Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Melderecht reformieren - Datenschutz stärken - Adressweitergabe erschweren - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/5864
Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung: Zusammen gegen Hass, Gewalt und Angriffe gegen politische Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/5865
Zur Einbringung hat sich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Susanne Menge gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Belästigungen, Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen scheinen in unserer Gesellschaft und in unserem alltäglichen Leben inzwischen nicht mehr unnormal zu sein. Das ist insbesondere für diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, ein Problem geworden, das ist vor allem für diejenigen Menschen ein Problem geworden,
die sich in ihrer Kommune und ihren Landkreisen für die Belange ihrer Kommune oder ihres Landkreises besonders einsetzen.
Man kann den Eindruck haben, dass sich einige Menschen vom Humanismus, also von einem gelernten Umgang, wie der Mensch inmitten einer Gesellschaft gut sein kann, abkehren. Viele Menschen scheinen damit überfordert zu sein, in einer wachsenden Gesellschaft, in einer pluralistisch aufgestellten Gesellschaft und in einer Gesellschaft, die immer mehr Fragen immer schnelllebiger beantworten muss, das Ganze auf friedliche und vernünftige Weise zu lösen.
Im kommunalen Bereich sind nach Umfrage eines Magazins 40 % aller Rathäuser mit Stalking, Beschimpfungen und Bedrohungen konfrontiert. Einschüchterungen und Hassbotschaften finden dabei nicht nur in der Anonymität des Netzes statt, sondern dringen bis in das Privatleben der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen vor.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat sich bereits im Mai 2018 in einer Veröffentlichung, die „Hass, Bedrohung & Übergriffe gegen Mandatsträger, Ursachen & Gegenstrategien“ lautet, positioniert und Gegenstrategien angeregt. Seitdem gibt es vielfältige Initiativen aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft. Aber sie müssen auch in der Politik Fuß fassen.
Der Hass kommt oft von rechts, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft: der Mord an dem Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont, Rüdiger Butte, im Jahr 2013, die Anschläge auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Jahr 2015, auf den Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena, Andreas Hollstein, im November 2017, um nur einige zu nennen.
Wir haben inzwischen auch noch andere Beispiele. Wir sind als Staat aufgefordert, hier Grenzen zu setzen und unsere Möglichkeiten zu suchen, ohne Freiheiten und Grundrechte einzuschränken. Wir glauben, dass das im Rahmen unserer Möglichkeiten umgesetzt werden muss.
Sie alle kennen die sogenannten Erstwählerbriefe, um ein Beispiel aus dem Melderecht zu nennen. Das ist nach unserer Meinung ein wesentlicher
Baustein, um hier Änderungen vorzunehmen. Die Erstwählerbriefe richten sich an junge Menschen, die aufgrund ihres Alters zum ersten Mal an einer Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl teilnehmen können. Die Parteien könnten auch ein Verzeichnis aller wahlberechtigten Menschen ihrer Kommune über 60 anfordern, um z. B. gezielt Seniorinnen und Senioren anzusprechen. Sie können also verschiedene Bevölkerungsgruppen erreichen, und sie können die Daten bekommen.
Die Datenschutzbeauftragte des Landes Niedersachsen erläutert auf der Homepage des Ministeriums die Gründe. Sie nennt die gesetzlichen Grundlagen - das Bundesmeldegesetz - und erläutert, unter welchen Bedingungen es möglich ist, diese Daten von Wahlberechtigten zu erhalten. Diese sogenannte Melderegisterauskunft in besonderen Fällen ist also zulässig für Alters- und Ehejubiläen, für Adressbuchverlage, für das Krebsregister und andere, wobei nicht nur der Name, sondern auch die vollständige Adresse weitergegeben wird.
Wenn Sie z. B. für ein Bürgermeisteramt kandidieren, hängen Ihre persönlichen Angaben mit der vollständigen Adresse wochenlang im Rathaus aus. Das muss unserer Meinung nach nicht so sein.
