Protokoll der Sitzung vom 30.11.2020

Uns alle - Bund und Land - eint ein Wunsch hinsichtlich des ÖPNV. Denken wir bitte daran, dass viele Menschen im Land Niedersachsen nach wie vor auf die Nutzung des straßengebundenen ÖPNV genauso wie des schienengebundenen Nahverkehrs angewiesen sind! Wir tun immer so, als wenn alle Welt ein Auto oder ein anderes Fortbewegungsmittel hätte. Das ist, auch im ländlichen Raum, nicht immer der Fall. Die Menschen sind auf die Nutzung von Bussen und Bahnen schlichtweg angewiesen. Insofern hat man sich auf Bundesebene - die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin - auf die Vorgaben mit Blick auf den ÖPNV verständigt, die dem Grunde nach auch in Niedersachsen Maßgabe für unsere Regelungen zum Abstand im Personennahverkehr sowie bei der Schülerbeförderung sind.

Dazu gehört nach unserer derzeitigen Verordnung - § 2 Abs. 2 Satz 1 -:

„Jede Person hat in der Öffentlichkeit, in den für einen Besuchs- oder Kundenverkehr geöffneten Einrichtungen und Veranstaltungen jeglicher Art sowie in den übrigen in dieser Verordnung geregelten Fällen soweit möglich einen Abstand von mindestens 1,5 m zu jeder anderen Person einzuhalten (Ab- standsgebot)“.

Diese Regelung gilt auch für den öffentlichen Personennahverkehr. Allerdings - jetzt kommt die Einschränkung - haben auch bei uns in Niedersachsen die Fahrgäste natürlich - deshalb erwähnte ich das vorhin - einen Anspruch auf Beförderung im ÖPNV.

Da der Raum in den Fahrzeugen des ÖPNV, die Platzkapazitäten, begrenzt sind, kann ein Mindestabstand von 1,5 m - insbesondere zu den Hauptverkehrszeiten - vielfältig nicht eingehalten werden. In diesen Fällen müssen wir auf die Formulierung „soweit möglich“ aufmerksam machen. Fahrgäste müssen in diesem Fall ausdrücklich keinen zwingenden Mindestabstand von 1,5 m einhalten. Es reicht aus, wenn sie so viel Abstand voneinander einhalten, wie es angesichts der jeweiligen Besetzung des Fahrzeuges möglich ist.

Weil Sie auf den Busverkehr eingegangen sind, möchte ich noch einmal einen Punkt dazu anmerken, wie sich die Realität darstellt. Selbst bei einer massiven Ausweitung der Fahrzeugkapazitäten - in Niedersachsen werden, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, im normalen ÖPNV und in der Schülerbeförderung täglich rund 5 000 Busse eingesetzt - wäre es nicht möglich, im öffentlichen Personennahverkehr jederzeit einen Abstand von 1,5 m sicherzustellen. Warum? Ein StandardLinienbus von 12 m Länge kann im Normalfall bis zu 65 Personen - sitzend - befördern. Bei einem Abstand von 1,5 m wären es nur elf Personen. Das heißt, bei einem zwingenden Mindestabstand von 1,5 m bräuchte man anstelle von einem Bus sechs Busse. Schon das zeigt eindrücklich die erforderlichen Ressourcen an Fahrzeugen und Fahrpersonal für die erforderliche massive Kapazitätserweiterung, die schlichtweg nicht vorhanden sind. Abstandsregeln und Reservierungspflicht sind daher nicht zielführend.

Wir haben in Niedersachsen allerdings sehr wohl - wie Sie wissen - im Wege des Haushaltsbegleitgesetzes vor, durch Erhöhung der Platzkapazitäten zur Verbesserung des Infektionsschutzes beizutragen, indem wir 30 Millionen Euro zusätzlich für die kommunalen Aufgabenträger zur Verfügung stellen. Diese Mittel können von den Kommunen möglichst flexibel für Ausgaben im Zeitraum vom 26. Oktober bis zum 31. Dezember verwendet werden. Diese 30 Millionen Euro können in die zusätzliche Beschaffung von Bussen bzw. Buskapazitäten von privaten Busunternehmen fließen.

Allerdings muss man der Ehrlichkeit halber hinzufügen: Meines Wissens sind es etwa 300 bis 400 private Reisebusunternehmen, die kurzfristig ihre Busse zusätzlich zur Verfügung stellen können. Das heißt, diese 30 Millionen Euro müssen nicht nur für die Anschaffung von Bussen, sondern auch für die Verbesserung der Lüftungsanlagen, der Filteranlagen, für besondere Hygienemaßnahmen und insbesondere - neben Verstärkerleistungen - auch für zusätzliche Umläufe eingesetzt werden.

