Protokoll der Sitzung vom 17.12.2019

Vielen Dank.

(Stephan Bothe [AfD] meldet sich)

- Herr Kollege Bothe, wenn Sie sich zu Wort melden möchten, müssen Sie Ihre Wortmeldung auch hier vorne abgeben. Normalerweise macht man das vorher.

(Stephan Bothe [AfD]: Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin!)

Aber bitte, weil bald Weihnachten ist!

Ich danke Ihnen ganz herzlich, Frau Präsidentin, für dieses Weihnachtsgeschenk.

Frau Ministerin, ich frage vor dem Hintergrund der immer noch offenen Frage nach den Patienten, die draußen auf ihre Therapie warten: Plant die Landesregierung die Ausweitung der Zahl von Organisationshaftplätzen für parallel verurteilte Straftäter, die in den JVAs auf den Therapiebeginn warten?

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke. - Für die Landesregierung antwortet Frau Justizministerin Havliza. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Organisationshaftplätze in diesem Sinne gibt es nicht. Organisationshaft bedeutet, dass jemand, der auf den Vollzug einer Maßregel wartet, vorübergehend in Haft genommen werden kann, wenn das vonnöten ist. Dann sind für diesen Fall natürlich auch Haftplätze vorhanden, sodass der Betreffende in Haft genommen werden kann. Da ist keine Ausweitung zu planen.

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Besprechung der Dringlichen Anfrage der AfD-Fraktion schließe.

Ich eröffne

e) Ist der Maßregelvollzug in Niedersachsen überbelegt? - Anfrage der Fraktion der FDP - Drs. 18/5372

Die Anfrage wird von Frau Kollegin Bruns eingebracht. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Ist der Maßregelvollzug in Niedersachsen überbelegt?

Am 4. und 5. Dezember 2019 berichteten mehrere Zeitungen, dass in Niedersachsen momentan 103 verurteilte Straftäter auf einen Platz im Maßregelvollzug warten und sich 79 von ihnen deshalb auf freiem Fuß befänden.

Anlass der Berichterstattung war ein im April dieses Jahres zum Maßregelvollzug verurteilter Mann, der sich aufgrund der Belegsituation in den Maßregelvollzugsanstalten noch auf freiem Fuß befand.

Der Mann hatte seinen Führerschein bereits wegen mehrfachen Fahrens unter Alkoholeinfluss verloren, fuhr aber dennoch erneut Auto. Bei einer Fahrt waren seine drei Neffen und deren 14jähriger Freund dabei. Es kam zu einem Unfall, den der 14-Jährige nicht überlebte.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Was unternimmt die Landesregierung konkret, um mehr Plätze im Maßregelvollzug zu schaffen?

2. In wie vielen Fällen hat sich in den Jahren 2017 und 2018 und im ersten Halbjahr 2019 im Verlauf des Maßregelvollzugs herausgestellt, dass die der Anordnung des Maßregelvollzugs zugrunde liegende Krankheit nicht mehr oder nicht vorlag und sich deshalb die Maßregel erledigt hat?

3. Welche maximale Dauer der Organisationshaft hält die Landesregierung für akzeptabel?

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bruns. - Für die Landesregierung antwortet Frau Sozialministerin

Dr. Reimann. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerne beantworte ich die Fragen.

Lassen Sie mich auch hierzu eine Vorbemerkung machen: Personen, bei denen eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet wurde, warten in Freiheit auf die Aufnahme in den Maßregelvollzug, es sei denn, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine

Anordnung von Untersuchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung liegen vor. Die Anordnung einer einstweiligen Unterbringung setzt voraus, dass die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Beschuldigte weitere rechtswidrige Taten von solcher Schwere begehen wird, dass der Schutz der Allgemeinheit die einstweilige Unterbringung gebietet.

In dem oben genannten Fall war der tödliche Unfall Ursache für die Anordnung der Maßregel und nicht die Folge des Wartens auf die Maßregel.

Zu Ihrer ersten Frage: Was unternimmt die Landesregierung konkret, um mehr Plätze im Maßregelvollzug zu schaffen?

Ich hatte schon zur anderen heute behandelten Dringlichen Anfrage ausgeführt, dass wir zurzeit intensiv alle Möglichkeiten prüfen, wie die Aufnahmekapazitäten kurz-, mittel- und langfristig erhöht werden können. Dafür werden grundsätzlich alle bestehenden Standorte in Niedersachsen einbezogen.

