse der jüngsten Studien schon etwas erschreckend. Nach dem IQBBildungstrend 2017 ist die Lesekompetenz der Drittklässler in Niedersachsen deutlich gesunken. Darüber hinaus wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Kinder und der Frage gibt, ob ihnen früh vorgelesen worden ist, ob sie früh lesen gelernt haben und sich vor allem auch für das Lesen begeistern konnten.

Aus unserer Sicht ist es Zeit, das Lesen etwas mehr in den Mittelpunkt zu rücken, die Grundschulen dafür entsprechend zu stärken und zu sagen: Ja, wir wollen eine Offensive für Lesekompetenz in Niedersachsen.

(Beifall bei der FDP)

Sie beinhaltet im Wesentlichen folgende Bausteine:

Wir meinen, in der Grundschule muss eine Stunde Deutschunterricht mehr eingeplant werden als bisher. Aus unserer Sicht ist das machbar und auch wichtig; denn genau dort wird das Lesen gelernt.

Wir wollen auch die Deutschförderung in den nächsten Jahren deutlich ausbauen. Jeder von Ihnen wird am Freitag der vergangenen Woche, am Bundesweiten Vorlesetag, unterwegs gewesen sein. Dabei stellt man nicht nur fest, dass Kinder immer fasziniert sind, wenn man ihnen etwas vorliest, dass sie begeistert zuhören, sodass man immer das Gefühl hat, dass eigentlich viel zu wenig vorgelesen wird. Man merkt auch, dass es in den Grundschulen ganz heterogene Gruppen gibt. Deshalb haben die Grundschulen tatsächlich einen hohen Zeitbedarf, um den Kindern gerecht zu werden. In die Schule werden Kinder eingeschult, die schon lesen können, und Kinder, die in der Schule zum ersten Mal mit Schriftsprache in Berührung kommen. Um diese Breite auffangen zu können, braucht die Schule mehr von der Ressource Zeit. Das macht sich in Unterrichtsstunden und Förderstunden bemerkbar. Hier wollen wir einen Ausbau gewährleisten.

Bei unseren Besuchen in den Schulen stellen wir leider auch immer wieder fest, dass es um so manche Schulbücherei gar nicht so gut bestellt ist. Gerade für die Grundschulen stellt sich dann die Frage, ob es einen starken Elternverein und ein entsprechendes Engagement vor Ort gibt, oder ob es ein solches Engagement nicht gibt, sodass die Grundschulen gar nicht die Möglichkeit haben, den Schülerinnen und Schülern mal Bücher mitzugeben, das Programm Antolin einzusetzen oder auch mal Klassensätze z. B. der Zeitschrift GEOlino zu kaufen. Damit kann man die Schülerinnen und Schüler nicht nur für das Lesen bzw. für das Fach Deutsch begeistern, sondern auch für andere Fächer.

Deswegen halten wir es für wichtig, alle Grundschulen in Niedersachsen pro Schuljahr mit 1 000 Euro für die Schulbüchereien auszustatten. Das ist in der Summe ein Finanzbedarf von rund 1,7 Millionen Euro. Ich glaube, das ist es wert.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Ich denke, den Grundschulen wäre damit deutlich geholfen.

Wir wollen aber auch all denjenigen danken, die heute schon in den Grundschulen unterwegs sind als Lesepaten, als Lesegroßeltern usw. - also all den ehrenamtlichen Lesementoren, die unterwegs sind. Dank und Anerkennung kann man natürlich mündlich zum Ausdruck bringen, aber es sollte auch eine Wertschätzung erfolgen, indem Fort- und Weiterbildungsangebote auf den Weg ge

bracht werden. Ich glaube, diese Lesementoren sind schon sehr motiviert. Ihre Motivation können wir mit entsprechenden Fort- und Weiterbildungsangeboten noch stärken, sodass ihr Einsatz den Schülerinnen und Schülern in unseren Grundschulen noch mehr bringt.

Von daher hoffe ich, dass wir in den Beratungen im Kultusausschuss gemeinsam einen Weg finden, um das Lesen in Niedersachsen zu stärken. Am Ende ist das die elementare Kulturtechnik. Wahrscheinlich wäre niemand von uns hier, der nicht lesen könnte. Wir lesen den ganzen Tag - nicht nur langweilige Drucksachen. Es gibt so schöne Sachen, die man lesen kann. Die deutsche Sprache ist ein so wundervoller Schatz. Gestern Abend bei der Verabschiedung von Frau Thies, der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen Niedersachsen, haben die Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse das Gedicht „Herbst“ von Theodor Storm vorgetragen. Ich erspare Ihnen das, aber empfehle Ihnen, es zu lesen. Da erkennen Sie den Schatz der deutschen Sprache.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kollege Försterling. - Für die CDU-Fraktion erhält nun Kollegin Anette Meyer zu Strohen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lesen bildet - so sagt man. Für viele Kinder, aber auch Erwachsene ist Lesen eines der schönsten Hobbys. Man wird vielleicht ruhiger, kann dem Alltag entfliehen. Man kann in andere Welten und Geschichten reisen - unserer Fantasie sei Dank. Doch bei diesem Hobby passiert noch viel mehr. Wenn Kinder regelmäßig lesen, steigern sie ganz nebenbei ihre Konzentrationsfähigkeit, erweitern ihren Wortschatz und entwickeln ein eigenes Gefühl für Schrift und Sprache.

