Protokoll der Sitzung vom 26.10.2005

(Beifall von CDU und FDP - Helmut Stahl [CDU] blättert in seinen Unterlagen. - Ralf Jäger [SPD]: Konzept verloren?)

- Nein, überhaupt nicht.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Das ist doch lä- cherlich! Das könnte Ihnen genauso passie- ren! So ein Quatsch! - Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist gesundheitsgefährdend, was Sie da machen! Wir hatten soeben eine fulminante Rede des neu- en Finanzministers. Das war die Rede eines nicht nur vorsichtigen, sondern auch eines ehrbaren Kaufmanns. Dagegen ist das, was Sie über Jahre vorgelegt haben, glatte Rosstäuscherei. (Rainer Schmeltzer [SPD]: Bilanzrechnung noch einmal nachlesen!)

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Abgeordnete Rüdiger Sagel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Zurufe von der CDU: Herr Sagel, jetzt sagen Sie etwas zur Sache!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Wir stehen zur Haushaltskonsolidierung und zu Sparmaßnahmen, zur Haushaltsklarheit und zur Haushaltswahrheit. Doch was Sie mit Ihrem ersten Haushalt in den öffentlichen Raum stellen, das hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit relativ wenig zu tun. Das ist mehr als widersprüchlich.

(Zuruf von der CDU: Nachtragshaushalt!)

- Es ist nicht nur ein Nachtrag, sondern es ist auch ein Haushalt. Es ist ein konkreter Haushalt.

Der Kahle Asten ist der höchste Berg in Nordrhein-Westfalen. Den höchsten Schuldenberg in Nordrhein-Westfalen häuft jetzt die neue schwarzgelbe Landesregierung an.

(Lachen von der CDU)

Nichts von Konsolidierung und Sparmaßnahmen zu erkennen, ein Kahler Asten der Schulden - das ist ihre erste Bilanz!

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Mindereinnahmen belaufen sich gegenüber dem ersten Nachtragshaushalt von Finanzminister Dieckmann auf insgesamt 584 Millionen €; die

Mehrausgaben betragen 1,632 Milliarden €. Die Gesamtverschlechterung beträgt daher 2,216 Milliarden €. Die Nettoneuverschuldung beträgt damit zum Jahresende 7,38 Milliarden € und stellt damit einen Rekord für eine Neuverschuldung in Nordrhein-Westfalen dar. Die Neuverschuldung übersteigt die Summe der zulässigen Rate um 1,4 Milliarden € und ist somit verfassungswidrig. Bisher war dieser Haushalt verfassungsgemäß.

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Herr Linssen, ich kann Ihnen nur sagen: Sie hängen in einer finanzpolitischen Steilwand und sind schon beim ersten Gipfelsturm abgestürzt.

Kein Wunder! Wer keine Seilschaft in den übrigen Ministerien hat und es als Freeclimber versucht, endet mit dem Absturz. Ihr Ziel mit diesem Nachtragshaushalt ist hauptsächlich eines: Sie wollen Rot-Grün Ihre politisch motivierten Erhöhungen und die Verantwortung für diesen Kahlen Asten in die Schuhe schieben, um dann in den nächsten Jahren zu behaupten, sie kämen mit der Haushaltskonsolidierung voran.

Deswegen ist es, wie Sie das hier dargestellt haben, keine Schlussbilanz von Rot-Grün, sondern ein erstes Zeugnis von Schwarz-Gelb. Wir Grüne wollen eine soziale und ökologische Politik und tragen Korrekturen mit, wo sie denn nötig sind. Doch was CDU und FDP hier machen, ist ein Verstecken hinter angeblichen Versäumnissen und ein Tricksen mit dem Haushalt. Mit Haushaltsklarheit und -wahrheit hat das nichts zu tun. Wer Mindereinnahmen ausweist und Mehreinnahmen weglässt, hat seinen Anspruch auf Haushaltsklarheit und -wahrheit verwirkt. Das gilt auch für Minderausgaben.

Beispielhaft sei im Übrigen die Steinkohle genannt, wo vieles unklar bleibt, was Sie selber an Klarheit gefordert haben. Auch wir sind an einem Kassensturz interessiert. Wir stehen für klare, transparente Haushaltspolitik und Konsolidierung. Auch Rot-Grün hätte zusätzliche Ausgaben für den Länderfinanzausgleich ebenso in den Haushalt eingestellt wie die reduzierten Erlöse aus dem Verkauf von Beteiligungen. Das hätten wir als Grüne auch gemacht.

