Herr Ministerpräsident, ich bin der festen Überzeugung: Wir können die Krise nur gemeinsam meistern. Ich möchte Sie deswegen bitten, Ihren Blick auf Niedersachsen zu weiten und bei Ihrer nächsten Regierungserklärung auch all die anderen Bereiche deutlich aufzuführen. Wir brauchen kreative Lösungen. Ich möchte Sie erneut auffordern: Beteiligen Sie das Parlament! Es wird maßgeblich für die Akzeptanz aller Schritte bei der Bevölkerung sein, dass wir im politischen Raum, in diesem Parlament diese wichtigen Debatten führen, dass wir miteinander über Maßnahmen entscheiden und sie gemeinsam tragen.
Ich begrüße deshalb auch sehr, dass es „Niedersachsen hält zusammen“ geben wird. Auch ich möchte meinen Dank an die Gewerkschaften, an die Kirchen und auch an die Unternehmerverbände richten. Denn ist ja völlig richtig: Politik allein wird diese Krise nicht lösen. Wir lösen sie nur gemeinsam. Wir lösen sie nur mit der Gesellschaft, und da kann so ein Bündnis eine gute Möglichkeit sein. Allein, wir müssen dieses Bündnis auch nutzen, um genau diese kreativen Antworten zu finden und umzusetzen, die wir brauchen.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Hamburg, gestatten Sie mir zunächst ein, zwei Sätze zu Ihrer Rede.
Ich glaube, in Ihrer Rede ist noch einmal deutlich geworden, wie schwierig dieser Abwägungsprozess ist, anhand von Zahlen zu ersten Lockerungen zu kommen und zu entscheiden, welche Lockerungen man dann macht. Ich finde es unangemessen, in dieser Art und Weise Kritik zu üben, wenn man selbst diese Entscheidung vor drei, vier Wochen nicht hat treffen müssen.
(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Sie hätten uns ja beteiligen können, Frau Modder! - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist das Schicksal der Opposition! Also sollen wir nicht mehr kritisieren, oder was?)
- Nein, Herr Dr. Birkner, es geht nicht um die Rolle der Opposition, sondern es geht darum, dass man vor drei, vier Wochen ganz andere Fakten hatte, um zu entscheiden, und es jetzt zu Lockerungen kommt. Die Entscheidungen trifft man im Jetzt, aber nach zwei, drei Wochen kann man es natürlich immer völlig anders sehen.
Einen Moment, bitte, Frau Kollegin! - Ich freue mich, dass wir hier im Plenarsaal wieder zur Normalität zurückkommen, aber ich muss wirklich um Ruhe bitten, sodass Frau Modder weitersprechen kann.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle können sehr dankbar sein, dass wir heute in der Situation sind, über die zwischen der Bundesebene und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in der letzten Woche beschlossenen
Lockerungen zu diskutieren und nicht über die Verlängerung oder gar über weitere Verschärfungen reden müssen. Insoweit trifft der Titel der heutigen Regierungserklärung „Bis hierhin erfolgreich - Niedersachsens Weg durch die Corona-Krise“ es ziemlich genau.
Die in der ersten Märzhälfte getroffenen einschneidenden Beschränkungen, insbesondere die Einschränkung unserer Grundrechte, sind von einer großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen worden. Erst dadurch ist es möglich geworden, dem Coronavirus die Dynamik zu nehmen, Menschen vor der Infektion zu schützen und gleichzeitig unser Gesundheitssystem zu stärken. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen: eine tolle Gesamtleistung unserer Gesellschaft, durch Akzeptanz und große Solidarität getragen! Im Kern, meine Damen und Herren - und das sage ich an dieser Stelle gern bewusst noch einmal, weil ich glaube, dass wir uns das immer wieder vor Augen führen müssen -, geht es um das Retten von Menschenleben.
In diesen Stunden denken wir auch an die vielen Infizierten, die auf den Intensivstationen liegen, und wünschen baldige Genesung, und natürlich denken wir auch an die Todesopfer, die wir zu beklagen haben, und wünschen den Angehörigen viel Kraft. Sie haben unser Mitgefühl.
Meine Damen und Herren, um es gleich zu Beginn meiner Rede deutlich auszusprechen: Die Ausbreitung des Coronavirus ist damit aber noch nicht gestoppt. Zu groß ist die Gefahr eines Rückfalls. Uns allen muss klar sein: Solange wir noch nicht über einen entsprechenden Impfstoff verfügen, werden wir mit dem Coronavirus leben und uns arrangieren müssen.
Ich bin davon überzeugt, dass die Abstandsregeln, die Hygieneregeln und auch die Mund-NaseBedeckung uns noch lange begleiten werden. Auch das RKI, das Robert Koch-Institut, warnt deutlich und bremst trotz dieser Zwischenerfolge die Erwartungen.