Zwar dürfen diese Daten nur zweckgebunden verwendet werden und müssen auch anschließend gelöscht werden, aber deutlich wird doch, dass der Staat selbst mit Daten verhältnismäßig leichtfertig umgeht. Die Verantwortung muss heute eine andere sein.
Wir müssen den Ansatz von Widerspruchsmöglichkeiten umkehren. Wir müssen also nicht von der Bürgerin und dem Bürger erwarten, dass sie oder er aufgefordert ist, sich zu Hause zu überlegen: Mein Gott, ich muss ja noch einen Widerspruch einlegen, damit meine Daten nicht weitergegeben werden. - Der Staat hat doch in unserer heutigen Zeit die Aufgabe zu übernehmen, vorher schützend einzugreifen und vorher zu sagen: Du brauchst keinen Widerspruch einzulegen. Wir kümmern uns darum. Die Daten werden erst gar nicht so veröffentlicht, wie wir das bislang gemacht haben.
Angesichts der zunehmenden Bedrohung ehrenamtlicher Politikerinnen und Politiker kann dieses Melderecht also auch aktiv zum Schutz der Perso
nen eingesetzt werden, damit der Schutz an die erste Stelle gerückt wird. Eine Reform des Melderechts ist deshalb aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt zur Schutzverantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern in diesen Zeiten.
Alle hier im Hause sind sich einig, dass wir etwas tun müssen, und zwar so, dass wir nicht die Grundrechte und Freiheiten einschränken. Ich habe es gerade eben gesagt. Wir gehen auf einen Katalog ein, der diese Grundrechte überhaupt nicht einschränkt, sondern die Form des Melderegisters beschränkt, sodass man nicht einfach mit diesen Daten umgehen kann und Leute auch nicht so ohne Weiteres zu Hause erreichen kann. Wir finden das absolut notwendig und wichtig.
Sie sehen im zweiten Antrag zu Hass und Bedrohung ebenfalls einen Zwölf-Punkte-Katalog, der dazu auffordert, aktiv als Staat voranzuschreiten, um diese Grenzen zu setzen und um Menschen Schutz zu gewähren, um aber auch aktiv die gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Bereich wahrzunehmen und die eigene Rolle als schützender Staat zu sehen und ihr gerecht zu werden.
Vielen Dank, Frau Kollegin Menge. - Für die SPDFraktion hat sich nun der Kollege Ulrich Watermann gemeldet. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht also um den Hass. Es geht um unsere Gesellschaft. Es geht um uns. Es geht ums Melderecht. Es geht um Schutzmaßnahmen und die Erforschung, wie es eigentlich dazu kommt, dass sich der Hass in dieser Gesellschaft so verbreiten kann.
Ich persönlich habe dazu ein paar eigene Erfahrungen. Ich musste miterleben, wie mein Freund Rüdiger Butte erschossen wurde. Ich habe miterlebt, wie mein Freund Tjark Bartels mit einem Burnout aufgegeben hat. Der eine wurde erschossen von jemandem, der verwirrt war, aber Hass in sich hatte. Und der andere hat aufgegeben, weil wir unsere Kommunikation nicht kontrollieren können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über dieses Thema reden, dann kann man sich an den zwölf Punkten und an den anderen fünf Punkten abarbeiten. Ich will mich aber an dem 13. Punkt abarbeiten, der dazukommen müsste: Wo ist unsere Verantwortung? Wo ist die Verantwortung der Medien? Wo ist die Verantwortung in der Kommunikation? Jedes darf gesagt werden - wirklich alles?
Ist es richtig, dass Botschaften verbreitet werden und schon ein Fragezeichen ausreicht, um zu rechtfertigen, dass man etwas so schreiben durfte? Überprüfen wir unsere Kommunikation - auch in unseren Auseinandersetzungen hier - daraufhin, was wir bei dem Gegenüber anrichten? Ist die Grenze nicht dort zu ziehen, wo wir einen anderen verletzen? Oder ist das alles mit unserer Freiheit abgedeckt?