Auch halten wir die Schuldentilgung bei der BVG für einen akzeptablen Schritt. Allerdings, Herr Linssen: Jeder Gipfelstürmer braucht ein Basislager. Sie aber, Herr Linssen, haben es nicht einmal bis zum Basislager geschafft, sondern sind schon beim Anmarsch darauf gescheitert. Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Ihnen weit auseinander.

Ein Kernthema des schwarz-gelben Wahlkampfes war es, immer wieder das vermeintliche Versagens der alten Landesregierung in Haushaltsfragen ins Land zu transportieren und zu erklären, dass Sie tatsächlich eine andere Politik machen wollten. Wir müssen allerdings feststellen, dass Sie selbst in Ihren Ankündigungen massiv zurückrudern mussten.

Ein Riesengeschrei haben Sie zum Beispiel über das Wasserentnahmegeld angestimmt und die sofortige Rücknahme nach der Wahl angekündigt.

(Hannelore Kraft [SPD]: So war es!)

Nichts ist passiert.

Solide Haushalte wollten Sie präsentieren. Erkennen können wir nichts.

Lange können Sie den Finger nicht mehr auf andere richten. Sie haben die Regierungsmacht. Sie müssen Ihren Ankündigungen Taten folgen lassen. Aber was tun Sie tatsächlich?

CDU und FDP sind vollmundig damit angetreten, den Haushalt zu sanieren und dauerhaft zu konsolidieren. Insbesondere im Personalbereich wollten Sie massive Einschnitte durchsetzen. Das fordert jetzt auch Ihre Haushaltskonsolidierung, die Sie in die Bredouille bringt. Stattdessen wurden 91 und nicht 67 - wie Herr Stahl es hier erklärt hat - zum Teil hoch dotierte Stellen für Parteigänger in den Spitzen der Ministerien geschaffen, Kosten: 5,5 Millionen €.

Die Grünen haben zum Beispiel beim Eintritt in die Landesregierung 1995 nur in jedem Ministerium eine einzige Staatssekretärsstelle geschaffen. Das ist das, was wir gemacht haben.

Der Finanzminister argumentiert immer damit, dass diese Stellen zur Unternehmenssanierung notwendig seien. Inwieweit Redenschreiber in der Staatskanzlei zur Unternehmenssanierung notwendig sind, das bleibt mehr als zweifelhaft. Redenschreiber sind keine Sanierer. Wenn Sie diese Stellen wenigstens etwa zur Erhöhung der Zahl der Steuerprüfer eingesetzt hätten, wäre es noch zu verstehen gewesen. Immerhin erbringt jeder Steuerprüfer ungefähr 500.000 bis 1 Million € Mehreinnahmen, was auch dem Landeshaushalt zugute käme. Doch Ihre Politik sieht da anders aus.

Wie Sie die Personalkostenreduzierung in den Folgejahren durchführen wollen, bleibt abzuwarten. Jetzt praktizieren Sie erst einmal das Gegenteil. CDU und FDP haben alle großen Personalbereiche und damit einen Anteil von über 80 % des Personals aus der Konsolidierung herausgenom

men. Es verbleiben lediglich 30.000 bis 35.000 Stellen, bei denen Kürzungen überhaupt möglich sind. Sparen Sie davon entsprechend dem Koalitionsvertrag 1,5 % pro Jahr ein, kommen Sie pro Jahr auf nur ca. 500 Stellen insgesamt, maximal 2.500 Stellen in fünf Jahren, die Sie tatsächlich einsparen könnten, wenn Sie bei dem bisher Gesagten bleiben.

Gleichzeitig sollen laut Koalitionsvertrag 4.000 neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer geschaffen werden. Schon dies passt kaum zusammen. Hinzukommen sollen jährlich noch 120 Millionen € an Kosten für entsprechend 2.400 LehrerInnenstellen für Ganztagsangebote über das bisher bereitgestellte Budget hinaus. Hier werden Buchungen gleich mehrfach vorgenommen. Der Vorwurf der Luftbuchungen fällt auf den Finanzminister selbst zurück.

Die Liste ließe sich um weitere Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag oder sonstige Ankündigungen ergänzen - Exzellenzinitiative, längerer Erhalt von Horten, Qualitätsverbesserung bei der offenen Ganztagsgrundschule usw. -, die versprochen, aber bisher nicht finanziert sind.

