Protokoll der Sitzung vom 23.04.2020

Oder nehmen wir die Eltern: Sie alle verstehen und akzeptieren diese Maßnahmen, und trotzdem sind sie mit ihren Möglichkeiten und ihren Kräften am Ende. Eltern, die berufstätig sind und um ihren Job fürchten, die nicht zu Hause bleiben können, wo kein Homeoffice möglich ist, der Urlaub aufgebraucht ist und die trotzdem die Betreuung ihrer Kinder managen müssen. Die Großeltern gehören oftmals zur Risikogruppe und stehen daher nicht zur Verfügung - nicht weil die Großeltern das nicht möchten, sondern weil die eigenen Kinder es für verantwortungslos halten. Also mehrere Konfliktlinien auf einmal, und das belastet. Das belastet enorm.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserem Kultusminister für die schnelle und umsichtige Herangehensweise und die vielen Umsetzungshinweise. Das hat an vielen Stellen sehr geholfen, und besonders im Bereich der Schulen - so sind zumindest meine Rückmeldungen - läuft alles sehr gut und sehr strukturiert.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe aber die herzliche Bitte, den Bereich der Notfallbetreuung immer wieder in den Blick zu nehmen. Die Ausweitungen sind im Gespräch. Ich weiß es bei Ihnen, auch als Familienvater, in guten Händen.

Meine Damen und Herren, leider haben wir in den letzten Wochen auch immer wieder erlebt, dass die Bund-Länder-Vereinbarungen - denken Sie an die unterschiedlichen Länderregelungen zu den Bau- und Gartencentern, die Meinungsunterschiede waren auch hier aus den Reihen der Abgeordneten sehr groß, oder zuletzt die Frage der Mund-Nase-Bedeckung und der Möbelmärkte - nicht von langer Haltbarkeit geprägt waren.

Das ist sehr bedauerlich. Den Wettbewerb einiger Länder, ob jetzt wahlkampftechnisch oder doch von der unterschiedlichen Betroffenheit durch die Zahl der Infizierten in den Bundesländern geprägt, verstehen die Menschen nicht mehr - und die Wirtschaft schon mal gar nicht, weil es hier zum Teil auch um Wettbewerbsverzerrungen geht.

Wir setzen leichtsinnig die große Zustimmung und Akzeptanz der Bevölkerung aufs Spiel, weil wir dadurch auch den in den sogenannten sozialen Medien grassierenden Theorien neuen Nährboden geben. Da gibt es die einen, die Corona für tödlich für alle halten, und die anderen, die das Virus für völlig harmlos halten.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen, Herr Ministerpräsident, sehr dafür danken, dass Sie immer wieder darauf hingewiesen haben, und für Ihre klare Haltung. Das haben Sie ja auch gestern noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will es auch an dieser Stelle nicht versäumen, besonders denen zu danken, die in dieser sehr sorgenvollen Zeit dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem funktioniert, die unsere Älteren und Erkrankten versorgen, aber auch umsorgen, die uns mit dem Alltäglichen versorgen, und denen, die uns sicher durch diese Krise bringen, sei es in den Krisenstäben, den Behörden, bei den Ver- und Entsorgungsbetrieben, in den Landkreisen, Städten und Gemeinden. All denen sind wir, glaube ich, zu tiefem Dank verpflichtet.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielleicht lernen wir aus der Corona-Krise ja auch, die Berufe endlich so zu entlohnen, dass die Wertschätzung sich nicht nur im Applaus von den Balkonen oder unseren Reden in den Parlamenten erschöpft. Ich begrüße ausdrücklich die Bemühungen, die im Raum stehenden Bonuszahlungen für alle Pflegekräfte zu erreichen. Das wäre endlich einmal ein richtiges Signal. Das Gezänk darüber ist für mich unerträglich.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir haben in den letzten Wochen neue Erfahrungen machen dürfen, wie sich unsere Arbeit als Parlamentarier durch die Corona-Krise verändert hat. Die Ausschussarbeit ist fast zum Erliegen gekommen - langsam läuft sie wieder an, Gott sei Dank -, und auf einmal sind neue digitale Möglichkeiten in unseren Alltag eingezogen, schneller als wir uns alle vorstellen konnten.

