Protokoll der Sitzung vom 11.11.2020

Nachdem ich nun den § 76 unserer Geschäftsordnung sehr weit ausgelegt habe, ist es damit, denke ich, jetzt gut. Ich bitte trotzdem für die weiteren Debatten um Disziplin. Wenn gefragt, geantwortet und debattiert wird oder sogar namentliche Abstimmungen stattfinden, dann schafft man mit Zwischenrufen, Geräuschen und Störungen nur Probleme. Das haben wir alle nicht nötig.

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung: Für ein vernünftiges Miteinander von Mensch und Wolf - Umsetzung am Beispiel des französischen Modells zum Wolfsmanagement in Deutschland - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/7832

Herr Marcus Bosse möchte den Antrag einbringen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zahl der Wolfsrudel ist stark angestiegen. Als der Landtag mit seinen Fraktionen und dieser Landesregierung neu gewählt worden ist, hatten wir zehn Wolfsrudel. Nach knapp drei Jahren haben wir nun 35 Rudel und zwei Wolfspaare. Das heißt, der Wolf breitet sich stark aus, und er fühlt sich offenbar auch sehr wohl hier in Niedersachsen.

Diese Ausbreitung ist auch nicht ungewöhnlich, sondern etwas Natürliches. Jedoch leben wir heute in einer anderen Kulturlandschaft als vor 100 oder

150 Jahren. Viele Flächen werden durch Weidetierhalter genutzt, für Kühe, Schafe, Ziegen und natürlich auch Pferde. Genau diese Tiere stehen natürlich auch auf dem Speiseplan des Wolfes. Mittlerweile - gerade in den letzten Monaten - ist hier ein hoher Schaden verursacht worden, insbesondere durch den Riss von Pferden.

Der Wolf ist unbestritten Teil der Natur, und er ist streng geschützt - streng geschützt auch nach der Aufnahme in das Jagdrecht. Ja, die Aufnahme in das Jagdrecht ist ein Signal. Aber, ich denke, es ist ein gutes und kluges Signal an die Weidetierhalter hier in Niedersachsen.

Mit Sicherheit hat niemand vor - auch das sei dazu gesagt -, den Wolf auszurotten; das muss auch ganz klar sein. Die Aufnahme in das Jagdrecht kann die Grundlage für weitere Schritte sein. Mit zuständig ist an der Stelle nun auch das ML. Ich muss aber sagen, dass es auch schon vorher eine gute Zusammenarbeit zwischen MU und ML gegeben hat.

Die Definition des sogenannten günstigen Erhaltungszustandes ist genauestens zu hinterfragen. Wächst die Population deutlich über diesen Punkt des günstigen Erhaltungszustandes an, sollte das Tier bejagt werden. Ich denke, wir müssen zu einer gewissen Normalität und zu einer Praktikabilität zurückkommen.

Ich versuche, dafür ein Beispiel anzuführen: Wenn ein Rudel Wölfe oder ein Wolf mehrere Schafe auf einem Deich reißt - wir brauchen die Schafe auf dem Deich; warum, brauche ich hier wohl nicht näher zu erläutern -, dann kann es nicht angehen, dass über Wochen und Monate Ausschau gehalten werden muss, welcher Wolf die Schafe gerissen hat, und der Wolf besendert werden muss, um herauszufinden, ob er den Deich erneut aufsucht, um wieder ein Schaf aus der Herde zu reißen.

Dieses Vorgehen ist mittlerweile völlig unpraktikabel und führt zu einer mangelnden Akzeptanz des Wolfes in Niedersachsen und mittlerweile auch im ländlichen Raum. Das heißt nichts anderes, als dass Schaden verursachende Wölfe schnell entnommen werden müssen. Dabei dürfen wir nicht unterscheiden müssen, welcher Wolf den Schaden angerichtet hat, sondern dann müssen gegebenenfalls mehrere Tiere aus einem Rudel entnommen werden können, ohne dass dadurch jedoch der Mindestbestand der Wölfe unterschritten wird.

Es ist ganz wichtig, dass der Staat zeigt, dass er handlungsfähig ist. Es kann nicht sein, dass gefor

dert wird, das halbe Land einzuzäunen. Ich meine, dass das völlig unrealistisch wäre.

Ich bin davon überzeugt, dass Normalität und Praktikabilität wieder zur Akzeptanz des Wolfes beitragen. Ich hoffe, dass auch in Berlin die Tür für unser Anliegen offensteht. Ja, wir sollten uns an dem französischen Modell zumindest orientieren. Wir sollten aber auch so selbstbewusst sein und unser eigenes gutes Monitoring nutzen und umsetzen. Für den Schutz des Wolfes und für ein gutes Management sowie für die notwendige Akzeptanz brauchen wir die aktuelle Anzahl der Wölfe, die in Deutschland leben.

Bei einem Populationswachstum um etwa 30 % jährlich und den schon heute großen Konflikten, die ja eher mehr als weniger werden, ist ein vorausschauendes Management unerlässlich.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es bedarf daher einer wissenschaftlichen Ermittlung der Mindestanzahl der Wölfe. 1 000 getötete Nutztiere in Niedersachsen in nur einem Jahr - 1 000 Tiere! Das ist natürlich ein Grund für die abnehmende Akzeptanz im ländlichen Raum. Dagegen müssen wir angehen. Langfristig und auf der Grundlage des Managementplans ist eine Regulierung des Wolfsbestandes letzten Endes unabdingbar.

