Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Danke schön.

Damit ist der Antrag zur Aktuellen Stunde unter TOP 4 a insgesamt abgehandelt.

(Jens Nacke [CDU]: Herr Wichmann, ich vermisse Ihre Entschuldigung für eine beleidigende Geste!)

Ich rufe den nächsten Antrag zur Aktuellen Stunde auf

b) Strafrecht verschärfen - Kindesmissbrauch ist ein Verbrechen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 18/6876

Dieser Antrag wird durch den Abgeordneten Uwe Schünemann eingebracht. Herr Schünemann, bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Täglich werden Kinder Opfer von sexueller Gewalt. Im Zuge neuester Erkenntnisse aus Nordrhein-Westfalen mussten wir feststellen, dass Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren - in einem Fall sogar im Alter von drei Monaten, ein Baby - misshandelt worden sind. Unvorstellbar, abscheulich und wirklich menschenverachtend! Oftmals wird dieser Kindesmissbrauch gefilmt und tausendfach im Internet oder Darknet verbreitet.

Die Kinder sind nicht nur körperlich, sondern auch seelisch für ihr ganzes Leben gezeichnet. Deshalb ist es an uns - an jedem einzelnen von uns -, alles, aber auch wirklich alles daranzusetzen, Kinder zu schützen, die Täter dingfest zu machen und dafür zu sorgen, dass die Täter solche abscheulichen Straftaten nie wieder begehen können.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Was ist zu tun? - Wir haben gerade gestern gehört, dass in dem Komplex Bergisch-Gladbach Spuren zu 30 000 Tätern ermittelt worden sind. In den

Chats feuert man sich unverhohlen an und gibt sich Hinweise, wie man Kinder missbrauchen kann. Offenbar fühlen sich diese Täter sicher. Oder sie gehen davon aus, dass sie, wenn sie erkannt werden, mit nur drei oder sechs Monaten bestraft werden und eine Bewährungsstrafe bekommen. Damit muss endgültig Schluss sein!

(Beifall bei der CDU)

Deshalb müssen wir die Mindeststrafe auf ein Jahr erhöhen, die Höchststrafe bei Verbreitung von Kinderpornografie auf zehn Jahre erhöhen, und die Strafe bei Besitz von Kinderpornografie muss von drei auf fünf Jahre erhöht werden. Ich bin der Justizministerin Havliza sehr dankbar, dass sie das immer wieder gefordert hat. Ich bin seit zehn Jahren dabei und befasse mich damit. Diese Forderungen sind immer wieder erhoben worden. Aber sie sind immer wieder am Bundesjustizministerium gescheitert. Vor wenigen Tagen gab es wieder die gleiche Reaktion.

Aber ich muss ganz offen sagen: Die jetzt amtierende Bundesjustizministerin hat sich selbst damit befasst und sich korrigiert. Sie trägt das jetzt mit. Diese Korrektur ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Ich bin froh, dass wir diese Änderung jetzt hoffentlich so schnell wie möglich in Gesetzesform gießen können.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, noch nicht überzeugt ist die Bundesjustizministerin von der Abschaffung der Verjährung. Vielleicht liegt das daran, dass diese Verjährung sehr spät einsetzt und die Verfolgung deshalb nicht in irgendeiner Art und Weise gehindert wird. Aber ich glaube, im Gesamtzusammenhang ist klar, dass es kaum jemandem zu erklären ist, dass ein derart schweres Verbrechen verjährt. Insofern ist es sinnvoll, dass auch dies im Gesamtkontext geprüft wird.

Was brauchen wir noch? - Wir brauchen eine Onlinedurchsuchung bei der Verbreitung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch. Wir müssen die Internetprovider verpflichten, dass sie Verdachtsfälle an eine staatliche Stelle melden. Wir müssen die heutigen technischen Möglichkeiten nutzen. Sogenannte Honeypots müssen eingesetzt werden. Es geht darum, die Täter in Netzwerke zu locken, damit sie enttarnt werden und anschließend auch bestraft werden können.

