Wir stehen noch am Anfang eines sehr langen Prozesses. Dieser Prozess ist unbeschadet aller gesetzlichen Festlegungen ein lernendes Verfahren, das stets erklärbar und nachvollziehbar bleiben muss, das Zeit benötigt und vor allem anderen
Die im Gesetz angestrebte Standortentscheidung bis zum Jahr 2031 und die angestrebte Betriebsaufnahme des Endlagers bis 2050 müssen diesem lernenden Verfahren Rechnung tragen. Heute bereits festgelegte Zeitpläne können kein Diktat für die Ewigkeit sein. Auf der anderen Seite dürfen wir dieses Thema aber auch nicht unseren Kindern als ungelöstes Problem hinterlassen. Genau diese Abwägung von notwendiger Beteiligung und zeitlich konsequenten Entscheidungen wird uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme bei der Beschreibung zeitlicher Abläufe auf einen wichtigen Punkt zu sprechen, der bei der Standortsuche keinesfalls vergessen werden sollte: die weiterhin notwendige Zwischenlagerung von hoch radioaktiven Abfällen an den jeweiligen Standorten. Ich nenne nur Grohnde, Lingen, Rodenkirchen und nicht zuletzt Gorleben.
Auch hier müssen wir besonders an die Menschen denken, in deren Regionen sich diese Läger befinden. Ihre Sorgen und Ängste müssen wir genauso ernst nehmen. Es darf keinen Zweifel geben: Die Zwischenlagerung ist immer nur die notwendige Vorstufe zu einer Endlagerung.
Wenn längere Lagerzeiträume schon unvermeidlich sind, dann muss jede Zwischenlagerung allerdings auch sicher sein. Das werden wir sehr genau im Blick behalten. Es zeigt sich deutlich, dass wir nicht politisch motiviert abwarten und auf Zeit spielen dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir an dieser Stelle einen wichtigen Hinweis, der immer wieder deutlich zu machen ist: Auch die Menschen aus diesen Regionen haben einen gesetzlichen Anspruch, in die Entscheidungsfindung für ein Atomendlager einbezogen zu werden, was ich übrigens ausdrücklich begrüße.
Wie ordnet sich dieser Anspruch ein, und wie sieht der gesetzliche Rahmen dazu aus? Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat die Aufgabe, das Standortauswahlverfahren durchzuführen. Sie
informiert die Öffentlichkeit über die im Rahmen des Auswahlverfahrens von ihr vorgenommenen Maßnahmen.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, das BASE, ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsbeteiligung. Es führt u. a. Konferenzen durch, an denen betroffene Bürgerinnen und
Daneben nimmt das Nationale Begleitgremium, das NBG, eine wichtige Rolle in der vermittelnden und unabhängigen Begleitung des Standortauswahlverfahrens wahr. Es ist zugleich das Scharnier zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Daher müssen wir auch die notwendige finanzielle und personelle Ausstattung des Begleitgremiums durch den Bund im Blick behalten. Gerade mit Blick auf die nicht öffentlich zugänglichen Daten kommt dem Nationalen Begleitgremium nach der Verabschiedung des Geologiedatengesetzes eine weitere große Bedeutung zu.
Die kritische Begleitung und die Mitrede all dieser durch Gesetz bestimmten Stellen und Gremien sind für das Verfahren und für seine Akzeptanz in der Bevölkerung unverzichtbar.
Angesichts der Betroffenheit Niedersachsens bei den Teilgebieten sieht sich diese Landesregierung mit Unterstützung des Landtages in einer besonderen Pflicht, gerade auch mit Blick auf teils bittere Erfahrungen der Vergangenheit. Wir in Niedersachsen tragen seit vielen Jahrzehnten und auch bereits heute große Lasten bei der Endlagerung und leben mit den schweren Fehlern der Vergangenheit.
Sehr genau hinzuschauen und kritisch den Suchprozess zu begleiten, dazu fühlt sich diese Landesregierung, dazu fühle ich mich persönlich besonders verpflichtet. Ich sehe uns, ich sehe mich hier als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens.
Ich bin dankbar, dass der Landtag mit großer Geschlossenheit und einvernehmlich eine Entschließung auf den Weg gebracht hat, die den eingeschlagenen gemeinsamen Kurs vollumfänglich mitträgt. Das stärkt ohne Zweifel die Rolle Niedersachsens in dem jetzt anstehenden Auswahlverfahren.
