Protokoll der Sitzung vom 13.05.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorab möchte ich erst einmal sagen: Herr Tonne, Sie und Ihr Haus haben in wirklich kurzer Zeit unter gravierenden Bedingungen extrem viel geleistet.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Auch die Beteiligten vor Ort haben das getan: die Schulen, die Lehrkräfte, die Kommunen, die Kitaträger. Und das gilt es anzuerkennen. Insofern möchte ich hier einmal deutlich Danke sagen. Das

ist für alle eine große Herausforderung in dieser Zeit.

Und dennoch muss ich Ihnen sagen, dass ich bei der Frage der Prioritätensetzung durchaus Kritik habe und auch enttäuscht bin; denn das ganze Thema Bildungsbenachteiligung und Bildungsgerechtigkeit kommt bei Ihren Maßnahmen schlichtweg zu kurz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Wir können nicht zulassen, dass gerade die Kinder, deren Eltern zu Hause nicht in der Lage sind, sie in der Schule zu begleiten, Vorschularbeit zu leisten, bei den Hausaufgaben zu helfen oder sich um ihre Kinder zu kümmern, jetzt auch noch die großen Corona-Bildungsverlierer werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das müssen wir gemeinsam mit aller Kraft verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Nehmen wir das Beispiel der Schulöffnung, die Sie mit hälftigen Klassen vornehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schulgebäude sind dafür überhaupt nicht ausgestattet. Auf den Gängen - das kann man sich angucken - begegnet man sich permanent. Lehrkräfte messen die Abstände zwischen den Tischen, überlegen sich, wie sie Flurkonzepte entwickeln können, überlegen sich, wie sie Pausenkonzepte entwickeln können, und überlegen darüber hinaus noch, wie sie die ganzen Prüfungen abhalten können. Für all diese Fragen haben sie viel zu wenig Zeit: Wie erreiche ich Kinder zu Hause, wie begleite ich die Eltern dabei, das Beschulen zu Hause zu unterstützen und als Eltern mit voranzubringen? - Alle diese Fragen kommen derzeit zu kurz, und die Zeit der Lehrkräfte wächst eben nicht auf Bäumen, Herr Tonne. Wenn Sie also die Prioritäten so setzen, dann setzen Sie sie so. Genau das ist ein Fehler, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dann kommen andere Dinge unter die Räder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen möchten wir Sie hier erneut auffordern: Lassen Sie den Fokus auf den Prüfungen, auf den Nachprüfungen zum Sitzenbleiben! Lassen Sie den Lehrkräften den Raum, sich mit all den anderen Fragen zu beschäftigen! Geben Sie ihnen auch die Flexibilität, die Klassen nicht etwa hälftig zu holen, sondern die Schülerinnen und Schüler vielleicht auch in Kleingruppen mehrmals die Woche

zu holen, andere vielleicht nur einmal die Woche zu sehen und bestimmte Kinder auch zu Hause zu begleiten. Lassen Sie die Lehrer jetzt eben nicht zu Hygienemanagern werden, die vor allem damit beschäftigt sind, die Kinder auf den Pausenhöfen auseinanderzuhalten! Das ist nicht deren Aufgabe. Sie müssen pädagogisch gerade komplettes Neuland betreten, und da ist es herausfordernd genug, die Kinder im Blick zu haben, die besonders in den Blick genommen werden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier sind natürlich auch noch ganz andere Konzepte denkbar. Natürlich kann man überlegen, zusätzliches Personal einzustellen, um Kinder, die bildungsbenachteiligt sind, intensiver zu Hause zu begleiten oder aber auch in Kleingruppen zu betreuen.

Ein weiterer wichtiger Punkt in dem Bereich ist die soziale Schieflage, die wir im Land haben. Wir haben nun einmal Eltern - darüber haben wir eben intensiv gesprochen -, die sich keine Laptops für ihre Kinder leisten können, die nicht in der Lage sind, eine vernünftige Lernumgebung für ihre Kinder zu schaffen. Die Antworten, die Sie geben, wirken halt nur mittelfristig. Die Laptops sind doch noch gar nicht da. Sie müssen doch heute gewährleisten, dass Kinder ein vernünftiges Lernumfeld haben, und können das nicht auf Morgen verlagern. Das wird der ganzen Herausforderung nicht gerecht, und die soziale Schieflage in unserem Land wird dadurch immer größer. Das können wir hier in diesem Hause nicht tolerieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Gleiche gilt für den Bereich der Kitas. Auch dort ist der Fokus nicht etwa auf sozialen Notlagen. Anders als es etwa Hamburg von Anfang an gemacht hat, haben Sie sich entschieden, das offenzulassen und sich anhand von Berufsgruppen zu orientieren. Das ist doch ein Fehler. Wir müssen doch gerade in die Bereiche gehen, in denen Kinder gefördert, begleitet und intensiv vorangebracht werden müssen, und diesen Kindern die Notbetreuung ermöglichen. Die Kinder, die aus Kinderschutz der Notbetreuung bedürfen, müssen im Fokus Ihrer Bemühungen stehen.

