Protokoll der Sitzung vom 06.10.2020

(Beifall)

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung zu dem Thema „Endlagersuche - eine Generationenaufgabe! Verantwortungsbewusst und transparent.“ - Unterrichtung durch die Landesregierung - Drs. 18/7556

Zunächst darf ich Herrn Umweltminister Lies das Wort für die angekündigte Regierungserklärung erteilen. Bitte, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 28. September 2020 wird in die Geschichte der Endlagersuche eingehen. Dieser Tag ist ein entscheidender Meilenstein bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle.

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung, die BGE, hat am 28. September den sogenannten Zwischenbericht Teilgebiete veröffentlicht. In diesem über 400 Seiten starken Bericht benennt die BGE die Gebiete in Deutschland, die nach dem bisheri

gen Untersuchungsstand günstige geologische Eigenschaften für ein Endlager aufweisen, die sogenannten Teilgebiete.

Im Klartext steht nach dieser Bewertung fest: Eine Region in Deutschland wird ein untertägiges Endlager bekommen. Aber es ist schon aus heutiger Sicht klar: Der Bericht legt eben nicht fest, an welchem Ort dieses Endlager entstehen wird. Er definiert einen Raum, der zur weiteren Untersuchung genutzt wird.

Meine Damen und Herren, er sorgt damit in einem frühen Stadium für die notwendige Transparenz des Verfahrens. Dies ermöglicht der Öffentlichkeit eine erste fachliche und inhaltliche Diskussion über den Stand des Verfahrens und damit eine Vorbereitung für weitere folgende Beteiligungsformate zur Endlagersuche.

Ich bin in den letzten beiden Wochen häufig gefragt worden, ob dies angesichts von 54 % weiter zu untersuchender Fläche in Deutschland nicht zu früh war. Ich sage ganz klar: Im Gegenteil. Das sind die notwendigen - nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, dringend notwendigen -

Transparenz- und Beteiligungsmöglichkeiten in einem sehr frühen Stadium, bei dem die Details eben noch nicht geklärt sind.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, lässt das natürlich auch Reaktionen zu. Wir haben erst gestern online lesen können, dass der Landkreis Emsland einen Beschluss gefasst hat, in dem er sich einstimmig gegen ein mögliches Endlager ausgesprochen hat.

Wer sich die Geschichte ansieht, erkennt natürlich, dass schon 1973, als mit der Endlagersuche begonnen wurde, ein Standort auch im Landkreis Emsland in der Auswahl war. Mit Blick zurück auf die Vergangenheit zeigt sich die Sorge: Was passiert denn da jetzt wieder?

Ich verstehe die Reaktion, ich glaube aber auch, dass wir gut beraten sind, mit unserer Diskussion, die wir hier im Land führen, dafür zu werben, dass wir nicht zu reihenweisen Beschlüssen in Kreistagen und kommunalen Parlamenten kommen, die für sich ausschließen, Standort zu sein, sondern dass wir uns darauf beziehen, dass wir in einem transparenten und wissenschaftsbasierten Verfahren in der Lage sind, in einem Prozess der nächsten Jahre zu entscheiden, wo ein Endlagerstandort in Deutschland möglich sein wird. Ich glaube, dass uns das gelingen muss und dass uns das beim

letzten Mal mit der sachlichen Diskussion auch gelungen ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für diese Landesregierung erkläre ich daher klipp und klar: Wir sagen Ja zum Standortauswahlgesetz. Wir sagen Ja zum Standortauswahlprozess. Wir sagen Ja dazu, dass eine Endlagerung in Deutschland liegen muss und wird - gerade mit deutschen Atomabfällen. Und wir sagen auch: Der bestmögliche Standort kann nur auf der gemeinsam durch Bund und Länder geschaffenen Grundlage dieses Standortauswahlgesetzes gefunden werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken deshalb noch einmal zurück auf den 5. Mai 2017. Das ist der Tag, an dem der Bundestag die Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes auf den Weg gebracht und damit die gesetzlichen Grundlagen für das Verfahren geschaffen hat. Die Kernbotschaft lautet in diesem verbindlichen Rahmen: Das Suchverfahren ist ergebnisoffen, transparent, partizipativ, wissenschaftsbasiert, selbsthinterfragend, lernend und reversibel. Das Ziel: Der gesuchte Standort für die Lagerung hoch radioaktiver Abfälle soll die bestmögliche Sicherheit gewährleisten.