Erstens. Unter breiter Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen hat die Landesregierung bereits das niedersächsische Begleitforum Endlagersuche ins Leben gerufen. Dieses Forum ist Teil einer umfassenden Kampagne mit dem Ziel, den betroffenen Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürgern als wertschätzende Vermittlerin zur Seite zu stehen. Noch in diesem Jahr werden wir in Niedersachsen Informations- und Diskussionsveranstal
tungen durchführen. Dieses Forum soll zugleich Plattform für den Austausch der Bürgerinnen und Bürger vor Ort sein. Angesichts der großen für ein Endlager infrage kommenden Flächen - wir sind in den Einschätzungen vorab von kleineren Gebieten ausgegangen - werden wir noch die Orte für Veranstaltungen festlegen. Die Veranstaltungsorte sind - das ist ganz wichtig; das müssen wir immer wieder deutlich machen - kein Signal für ein Endlager in einer dieser Regionen.
Zweitens. Im Umweltministerium wird ein Expertenteam zusammengestellt. Es besteht aus den Fachleuten des Ministeriums und des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie und kann auf Einladung vor Ort eingesetzt werden.
Drittens. Das Umweltministerium hat bereits am 28. September ein eigenes Internetportal freigeschaltet. Hier werden wichtige Informationen zusammengestellt. Die Webseite wird kontinuierlich weiter ausgebaut, und sie dient auch dem Austausch der Bürgerinnen und Bürger mit der Landesregierung.
Viertens. Mit dem Entschließungsantrag hat der Landtag Mittel für weitere Öffentlichkeitsarbeit und die Übernahme von Sachverständigenkosten in den Teilgebieten in Aussicht gestellt. In meinem Haus werden bereits die entsprechenden Voraussetzungen dafür erarbeitet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei werden wir es aber nicht belassen. Grundsätzlich gilt deshalb für die Landesregierung:
Die Landesregierung achtet auf die strikte Einhaltung der von Bundestag und Bundesrat festgelegten Grundsätze und Regularien für die Endlagersuche während des gesamten Suchprozesses.
Sie setzt sich dafür ein, dass die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung im weiteren Verfahren auch tatsächlich berücksichtigt werden. Das ist übrigens eine der großen Herausforderungen, vor die die Menschen gestellt sind: die Fragen „Was passiert eigentlich mit den Hinweisen, die ich gebe?“ und „Was heißt eigentlich ‚berücksichtigt im Verfahren‘?“ - Diese Fragen werden auch von der Bundesgesellschaft für Endlagerung sehr zügig zu beantworten sein.
Die Landesregierung setzt sich dafür ein, der Fachkonferenz Teilgebiete die nötige Zeit zur Beratung und zum Austausch einzuräumen - auch deshalb, weil Öffentlichkeitsbeteiligung und Meinungsbildung in den betroffenen Regionen durch
Unter einem selbstlernenden Verfahren sieht die Landesregierung die Aufforderung, den bestehenden Rechtsrahmen fortlaufend zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Die Landesregierung wird sich gegenüber dem Bund für eine weitere Intensivierung der Forschung bezüglich aller Themenfelder im Zusammenhang mit der Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle einsetzen, insbesondere die Forschung an Endlagerbehältern und Endlagerkonzepten auch für die Wirtsgesteine Ton und Kristallin zu intensivieren. Bisher wurde - das sind die Erfahrungen, die wir gemacht haben - auf Salz gesetzt, übrigens auch beim Bau der Castoren. Wir sind in guter Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarstaaten, aber wir werden uns auch mit eigener Kompetenz für dieses Thema einsetzen müssen.
Wichtig ist, die Forschung noch stärker auf die Kombination aus geologischen Erkenntnissen bzw. aus Wirtsgestein und der entsprechenden Einlagerungstechnik auszurichten. Diese Erkenntnisse haben wir gemeinsam auch im Rahmen unserer Reisen nach Finnland und Frankreich gewonnen. Am Ende wird die Struktur des Wirtsgesteins in Kombination mit der Einlagerungstechnik entscheidend sein. Die Einlagerungstechniken und -verfahren werden sich in unterschiedlichen Wirtsgesteinen erheblich unterscheiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Initiativen der Landesregierung, um das Standortauswahlverfahren über einen langen Zeitraum kritisch-konstruktiv zu begleiten.
