Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Meine Damen und Herren, ein Letztes - das ist mir wichtig -: Vergessen wir niemals die Opfer des Rechtsterrorismus! Ihnen und ihren Angehörigen sind wir es schuldig, dass wir wirklich alles daransetzen, die Taten vollständig aufzuklären. Wir müssen ihnen konkrete Hilfe anbieten. Daher ist es gut und richtig, dass wir seit dem letzten Jahr einen Opferschutzbeauftragten im Justizministerium haben.

Wehret den Anfängen! Zu den Anfängen zählen auch Hetze und Hass gegen Andersdenkende und Minderheiten im Internet. Hier müssen wir wirklich alles daransetzen, die Täter aus der Anonymität herauszuholen und mit aller Härte des Gesetzes zu verfolgen; denn Hass und Hetze im Netz bilden den Nährboden für Gewalt und Extremismus. Genau das müssen wir mit den staatlichen Sicherheitsbehörden verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank. - Für die AfD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Ahrends zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sind ohne Frage die wohl schockierendste Mordserie einer rechtsextremistischen Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg.

In den Jahren 2000 bis 2006 wurden durch den NSU mindestens neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet, ermordet, ja regelrecht exekutiert, nur weil sie Migranten waren. Ebenso wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen. Auch wir möchten an dieser Stelle den Angehörigen der Opfer unser tiefes Mitgefühl aussprechen.

Wenn junge Leute wie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und wohl einige mehr ein perfides System wie den Nationalsozialismus verherrlichen und aus krankhaften rassistischen Motiven heraus wahllos Menschen töten, dann muss man sich fragen, an welcher Stelle die Gesellschaft und an welcher Stelle die Politik versagt haben. Umso wichtiger ist es, aufzuarbeiten, wie es zu einer solchen furchtbaren Mordserie kommen konnte. Aber gerade hier bei der Aufklärung dieser Mordserie tun sich Abgründe auf. So berichtet „t-online/Nachrichten/Deutschland“ von - ich zitiere - „2 200 Seiten Behördenversagen - der NSUBericht im Original“.

Massive Kritik wird gegenüber dem Thüringer Verfassungsschutz, der Polizei, der Justiz und dem Innenministerium geäußert. So habe die Polizei nicht nur vor dem Auffliegen des NSU-Trios am 4. November 2011 Fehler gemacht, sondern auch danach. Zum Beispiel sei das Wohnmobil sichergestellt worden, aber nur zwei Tage vor dem Zugriff unberechtigter Personen geschützt. Des Weiteren sei daran zu zweifeln, dass die Polizistin Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer war. Es gebe mögliche Tatmotive, denen man aber nicht intensiv genug nachgegangen sei.

Gegenüber dem Thüringer Verfassungsschutz wird kritisiert, dass es dort Zuständigkeitsprobleme und einen Mangel an Sach- und Fachkompetenz gegeben habe. Aufseiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sei es zu Fehleinschätzungen gekommen. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Amtes hatte vor dem Ausschuss erklärt, sie habe es nicht für möglich gehalten, dass Rechtsextremisten auch Menschen töten könnten.

Das zeigt, meine Damen und Herren, dass der NSU vonseiten des Verfassungsschutzes völlig falsch eingeschätzt wurde. Aber auch die Thüringer Justiz wurde im Abschlussbericht kritisiert. Ihr werden schwere Fehler vorgeworfen: Bei Richtern und Staatsanwälten seien nur wenige Erkenntnisse dazu vorhanden gewesen, wie sich die rechtsextreme Szene mit der organisierten Kriminalität überschnitten habe. Dabei hat der Ausschuss festgestellt, dass es sehr wohl Verknüpfungen von

Neonazis und etwa Rockergruppierungen gegeben habe. Die CDU-Mitglieder des Ausschusses bestreiten in ihrem Sondervotum allerdings derartige Zusammenhänge.

Ein weiterer Kritikpunkt im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses ist der Informationsaustausch zwischen den Thüringer Sicherheitsbehörden, aber auch zwischen Landes- und Bundesbehörden. Dieser sei ungenügend gewesen. Es habe bei der Suche nach dem untergetauchten Trio keine umfassende Weitergabe von Informationen des Thüringer Verfassungsschutzes an die Polizei gegeben. Bei der Zusammenarbeit zwischen Polizei und dem Bundeskriminalamt könnten sogar Daten verloren gegangen sein.

Im Weiteren wird die schwierige Zusammenarbeit zwischen dem zweiten Untersuchungsausschuss und dem Thüringer Innenministerium beklagt: Das Ministerium habe den Parlamentariern nicht alle Akten zur Verfügung gestellt.