Es besteht kein Zweifel: Nach den vielen in der Vergangenheit begangenen Fehlern und nach dem gescheiterten Versuch, einen Endlagerstandort politisch festzulegen, soll nunmehr diese Generationenaufgabe verantwortungsbewusst und transparent gestaltet werden. Wir wollen kein zweites Gorleben und keine zweite Asse! Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle sage ich auch: Wir danken denjenigen, die sich über viele Jahrzehnte eingesetzt und ihre Zweifel und ihren Protest gerade am Standort Gorleben immer wieder zum Ausdruck gebracht und damit das jetzige Verfahren erst möglich gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage an dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Bürgerinitiativen, an die vielen Menschen, die sich an Protesten beteiligt haben, dabei Mut und Entschlossenheit bewiesen haben, und die sich

nicht gescheut haben, den Widerstand in der Sache hart zu führen. Dabei sind sie beschimpft worden, haben persönlich viel ertragen müssen. Aber diese Unbeirrbarkeit hat sich am Ende ausgezahlt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Bürgerprotest hat eine falsche politische Entscheidung korrigiert und ist zugleich Ausgangspunkt für das jetzige, wissenschaftsbasierte Auswahlverfahren. Denn eines ist auch in dieser ersten Phase schon deutlich geworden - mit dem Bericht der BGE vom 28. September 2020 steht das unmissverständlich und endgültig fest -: Der Salzstock in Gorleben scheidet als künftiges Endlager aus. Er erfüllt schon in diesem frühen Stadium nicht die Kriterien und bietet keine Grundlage für eine günstige geologische Gesamtbewertung.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bergwerk wird zurückgebaut. Das ist ein klares Signal: Gorleben ist keine Rückfallposition, die man sich aufheben darf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eben keine politische, sondern eine ausschließlich nach den Anforderungen des Standortauswahlgesetzes getroffene Entscheidung.

An dieser Stelle möchte ich deshalb noch einmal ganz klar feststellen: Es wäre nach der Asse das zweite Mal gewesen, dass eine politisch motivierte Entscheidung nicht nur die notwendigen wissenschaftsbasierten Kriterien unbeachtet gelassen hätte, es wäre eben nicht der beste mögliche und sicherste Standort in Deutschland gewesen, und es hätte vor allem das Vertrauen in vergleichbare Entscheidungen tief erschüttert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sagt nun der Bericht?

Für die Auswahl wurde der BGE, im Wesentlichen von den Ländern, ein unglaublich großer Datenpool zur Verfügung gestellt. An diese Vorgabe haben sich übrigens alle Bundesländer gehalten. Das ist, glaube ich, ganz wichtig zu wissen, wenn wir den Prozess weiterverfolgen.

Im allerersten Schritt sind unter Berücksichtigung der Ausschlusskriterien 181 Gebiete identifiziert worden. Diese sind nicht ausgeschlossen worden, z. B. als Erdbebengebiet oder wegen Vulkanismus, und erfüllen gleichzeitig die Mindestanforderungen an einen Endlagerstandort. Danach muss der Ge

birgsbereich unter anderem 100 m mächtig sein und 300 m unter der Erdoberfläche liegen.

Mit der dann folgenden Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien sind im Ergebnis 90 Teilgebiete festgelegt worden. Das ist mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands. Zu diesen insgesamt elf Abwägungskriterien gehören beispielsweise die Temperaturverträglichkeit, das Rückhaltevermögen, die langfristige Stabilität. Die drei gesetzlich festgelegten Wirtsgesteine - Salz, Ton und kristallines Gestein wie z. B. Granit - sind dabei ausreichend vorhanden, und dies breit verteilt in Deutschland.

Dies sind schon eindeutige Erkenntnisse, die deutlich machen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa über vielfältige geologische Strukturen verfügt, die eine sichere Endlagerung von hoch radioaktiven Abfällen grundsätzlich möglich machen sollten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet dies für Niedersachsen?