Lassen Sie mich dazu eines abschließend betonen: Wichtig ist mir die Beteiligung auch der Jugendorganisationen von Anfang an. Insbesondere dieser Generation müssen wir zuhören und ihre Argumente abwägen, um zu einer Entscheidung über einen Endlagerstandort zu gelangen. Wir sehen uns hier und heute in der Verpflichtung, die Endlagersuche als Generationenaufgabe verantwortungsbewusst und transparent zu gestalten.
Der Suchprozess wird über die ganzen Jahre begleitet von zahlreichen Wahlen in allen Bundesländern und auf allen Ebenen. Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht die große Gefahr, den Suchprozess kurzfristigen politischen Interessen unterzuordnen. Das Beispiel Bayern zeigt:
Sich auf Koalitionsvereinbarungen zurückzuziehen, geht so nicht. Niemand kann seine Verantwortung mit irgendwelchen Koalitionsaussagen auf andere Länder abwälzen.
Es muss anders laufen. Der Bürgerbeteiligung kommt die entscheidende Bedeutung zu, auch wenn die letzte Entscheidung ihren gewählten Vertretern, bei Bundestag und Bundesrat, liegt. Ohne eine breite Beteiligung wird es keine breite Akzeptanz für ein Endlager in Deutschland geben.
Bürgerbeteiligung ist zum einen die umfassende Information der Bevölkerung. Aber nicht nur die Information der Bürgerinnen und Bürger ist zentral. Die Bevölkerung kann und soll das Verfahren der Suche nach einem Endlager entscheidend mitsteuern. Dafür müssen ihre Stellungnahmen sichtbar berücksichtigt und dürfen nicht nur pro forma abgearbeitet werden. Das Gesetz gibt die Möglichkeit, das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit fortzuentwickeln. Es wird unsere Aufgabe sein, das im weiteren Verfahren zu tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne sollten wir Niedersachsen fest zusammenstehen, der Verantwortung, die wir heute tragen, gerecht werden und dafür sorgen, dass etwas, was diese und die Vorgängergeneration zu verantworten haben - den Atommüll -, so sicher endzulagern, dass die nachfolgenden Generationen weiterhin damit leben können.
Ich stelle fest, dass die Regierungserklärung 22 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten, wie eben ausgeführt, die beiden großen Fraktionen ebenfalls je 22 Minuten Redezeit. Die beiden kleinen Fraktionen erhalten je 15 Minuten Redezeit. Jedes fraktionslose Mitglied des Hauses, das sich zu Wort meldet, erhält, wie eben erläutert, 1,5 Minuten Redezeit.
Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Staudte. Bitte, Frau Kollegin!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Umweltminister Lies hat gerade schon sehr viel Richtiges zum anstehenden Suchprozess gesagt; ich möchte das nicht wiederholen. Gestatten Sie mir vielmehr, noch etwas ausführlicher auf die Vergangenheit einzugehen.
Es geht mir dabei ausdrücklich nicht um politische Schuldzuweisung, sondern es geht um das, was eben schon angesprochen worden ist: dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen dürfen.
Aber nicht nur das: Ich glaube, wir müssen uns auch noch einmal vergewissern, damit wir diesem schlimmen Ammenmärchen aus Bayern, Gorleben sei aus politischen Gründen aus dem Verfahren ausgeschieden, entschieden entgegentreten können.
Der vergangene Montag war wirklich ein historischer Tag. Mit einem Paukenschlag wurde das Gorleben-Kapitel beendet, das die niedersächsische Landespolitik über Jahrzehnte geprägt hat. Erst jetzt kann man zu Recht von einer ergebnisoffenen Suche sprechen.
Die BGE hat ihren Zwischenbericht vorgelegt. Darin ist auch ein sehr gutes Kapitel zum Thema „Positive Fehlerkultur“ enthalten, dessen Lektüre ich jedem nur ans Herz legen kann. Es geht darin um offene Kommunikation und darum, die Folgen von Fehlern möglichst frühzeitig einzuschätzen und zu begrenzen.
Deswegen möchte ich auch noch einmal auf die Gorleben-Fehler zurückkommen, die gemacht wurden - allen voran natürlich der Einstieg in die Atomkraftnutzung. Sie alle kennen den Ausspruch: „Man fliegt los, aber hat keine Landebahn.“