Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

Wenn das als kommunale Aufgabe prioritär angesehen wird, spricht überhaupt nichts dagegen, von diesen 110 Millionen € aus dem Landeshaushalt einen Teil zu nehmen und daraus das Sozialticket zu finanzieren.

Nur eines werden wir nicht zulassen: Wir werden nicht zulassen, dass Sie auf populistische Art und Weise an jeder Stelle versuchen, das Land auch bei Aufgabestellungen mit ins Boot zu holen, die originär kommunalpolitische Aufgaben sind und bei denen es in der Hoheit der Stadträte, der Kreistage und Gemeinderäte liegt, zu entscheiden, was finanziert werden soll und was nicht.

Hier legen Sie eine durchschaubare Strategie an den Tag. Ich prophezeie Ihnen aber, dass Sie mit dieser Strategie scheitern werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Wittke. – Für die SPD-Fraktion spricht als Nächster der Kollege Körfges.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit dem Thema „Sozialticket“ seit geraumer Zeit beschäftigen und eine ganze Reihe von Ursachen – an der Stelle trennt uns hier im Hause wenig – dafür sehen, dass es nötig, sinnvoll und unterstützenswert ist, wenn vor Ort Sozialtickets eingeführt werden.

Meine Damen und Herren, den Kommunen dann allerdings finanziell die alleinige Verantwortung zu geben, ist erstens in der Sache zu kurz gesprungen und zweitens, meine Damen und Herren von dieser Landesregierung, die den Kommunen seit Jahren unablässig in die Tasche greift, eine glatte Unverschämtheit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir reden hier über Beträge, die vergleichsweise überschaubar sind. Wenn dann die kommunale Verantwortung eingefordert wird, möchte ich einen kleinen Hinweis zum Beispiel auf mindestens 180 Millionen € geben, die den Kommunen durch die Wegnahme der Grunderwerbssteueranteile fehlen. Ich möchte einen weiteren Hinweis machen: Wenn Sie es mit der Konnexität und Aufgabenklarheit so deutlich haben, meine Damen und Herren, frage ich mich, warum im Augenblick ziemlich viele Städte und Gemeinden unseres Landes bezüglich der Verwaltungsstrukturre

form gegen diese Landesregierung klagen. Die Nummer mit der Kommunalfreundlichkeit ist etwas, womit Sie nicht durchkommen.

(Beifall von der SPD)

Das ist eine typische Jürgen-Rüttgers-Nummer: Statt sachlichen Dingen kloppen Sie einfach hohle Thesen. Ansonsten ist nichts gewesen. Meine Damen und Herren, die Kommunen, die das machen, haben einen Anspruch darauf, dass wir uns als Land dieser Aufgabe stellen, und zwar unter zweierlei Aspekten:

Der erste Aspekt ist, dass wir sicherlich auch in einer sozialpolitischen Mitverantwortung stehen. Diese sozialpolitische Mitverantwortung wird dann stärker, wenn durch die Landespolitik die Beförderungskosten für die Menschen individuell höher werden.

Zweitens. Bei aller Notwendigkeit, zum Beispiel der Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben, gibt es einen überragend wichtigen Grund für eine große Gruppe der betroffenen Menschen, nämlich den, zur Arbeit zu kommen, sich einen Job zu suchen. All das ist mit Mobilität verbunden und sicherlich ein Bemühen, das vernünftigerweise landespolitisch im Einklang mit unseren Regelungen zu unterstützen ist.

Meine Damen und Herren, Herr Romberg hat einen Ausflug in das schwierige Thema „niedrige Einkommen und Belastungen“ unternommen. Herr Romberg, ich sagen es Ihnen ganz deutlich: Wer sich mit der Materie ein bisschen auseinandersetzt, der weiß, dass Steuern sicherlich bei den Beziehern niedriger Einkommen nicht das große Problem sind. Das große Problem liegt zum Beispiel darin, dass gerade den Beziehern niedrigerer Einkommen die Kosten weglaufen. Insoweit ist meine Fraktion sehr nahe bei dem, was im Bereich der Stadt Köln beim Sozialticket gemacht worden ist, nämlich keinen Fokus nur auf die Bezieher von Lohnersatzleistungen zu legen.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus möchte ich jetzt kurz auf Herrn Wittke eingehen. Dass Sie uns Bayern als abschreckendes und nicht rechtstreues Beispiel vorhalten, ist in diesem Hause sicherlich ein neuer Ton.