Der flexible Schulbeginn kann dahin gehend genutzt werden, dass der Busfahrer zusätzlich zu der Fahrt, die er normalerweise einmal täglich um 7.30 Uhr oder um 8 Uhr macht, möglicherweise flexibel fährt, um eine zusätzliche Entzerrung der Schülerverkehre und des ÖPNV insgesamt hinzubekommen. Das ist zumindest unser Ziel.

Für all diese Maßnahmen, für dieses Maßnahmenpaket, stehen die 30 Millionen Euro zur Verfügung.

Es wurde vor Kurzem in einer niedersächsischen Zeitung berichtet, dass zusätzliche Mittel sowohl für Fahrzeuge als auch für Fahrer fehlten. Ich habe es gesagt: Reisebusunternehmen können landesweit bis zu 372 Busse - nun habe ich die Zahl gefunden - zum Einsatz im ÖPNV und in der Schülerbeförderung zur Verfügung stellen. Das verteilt sich natürlich regional unterschiedlich. Von daher müssen wir neben dem zusätzlichen Einsatz von Bussen weitere Maßnahmen ergreifen, wie z. B. die entsprechende Zurverfügungstellung von Lüftungsanlagen oder sonstige Hygienemaßnahmen, um einen sicheren öffentlichen Personennahverkehr in Niedersachsen zu gewährleisten.

Insgesamt stellen wir in Niedersachsen mit Zusatzmitteln des Bundes nach dem Regionalisierungsgesetz rund 206 Millionen Euro für den ÖPNV und zusätzlich aus Niedersachsen 190 Millionen Euro aus dem COVID-19-Sondervermögen zur Verfügung. Auch im Vergleich zu anderen Bundesländern, Herr Abgeordneter Bode, leistet Niedersachsen damit einen herausragenden Beitrag zur Rettung des ÖPNV, zur Stützung des ÖPNV in Niedersachsen und damit zur Unterstützung der kommunalen Ebene. Das Land gleicht im Übrigen 100 % der Fahrgeldverluste seit März 2020 aus. Das ist eine erhebliche Leistung, die wir in Niedersachsen zur Sicherung und Stärkung des ÖPNV und des SPNV zusätzlich zur Verfügung stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Jörg Bode [FDP]: Was ist mit der Verkehrsminis- terkonferenz? Die zweite Frage!)

Die nächste Zusatzfrage - - -

(Minister Dr. Bernd Althusmann: Ich habe noch etwas vergessen!)

- Haben Sie etwas vergessen?

Ja, Herr Abgeordneter Bode hatte noch nach einer Strategie für die nächste Verkehrsministerkonferenz gefragt.

Alle Verkehrsminister sind sich darin einig, dass die entsprechenden kommunalen Aufgabenträger mit zusätzlichen Mitteln unterstützt werden. Wir sind uns einig bei weiteren Maßnahmen wie der Beschaffung weiterer Busse, soweit das machbar

und möglich ist. Aber wir können die Busse und auch die Fahrer nicht beliebig vermehren. Im Moment gilt nach wie vor, dass alle Bundesländer diese 1,5 m Abstand ebenfalls soweit möglich - soweit mir die Strategien der Verkehrsminister bekannt sind - umsetzen. An dieser Strategie müssen wir aus meiner Sicht auch für die nächste Verkehrsministerkonferenz zunächst einmal nichts ändern. Wir versuchen, den größtmöglichen

Schutz überall im ÖPNV - ich denke, das gilt auch für die anderen Bundesländer - zu gewährleisten.

So, bin ich jetzt entlassen? - Nein, entlassen nicht. Das kann er nicht.

Wir haben noch eine Wortmeldung für eine Zusatzfrage des Abgeordneten Christian Grascha aus der FDP-Fraktion vorliegen. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vor dem Hintergrund der Einschränkungen, die wir im Einzelhandel auch durch die neue Verordnung haben, und vor dem Hintergrund der Befürchtung, dass es durch eine Schlangenbildung vor den Geschäften gegebenenfalls zu einem Infektionsgeschehen kommt, hat der Wirtschaftsminister des Landes am 26. November gegenüber der dpa eine Kritik geäußert. Ich zitiere wörtlich:

„Hier gehen die Einschränkungen am Ziel, möglichst hohen Schutz zu erreichen, vorbei.“

Wie bewertet die Landesregierung die Kritik des Wirtschaftsministers?