Und Sie haben ja immer so nonchalant, mal eben so nett die Kommunen in die Verantwortung genommen. Sehr richtig, die Kommunen sind verantwortlich für die Kitas, und die Kommunen sind auch verantwortlich für die Frage des Mittages

sens. Es ist aber Ihre Verantwortung als Minister, dafür zu sorgen, dass das auch als coronabedingte Leistung vom Land anerkannt und erstattet wird, weil hier erhebliche Kosten auf die Kommunen zukommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da müssen wir die Kommunen finanziell unterstützen, damit sie genau diese Aufgaben bewältigen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und neben der Notwendigkeit eines kommunalen Rettungsschirmes und der Anerkennung der KitaLeistung, der ausgefallenen Elternbeiträge und der Kosten für ein Mittagessen als coronabedingten Ausgaben ist es auch entscheidend, Kommunen und Trägern ausreichend Zeit zu geben, die Maßnahmen vorzubereiten. Sie wissen doch selbst, wie das ist. Sie sagen: Ab Montag können 50 % der Kinder wieder in die Notbetreuung. Und dann stehen die Eltern vor der Tür und wollen hineingelassen werden. Sie können nicht so naiv sein und behaupten, wir haben es den Kommunen freigestellt, das erst zwei Wochen später zu machen. Das trifft doch nicht die Realität in den Kommunen. Die Bürgermeister und die Dezernenten ächzen gerade unter der Last und die Träger ebenso. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier muss Sorgfalt vor Eile gelten, und da muss das Land auch in die Verantwortung und darf den Kommunen nicht den schwarzen Peter zuschieben. Das dürfen wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kurz: Ich möchte, wie gesagt, wirklich anerkennen, was Sie alles geleistet haben, aber ich möchte trotzdem auch sagen: Bedenken Sie die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Bildungsgerechtigkeit stärker, weiten Sie Ihren Blick und überprüfen Sie Ihre Schwerpunktsetzung!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

Wenn wir hier vorn soweit sind, hat als Nächster der Kollege Lasse Weritz für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Hamburg, wir haben heute Morgen schon einmal gehört: Gut gebrüllt, Löwe! - Das passt hier jetzt wieder.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Mindestens „Löwin“, Herr Kollege!)

Auf der einen Seite sagen Sie: „Sorgfalt vor Eile“, was ich völlig richtig finde. Ich finde aber auch, dass dieser Kultusminister genau das gemacht hat. Auf der anderen Seite sagen Sie aber noch heute Morgen: Am liebsten gleich alle Kinder in die Kita, und was mit dem Infektionsschutz ist, ist gar nicht so wichtig, am liebsten soll eine Betreuung für alle sofort gewährleistet werden.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das hat Herr Bajus nicht gesagt!)

Frau Hamburg, das passt so nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Was wir zur jetzigen Zeit brauchen, ist ein Fahrplan, mit dem wir auch für die Eltern Orientierung geben können, wie es jetzt eigentlich weitergeht. Diesen Fahrplan hat der Minister präsentiert. Diesen Fahrplan haben wir jetzt. Wir können also sagen: Ein Teil der Schüler wird zu diesem oder jenem Zeitpunkt wieder zur Schule gehen - bis aufs Datum genau. Wir wissen, dass wir in Kleingruppen und mit geteilten Klassen arbeiten werden, im Kitabereich mit kleinen Gruppen. Die Perspektive ist da, und vor allen Dingen verfolgt die Perspektive auch einen roten Faden.