Lesen ist - neben Rechnen und Schreiben - eine der drei elementaren Grundkompetenzen. Deshalb kann ich auch einige Punkte aus dem vorliegenden Antrag unterstützen. Je früher und je besser unsere Kinder lesen lernen, umso mehr Gewinn können sie daraus für ihr späteres Leben ziehen. Lesen ist schlichtweg unabdingbar für einen erfolgreichen Bildungsweg und ein elementarer Grundstein für das spätere Berufsleben. Daneben ist Lesen - vor

allem auch Lesekompetenz - unverzichtbar für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben.

Ein weiterer Aspekt, bei dem die Lesekompetenz zum Tragen kommt, ist die freie Meinungsbildung. Ohne hinreichende Lesefähigkeiten ist es bei der heutigen Informationsflut kaum möglich, sich ein differenziertes Meinungsbild zu den unterschiedlichsten Themenkomplexen zu machen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns der Förderung dieser Grundkompetenz widmen.

Aber das machen wir auch schon. In Niedersachsen gibt es schon zahlreiche Projekte und Initiativen - einige wurden vorhin schon erwähnt -, die zur Verbesserung der Lesekompetenz unserer Kinder beitragen. Seit 2004 haben wir die Akademie für Leseförderung; diese ist in Deutschland einzigartig. Getragen vom Kultusministerium und vom Wissenschaftsministerium, will sie Lesefreude wecken, Lesekompetenz stärken und das Lesen fördern. Die Lesementoren- und Lesepatenprogramme werden auch bereits besonders gefördert; sie wurden vorhin schon hervorgehoben. Außerdem ist ein landesweites Netzwerk zur Leseförderung geschaffen worden, das kontinuierlich ausgebaut wird. Weiter- und Fortbildungsangebote sind schon heute elementarer Bestandteil des Veranstaltungsprogrammes. Will man das Lesen landesseitig fördern, wäre das hier sicherlich eine richtige Anlaufstelle.

Das Lesepatenprogramm läuft übrigens in meiner Heimatstadt Osnabrück bereits sehr gut. Engagierte Ehrenamtliche kommen für ein bis zwei Stunden in die Grundschule, um dort individuell mit Schülern und Schülerinnern das Lesen zu üben. Ebenso können die Lesepaten in vielen Grundschulen auf gute Schulbüchereien zurückgreifen. Wir haben auch noch einen Bücherbus, der regelmäßig durch alle Stadtteile fährt, in dem sich Eltern und Kinder Bücher ausleihen können. Eine finanzielle Verbesserung der Ausstattung, wie unter Nr. 2 aufgegriffen, könnte diese Projekte natürlich stärken.

In der letzten Woche - das war überall klasse - fand wieder der Vorlesetag statt. Auch hier wird natürlich das Ziel verfolgt, Lesefreude und Leseinteresse zu wecken.

Lesen ist neben Schreiben und Rechnen jedoch nur eine der drei Grundkompetenzen, und diese sollten die Kinder natürlich Ende der 4. Klasse beherrschen. Das Kultusministerium hat bereits einiges veranlasst, damit nun alle diese drei ele

mentar wichtigen Grundkompetenzen bei den Grundschülerinnen und -schülern gestärkt werden. Die Lehrpläne für die Fächer Deutsch und Mathe an den Grundschulen wurden bereits überarbeitet. Ab der 5. Klasse haben die Lehrkräfte auch schon neue Materialien zum Rechtschreibunterricht bekommen. Das sind schon einmal erste und wichtige Maßnahmen, die helfen, die Rechtschreibkenntnisse unserer Kinder zu verbessern.

Zurzeit werden weitere Maßnahmen und Projekte zur erfolgreichen Vermittlung der Grundkompetenzen erarbeitet. Zwei Beispiele: Das neue Programm - das kennt auch Herr Försterling - „Lesen macht stark“, das neue Akzente der Leseförderung im Unterricht setzt, und die Etablierung von Schülerwettbewerben zur Rechtschreibung.

Liebe FDP, ich weiß nicht, ob der Vorschlag, im Primarbereich eine Stunde Deutsch pro Woche mehr einzuführen, tatsächlich umsetzbar ist. Wo wollen wir die zusätzliche Stunde herkriegen? Oder wir müssten eine Stunde streichen oder ganz viele zusätzliche Lehrkräfte bekommen. Das erscheint mir doch nicht sehr realistisch.

Über die Leseförderung in digitalen Medien haben wir gestern schon gesprochen. Ein Antrag ist verabschiedet worden.