Ich glaube, dass wir gucken müssen, ob wir alles und jedes zum Skandal machen, ob wir selber immer wieder an einer Schraube drehen, was dazu führt, dass wir immer mehr skandalisieren. Haben wir eigentlich auch im Griff - was ich noch gelernt habe -, dass wir ab und an Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden müssen, dass wir prüfen müssen, was richtig und was falsch ist? Haben wir das eigentlich gut im Griff, oder machen wir dieses Spiel auch mit, wenn wir glauben, damit in der politischen Auseinandersetzung einen Vorteil zu erhalten? Gibt es eigentlich noch Normalität?
Wut von Bürgern ist berechtigt, aber einem Wutbürger steht es nicht zu, Entscheidungen, die getroffen sind, massiv mit Respektlosigkeit zu begleiten. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich froh, dass Sie diesen Antrag gestellt haben. Ich mache mir Gedanken und Sorgen. Ich erlebe, dass die Mitte meiner Partei auf einmal zerbröselt. Und ich sehe eine Gesellschaft, in der Volksparteien zerbröseln. Wo sind die ordnenden Kräfte in der Mitte, von Volksparteien, die ein breites Spektrum an Meinungen binden können? Wie kann es sein, dass man mit Wut und Hass und mit Worten, die von anderen als respektlos ihnen gegenüber betrachtet werden müssen, in der Politik und in der Bevölkerung Beifall bekommen kann?
Gestern haben wir über Hanau gesprochen. Herr Ahrends, Sie reden hier ja nachher noch. Ich will Ihnen nur einmal sagen: Sie haben hier eine Rede gehalten, in der Sie das verurteilt haben. Das finde ich auch alles okay. Aber ich gebe Ihnen nur einen Rat: Legen Sie die Rede, die Sie zu Frankfurt und zu dem dortigen Täter gehalten haben, und die
Rede, die Sie hier gestern zu Hanau gehalten haben - wenn Sie können -, einfach mal nebeneinander und gucken Sie sich an, was da passiert ist, wie man etwas rechtfertigt und klein macht, und wie man in dem anderen Fall angreift.
Wenn wir uns hier in diesem Haus immer wieder gegenseitig sagen, dass wir alle zusammen auf dem Fundament unseres Grundgesetzes stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann bedeutet das, dass wir bei uns selber und bei der Auseinandersetzung anfangen müssen.
Ich brauche keine digitale Rede, sie ist in meinem Kopf, aber einen Gedanken muss ich noch anbringen: Wir müssen Stopp sagen zu Hass und zu Leuten, die diesen Hass machen. Wir müssen ihnen genau dieses Stoppschild zeigen und sagen: Nein, das wollen wir nicht!
Wir wollen anständig miteinander umgehen. Der Respekt voreinander ist der Mittelpunkt und die größte Wertigkeit in unserer Demokratie.
Ein herzliches Dankeschön, Herr Kollege Watermann. - Für die FDP-Fraktion hat sich der Kollege Dr. Genthe zu Wort gemeldet. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Watermann, vielen Dank für diese Rede. Ich kann sie komplett unterschreiben.
Ich versuche, im Folgenden konkret auf das einzugehen, was beantragt worden ist. Es gibt viele Punkte, über die wir tatsächlich diskutieren müssen. Wir haben in Niedersachsen Anlass genug, über die Reform des Melderechts nachzudenken und zu diskutieren.
Das bezieht sich einerseits auf die im Antrag genannten Mandatsträger und Journalisten, aber auch auf weitere Personen und Kreise. Ich erinnere nur an die Linksextremisten, die vor dem Haus eines Polizisten in Hitzacker aufgetaucht sind, oder an die Linksextremisten, die vor dem Haus eines
Richters in Buxtehude demonstriert haben, der mit den Prozessen um die Ausschreitungen des G-20Gipfels in Hamburg beschäftigt ist. Solche Fälle sind ein absoluter Tabubruch. Darauf muss der Rechtsstaat reagieren.