Warum, meine Damen und Herren, die Aufklärung dieser Mordserie an so vielen Stellen ineffektiv und ungenügend abgelaufen ist, ist bis dato nicht klar. Aber es wird derzeit die Rolle des Verfassungsschutzmannes Andreas Temme, der den Spitznamen „Klein Adolf“ hat, untersucht. Herr Temme, in dessen Wohnung man neben Kleidung mit „Hells Angels“-Logo und Drogen auch rechtsextremes Propagandagut und illegale Munition gefunden hat, war angeblich zufällig in genau dem Internetcafé, als am 6. April 2006 in Kassel der 21-jährige Halit Yozgat mutmaßlich durch den NSU ermordet wurde. Herr Temme stellte sich jedoch nicht der Polizei als Zeuge zur Verfügung und war anscheinend schon im Vorfeld über den geplanten Mord informiert.

2007 wechselte Temme als Sachbearbeiter ins Regierungspräsidium Kassel, eben genau die Behörde, deren Chef Walter Lübcke war. Mindestens zwei Akten zu dem mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke, nämlich Stefan E., wurden von Temme unterschrieben. Ob Temme und Stefan E. persönlich bekannt waren und ob Kontakt zum mutmaßlichen Waffenbeschaffer Markus H. bestand, ist unklar. Aufklärung könnte hier möglicherweise ein Bericht des hessischen Verfassungsschutzes bringen, der aber unglaubliche 120 Jahre als geheim eingestuft werden sollte. Dies wurde dann auf 30 Jahre reduziert, also bis zum Jahr 2044 geheim.

Da stellt man sich die Frage: Will man etwas vor der Öffentlichkeit verbergen? Wenn ja, was und warum?

Ebenso wurden die Akten von Stefan E. und dem mutmaßlichen Waffenbeschaffer Markus H. dem damaligen Untersuchungsausschuss nicht übermittelt und sind derweil gesperrt worden.

Sie sehen, meine Damen und Herren, viele Fragen sind noch offen. Somit ist der NSU-Prozess noch lange nicht aufgeklärt. Derzeit werden die Aufenthaltsorte von Temme zum Zeitpunkt aller NSUMorde überprüft. Wir sind auf die Ergebnisse sehr gespannt.

Wir werden die Entwicklung weiter kritisch beobachten und an der Offenlegung und Bekämpfung von Extremisten aus allen Lagern arbeiten, so wie die AfD das auch zur Gruppe „Combat 18“ getan hat, bevor der Bundesinnenminister ein Verbot aussprach, das wir im Übrigen sehr begrüßen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Ahrends. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Wiebke Osigus. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist ganz grundsätzlich festzustellen, dass die Verfassungsschützerinnen und Verfassungsschützer in Niedersachsen kompetent und gut aufgestellt sind und hervorragende Arbeit leisten. Der Nachrichtendienst, der Hand in Hand mit den Ermittlungsbehörden, Schulter an Schulter mit dem Innenminister und unter der wachsamen Kontrolle des Parlamentes hervorragend arbeitet, ist eine Größe, auf die wir uns hier vor Ort verlassen können.

(Beifall bei der SPD)

Die Vorkommnisse im sogenannten NSU-Komplex haben zu Recht bundesweite Betroffenheit ausgelöst. Mindestens zehn Morde, die Verunsicherung hervorrufen, und Fragen! Es sind viele Fragen, die die Aufarbeitung in Untersuchungsausschüssen nach sich gezogen haben und auf die wir auch heute noch nicht alle Antworten gefunden haben. Für meine SPD-Fraktion kann ich erklären: Wir sehen weiter hin. Wir werden nicht müde werden, diesen Fragen nachzugehen. Wir stellen uns entschieden gegen jede Form von Extremismus, mei

ne Damen und Herren. Solange es hier im Parlament noch Fraktionen gibt, die, wie gestern sinngemäß, sagen, es gebe einen Rechtsruck und das sei auch gut so, wird es auch mehr als notwendig sein, dies umfangreich zu machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Gleichwohl erfordert der Stand der Dinge neben Wachsamkeit vor allem Besonnenheit. Die Ergebnisse sind unaufgeregt und strukturiert zu bewerten. Konkret möchte ich zu den vorliegenden 104 Antworten Folgendes sagen:

Es ist mitgeteilt worden, dass die Existenz eines Netzwerkes in Niedersachsen zunächst nicht belegt werden kann. Mutmaßungen liegen allerdings vor. Es sind aktuell keine Ermittlungsverfahren bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften mit NSU-Bezug anhängig. Allerdings hat es Fahrten und Treffen der Akteure in Niedersachsen gegeben. - So weit, meine Damen und Herren, die Feststellungen aus dem öffentlichen Teil.

