Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr gerne beantworte ich Ihre Fragen.
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung der Landesregierung zum Maßregelvollzug: Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB wird von einem Gericht angeordnet, wenn die Täterin oder der Täter die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und wenn die Gesamtwürdigung der Täterin oder des Täters und ihrer oder seiner Tat ergibt, dass von ihr oder ihm infolge ihres oder seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden können oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet werden kann, zu erwarten sind und sie oder er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Ziel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist es, die untergebrachte Person so weit wie möglich zu heilen oder deren Zustand so weit zu bessern, dass sie nicht mehr gefährlich ist.
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB soll von einem Gericht angeordnet werden, wenn die Gefahr besteht, dass die Straftäterin oder der Straftäter infolge ihres oder seines Hanges, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, erhebliche rechtswidrige Straftaten begehen wird. Ziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist es, die untergebrachte Person von ihrem Hang zu heilen und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben.
Beide Maßregeln dienen gleichzeitig dem Schutz der Allgemeinheit und sollen die untergebrachte Person auf eine eigenständige Lebensführung nach der Unterbringung vorbereiten. Die Entscheidung, ob verurteilte Straftäter oder Straftäterinnen aufgrund ihrer Gefährlichkeit sofort in Haft genommen oder von dort in den Maßregelvollzug überführt werden müssen, trifft das zuständige Gericht, und es liegt dann ein Haft- oder Unterbringungsgrund vor.
Bei den in der Presseberichterstattung genannten 79 straffälligen Personen, die sich derzeit auf frei
em Fuß befinden und auf einen Platz im Maßregelvollzug warten, wurde eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, die zur sofortigen Inhaftierung geführt hätte, nicht erkannt.
Sie fragten erstens, wie viele der Straftäter, die von einem Gericht nach § 63 oder 64 StGB verurteilt wurden, in den letzten fünf Jahren in Freiheit auf ihren Therapieantritt in Niedersachsen warten mussten - aufgeschlüsselt nach Jahren.
In der Regel werden Personen, für die eine Maßregel nach § 63 StGB angeordnet wurde, unverzüglich in den Maßregelvollzug aufgenommen. Personen, für die eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet wurde, warten zurzeit durchschnittlich acht Monate auf einen Therapieplatz. Das gilt nicht für Personen, die von den Gerichten als besonders gefährlich eingestuft wurden und sich daher in Untersuchungshaft oder in einer einstweiligen Unterbringung nach § 126 StPO befunden haben. Diese verbleiben in Haft, bis ein Therapieplatz zur Verfügung steht.
In der Vergangenheit wurde keine Statistik über die Anzahl der in Freiheit auf den Beginn einer Maßregel nach § 64 StGB wartenden Personen geführt. Erst mit der Einführung einer zentralen Belegungssteuerung, die wir seit dem 1. Oktober dieses Jahres haben, liegen hierzu Daten vor. Demnach warteten am 1. Oktober 2019 eine Person mit einer Anordnung zu einer Maßregel gemäß § 64 StGB aus dem Jahr 2017, 31 Personen mit einer Anordnung zur Maßregel nach § 64 StGB aus dem Jahr 2018 und 55 Personen mit einer Anordnung zu einer Maßregel nach § 64 StGB aus dem Jahr 2019.
Sie fragten zweitens, wie viele und welche Straftaten von dem benannten Personenkreis während des Wartens auf den Therapieplatz in den letzten fünf Jahren begangen wurden.
Um festzustellen, ob und gegebenenfalls welche Straftat eine Person während der Zeit begangen hat, in der sie auf die Unterbringung im Maßregelvollzug gewartet hat, müsste eine händische Auswertung der Strafvollstreckungsbehörden erfolgen. Strafvollstreckungsbehörden sind regelmäßig die Staatsanwaltschaften. Im Falle der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung im Jugendstrafverfahren liegt die Vollstreckungsleitung bei dem zuständigen Amtsgericht.
Maßregel der Besserung und Sicherung waren. Darüber hinaus müssten auch etwaige weitere Verfahrensakten ausgewertet werden, um festzustellen, ob die jeweilige Tatzeit innerhalb der Wartezeit liegt. Dabei könnten Straftaten, die die betroffene Person außerhalb des eigenen Landgerichtsbezirks der Strafvollstreckungsbehörde, also im Bundesgebiet, während der Wartezeit begangen hat, von vornherein nicht erfasst werden.
Eine derart aufwendige Ermittlung kann insbesondere angesichts des fünfjährigen Abfragezeitraumes und der Größe des betroffenen Personenkreises im Rahmen der für die Beantwortung einer Dringlichen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht geleistet werden. Zudem gebe ich zu bedenken, dass damit ein Aufwand verbunden wäre, der angesichts der Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften nicht ohne Zurückstellung ihrer Kernaufgabe, nämlich der zügigen und nachhaltigen Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, erbracht werden könnte.
Sie fragten drittens, welche Maßnahmen und gegebenenfalls an welchen Standorten die Landesregierung die Erhöhung der Anzahl der Unterbringungsplätze für den Maßregelvollzug plant.
Die Landesregierung prüft derzeit intensiv alle Möglichkeiten, wie die Aufnahmekapazitäten sowohl kurz- als auch mittel- und langfristig erhöht werden können. Dabei werden grundsätzlich alle bestehenden Standorte in Niedersachsen einbezogen.