Meine Damen und Herren, wir unterhalten uns dabei über einen Spagat, den der Kultusminister machen muss. Auf der einen Seite - ich möchte explizit sagen, dass ich das ausdrücklich teile - haben wir die Rechte von Kindern. Wir haben das Recht auf Bildung. Wir haben das Recht, das Kinder unterrichtet werden. Wir haben das Recht, dass der Staat dafür sorgt, dass die Kinder adäquate Lehrmaterialien und ein Lehrangebot von uns bekommen. Aber auf der anderen Seite haben wir auch die Schutzfunktion für die Kinder. Und welche Schutzfunktion ist gerade in der jetzigen Krisenzeit denn wichtiger als die Infektionsschutzbegehren, die wir haben? Wir müssen - bitte, bitte, bitte - wirklich aufpassen, dass wir bei allen verständlichen Öffnungsdiskussionen bei der ganzen Geschichte den Infektionsschutz nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Man hat manchmal den Eindruck - den konnte man auch heute Morgen haben -, dass hier vorne eigentlich mehr eine Schaufensterrede gehalten werden soll, ohne wirkliche Lösungsmöglichkeiten für das Problem zu präsentieren.

Meine Damen und Herren, wir als CDU-Fraktion sagen an der Stelle ganz deutlich: Wir möchten nicht, dass nur ein sozial benachteiligter Teil der Kinder jetzt wieder in die Schule geht. Wir möchten - auch das hat der Minister gesagt -, dass alle Kinder vor den Sommerferien wieder zur Schule gehen, weil bei uns eben kein Kind verloren gehen und zu Hause bleiben soll, nur weil es vielleicht aus einem besseren oder schlechteren Elternhaus kommt. Wir möchten alle Kinder noch vor den Sommerferien erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Aber, Herr Minister, ich möchte Ihnen auch sagen: Sie haben eben formuliert, Sie haben das Notwendigste und Wichtigste getan. Das teilen wir ausdrücklich. Aber wir brauchen jetzt auch Perspektiven, wie es weitergehen kann. Wir müssen uns in absehbarer Zeit darüber unterhalten, wie wir den verloren gegangenen Lernstoff wieder aufbauen können. Wie können wir die Kinder in die Lage versetzen, die Kompetenzen wiederzuerlangen, die in den vergangenen acht Wochen nicht unterrichtet werden konnten und auch bis zu den Sommerferien nicht unterrichtet werden können?

Wir werden uns also z. B. über eine mögliche Sommerschule auf freiwilliger Basis unterhalten. Wir werden uns über Lernangebote in den Sommerferien unterhalten. Das wird vor allen Dingen, meine Damen und Herren, auch für die Lehrkräfte noch eine enorme Belastung werden. Die Lehrkräfte und die Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land haben in den vergangenen acht Wochen Herausragendes geleistet. Sie haben vor enormen Herausforderungen gestanden, und sie werden auch in Zukunft noch vor enormen Herausforderungen stehen.

So viel sei gesagt: Wahrscheinlich werden die Sommerferien nicht so sein wie die letzten, sondern wir werden uns weiter über Notbetreuung unterhalten müssen, auch in den Ferien. Wir werden uns weiter über Lernangebote in den Ferien unterhalten müssen, damit das pädagogische Angebot aufrechterhalten werden kann. Dabei geht es mir gar nicht nur um Lern- und Lehrinhalte, meine Damen und Herren. Wir werden uns auch über ein Spielekonzept unterhalten müssen, sodass Krippen und Schulen ein Spiele-Ausleihkon

zept mit Materialien haben, die in den Schulen vorhanden sind.

Auch Büchereien müssen wieder loslegen. Auch da können wir uns gerne darüber unterhalten: Wie können wir Kinder dazu kriegen, ihren Alltag selber zu gestalten und sich selber auch in die Lage zu versetzen, sich selbst zu beschäftigen, damit Eltern entlastet werden? So viel sei gesagt, auch da gilt: Kinder dürfen auch selbstständig lernen. Das ist sogar etwas ganz Tolles. Wir werden die Kinder auch in die Lage versetzen, das zu tun. Dabei, Herr Minister, haben Sie die Unterstützung unserer Fraktion.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass Niedersachsen - gerade in dem Bereich der Bildungspolitik - jetzt weiter vorangeht und die nächsten Schritte, die der Minister prognostiziert hat, auch umsetzt. Nur so geht Niedersachsen voran, und das ist der Anspruch, den wir als CDU-Fraktion in diesen Tagen umsetzen wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Weritz. - Es kann sich schon mal bereit machen für die AfD-Fraktion der Kollege Rykena.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagverwal- tung desinfizieren das Redepult)