Als Sprecherin für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes begrüße ich zudem ausdrücklich das Angebot, zu den Verschlusssachen in vertraulicher Sitzung zu unterrichten. Das ist zum Schutz der Informationen ausdrücklich richtig.

Zudem, Herr Limburg, ist das operative Geschäft nicht Aufgabe des Parlamentes, sondern von Polizei und Behörden. Dem Parlament steht hier eine ausführliche Kontrolle zu.

Sollte sich im Nachgang zu den vertraulichen Unterrichtungen Aufklärungsbedarf ergeben, werden wir uns diesem selbstverständlich nicht verschließen und dem Anliegen nachkommen. Derzeit sehen wir einen entsprechenden Bedarf allerdings nicht.

Allerdings - und diese Bemerkung sei mir an dieser Stelle erlaubt - fand die letzte große Reform des Verfassungsschutzgesetzes in der letzten Legislaturperiode unter Rot-Grün und somit unter maßgeblich grüner Beteiligung statt, und zwar nach dem damaligen NSU-Untersuchungsausschuss. Seinerzeit gab es die Entscheidung gegen weitere Maßnahmen. Wie gerade dargestellt, liegen momentan keine neuen Erkenntnisse vor - vorbehaltlich der vertraulichen Unterrichtung. Insofern ist diese abzuwarten.

Meine Damen und Herren, wie ist reagiert worden?

Wir als regierungstragende Fraktion nehmen unsere Verantwortung ernst. Ich möchte hier die Einsetzung eines Landesbeauftragten für Opferschutz und eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens ausdrücklich erwähnen.

Auch die Einrichtung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums zur Bekämpfung von Rechtsextremismus ist ein weiterer wichtiger Baustein auf diesem Weg. Frühwarnsysteme, enge Vernetzung und Bündelung von Kompetenzen runden dieses Paket ab.

Auch die anstehende Reform des Verfassungsschutzgesetzes wird den umfassenden Ansatz der Bekämpfung verfassungsfeindlicher Strukturen in den Blick nehmen. Allerdings werden wir uns dort an die vereinbarten Vorgaben des Koalitionsvertrages halten.

Die hier vorliegende Anfrage und auch die dazugehörigen Wortbeiträge zielten auf die Umsetzung der Handlungsvorschläge ab. Ergänzend zum Beitrag unseres Innenministers möchte ich zudem die Einrichtung eines eigenen Referates für Rechtsextremismus und die Einrichtung einer internen Revision im Verfassungsschutz erwähnen.

Nur, meine Damen und Herren: Diese ganzen Maßnahmen nützen alle nichts, wenn wir nicht die Gesamtgesellschaft im Blick behalten. Die Bekämpfung jeder Form von Extremismus ist und bleibt auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Dazu muss man grundsätzlich erst einmal wissen: Rechtsextremisten arbeiten in Zellstrukturen und sind jederzeit in der Lage, ihr Auftreten zu verändern. Letztlich sind Verfassungsfeinde in diesem Sinne das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Demokratinnen und Demokraten, sich entschieden dagegenzustellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Frank Oesterhelweg [CDU])

In diesem Zusammenhang ist mir abschließend noch Folgendes wichtig: Heute vor genau 87 Jahren, am 30. Januar 1933, wurde Adolf Hitler ganz legal zum Reichskanzler ernannt, getragen von Frust und Propaganda. Im Februar 1933 wurde das Parlament entmachtet. Im März 1933 wurde das erste Konzentrationslager gebaut. Sechs Jahre später begann der Zweite Weltkrieg.

Ich finde es beschämend - das sage ich ganz ausdrücklich -, dass wir uns heutzutage erneut diesen Gefahren vom rechten Rand ausgesetzt sehen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der CDU und bei den GRÜ- NEN)

Durch die Taten des sogenannten NSU wurde wieder einmal verdeutlicht, wie weit sich Gefahren für unsere Demokratie auch durch deren Gegner realisieren lassen.

Demokratinnen und Demokraten sind weiterhin gefordert, wachsam zu bleiben und für ihre demokratischen Werte einzustehen. Dies ist - neben den Maßnahmen - vor allem eine Frage der eigenen Haltung und ein wichtiges Anliegen von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Osigus. - Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Stefan Birkner. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umgang mit der Frage, wie es mit der Aufklärung der Straftaten durch den sogenannten NSU weitergeht, wird in erster Linie durch die Justiz und natürlich durch die zuständigen Parlamente zu erfolgen haben. Ich denke, dass wir uns hier insbesondere auf die Punkte konzentrieren können - das möchte ich machen -, bei denen wir heute schon einen Handlungsbedarf erkennen. Das heißt: Was sind eigentlich die politischen Schlussfolgerungen für den Umgang mit Rechtsterrorismus?