Für eine kurzfristigere und effektivere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten haben wir seit dem 1. Oktober eine zentrale Belegungssteuerung eingerichtet. Kurzfristig prüfen wir provisorische bauliche Lösungen wie z. B. das Aufstellen von Containern oder den Aufbau von Gebäuden in Modulbauweise. Wir prüfen auch die kurzfristige Nutzung zusätzlicher bestehender Gebäude, die zuvor in ähnlicher Form für Vollzugsaufgaben gedient haben. Mittelfristig prüfen wir die Weiterentwicklung aller vorhandenen Standorte mit dem Ziel, ein Wachstum der Standorte zu ermöglichen und die vorhandenen Strukturen zu nutzen. Langfristig prüfen wir die Realisierung einer neuen Behandlungseinheit.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die AfD-Fraktion stellt der Abgeordnete Bothe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Ministerin für das kreative Beantworten der Dringlichen Anfrage.
Vor dem Hintergrund, dass Sie festgestellt haben, dass die Maßregelvollzugspatienten, die draußen warten, nicht gefährlich sind, frage ich Sie, wie Sie es bewerten, dass im Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz klar definiert ist, dass jemand nur dann zu einer Maßregel verurteilt werden kann, wenn seine Gefährlichkeit für die Gesellschaft festgestellt ist. Sie sagen hier, es liege keine Gefährlichkeit vor, und deswegen könnten sie draußen auf ihren Therapiebeginn warten. Andererseits spricht die Verurteilung dagegen. Wie bewerten Sie das?
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich hatte gerade ausgeführt, dass eine Maßregel angeordnet werden kann, wenn die Person eine psychische Erkrankung oder eine Abhängigkeitserkrankung hat. Das Ziel der Maßregel ist dann, die Erkrankung oder auch die Sucht oder Abhängigkeit so weit zu heilen, dass die entsprechende Person auf ein Leben nach der Unterbringung vorbereitet werden kann.
Ich hatte auch ausgeführt, dass die Richter bzw. die Gerichte die Entscheidung treffen, ob die Maßregel unverzüglich anzutreten ist bzw. ob eine entsprechende Unterbringung in einer Haftanstalt notwendig ist. Das müssen die Gerichte in Anbetracht der Person und in einer Gesamtschau beurteilen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Gerichte das umfassend gewährleisten.
Vielen Dank. - Auch die zweite Zusatzfrage für die AfD-Fraktion stellt der Abgeordnete Bothe. Bitte!
(Jens Nacke [CDU]: Das ist übrigens keine Verurteilung, Herr Kollege! Da sollten Sie sprachlich sauber sein!)
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, ich frage Sie vor dem Hintergrund Ihrer Beantwortung: Wie viele neue Therapieplätze hat die Landesregierung vor, in den nächsten Jahren konkret zu schaffen? Sie sprachen von Prüfaufträgen. Gibt es konkrete Planungen zur Ausweitung der Zahl der Therapieplätze in Niedersachsen, und wenn ja, wo?
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Lassen Sie mich mit einem Blick auf die bestehenden Kapazitäten und auf das, was in den letzten Jahren gemacht worden ist, beginnen. Wir haben zurzeit 1 231 Planbetten in Niedersachsen. Wir haben damit begonnen, die tatsächlichen Kapazitäten sehr effizient zu nutzen. Das bedeutet z. B., dass auch Plätze, die früher für Rückkehrer z. B. aus dem Probewohnen vorgehalten wurden, genutzt werden. Damit therapieren wir rund 100 Personen mehr im Maßregelvollzug, als wir Planbetten haben.
Seit dem Jahr 2007 sind insgesamt 188 Planbetten hinzugekommen. Das ist ein Aufwuchs der Kapazitäten um 20 %. Ferner haben wir Behandlungsplätze für Patientinnen und Patienten nach § 63 StGB - Patienten mit psychischen Erkrankungen - in Behandlungsplätze für Patientinnen und Patienten nach § 64 StGB - Patienten mit Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen - umgewandelt. Außerdem haben wir - das hatte ich schon erwähnt; das ist neu - im Oktober eine zentrale Belegungssteuerung eingerichtet, um alle Kapazitäten effizient zu nutzen.
Wir prüfen die kurzfristige Erweiterung der Kapazitäten an allen Standorten; z. B. prüfen wir - das hatte ich erwähnt -, ob Container aufgestellt werden können oder anderweitig erweitert werden
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin, gibt es Absprachen oder Arbeitskreise mit anderen Bundesländern, bei denen es um mögliche Kooperationen geht, sodass diese beispielsweise Therapieplätze für niedersächsische Maßregelvollzugspatienten stellen, also Patienten übernehmen, sodass Entlastung geschaffen werden könnte?
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ja, es gibt bereits eine länderübergreifende Zusammenarbeit. Gegenwärtig werden 21 Patientinnen und Patienten aus Niedersachsen in anderen Bundesländern untergebracht. Es gibt auch bei uns Anfragen aus anderen Bundesländern. Dann prüfen wir, ob in geeigneten Fällen Straftäterinnen und Straftäter im Maßregelvollzug anderer Bundesländer in unseren Einrichtungen untergebracht werden. Diese Kooperation gibt es.
Alle Bundesländer befinden sich in einer ähnlichen Situation, muss ich dazu sagen. Wir verzeichnen eine Zunahme von Zuweisungen nach § 64 StGB; das kann man bundesweit erkennen und beobachten. Deswegen gibt es diese Kooperation.