Meine Damen und Herren, im Jahr 2017 waren es 8 400 Fälle, in denen nicht ermittelt werden konnten, weil IP-Adressen und Portnummern nicht mehr

gespeichert waren. Die Vorratsdatenspeicherung allgemeiner Art ist auf europäischer Ebene geblockt. Aber lassen wir uns doch nicht davon blockieren! Es ist doch ein Unding, wenn wir jetzt diese Vorratsdatenspeicherung nicht voranbringen. Lassen Sie uns dieses auf Kinderpornografie und die Speicherung von IP-Adressen und Portnummern konzentrieren! Wenn wir eine solche Vorratsdatenspeicherung light jetzt einführen, sind wir auf der rechtlich sicheren Seite, glaube ich. Zum Schutz der Kinder ist es meiner Ansicht nach notwendig, dass wir auch in diesem Fall jetzt so reagieren.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Wiard Siebels [SPD])

Meine Damen und Herren, wir müssen auch im Bereich der Prävention mehr tun. Deshalb sage ich: Wenn im Führungszeugnis „sexuelle Gewalt“ nach zehn Jahren gestrichen wird, ist das meiner Ansicht nach nicht zu erklären. Denn wenn dann solche Täter vielleicht im Kindergarten oder in der Schule tätig werden, ist das unverantwortlich. Deshalb muss diese Streichungsregelung aus meiner Sicht auch gestrichen werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe vor zehn Jahren das Bündnis White IT gegründet und habe Julia von Weiler kennengelernt - eine empathische Frau, die hier auch mit sehr viel Sachverstand tätig ist. Sie hat uns immer wieder dargestellt: Wir müssen gerade diejenigen, die mit Kindern arbeiten, sensibilisieren. Wir müssen hier mehr Fortbildung machen. Wir müssen natürlich auch erreichen, dass die Aufsicht so ausgestattet ist, dass sie qualifiziert ist und auch ausreichend Zeit hat, solche Fälle dann auch zu erkennen.

Aber sie hat erst vor wenigen Tagen gesagt: Wir haben alle Erkenntnisse. Sie liegen auf dem Tisch. Deshalb sind wir jetzt gefordert, auch zu handeln.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns uns nicht vor Abscheu abwenden! Die richtige Reaktion ist, sich den Kindern zuzuwenden und sie davor zu schützen, dass sie so ein Martyrium erleben müssen. Lassen wir uns gemeinsam davon treiben! Lassen Sie uns gemeinsam Gesetze verändern, aber auch ausreichend Personal zur Verfügung stellen!

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich sage Ihnen: 600 000 Euro für zusätzliche Staatsanwälte sind meiner Ansicht nach sinnvoll; denn ohne Personal wird es nicht möglich sein. Deshalb sind wir als Haushaltsgesetzgeber auch in dieser Frage gefordert. Lassen Sie uns darüber nicht nur nachdenken, sondern endlich auch handeln!

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schünemann. - Nächster Redner ist Kollege Klaus Wichmann, AfD-Fraktion. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Strafrecht verschärfen - Kindesmissbrauch ist ein Verbrechen!“ lautet der Titel des Antrags der CDU zu dieser Aktuellen Stunde. Das ist eine Forderung, der ein ganz besonders wichtiger Gedanke zugrunde liegt: Unsere Kinder sollen selbst über ihre Sexualität bestimmen und nicht von anderen, von Älteren, von Erwachsenen missbraucht werden.

Diesen Grundgedanken teilen wir, so vermute ich einmal, alle hier, auch wenn die eine oder andere Partei auf dem Weg zu dieser Erkenntnis ein wenig länger gebraucht hat.

Kinder schützen, das will der Antrag - genauer gesagt, Kinder besser schützen. Das Strafrecht ist aber nur ein Instrument. Meistens ist es das Instrument, welches einem am ehesten dazu einfällt, weil wir alle glauben, dass höhere Strafen auch stärker abschrecken. Schauen wir allerdings in andere Länder, sehen wir, dass selbst die Todesstrafe Täter nicht davon abhält, Verbrechen zu begehen. Ich bin da tatsächlich skeptisch.

Die Kriminalwissenschaften lehren uns seit ewigen Zeiten: Die Menschen werden fast ausschließlich von zwei Dingen davon abgehalten, Verbrechen zu begehen, nämlich von den eigenen Moralvorstellungen und der Entdeckungswahrscheinlichkeit. Die Moralvorstellungen der Menschen können wir nicht ändern - jedenfalls nicht kurzfristig -, die Entdeckungswahrscheinlichkeit hingegen schon.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal klarstellen, dass der Umgang mit den Verbrechen von Lügde in meinen Augen ein Armutszeugnis darstellt. Da bekommen wir durch Lügde glasklar

vor Augen geführt, woran es hapert; da sehen wir, was wir eigentlich überprüfen und verändern müssen. Und was passiert? Ich sehe keine Offensive für eine Steigerung der Entdeckungswahrscheinlichkeit. Ich sehe eine Menge sogenannter Experten, die sich im Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtages eben nicht hinsetzen und mit offenem Blick das untersuchen, woran es z. B. in der Kommunikation zwischen den Behörden hapert, wo Zuständigkeiten ungeklärt sind, wo der Datenschutz höher gewichtet wird als das Kindeswohl und wo oft genug die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, wo also jede Menge Verbesserungspotenzial für Entdeckungswahrscheinlichkeiten wäre.