Ich bin sehr dankbar, dass es zwischen den Fraktionen gelungen ist, sehr schnell zu einer Änderung der Geschäftsordnung zu kommen, um unsere Arbeit auch hier unter den Bedingungen dieser Pandemie aufrechtzuerhalten und anzupassen. Dafür danke ich sehr.

Die derzeitigen Unsicherheiten werden uns noch vor sehr große Herausforderungen stellen und uns als Gesellschaft einiges abverlangen.

Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich aber noch einmal auf die positiven Entwicklungen, die uns durch die Corona-Pandemie tragen, zu spre

chen kommen. Insbesondere das starke ehrenamtliche Engagement stimmt mich wirklich positiv. Da gibt es viele helfende Hände, die sich für ältere Mitmenschen einsetzen, für Menschen, die sich krankheitsbedingt in Quarantäne befinden, Einkäufe erledigen und nach Kräften unterstützen. Viele Initiativen zur Herstellung von Alltagsmasken, Initiativen zur Stärkung des örtlichen Einzelhandels sind nur einige weitere Beispiele.

Diese vielfältigen Initiativen sind ein gutes und, wie ich finde, ermutigendes Zeichen. Ich habe wirklich die große Hoffnung, dass wir als Gemeinschaft am Ende gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden. Dazu kann ich die neue, wirklich sehr zu begrüßende Initiative „Niedersachsen hält zusammen“ nur unterstützen und mich ganz herzlich dafür bedanken. Das kann ein ganz entscheidender Beitrag für diesen Zusammenhalt sein. Einen ganz herzlichen Dank an alle, die dazu beitragen und mithelfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Modder.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

- Vielen Dank.

Wir fahren nun fort. Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Vorsitzender Dr. Birkner. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident hat zu Recht ausgeführt, dass es entscheidend ist, dass wir jeder und jedem an COVID-19 Erkrankten die bestmögliche Behandlung garantieren. Wir teilen das ausdrücklich.

Nachdem es in der ersten Phase der Pandemiebekämpfung gut gelungen ist, das Infektionsgeschehen zu bremsen und die Kurve abzuflachen, ist nun entscheidend, es so zu steuern, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Das ist zugegebenermaßen eine sehr schwierige Aufgabe, da wir es mit vielen Unbekannten zu tun haben.

Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass die ergriffenen und von Ihnen, Herr Ministerpräsident, zu verantwortenden Maßnahmen dramatische Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Nieder

sachsen haben. Die Verbote, insbesondere die Kontaktverbote, führen dazu, dass das, was eine Gesellschaft im Kern ausmacht, nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich ist: sich zwischenmenschlich zu begegnen, sich unmittelbar auszutauschen, miteinander zu diskutieren, gemeinsam zu demonstrieren, gemeinsam zu beten, miteinander zu spielen, sich zu streiten und sich zu versöhnen, gemeinsam zu feiern und zu lachen und auch sich einander zu trösten und gemeinsam zu trauern.

Alle Lebensbereiche sind von diesen Einschränkungen betroffen: Kultur, Kunst, Soziales, Religion, Sport, Politik, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und natürlich auch das private Leben. Kurz gesagt: Es geht um das Herz unserer freiheitlichen Gesellschaft.

Angesichts dieser Dramatik ist es, Herr Ministerpräsident, für uns viel zu wenig, wenn Sie darauf verweisen, dass die wichtigste Aufgabe nun sei, Schritt für Schritt herauszufinden, wie die Einschränkungen gelockert werden können. Und auch der Verweis auf die 14-tägige Besprechung der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin ändert daran nichts. Sie sind es den Menschen in Niedersachsen schuldig, konkreter zu werden. Das, was Sie heute ausgeführt haben, war in dieser Hinsicht enttäuschend.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb erwarten wir, dass die Landesregierung endlich aktiv eigene Strategien zur Bewältigung der Krise entwickelt und nicht länger auf eine intransparente und in der Verfassung überhaupt nicht vorgesehene Notregierung, bestehend aus der Bundeskanzlerin und den 16 Ministerpräsidenten, verweist.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Maßstäbe, Kriterien und Grundlagen, die den Entscheidungen der Landesregierung zugrunde liegen, öffentlich gemacht und zur Diskussion gestellt werden.

