Protokoll der Sitzung vom 29.01.2020

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Försterling, Sie machen es schon wieder. Sie legen Ihre eigene Gefühlswelt dar.

(Zurufe von den GRÜNEN: Nein! - Herr Bothe, Sie verstehen es nicht!)

Sie fühlen sich jetzt diskriminiert. Aber es gibt nun einmal Ausschlusskriterien, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gesetzt werden. Und es gibt Hochrisikofaktoren.

(Wiard Siebels [SPD]: Begründen Sie das doch mal sachlich! - Christian Grascha [FDP]: Gehen Sie auch auf die Argumente ein?)

Daher haben die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut in diesem Bereich Aus

schlusskriterien und Wartezeiten festgelegt.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

Daher finde ich es immer noch empörend, wenn Sie aus so einem medizinischen Thema eine Gefühlsgeschichte machen

(Wiard Siebels [SPD]: Hat er nicht gemacht!)

und hier mit Ihrem Kampfbericht gegen Homophobie vorgehen. Das gehört hier nicht hin. Das sollten Sie in Zukunft lassen!

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. Als Sie eben auf dem Weg nach vorn waren und kurz verharrten, bis ich Ihnen das Wort gegeben habe, haben Sie „Schwachsinn“ dazwischengerufen. Dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Zuruf von der FDP: So sind sie!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Meta Janssen-Kucz. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die diskriminierungsfreie Blutspende bewegt uns alle. Das hat auch die letzte Debatte gezeigt.

Aber der Beitrag eben gerade war in meinen Augen ein Paradebeispiel dafür, wie man einzelne Personengruppen und am besten noch einzelne Personen hier im Plenarsaal diskriminiert und stigmatisiert. Geht gar nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

In dem gesamten Kontext müssen wir uns auch noch ein paar andere Fragen stellen - das ist auch in der Unterrichtung im Ausschuss deutlich geworden -, nämlich z. B. wie wir zukünftig den zunehmenden Bedarf an Blutstransfusionen abdecken können, wie wir - das hat die Kollegin auch gesagt - gerade die Sommer- bzw. Ferienzeiten abdecken können.

Es ist natürlich ärgerlich, was 2017 von der Bundesärztekammer, dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesgesundheitsministerium auf den Weg gebracht worden ist. Denn eigentlich war der Arbeitsauftrag ein anderer, nämlich erstens eine Lösung zu finden, um den zukünftig höheren Bedarf abzudecken, und zweitens in der Hämotherapierichtlinie endlich diskriminierungsfreie Regelungen für die Blutspende zu treffen. Das ist ihnen eher nicht gelungen; denn die Regelungen wurden so getroffen, dass homosexuelle Männer für zwölf Monate von einer Spende ausgeschlossen werden. Daneben gibt es noch die Viermonatsfrist.

Ich will das einmal ganz deutlich machen: In einer offenen Gesellschaft und vor dem Hintergrund - das hat die Unterrichtung doch sehr deutlich gemacht - der neuesten wissenschaftlichen medizinischen Erkenntnisse können wir auch über eine Verkürzung auf sechs Wochen reden. Ich glaube - das ist ganz wichtig -, wenn wir der Diskriminierung vorbeugen wollen, dann müssen wir das auf das medizinisch notwendige Zeitfenster begrenzen, ohne dabei die Sicherheit von Bluttransfusionen zu gefährden. Ich glaube, das ist das Ziel aller demokratischen Parteien hier, die diesem Antrag hier und heute zustimmen werden und wollen.

Vielen Dank Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Wernstedt das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ausschuss eine sehr sachliche und gute Debatte zu diesem Thema geführt. Bis auf die AfD sind wir uns hier im Hause auch darüber einig, dass wir die Sicherheit für die Patientinnen und Patienten mit dem höchsten Standard halten wollen, dass wir gleichzeitig aber auch unseren Fachleuten ein Stück weit auf die Finger gucken und auf Diskriminierung achten wollen.

In den in Rede stehenden Richtlinien sind Diskriminierungen enthalten. Wir trauen es unseren Fachleuten, die Medizin machen, die Mikrobiologie machen, sehr wohl zu, dass sie das diskriminierungsfrei und mit hohen Sicherheitsstandards gestalten können. Wir sind da frohen Mutes und schicken die ganze Gesellschaft einfach noch einmal auf den Weg, diese Richtlinien durchzusehen.