Meine Damen und Herren, die Leseförderung in Niedersachsen stärken zu wollen, ist gut und richtig. Jedoch sollte man die Leseförderung immer nur im Kontext der drei Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen sehen. Die IQB-Studie - das wurde vorhin schon aufgeführt - hat noch große Defizite in den Kompetenzfeldern Zuhören, Orthographie und Mathematik aufgezeigt. Hier bestehen also insgesamt noch Förderbedarfe. Wie wir alle diese fördern können und bei welchen Vorschlägen der FDP wir uns dabei einig werden, werden wir im Ausschuss sehen und, ich denke, auch gemeinsam gut beraten.

Ich sehe also dieser Beratung über die Förderung dieser Grundkompetenzen unserer Kinder mit großem Interesse entgegen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe, wir kommen zu einem guten Beschluss. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank. - Jetzt erhält Frau Kollegin Kerstin Liebelt für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen werden in den niedersächsischen Grundschulen täglich unseren jüngsten Schülerinnen und Schülern erfolgreich vermittelt. Die vielen engagierten Lehrkräfte leisten hier eine herausragende Arbeit, um die Kinder für die weiterführenden Schulen fit zu machen, aber auch - das ist noch wichtiger -, um sie auf ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.

Leider gibt es immer mehr Kinder, denen nicht mehr zu Hause vorgelesen, nicht diese Freude am Lesen vermittelt und damit auch der Zugang zu Bildung und einer völlig neuen Welt verschlossen wird. Die meisten von uns waren am 15. November unterwegs und haben kleinen Kindern oder - wie ich - Senioren vorgelesen. Gerade bei kleinen Kindern merkt man, wie begeistert sie bei der Sache sind: „Noch eine Geschichte! Noch eine Geschichte!“ Gerade auch die persönliche Interaktion mit dem, der vorliest, ist wichtig.

Leider ist es so, dass nicht nur in sogenannten bildungsfernen Schichten nicht vorgelesen wird, sondern das passiert in immer mehr Familien. Mit Entsetzen habe ich letztens im entfernten Bekanntenkreis eine Familie kennengerlernt, da wurde dem achtjährigen Kind eine „Alexa“ geschenkt, damit sie abends die Geschichten vorlesen kann. Das ist sicher nicht der Weg, den wir haben wollen, sondern das Vorlesen von Mensch zu Mensch ist das, wie wir unsere Kinder für das Lesen und damit für einen erfolgreichen Bildungsweg fähig machen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Denn gerade die Fähigkeit des sinnentnehmenden Lesens ist unabdingbar für diesen späteren Erfolg im Bildungsleben, aber auch im weiteren Leben.

In der letzten IQB-Studie wurde festgestellt, dass leider 13 % der niedersächsischen Schülerinnen und Schüler am Ende der 4. Klasse noch Probleme beim Lesen haben. Dieses Ergebnis ist natürlich nicht zufriedenstellend. Da wollen wir uns auch nicht ausruhen. Wir wollen dazu beitragen, dass die Lesekompetenz dieser Kinder weiter verstärkt wird.

Insofern stimme ich mit Ihnen, Herr Försterling, überein. Aber in einigen Punkten, wie Sie dieses erreichen wollen, sind wir doch noch etwas auseinander.

Einige Punkte haben wir schon umgesetzt. Natürlich kann man auch hier noch mehr machen. Das ist völlig klar. So gibt es natürlich, wie erwähnt wurde, Fortbildungen in der Mediennutzung für Lehrerinnen und Lehrer. Die Einbindung von Lesementoren findet in vielen Schulen in hervorragender Art und Weise statt. Auch Lesewettbewerbe, die die Kinder mit Begeisterung in den Grundschulen mitmachen, können hier noch weiter gefördert und ausgebaut werden.

Allerdings würde der erste Punkt, den Sie angeführt haben, im Primarbereich verpflichtend eine weitere Stunde Deutsch pro Woche für jeden Jahrgang einzurichten, allein ca. 520 Vollzeitlehrerstellen bedeuten. Ganz davon abgesehen: Wie soll man das in die Stundentafeln, die es im Moment gibt, noch einfügen?

(Björn Försterling [FDP]: Das ist das geringste Problem!)

Ich habe das Gefühl, dass Sie so ein bisschen diese Forderung stellen und sagen, das kann man natürlich ganz leicht umsetzen. Ich glaube aber, Sie wissen, die Landesregierung ist auf einem sehr guten Weg, die Lehrerversorgung weiter zu verbessern. Dann mal eben über 500 Lehrer zusätzlich zu fordern, konterkariert das Ganze natürlich.

Sie wissen auch, dass diese Lehrer nicht auf den Bäumen wachsen. Das ist aber zum Glück für jeden, der sich mit dem Thema Schule auseinandersetzt, auch durchschaubar. Ich glaube, das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in Politik, die sich mit diesem Thema befassen, wird nicht unbedingt gestärkt, wenn solche Forderungen gestellt werden.

Bei dem Ziel, das Sie genannt haben, sind wir uns einig, die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler zu verbessern und auch hier die Schulen zu unterstützen. Über die Schritte, wie wir dieses Ziel erreichen können, um die Kinder zu stärken, aber auch den Lehrern eine Hilfestellung zu geben, werden wir sicher im Ausschuss konstruktiv und ausführlich miteinander diskutieren. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)