Ich denke, das Jagdrecht bildet dafür eine gute Grundlage. Der Wolf unterliegt dann genauso wie Luchs und wie Wildkatze über das Naturschutzrecht hinaus durch das Jagdrecht dem doppelten Schutz. Er unterliegt damit letzten Endes auch - Herr Kollege Dammann-Tamke weiß das und viele andere Kolleginnen und Kollegen auch - der Hegeverpflichtung durch den Jäger. Diese tragen dadurch eine besondere Verantwortung für den Schutz und den Erhalt des Wolfes. Also ein Stück Rückkehr zur Normalität und Unaufgeregtheit!

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen durchaus die hohe Anzahl an Rissen, die durchweg besorgniserregend ist. Wir sehen natürlich auch den hohen Anstieg der Population und vor allen Dingen auch die nachlassende Akzeptanz in der Bevölkerung -

Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Birkner zu?

Okay. - Bitte!

- und die große Aufgeregtheit bei dem Thema, die immer mit Emotionen beladen ist. Auch nach dieser Rede wird es wieder so sein, dass viele Mails eintreffen und dass man sich mit gewissen Botschaften in den sozialen Netzwerken für das Jagdrecht ausspricht. Das ist also mit Emotionen beladen.

Wir müssen jetzt handeln, um für die Zukunft ein besseres Verhältnis zwischen Mensch, Weidetier und dem Wolf zu schaffen. Normalität heißt Unaufgeregtheit, Sachlichkeit, Praktikabilität. Die Grundlagen dafür müssen wir jetzt schaffen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bosse. - Nächster Redner ist der Abgeordnete Christian Meyer, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte, Sie haben das Wort!

(Wiard Siebels [SPD] spricht mit Jens Nacke [CDU] und Christian Grascha [FDP])

- Ich darf um Ruhe bitten, Herr Kollege Siebels! Die Kollegen möchten hier lauschen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Antrag, den CDU und SPD jetzt vorlegen, fordern diese für die Zukunft ein pragmatisches, ideologiefreies, wissenschaftliches, datenbasiertes Wolfsmanagement. Herr Minister Lies, Sie sind jetzt drei Jahre im Amt. Was ist denn Ihre Bilanz dieser drei Jahre? Was haben Sie eigentlich in diesen drei Jahren gemacht? War das nicht wissenschaftlich? War das nicht datenbasiert? War das ideologisch?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig, dass die Bilanz von Herrn Lies in den letzten drei Jahren desaströs ist.

(Widerspruch bei der SPD)

Er hat zu Anfang immer angekündigt, er wolle Wölfe, jedes Rudel, besendern. Bislang ist kein Wolf besendert!

Herr Abgeordneter Meyer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dammann-Tamke zu?

Gerne jetzt schon am Anfang. Die Redezeit wird währenddessen ja angehalten.

Ja. - Bitte sehr!

Herr Kollege Meyer, können Sie uns und dem Hohen Haus erklären, warum der Bund beim bundesweiten Monitoring alljährlich Mitte September die bundesweiten Monitoringdaten zusammenträgt, diese Zahlen aber dann regelmäßig erst Ende Oktober, also mit sechs Wochen Verzug, veröffentlicht werden

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Fragen Sie ihn doch zu seiner Rede - dazu, was er gesagt hat!)

und dann noch ein Jahr weiter im Raum stehen, sodass diese Zahlen im Extremfall anderthalb Jahre veraltet sind? - Genau das ist mit dieser Passage in dem Antrag gemeint.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ach, Sie müssen den Antrag erst erklä- ren?)

Danke. - Herr Meyer, weiter geht es!

Ich kann Ihren Ausführungen keine Frage entnehmen. Ich kann aber gerne auf Ihre Ausführungen eingehen, damit Sie nicht sagen, ich hätte nicht geantwortet.

Ich habe gesagt, die Wolfspolitik des Landes ist desaströs. Das war anscheinend ideologisch, aber nicht pragmatisch, weil weiterhin null Wölfe besendert sind. Das war unter Rot-Grün anders. Da sind bei weniger Wölfen zwei Wölfe besendert worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie kündigen jedes Mal eine Entnahme an. Ich könnte Ihnen so viele Zeitungsberichte zeigen: Der Minister will die Wölfe mehr jagen. Der Ministerpräsident will noch mehr Wölfe schießen. - Ich frage mich dann immer: Was ist eigentlich mehr als null? Er hat bislang null Problemwölfe entnommen.

Auch das war unter Rot-Grün anders. Das ist also ein völliges Scheitern.

Außerdem lassen Sie die Weidetierhalter im Stich. Sie fordern jetzt in Ihrem Antrag wieder, es solle eine Weideprämie geben. Aber wer soll sie bezahlen? Bund und EU. Sie könnten das auf Landesebene machen, was wir Grüne jedes Mal beantragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Übrigens: Hessen - Schwarz-Grün - hat eine Weideprämie eingeführt. Sachsen-Anhalt, ebenfalls mit CDU-Regierung, hat eine Weideprämie eingeführt. Thüringen hat eine Weideprämie für Schafe und Ziegen eingeführt. Sie machen nichts und lassen die Weidetierhalter im Stich.