Protokoll der Sitzung vom 17.12.2019

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Das ist leider nichts Neues. Wir erleben seit Jahren in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zunehmende Polarisierungen. Brüche und Verwerfungen treten an Stellen zutage, an denen wir sie ganz grundsätzlich und mindestens in dieser Ausprägung noch vor Kurzem nicht erwartet hätten.

Individualisierung, in unseren Tagen vor allem auch technik- und medial getrieben, wird als Phänomen der Moderne seit Langem beobachtet. In der Tat sind Lagerbildung, gesellschaftliche Blasen, Mangel an Austausch, Korrektivlosigkeit, moralische Überlegenheit und das angenommene Recht auf Widerspruchsfreiheit Ausdruck des Individualismus unserer Zeit.

Der Zeitgeist wird durch einen mitunter religiös anmutenden Alleinanspruch auf Wahrheit und durch angeblich nicht verhandelbare politische Lösungen zum Ausdruck gebracht. Stets ist es fünf nach zwölf. Und so werden uns nur das sofortige Ende des Verbrennungsmotors und nur der sofortige Stopp der Aufnahme von Geflüchteten retten.

Meine Damen und Herren, das sind natürlich nur zwei von vielen abstrusen und radikalen Forderungen, wie wir sie in diesen Tagen wieder vernehmen können.

Untergangsszenarien von Klimakatastrophe bis Bevölkerungsaustausch haben stets eines gemeinsam: Wer die begründeten wie unbegründeten Ängste der Menschen für den eigenen kurzfristigen politischen Erfolg auszunutzen versucht, wer einfache Lösungen auf komplexe Fragen verspricht, wer meint, durch Ausgrenzung Andersdenkender die eigenen Reihen schließen zu können, oder wer die untere Mittelschicht für das schlechte Gewissen einer plötzlich ökologisch orientierten Oberschicht zahlen lassen will, der hat eines bereits verloren: den Anspruch, die gesamte Bevölkerung vertreten zu wollen und vertreten zu können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Klientel- und Partikularinteressen zu vertreten, ist per se kein Makel.

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

Im Gegenteil, das gehört zu unserer pluralistischen Gesellschaft, die wir alle schätzen und erhalten wollen. Und über Jahrzehnte waren Parteien, die diese Interessen vertreten haben, ein wichtiges Korrektiv der beiden großen Volksparteien,

(Anja Piel [GRÜNE]: Jetzt kommen wir nämlich zu Ihrer offenen Wunde!)

sei es beim Umwelt- und Naturschutz, sei es bei den Bürgerrechten oder dem Mut, hin und wieder den Gesetzen des Marktes stärker zu vertrauen.

(Zuruf von Christian Meyer [GRÜNE])

Seither hat sich viel verändert: Die Welt, wie wir sie lange kannten, scheint aus den Fugen geraten. Eine große Demokratie wählt einen offensichtlichen Lügner zu ihrem Präsidenten. Eine seit Jahrhunderten bedeutende Handelsnation verlässt die Europäische Union. Die Weltgemeinschaft findet keinen gemeinsamen Weg zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes; Frau Piel, da gebe ich Ihnen durchaus recht. Konflikte und Bürgerkriege in unserem unmittelbaren geopolitischen Umfeld führen zu lange nicht mehr gesehenen Fluchtbewegungen direkt vor unserer Haustür. Und ein Ende ist nicht absehbar.

Meine Damen und Herren, angesichts der Komplexität dieser weltweiten Herausforderungen kann es keine einfachen Lösungen geben. Und doch erwecken viele im öffentlichen Diskurs den Eindruck, nur er oder sie allein besitze die Deutungshoheit über den Klimaschutz, über Fragen der Migration oder über die einzig richtigen Zukunftsinvestitionen.

Liebe Kritikerinnen und Kritiker von Grünen, AfD und auch FDP: Die Welt besteht nicht nur aus diesen drei Überschriften. Es sind wichtige Überschriften, die unseren Diskurs bestimmen, und Sie können sich sicher sein, dass sich die Koalition in Niedersachsen ihrer annimmt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Aber unser Mittel ist eben nicht die Konfrontation, ist eben nicht das Spiel mit den Ängsten der Menschen, ob ihr Arbeitsplatz morgen noch sicher ist oder ob der alle Grenzwerte einhaltende neue Diesel schon nächstes Jahr verschrottet werden muss.