Das vorsichtige Herantasten, Lockerungen zuzulassen und gleichzeitig die neuen Infektionszahlen im Blick zu haben, damit alle Neuerkrankten, falls erforderlich, auch die entsprechende Versorgung in unseren Krankenhäusern bekommen können, ist der berühmte Ritt auf der Rasierklinge, und zwar ungeübt. Ich persönlich habe jedenfalls vor diesen
Meine Damen und Herren, der Shutdown, diese Vollbremsung, verlangt den Menschen in unserem Land, der Wirtschaft und dem öffentlichen Leben einiges ab. Und natürlich steht die Frage im Raum: Welche Fakten liegen diesem Corona-Shutdown zugrunde, und wie lange kann man diese Maßnahmen eigentlich auf dem Verordnungsweg anordnen? - Ich wünsche mir mehr Dynamik bei den Bemühungen, die Produktion von medizinischer Schutzkleidung nach Niedersachsen oder
Ich denke, wir alle haben eine Menge Fragen, die sich uns erst durch diese Pandemie stellen und die aus meiner Sicht nur durch eine Expertenkommission aufzuarbeiten sind. Ich würde uns sogar raten, eine solche Expertenkommission möglichst schnell einzuberufen.
Die Herausforderungen sind sehr komplex, weil sie gleich mehrere Bereiche gleichzeitig betreffen. Umso wichtiger ist die Aufarbeitung hier bei uns im Parlament.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen die Meldungen aus dem ganzen Land, aus den Wahlkreisen, aus Ihren Heimatgemeinden. Es trifft viele, sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien sehr hart, wenn Kurzarbeit oder sogar Entlassungen vor der Tür stehen. Wenn die Zahlen richtig sind - ich habe sie noch ungefähr im Kopf -, dann haben rund 60 000 Unternehmen Kurzarbeit angemeldet, und ungefähr 800 000 Menschen werden davon betroffen sein. Allein diese Zahlen machen deutlich, über welche Dimensionen wir hier reden. Und zur bitteren Wahrheit gehört leider auch, dass nicht alle Unternehmen diese Krise überleben werden.
Ich begrüße ausdrücklich den Vorschlag unseres Bundesarbeitsministers Hubertus Heil, das Kurzarbeitergeld auf 80 % bzw. 87 % aufzustocken. Die Einigung gestern Nacht in Berlin, es stufenweise anzuheben, ist wichtig und zeigt in die richtige Richtung, auch wenn ich persönlich mir mehr versprochen hätte.
und dringend auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Viele sind verzweifelt und haben Existenzängste. Da könnte ich jetzt die ganzen Einzelfälle aufrufen wie die Tourismusbranche, die Gastronomie, die Hotelbetriebe, den Freizeitbereich. Aber ich will hier vor allem auch die sozialen Einrichtungen, denen wir dringend helfen müssen, erwähnen. Wir dürfen die Einrichtungen, die sich um die Schwächsten in unserer Gesellschaft kümmern, jetzt in dieser schwierigen Situation nicht allein lassen.
Ich will hier auch die vielen Soloselbstständigen, unsere Künstlerinnen und Künstler, die durch die Hilfsprogramme fallen und auf die Beantragung der Grundsicherung verwiesen werden müssen, ansprechen. Oder nehmen wir unsere Kommunen! Sie haben sicherlich recht: Auch dort gibt es Probleme, die wir noch in den Blick nehmen müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass sicherlich die ganzen Hilfsprogramme und Rettungsschirme mit einem gewissen Abstand - und die Zeit drängt - darauf zu prüfen sind, ob an der einen oder anderen Stelle nachgebessert werden muss. Der Ministerpräsident hat es hier selbst angesprochen. Genauso haben wir aber auch die Frage der Finanzierung nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch hier bei uns im Land zu beantworten. Der Ministerpräsident hat vorhin den zweiten Nachtrag angesprochen.
Die Auswirkungen und Folgen dieser Pandemie werden uns noch sehr lange beschäftigen: im Sozialen, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft insgesamt. Ich fürchte, wir stehen erst am Anfang einer sehr schwierigen politischen und gesellschaftlichen Diskussion.
Was mich persönlich aber sehr umtreibt - das macht einmal mehr deutlich, in welchen schwierigen Abwägungsprozessen wir sind -, das ist der ganze Bereich der Bildung, insbesondere das vorsichtige Herantasten an die Öffnung der Schulen und die Notfallbetreuung in den Kindertagesstätten, die Beschränkungen bei den Bestattungen oder die Zutrittsbeschränkungen in den Alten- und Pflegeheimen. Ich denke natürlich in erster Linie hierbei an die Kinder, die ihre Freundinnen und Freunde und auch ihre Erzieherinnen und Erzieher sehr vermissen, vor allem aber an die Kinder, weil der Besuch der Krippe oder des Kindergartens einfach besser für sie wäre.
Oder nehmen wir die Eltern: Sie alle verstehen und akzeptieren diese Maßnahmen, und trotzdem sind sie mit ihren Möglichkeiten und ihren Kräften am Ende. Eltern, die berufstätig sind und um ihren Job fürchten, die nicht zu Hause bleiben können, wo kein Homeoffice möglich ist, der Urlaub aufgebraucht ist und die trotzdem die Betreuung ihrer Kinder managen müssen. Die Großeltern gehören oftmals zur Risikogruppe und stehen daher nicht zur Verfügung - nicht weil die Großeltern das nicht möchten, sondern weil die eigenen Kinder es für verantwortungslos halten. Also mehrere Konfliktlinien auf einmal, und das belastet. Das belastet enorm.