Mehr als 80 % der Landesfläche sind nach diesem Bericht betroffen. Hierzu gehört aber auch die Erkenntnis, dass in Bayern 70 % und in BadenWürttemberg 50 % der Landesfläche betroffen sind. Als einziges Bundesland nicht dabei ist das Saarland. Auch für Niedersachsen steht damit fest, dass neben Salz auch Ton- und Kristallinstrukturen in entsprechender Zahl vorliegen.

Wenn wir diese Teilgebietsflächen zusammen betrachten, dann müssen wir davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens wohl nahezu alle Landkreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen betroffen sind.

Dies zu der Situation, wie sie sich zurzeit in Niedersachsen darstellt. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und kommunizieren - auf das Beispiel der gestrigen Entscheidung eines Kreistages bin ich eingegangen -, verbunden mit der Aussage, dass damit noch lange keine Entscheidung für einen Endlagerstandort getroffen wurde. Es ist eben ein sehr frühes Verfahrensstadium. Es ist wichtig, diese Transparenz jetzt schon sicherzustellen.

Aber natürlich tun sich bereits heute viele grundsätzliche Fragen auf - in den nächsten Jahren wird noch eine ganze Reihe hinzukommen -:

Wie viele der vorliegenden geologischen Daten wurden bislang in die Auswahl einbezogen?

Wie stehen die Wirtsgesteine Ton, Salz und Kristallin zueinander, sowohl als geologische Barrieren

als auch hinsichtlich ihrer Wechselwirkung mit technischen Barrieren?

Neben den bisher bekannten geologisch älteren Tongesteinen werden im Bericht auch geologisch jüngere Tongesteine als geeignet benannt. Was bedeuten die unterschiedlichen Tongesteinsformationen in Bezug auf ihre Eignung als geologische Barriere?

Dies wird in den nächsten Schritten sehr genau untersucht werden müssen. Die Eignung einzelner Tongesteine muss noch geklärt werden.

Der Bericht listet beispielsweise ein einziges Teilgebiet mit Tongestein auf, das sich über acht Bundesländer erstreckt, mit einer Ausdehnung, die größer ist als das Land Niedersachsen. So ist dies Gebiet fast 63 000 km² groß, während andere Gebiete z. B. in der steilen Salzlagerung zum Teil nur 6 km² groß sind. Das zeigt, dass noch erheblicher Erkenntnisgewinn notwendig ist.

Welche Erfahrungen haben andere Länder - z. B. die Schweiz, Finnland, Schweden und Frankreich - gemacht? Können wir sie für den weiteren Suchprozess nutzen? Unsere gemeinsam durchgeführten Reisen nach Finnland und Frankreich haben den Blick sowohl auf unterschiedliche Wirtsgesteine und Einlagerungstechnologien als auch auf unterschiedliche Wege der Entscheidungsfindung gerichtet.

Für den weiteren Prozess ist noch eine weitere Frage von höchster Bedeutung, die wir uns aber heute schon stellen sollten: Wie und mit welcher Gewichtung werden andere Abwägungskriterien, wie beispielsweise der Abstand zu Wohngebieten und Mischgebieten, zu Naturschutzgebieten, zu Gebieten der Trinkwassergewinnung und zu Überschwemmungsgebieten berücksichtigt? Die Untersuchung dieser Kriterien bildet den Schwerpunkt des zweiten Schrittes der ersten Phase, neben ersten Sicherheitsuntersuchungen. Es sind Fragestellungen, die in besonderem Maße auch Niedersachsen betreffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen versichern: Die Landesregierung wird das Verfahren sehr eng begleiten und die bisher angewandte Methodik sorgfältig prüfen, dies auch mit Blick auf die weiteren Verfahrensschritte.

Wir stehen noch am Anfang eines sehr langen Prozesses. Dieser Prozess ist unbeschadet aller gesetzlichen Festlegungen ein lernendes Verfahren, das stets erklärbar und nachvollziehbar bleiben muss, das Zeit benötigt und vor allem anderen