Protokoll der Sitzung vom 11.11.2020

Meine Damen und Herren, der Entschließungsantrag weist zu Recht darauf hin, dass es außerdem verschiedene Anpassungen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie geben wird. Die SPD-Fraktion hat gerade ebenfalls darauf hingewiesen.

Darum lassen Sie mich noch kurz auf diesen Aspekt der neuen Regelungen im Insolvenzrecht eingehen. Richtig ist, die Folgen der Pandemie für die Wirtschaft abzumildern. Doch ob die mit dem 1. Oktober in Kraft getretene Verlängerung des Aussetzens der Anzeigepflichten im Insolvenzrecht dabei das richtige Instrument ist, bezweifele ich.

(Unruhe)

Herr Dr. Genthe, warten Sie bitte! - Herr Kollege mit dem Telefon, Sie sind ziemlich deutlich hier oben zu hören. Das stört den Redner. Ich bitte, zum Telefonieren hinauszugehen und ansonsten auch alle weiteren Gespräche hier im Saal einzustellen. Das nächste Mal erteile ich Ihnen wirklich einen Ordnungsruf. Das geht nicht an!

Herr Dr. Genthe, Sie können jetzt fortfahren.

Das private Gespräch könnte über diese Mikrofone auch ganz unprivat werden. Ich würde da auch zurückhaltend sein, Herr Kollege.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz überschreibt die erneute Verlängerung mit dem Ziel, mehr Rechtssicherheit in Krisenzeiten schaffen zu wollen. Meine Damen und Herren, für uns steht aber fest, dass Rechtssicherheit und Vertrauen innerhalb der Wirtschaft gebildet werden können, wenn gesetzliche Regelungen auch in schwierigen Zeiten gelten.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Offenbar sind diese Bedenken auch in Berlin aufgekommen, was die Verlängerung der in der Aussetzung festgelegten Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Tatbestand der Überschuldung, nicht aber auf den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit zeigt.

Trotzdem besteht weiterhin die Gefahr, dass gesunde Unternehmen durch geschaffene Intransparenz im Geschäftsverkehr unverschuldet der Gefahr von Zahlungsausfällen gegenüberstehen. Der Gläubigerschutz muss an dieser Stelle wieder in den Vordergrund treten. Nicht umsonst lehnen auch Wirtschaftsverbände, Insolvenzverwalter und Juristen diese Änderungen ab.

Meine Damen und Herren, es bleibt zu hoffen, dass die Politik an dieser Stelle nicht versucht, schlechte Wirtschaftszahlen zu verschleppen, um vielleicht noch über die Landtagswahlen in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz im März 2021 zu kommen. Das würde sicherlich zulasten der ohnehin schon angeschlagenen Wirtschaft gehen und wäre unverantwortlich. Das wäre ein weiterer Schlag gegen die Akzeptanz der pandemiebedingten Maßnahmen innerhalb der Bevölkerung. Davor kann man nur eindringlich warnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Helge Limburg. Bitte, Herr Kollege Limburg!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entschließungsantrag der Großen Koalition fordert, wie ausgeführt, insofern auf die Bundesebene einzuwirken, dass es in den Ländern weiterhin möglich ist, die Zuständigkeiten für Insolvenzsachen an Gerichten selber zu bestimmen.

Das unterstützen wir - das will ich ganz klar sagen - im Grundsatz ausdrücklich. Es ist zu Recht beschrieben worden: Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen zeigt sich die Nähe zur Justiz tatsächlich auch durch örtliche Nähe. Man sollte nicht den Fehler machen, zu glauben, dass das alles durch die Digitalisierung nicht mehr so wichtig sei. Es macht schon einen Unterschied, wie weit die Wege z. B. zum Insolvenzgericht sind. Insofern teilen wir das im Grundsatz.

In der Debatte hier ist allerdings ausdrücklich gesagt worden - z. B. von meiner Kollegin NiewerthBaumann -, dass alle 33 Insolvenzgerichte in der bisherigen Form erhalten bleiben sollen. Es klang zumindest so durch, als sei im Insolvenzrecht alles gut so, wie es jetzt ist.