Doch es geht noch weiter: Obwohl CDU und FDP die Regierungspräsidien abschaffen wollen und nur noch drei Regionalpräsidien auf der Mittelebene sehen wollen, war eine der ersten Amtshandlungen von Herrn Rüttgers, drei der fünf RPs abzuberufen und dort unter anderem bei der Regierungsbildung zu kurz gekommene Abgeordnete unterzubringen. Auch das ist ein Teil Ihrer Haushaltsklarheit und -wahrheit und von dem, was Sie hier in diesem Haushalt machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Reiterstaffeln - deren Abschaffung war eine von uns durchgeführte Konsolidierungsmaßnahme - sollen wieder eingeführt werden. Die Reduzierung bei der Ersatzschulfinanzierung wurde durch Kabinettsbeschluss - mal eben 15 Millionen € - zurückgenommen, übrigens alles ohne Gegenfinanzierung der Kosten, die hier tatsächlich neu entstehen, also ohne Minderausgaben auf anderer Seite. Auch die Haushaltssperre wirkt in den meisten Bereichen nicht. Der Finanzminister geht von einem Gesamtsparvolumen von maximal 30 bis 100 Millionen € aus. Auch bei den Steinkohlesubventionen wird zurückgerudert. Der RAG wird in Walsum ein ungeheurer Subventionsbetrag hinterher geworfen.

All das ist Ihre Politik, die sich in diesem Nachtragshaushalt niederschlägt. Sparvorschläge sind nicht erkennbar.

Der Nachtragshaushalt treibt die Schuldenlast in die Höhe. Mit diesem Haushalt sollen 2,2 Milliarden zusätzliche Schulden gemacht werden. Dies bedeutet eine Verschuldungsspitze in Höhe von 7,3 Milliarden. Die Verschuldung liegt damit um 1,4 Milliarden über der Verfassungsgrenze.

Der Finanzminister unterbreitet keinen Vorschlag für wirkliche Einsparungen. Seine Haushaltssperre ist ein zahnloser Tiger. Die Beratung in den Fachausschüssen hat gezeigt, dass die Ministerien nicht verausgabte Gelder im nächsten Jahr ausgleichen wollen oder sich alle wesentlichen Bereiche durch die Genehmigung des Finanzministers von der Sperre freistellen lassen. Sie haben wirklich keine Seilschaft, Herr Linssen. Sie tun mir Leid.

Es ist keineswegs so, dass Rot-Grün alles zementiert. Es gibt auch die Entscheidungen der neuen Regierung, von uns angestoßene sinnvolle Projekte fortzuführen. Von einem ressortübergreifenden Gegensteuern, was Ihre Haushaltskommission fordert - Sie haben den Bericht kürzlich vorgelegt -, ist nichts zu erkennen. Auch das steht in krassem Widerspruch.

Die Finanztricks verfälschen Bilanzen. Mit Finanztricks will die Landesregierung die Schuldenlast künstlich in die Höhe treiben, um in den Folgejahren Konsolidierungserfolge vortäuschen zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch ein Beispiel: der BLB. Es werden Schulden bei Landesgesellschaften wie dem BLB, die keine Liquiditätsprobleme haben, abgelöst. Immerhin bedeutet dies 613 Millionen € allein für den BLB. Schwarz-Gelb will dem BLB diese Summe zur Schuldentilgung zuführen. Begründet wird dies damit, dass der BLB mit den eingesparten Zinsen Maßnahmen zur Altlastensanierung und zum Brandschutz durchführen könne.

Nach der bisherigen Konstruktion allerdings erwirtschaftete der BLB seine Mittel aus Verkäufen. Bisher ist aus der Bilanz nicht ersichtlich, dass der BLB dazu nicht auch weiterhin in der Lage sein sollte. Insofern scheint insbesondere diese Maßnahme abzulehnen zu sein und der Verdacht nahe zu liegen, dass hier entweder Rücklagen für künftige Operationen der Regierung geparkt werden oder dass die Braut für den Verkauf geschmückt wird. Wir werden sehen und erleben, was Sie mit dem BLB vorhaben, Herr Linssen.

Nicht viel anders bei der LEG: Ein bereits testierter Jahresabschluss der LEG wurde auf Interven

tion des Bauministers zurückgezogen und die 7 Millionen Gewinn in die Rücklage gestellt. Das ist natürlich bilanziell zulässig, aber ein reiner Buchungstrick. Der Finanzminister will die Schlussbilanz von Rot-Grün schlechtrechnen und die Eröffnungsbilanz von Schwarz-Gelb beschönigen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es kann allerdings nicht sein, dass bei Überschreitung der Grenze alle darüber hinaus wünschenswerten Ausgaben in dieses Jahr gepackt werden, um künftige Haushaltsjahre von diesen Lasten zu befreien. Denn es ist auch weiterhin der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten.

Ferner möchte ich auf den Punkt Stromausschreibung eingehen. Es kommt in verschiedenen Bereichen zu Mehrkosten, die wohl auf das Verhalten der Hochschulen zurückzuführen sind, die Ausschreibungen aus einer Hand nicht wollten, was es aber ermöglicht hätte, bessere Konditionen zu erreichen.