(Beifall bei der FDP)

Bitte, Herr Wirtschaftsminister!

(Jörg Bode [FDP]: Ich glaube, er fin- det sich selbst gut!)

Ich finde meine Aussage grundsätzlich gut. Sie war auch in der Sache richtig - aber mit Blick auf das übergeordnete Ziel. Ich gebe zu, das, was die Menschen in Deutschland im Moment am meisten irritiert und nachdenklich macht, ist, dass, nachdem man sich auf eine gemeinsame Linie verständigt hat, das Ganze am nächsten Tag plötzlich - zumindest teilweise - schon wieder gekippt wird.

Insofern wäre es, glaube ich, ein Stück aus dem Tollhaus gewesen, wenn wir als Niedersachsen, die wir maßgeblich auch in der Ministerpräsidentenkonferenz - - -

Der Ministerpräsident und ich haben genau über diesen Punkt gesprochen. Wir sind uns dem Grunde nach in der Bewertung der Frage von bis zu 800 m2 oder ab 801 m2 einig. Wir haben die Regelung vom Frühjahr des Jahres noch gut im Hinterkopf. Wir haben sie noch gut in Erinnerung. Wir wissen, wie schwierig sie umsetzbar ist. Aber ich denke, mit Blick auf ein gestiegenes oder ein sich auf hohem Niveau stabilisierendes Infektionsgeschehen, ohne zu 100 % zu wissen, wie die Infektionsketten tatsächlich sind, ohne komplett zu erkennen, wo die Infektionsketten weitergehen, ob nun im Einzelhandel, ob nun in der Kälte vor der Tür des Einzelhandels oder wo auch immer, haben wir uns am Ende dazu entschieden, diese Bundesregelung umzusetzen.

Sollte sich in den nächsten Wochen herausstellen, dass das Infektionsgeschehen in Niedersachsen deutlich sinkt - deutlich unter eine Inzidenz von 50, womöglich unter 35 oder in die Nähe von 35 -, werden wir selbstverständlich innerhalb des Landes, innerhalb der Landesregierung eine Entscheidung dahin herbeiführen, dass wir an dieser Stelle nachsteuern. Dessen sind wir uns bewusst. Darüber haben wir auch gesprochen. Aber wegen der Einheitlichkeit einer Umsetzung einer solchen Maßnahme, die für niemanden ein besonderes Vergnügen war, haben wir uns entschieden, diese Maßnahme umzusetzen.

(Christian Grascha [FDP]: Das war ja am 26. November!)

Die Maßnahme ist allerdings weitreichend und hat weitreichende Folgen; das will ich schon noch erwähnen. Der innerstädtische Einzelhandel rechnet im Moment damit, dass etwa 60 % der Einzelhändler in Deutschland in ihrer Existenz gefährdet sind. Herr Kollege Bode, ich bin mit nicht ganz sicher, ob jetzt die zehn Personen oder die 800-m2- oder 801-m2-Regelung oder wie auch immer den Einzelhandel werden retten können.

Das Entscheidende sind doch am Ende wir. Wenn wir ein Stück weit mit dazu beitragen, dass die Einzelhändler in unseren Städten jetzt nicht hängengelassen werden, und wir alle nicht nur auf online umschalten, sondern in den stationären Einzelhandel in unseren Städten gehen, können auch wir einen Beitrag dazu leisten, dass dort zu

mindest ein Teil des Weihnachtsgeschäftes stattfindet.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann nur alle Niedersachsen dazu auffordern, eine gute Mischung zu finden. Wir schreiben es nicht vor, wer wo zu bestellen und zu kaufen hat. Aber die Situation im niedersächsischen und im deutschen Einzelhandel ist dramatisch. Und insofern können wir nur hoffen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten nicht erleben werden, dass in Niedersachsen bis zu 5 000 Insolvenzen kommen. Diese Zahl steht im Raum. Wir versuchen, dagegen anzukämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister.

Uns liegen keine weiteren Wortmeldungen für Zusatzfragen zur Anfrage der Fraktion Bünd

nis 90/Die Grünen vor. Ich schließe daher diesen Punkt.

Wir kommen jetzt zu

b) Wird aus dem Lockdown Light ein Lockdown Long? - Anfrage der Fraktion der FDP - Drs. 18/8021

Zur Einbringung hat sich der Abgeordnete Christian Grascha zu Wort gemeldet.

(Unruhe)

- Und zuvor bitte ich darum, dass ein wenig Ruhe einkehrt.

Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich verlese die Dringliche Anfrage der FDP-Fraktion.