Dazu muss ich sagen: Das deckt sich jedenfalls nicht mit einigen Informationen aus Petitionen im Petitionsausschuss und auch nicht mit anderen Rückmeldungen. Ich glaube schon, dass das Insolvenzrecht, das ein sehr wichtiger und gleichzeitig komplexer Rechtsbereich ist, einer Überprüfung bedarf. Insofern bin ich der Europäischen Union im Übrigen ausdrücklich dankbar für die der Reform zugrunde liegende Richtlinie, die im Antrag auch angesprochen wird. Sie weist an vielen Stellen darauf hin, wie wichtig es ist, dass bei den Insolvenzverwaltern, bei den Aufsichtsbehörden die jeweils notwendige Qualifikation vorhanden ist.

Insofern meine ich schon, dass es sehr sinnvoll ist, liebe Kollegin Osigus, sich die komplexe Thematik im Ausschuss noch einmal vertieft anzuschauen und sich durch die Landesregierung unterrichten zu lassen. Schon allein aus diesem Grund widersprechen wir in der Tat dem Antrag auf sofortige Abstimmung.

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt: Wenn Ihnen das so wichtig ist, Frau Osigus, wie Sie das hier dargestellt haben, dann frage ich mich schon, warum Sie nicht - wie es absolut üblich ist - vergangene Woche im Ältestenrat genau dies schon angekündigt haben. Wenn Sie es dabei vergessen haben, hätten Sie auch am Donnerstag, Freitag, Samstag oder Sonntag letzter Woche oder am Montag oder Dienstag dieser Woche auf uns zukommen und sagen können: Wir finden diesen Antrag übrigens so wichtig, dass sofort darüber abgestimmt werden sollte.

So ganz wichtig kann Ihnen das nicht gewesen sein, sonst hätten Sie das nicht erst im Laufe des heutigen Vormittags angedeutet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Ein weiterer Aspekt ist: Ich muss mich schon sehr darüber wundern, nach welcher Wertigkeit die Große Koalition hier entscheidet, was wichtig ist und was nicht. Gestern haben wir über eine ganze Reihe von Entschließungsanträgen beraten, die sich ganz konkret auf eine jetzt schon geltende Verordnung beziehen. Dabei haben Sie gesagt: Da müssen wir erst mal in aller Ruhe abwägen, ob man hier vielleicht irgendwann mal etwas ändert!

Bei dem hier vorliegenden Antrag geht es um einen Gesetzentwurf, der erst in Zukunft in Kraft treten soll, aber Sie sagen: Das müssen wir jetzt aber ganz schnell entscheiden ohne weitere Bera

tung. - Das ist wenig konsequent und insofern auch wenig glaubwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Letzter Punkt: Ich muss mich schon sehr wundern - Herr Dr. Genthe hat es zu Recht angesprochen -, wie groß das Misstrauen hier auf Landesebene gegenüber der Großen Koalition im Bund und vor allem gegenüber der SPD-Bundesjustizministerin Frau Lambrecht ist, wenn Sie sagen: Wenn wir nicht ganz schnell zu einem Beschluss kommen, dann macht sie möglicherweise etwas ganz Fatales für unser Land; deswegen müssen wir sie aufhalten!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangenheit haben Sie doch auch immer gesagt, dass Sie da auch anderweitig in gutem Kontakt sind. Dann lassen Sie doch auch hier Ihre Kontakte spielen, wenn Sie da so große Sorge haben! Wir sind jedenfalls für die Ausschussüberweisung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die Landesregierung hat sich Frau Justizministerin Havliza zu Wort gemeldet. Bitte, Frau Havliza!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal will ich an die Worte des Kollegen Limburg anknüpfen, dass es ein richtiger und auch wichtiger Schritt ist, dass die Bundesregierung die Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie der EU nun zügig in deutsches Recht umsetzen will. Gerade in den heutigen Zeiten können Unternehmen davon profitieren, die unter den Folgen der Krise zu leiden haben. Sie erhalten durch diese Richtlinie neue Möglichkeiten, Sanierungskonzepte künftig ohne Insolvenzverfahren umzusetzen.

Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Konzentration der Unternehmensinsolvenzverfahren - darum geht es in der heutigen Debatte -, wonach nur noch ein Amtsgericht pro Landgerichtsbezirk für Insolvenzverfahren zuständig ist, lehne ich allerdings entschieden ab. Als Flächenland hat Niedersachsen von der bislang bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten zu bestimmen. An diesen Gerichten werden Insolvenzverfahren schon seit vie

len Jahren von engagierten und auch qualifizierten Richterinnen und Richtern, Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern bearbeitet.

Weshalb die in diesem Zusammenhang erworbenen Fachkenntnisse nicht auch weiterhin an denselben Insolvenzgerichten nutzbringend verwendet werden sollen, kann der Gesetzentwurf aus meiner Sicht nicht einmal im Ansatz erklären. Gerade in dieser Zeit mit einem allgemein erwarteten deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen ist es von besonderer Bedeutung, bei den Insolvenzgerichten auf bewährte Strukturen zurückgreifen zu können. Daher bin ich den regierungstragenden Fraktionen für den vorliegenden Entschließungsantrag dankbar, greift er doch die von mir dargestellten Bedenken auf.

Meine Damen und Herren, ich habe mich bereits mit meinen Justizministerkolleginnen und -kollegen auf Bundesebene dafür eingesetzt und werde das auch weiterhin tun, dass es den Ländern auch in Zukunft überlassen bleiben soll, die Zahl der Insolvenzgerichte bedarfsgerecht festzulegen. Die Insolvenzgerichte in der Fläche will ich erhalten.

Einen entsprechenden Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf habe ich bereits gemeinsam mit den Kollegen aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz in den Bundesrat eingebracht. Wir werden sehen, wie damit verfahren wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Es liegt noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Genthe von der FDP-Fraktion vor. Da Sie keine großartige Restredezeit mehr haben, vermute ich, dass es eine Wortmeldung nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung mit zusätzlicher Redezeit ist. Sie haben 90 Sekunden.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Kollege Limburg hat eben völlig zu Recht das Verfahren an dieser Stelle kritisiert.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Auch wir sehen es so, dass die Diskussion, die gerade in Berlin geführt wird, ganz dringend einer Stellungnahme aus Niedersachsen bedarf. Nichts

destotrotz: Vom Verfahren her hätte die Große Koalition durchaus rechtzeitig auf uns zukommen und deutlich machen können, dass eine sofortige Abstimmung beantragt werden soll, und die Gründe dafür darlegen können. Dann hätten wir ganz anders darüber diskutieren können.

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist auch aufgrund der angesprochenen Probleme, die an der einen oder anderen Stelle in Niedersachsen beim Insolvenzrecht bestehen, doch sinnvoll, noch eine Beratung im Ausschuss durchzuführen. Für die FDP-Fraktion kann ich aber zusagen, dass das sehr, sehr zügig erfolgen kann, sodass wir auf jeden Fall das Dezember-Plenum erreichen und rechtzeitig ein Signal nach Berlin senden können, was in Niedersachsen notwendig ist. Wir sehen die Dringlichkeit an dieser Stelle und würden uns sehr freuen, wenn die Große Koalition bei anderen Themen, insbesondere im Bereich der COVID-19Pandemie, auch des Öfteren mal die Dringlichkeit sehen könnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die SPDFraktion hat sich die Abgeordnete Frau Osigus noch einmal zu Wort gemeldet. Sie haben noch eine Restredezeit von fast zwei Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Limburg, man hätte Sie sicherlich vorher fragen können, aber nicht grundsätzlich müssen. Punkt 1.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ganz toll! - Christian Meyer [GRÜNE]: Wir müssen auch der sofortigen Abstim- mung nicht zustimmen! - Weitere Zu- rufe von den GRÜNEN)

- Entschuldigung, darf ich das ganz kurz ausführen? - Danke.