Alle Kritikpunkte sind hier schon benannt worden; ich muss sie nicht wiederholen. Insofern geben wir jetzt einen Arbeitsauftrag, und wir sind zuversichtlich, dass der auch ordentlich erfüllt wird.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt. - Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Dr. Reimann das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon deutlich gemacht: Eine sichere Versorgung mit Blutpräparaten gehört zu den Grundlagen medizinischer Behandlungsmaßnahmen im Gesundheitswesen. Nur wenn genügend Menschen regelmäßig Blut spenden, können notwendige Bluttransfusionen auch sichergestellt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, oberste Priorität muss dabei sein, sichere Blutprodukte zu gewinnen. Die Landesministerinnen und Landesminister haben bereits im Juni 2017 auf drohende Engpässe hingewiesen und das Bundesgesundheitsministerium gebeten, die bisherigen Aktivitäten für die Gewinnung von Spenderinnen und Spendern auszubauen und zu verstärken. Außerdem wurde die Bundesärztekammer gebeten, die Hämotherapierichtlinie zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Das ist dann auch passiert. 2017 wurde die Richtlinie tatsächlich weiterentwickelt. Aber der Ausschluss von Männern, die Sex mit Männern haben, wurde nicht vollständig aufgehoben. Es ist hier gesagt worden: Stattdessen müssen sie darlegen, dass sie in den letzten zwölf Monaten keinen Geschlechtsverkehr mit einem Mann hatten. Damit wird eine Blutspende für Männer, die Sex mit Männern haben, und für transgeschlechtliche Personen zwar grundsätzlich ermöglicht, aber die in der Richtlinie enthaltene Annahme, sie alle hätten riskanten Sex, stellt eine aus meiner Sicht nicht hinnehmbare Diskriminierung dar.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Die medizinische Beurteilung zur sicheren Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen darf nicht von der sexuellen oder geschlechtlichen Identität abhängig gemacht werden. Wir sind uns einig, dass die Gewinnung sicherer Blutprodukte oberste Priorität hat. Das lässt sich jedoch auch erreichen, ohne dass sich damit für Empfängerinnen und Empfänger das Risiko einer Ansteckung mit übertragbaren Erkrankungen erhöht. Deshalb werde ich mich beim Bundesminister für Gesundheit und auch bei der Bundesärztekammer dafür einsetzen, dass die Richtlinie geändert wird.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP sowie Zustim- mung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen daher zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der FDP in der sich aus der Beschlussempfehlung ergebenden geänderten Fassung annehmen will,

den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung ist mit großer Mehrheit gefolgt worden.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 11: Abschließende Beratung: Sanktionen abschaffen - Hartz IV überwinden! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/5083 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - Drs. 18/5313

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung und gebe das Wort der Kollegin Anja Piel, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Staat muss allen Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Existenzminimum garantieren. Auch durch „vermeintlich unwürdiges Verhalten“ geht dieser Anspruch nicht verloren. So leitet das Bundesverfassungsgericht das Urteil zu Sanktionen im Sozialrecht ein. Es lohnt sich übrigens, dieses Urteil genau zu lesen.

Erstens. Sanktionen von mehr als 30 % sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Unser Grundgesetz ist also auch 70 Jahre nach seiner Verabschiedung immer noch eine verlässliche Grundlage. Damit wird die jahrelange Sanktionspraxis des Jobcenters beendet, die viele Menschen in schlimme, existenzielle Notlagen gebracht haben.

Denn was heißt es denn, wenn das Existenzminimum um 30 %, 60 % oder sogar um 100 % gekürzt wird? - Solche Kürzungen gehen den Betroffenen an die Substanz. Sie werden möglicherweise nicht mehr satt. Vielleicht verlieren sie sogar ihre Wohnung. In Niedersachsen trifft das etwa 11 000 Menschen. Vielen von ihnen wurde das Existenzminimum um 10 bis 20 % gekürzt. Im Durchschnitt sind das ungefähr 110 Euro. Das klingt für uns vielleicht nach nicht viel. Aber kann sich jemand von uns hier vorstellen, wie es ist, mit weniger als 400 Euro einen ganzen Monat überstehen zu müssen? - Ich kann das nicht.

Unter den 11 000 Menschen sind einige, die noch weitaus härter sanktioniert wurden, und das nicht etwa deshalb, weil sie keine Lust hatten, eine Beschäftigung anzutreten, oder weil sie lieber vorm Fernseher sitzen, statt zum Termin im Jobcenter zu gehen. Menschen werden auch dann sanktioniert, wenn sie ihre Bescheide nicht verstehen oder wenn sie psychisch krank sind, weil sie eine Vielzahl von Problemen haben. Das Perfide ist: Sie werden nicht nur sanktioniert, weil sie Probleme haben, sondern sie werden sanktioniert, obwohl sie Probleme haben.

Menschen, die Sozialleistungen beziehen, befinden sich übrigens immer in prekären Situationen. Machen wir uns nichts vor: Sanktionen verstärken ihre Not und schaffen ihnen neue Probleme, auch dann, wenn die Einschnitte weniger als 30 % betragen. Wer von uns hier hätte die Nerven, Bewerbungen zu schreiben, wenn er sich Sorgen um seine Wohnung machen muss?