(Zuruf von Anja Piel [GRÜNE])

Unser Ziel ist nicht die soziale und politische Spaltung dieses Landes, sondern ein neuer Zusammenhalt vor dem Hintergrund komplexer und weltweiter Verwerfungen - Verwerfungen, von denen die Menschen ganz genau wissen, dass sie sich ihnen werden stellen müssen. Wir wollen nicht wie andere mit dem Kopf durch die Wand, sondern mit Köpfchen zum Erfolg.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD - Anja Piel [GRÜNE] lacht)

Ihnen hingegen, liebe Frau Piel, fehlt doch der Anspruch, der Komplexität dieser Fragen gerecht zu werden und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Ganz bewusst sprechen Sie nur

Ihre mehr oder weniger große Klientel und deren Bedürfnisse an,

(Anja Piel [GRÜNE]: Wir haben doch auch über die Bauern gesprochen! Das stimmt doch gar nicht!)

spielen die unterschiedlichen berechtigten Interessen in der Bevölkerung gegeneinander aus und tragen so dazu bei, die Lager- und Blasenbildung noch weiter zu befeuern: Auto- gegen Fahrradfahrer, Verbraucher gegen Landwirte,

(Anja Piel [GRÜNE]: Von welcher Re- de sprechen Sie denn, Herr Toepffer? Nicht über meine! Nicht zugehört!)

neue frische Luft für die Großstädte, aber Windkraftanlagen vor der Haustür für die Landbevölkerung.

(Anja Piel [GRÜNE]: Wer hat denn davon gesprochen?)

Ihnen geht es nicht um den Kompromiss. Ihnen geht es auch nicht um den Interessenausgleich. Es geht Ihnen auch nicht um das Land und seine Bürgerinnen und Bürger. Ihnen geht es um die Durchsetzung partikularer Interessen zur Befriedigung der eigenen Wählerschaft in Stadt oder Land, in Ost oder West.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD - Anja Piel [GRÜNE]: Der Klimaschutz als „parti- kulares Interesse“!)

Das führt dann im Übrigen dazu, dass gar nicht mehr so genau geschaut wird, was diejenigen, die man kritisiert, eigentlich vorhaben und was ihre Motive sind.

Weil auch Sie, lieber Herr Grascha, gerade einmal wenige Minuten benötigt haben, Ihre übliche Replik auf die politische Liste - keine erkennbare Strategie, Sammelsurium von Kleinstmaßnahmen

usw. - abzusondern, sage ich Ihnen eines ganz deutlich: Es ist keine seriöse Politik, mehrseitige Vorschläge der Regierungsfraktionen ungelesen abzukanzeln; nicht einmal für eine Oppositionsfraktion.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Sie, Herr Birkner, wollen wieder einmal alles auf einmal: mehr Schuldenabbau und mehr Investitionen bei gleichzeitiger Senkung der Steuern. Wie das funktionieren soll, erklären Sie natürlich nicht.

Da unterscheiden Sie sich leider nicht von den niedersächsischen Grünen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD - Christian Meyer [GRÜ- NE]: Nein, wir wollen keine Senkung der Steuern!)

Liebe Frau Piel, Ihnen sind unsere Ziele und Maßnahmen zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen natürlich nicht genug.

(Zuruf von Anja Piel [GRÜNE])

Vermutlich gibt es kein Prozentziel und kein Jahresziel und keine Investitionssumme, die Ihnen in Ihrer Oppositionsrolle genug wären.

(Anja Piel [GRÜNE]: Wir kriegen doch von Ihnen den Nachtragshaushalt nächstes Jahr vorgelegt! Erzählen Sie doch nichts! - Zuruf von Imke Byl [GRÜNE] - Gegenruf von Wiard Sie- bels [SPD]: Wer schreit, hat unrecht!)

Wie auch? Mit Ihrer thematischen Selbstbeschränkung auf das Thema Klimaschutz können Sie doch gar nicht anders, als jeden Beschluss - - -

(Anhaltende Zurufe)

Herr Toepffer, warten Sie eben! Ich will nicht, dass wir uns gegenseitig anschreien. Trinken Sie entspannt einen Schluck Wasser, bis hier wieder ein bisschen Ruhe einkehrt, und dann hören wir wieder Ihrem Redebeitrag zu.

(Anja Piel [GRÜNE]: Immer!)

Bitte, machen Sie weiter! - Oder warten Sie noch eben! Irgendwie ist das noch nicht überall angekommen, auch in Ihrer Fraktion nicht.

(Unruhe)

- Lieber Kollege Vizepräsident, jetzt einfach einmal Ruhe, damit wir hier fortfahren können!

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Ent- schuldigung, Frau Präsidentin, ich habe eben überhaupt nichts gesagt!)

- Das diskutieren wir in der Mittagspause aus.

(Zuruf von Frank Oesterhelweg [CDU] - Anhaltende Unruhe - Ulrich Water- mann [SPD]: Mein Gott, was ist denn heute los?)