Wir haben deshalb an dieser Stelle bereits einen grundlegenden Antrag auf Überprüfung all dieser Schwachstellen und Schnittstellen mit dem einen Ziel, die Entdeckungswahrscheinlichkeiten zu erhöhen, gestellt. Und was bekamen wir für eine Antwort von einem sogenannten Experten aus dem Ausschuss? - Ich zitiere: „Wir brauchen nicht noch eine Notfallnummer“ - die gar nicht Bestandteil des Antrages war!

Ich hoffe sehr, dass wenigstens der derzeit diskutierte Sonderausschuss zu Lügde penibel herausarbeitet, was derart schiefgelaufen ist, dass die Täter sich so lange so sicher wiegen konnten. Denn das, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Skandal und lässt die Täter immer weiter machen.

Doch zurück zum Antrag der CDU: Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie eine Einstufung von jedem Kindesmissbrauch als Verbrechen. Schauen wir uns das mal an! Das Gesetz unterscheidet bislang zwischen dem schweren sexuellen Missbrauch, der bereits ein Verbrechen ist, und dem sonstigen Missbrauch, der bisher als Vergehen eingestuft ist. Was sind die Unterschiede?

Der augenfälligste Unterschied zwischen Vergehen und Verbrechen ist normalerweise die Höhe der Strafandrohung - hier aber nicht wirklich. Beim sexuellen Missbrauch des § 176 StGB liegt der Strafrahmen bereits jetzt zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Die von Ihnen erwähnten drei Monate kommen da zumindest nicht infrage. In den schweren Fällen liegt der Strafrahmen zwischen einem Jahr und zehn Jahren. Der Unterschied ist also nicht besonders groß.

Wenn ich dann noch weiß, dass höhere Strafen Täter nicht abhalten, frage ich mich: Warum machen wir das jetzt hier und unternehmen nicht

stattdessen mindestens genauso viel zur Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit?

Nächster Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen: Die Strafbarkeit einer versuchten Tat ist bei einem Verbrechen stets gegeben. Das zündet hier aber auch nicht so richtig, da gemäß § 176 Abs. 6 in den allermeisten Fällen der Tatbegehung der Versuch auch jetzt schon strafbar ist, auch wenn es sich nur um versuchte Taten handelt.

Ein letzter markanter Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen ist, dass es sich bei einem Verbrechen immer um den Fall einer notwendigen Verteidigung handelt, hier also ein Beschuldigter einen Pflichtverteidiger erhält. Das wird aber sicher nicht das Hauptmotiv für diesen Antrag sein.

Wissen Sie, ich werde mich Forderungen nach Strafverschärfungen bei Kindesmissbrauch mit Sicherheit nicht in den Weg stellen. Das werde ich auch nicht bei der Vorratsdatenspeicherung tun. Man kann über all das reden. Aber wenn man glaubt, damit sei alles getan, oder auch nur, damit sei ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des Problems geleistet, sage ich Ihnen: Nein. Wachen Sie dabei bitte endlich auf!

Sinnvoll finde ich Vorschläge, die Verjährungsfristen solcher Taten anzupassen. Dazu bringen wir im Laufe dieses Plenums übrigens einen eigenen Antrag ein. Ich bin sehr gespannt, ob Sie dann selbst das Kindeswohl ablehnen, wenn es von der AfD geschützt werden soll. So langsam müssen sich doch zumindest die Klügeren unter Ihnen bei dieser völlig intelligenzbefreiten Ablehnungsstrategie ein wenig unwohl fühlen.

(Ulrich Watermann [SPD]: Nein, bei dem, wie Sie gerade Ihr Gesicht ge- zeigt haben!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke schön, Herr Kollege Wichmann. - Ich rufe als nächsten Redner Dr. Marco Genthe von der FDP-Fraktion auf. Bitte!