Das von uns geteilte Ziel, dass jeder und jedem eine bestmögliche Behandlung garantiert werden muss, ist dafür allein aber viel zu vage. Wichtig wäre, zu erfahren, was denn konkret im Hinblick auf die ergriffenen Verbote und sonstigen Maßnahmen getan werden soll.

Dazu sagen Sie aber nichts - so wie Sie auch nichts zu der wichtigen Frage sagen, ob und wie das Gesundheitssystem weiter gestärkt werden soll, was insoweit die Ziele der Landesregierung sind und wo wir denn heute stehen. Denn nicht nur die Infektionsdynamik ist eine Stellschraube, sondern auch die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Sie sagen auch nichts zu der Frage, wie die Landesregierung das Infektionsgeschehen beobachten will, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, falls die Infektionszahlen wieder stärker ansteigen. Der Ausbau der Testkapazitäten und neue Testmethoden dürften insoweit von zentraler Bedeutung sein. Doch die Landesregierung nimmt sich dieser Aufgabe nicht an.

Es scheint ihr nach nunmehr beinahe drei Monaten mit dem Virus in Niedersachsen noch nicht einmal klar zu sein, wie groß die Testkapazitäten im Lande sind - die Angaben von Gesundheitsministerin Reimann schwanken diesbezüglich, auf das Bundesgebiet bezogen, zwischen 350 000 und

650 000 Tests pro Woche -, geschweige denn, dass die Landesregierung einen Plan dafür hätte, wie sie erreichen will, das Infektionsgeschehen wirklichkeitsgetreu zu beobachten.

(Beifall bei der FDP)

Sie sagen auch nichts darüber, wie der Öffentliche Gesundheitsdienst und die örtlichen Gesundheitsämter konkret gestärkt werden sollen, um die Nachverfolgung von Infektionsketten sicherzustellen, um einen neuerlichen Ausbruch möglichst wirkungsvoll und schnell einzudämmen. Und auch zu der Frage, wie sich die Landesregierung zu einer sogenannten Tracing-App positioniert,

schweigen Sie, obwohl die Diskussion doch längst entbrannt ist.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die von Ihnen veranlasste sorglose Weitergabe personenbezogener Daten der Gesundheitsämter an die Polizei lassen uns da nichts Gutes erahnen. Für die Freien Demokraten kann ich sagen, dass wir eine solche App unterstützen, sofern personenbezogene Daten anonymisiert und dezentral verarbeitet werden und die Verwendung der App freiwillig ist.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, auch weiterhin ist unklar, nach welchen Kriterien darüber entschieden wird, ob und welche Maßnahmen ergriffen werden und wann welche Verbote wieder aufgehoben werden. Die pauschalen Hinweise, dass man das mit der Zeit von Fall zu Fall entscheiden müsse, reichen längst nicht mehr aus. Je länger die Verbote und damit die Eingriffe in die Grundrechte und das gesellschaftliche, soziale, kulturelle, wirtschaftliche, religiöse, private und politische Leben anhalten, desto stärker muss sich die Landesregierung doch dafür rechtfertigen. Der Verweis auf die zweiwöchige Besprechung des Berliner Siebzehnerrats genügt nicht länger und kann die eigene politische Verantwortung, die Sie, Herr Ministerpräsident, hier im Lande haben, doch nicht überdecken.

(Beifall bei der FDP)

Sicherlich ist es wünschenswert, bundesweit zu möglichst einheitlichen Regelungen zu kommen. Das kann und darf aber doch nicht das alleinige Kriterium sein - das kann nur ein Gesichtspunkt unter mehreren sein.

Herr Ministerpräsident, verstecken Sie sich nicht hinter der Bundeskanzlerin und den anderen Ministerpräsidenten, sondern übernehmen Sie selbst die Verantwortung, für die Sie hier im Lande auch gewählt worden sind!