Kurzfristig geht es um die effektive Nutzung aller möglichen Kapazitäten - deswegen auch die zentrale Belegsteuerung seit dem 1. Oktober dieses Jahres. Kurzfristig geht es auch um provisorische bauliche Lösungen, z. B. das Aufstellen von Containern oder der Aufbau von Gebäuden in Modulbauweise.

Mittelfristig geht es um die Nutzung zusätzlicher bestehender Gebäude, die zuvor in ähnlicher Form für Vollzugsaufgaben gedient haben. Mittelfristig geht es auch um die Weiterentwicklung aller vorhandenen Standorte mit dem Ziel, ein organisches Wachstum an den Standorten zu ermöglichen und die vorhandene Struktur zu nutzen.

Langfristig geht es auch um die Realisierung einer neuen Behandlungseinheit.

Zu Ihrer zweiten Frage: In wie vielen Fällen hat sich im Verlauf des Maßregelvollzugs herausgestellt, dass die der Anordnung des Maßregelvollzugs zugrunde liegende Erkrankung nicht oder nicht mehr vorlag und sich deshalb die Maßregel erledigt hat?

Es gibt zu den Erledigungen von Maßregeln keine landesweite Statistik. Diese Daten müssten bei den Einrichtungen einzeln erhoben werden. Die Maßregelvollzugseinrichtungen differenzieren in ihren Entlassstatistiken nicht nach den Gründen einer Erledigung der Maßregel.

In der Kürze der Zeit konnte nur von einer Klinik die Anzahl der erledigten Maßregeln erfragt werden, nämlich vom Fachkrankenhaus Bad Rehburg, das 75 Planbetten aufweist und ausschließlich Entzugsbehandlungen durchführt. Im Jahre 2017 wurden dort 28 Maßregeln nach § 64 StGB erledigt, im Jahre 2018 waren es 26, und im ersten Halbjahr 2019 waren es 19.

Insgesamt ist nach Berichten der Klinikdirektoren davon auszugehen, dass rund 50 % aller Unterbringungen nach § 64 StGB wegen Aussichtslosigkeit erledigt werden.

Drittens haben Sie gefragt: „Welche maximale Dauer der Organisationshaft hält die Landesregierung für akzeptabel?“

Die sogenannte Organisationshaft ist die Zeitspanne, die eine Person, für die durch rechtskräftige Entscheidung eine Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet worden ist, bis zur Überstellung in den Maßregelvollzug im Strafvollzug verbringt. Gesetzlich normiert ist diese Organisationshaft nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch mit seiner Grundsatzentscheidung zur Organisationshaft vom 26. September 2005 die Notwendigkeit einer vorübergehenden Vollstreckung von Organisationshaft aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen anerkannt. Es hat auch festgestellt, dass es nicht von Verfassung wegen geboten ist, dass bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns ein für den jeweiligen Verurteilten geeigneter Platz in einer Maßregeleinrichtung vorgehalten wird. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch zugleich das Erfordernis betont, dass die Vollstreckungsbehörde „um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug“ bemüht sein muss. Es hat die bestehende gerichtliche Praxis, generell eine Zeitspanne von drei Monaten Organisationshaft für zulässig zu erachten, ausdrücklich beanstandet.

Die Rechtsprechung trägt dem inzwischen Rechnung. In einer unveröffentlichten Entscheidung vom 7. Mai 2019 hat das Oberlandesgericht Hamm angenommen, dass ungeachtet der notwendigen Betrachtung des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Freiheitsrechte des Verurteilten der weitere Vollzug der Organisationshaft im Regelfall nur innerhalb einer Zeitspanne von nicht mehr als sechs Wochen nach Eintritt der Rechtskraft zulässig sei. Es sei eine Rechtspflicht der Verwaltung und der Haushaltsgesetzgeber in den Ländern, die

praktische Vollstreckbarkeit von Strafurteilen sicherzustellen.

Diese Tendenz lässt auch ein aktueller, ebenfalls unveröffentlichter Beschluss einer niedersächsischen Strafvollstreckungskammer erkennen. In dieser Sache hat das Landgericht Hildesheim mit Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils die Organisationshaft für unzulässig erklärt.

Die Angemessenheit der Dauer von Organisationshaft kann daher im Ergebnis nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Die Landesregierung trägt dem Rechnung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die FDP-Fraktion stellt der Abgeordnete Försterling. Bitte, Herr Kollege!