(Gerhard Lorth [CDU]: Das haben Sie auch schon einmal gesagt! – Zuruf von Horst Be- cker [GRÜNE])

Wir haben früher – zu Zeiten, als Sie noch die Oppositionsbänke geziert haben – permanent zu hören bekommen, von Bayern müsse man lernen.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn die Bayern jetzt einen Teil der Mehrwertsteuerbeträge zum Ersatz der ausfallenden Regionalisierungskosten einsetzen, meine Damen und Her

ren, dann ist das ein Beispiel, aber kein abschreckendes Beispiel.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir können und wollen die Kommunen doch gar nicht dazu zwingen, überall flächendeckend Sozialtickets einzuführen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Unser Huber heißt Linssen!)

Nur kommen wir nicht aus der Situation heraus, dass diejenigen, die es einführen, doppelt bestraft sind. Es gibt sicherlich eine fiskalische Unwägbarkeit, wobei ich meine – das beinhalten beide Anträge –, es lohnt sich, genau hinzuschauen und zu evaluieren, weil sich das, was man aus Köln hört, deutlich von dem unterscheidet, was aus anderen Bereichen gesagt wird. Aber wie gesagt: Zum einen haben wir die Möglichkeit eines unmittelbaren materiellen Einsatzes. Zum anderen werden die Kommunen, die es einführen, durch die Umverteilungsmechanismen innerhalb der Verbände natürlich doppelt geschädigt. Damit sind wir wieder bei der Frage: Welche ordnenden und regulierenden Funktionen hat das Land an dieser Stelle?

Meine Damen und Herren, bei einer Gesamtbetrachtung ist es sicherlich wichtig, zu wissen, dass es hier um individuelle Lebensschicksale geht. Es ist sicherlich auch wichtig, zu wissen, dass sich das, was wir finanziell einzusetzen haben, in einem überschaubaren Rahmen bewegt. Und es ist abschließend sicherlich ebenso wichtig, dass es, bezogen auf die ohnehin vorhandenen technischen Möglichkeiten – da fährt ja kein Zug und keine Bahn mehr –, durchaus auch für den ÖPNV eine Chance zu mehr Akzeptanz und zu mehr Kundinnen und Kunden ist. Darüber hinaus ist es eine Chance, Menschen, die den ÖPNV bis jetzt nicht ganz legal nutzen, wieder als ordnungsgemäße Kunden zurückzugewinnen. Insoweit sind beide Anträge sinnvoll. Ich freue mich auf die interessante Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wittke, ich bin darüber erstaunt, was Sie hier eben zu der Finanzierung gesagt haben. Schauen Sie sich einmal an, was in dieser Legislaturperiode gestrichen worden ist. Unter Rot-Grün standen für Semester- und Schülertickets 190 Millionen € im Haushalt, und jetzt sind es 130 Millionen €. 60 Millionen € sind an dieser Stelle gestrichen worden. Dieses Geld könnte man nutzen, um ein solches Sozialticket zu finanzieren.

Ihre Begründung war, dass man diesen zusätzlichen Ferientag streichen müsste. Sie wissen genau, warum man vorher die Berechnung sechs Tage statt fünf Tagen hatte, nämlich weil man über die letzte Strecke keine Erhöhung der Mittel gemacht hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das war die Verständigung, Sie aber sagen: Die fahren ja nicht in den Ferien. – Das war 2006. Ich bin gespannt, wie Sie in den Haushaltsplan für 2009 eine Erhöhung einbringen wollen, weil Ihre Kollegin Schulministerin mittlerweile den Ganztagsunterricht eingeführt hat und es dabei die verpflichtende Ferienbetreuung gibt. Ich bin gespannt, was bei Ihnen die Ferienkosten im Schülerticket ausmachen werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Bodo Wi- ßen [SPD]: Sehr richtig!)

Aber es ist ja dann die logische Konsequenz aus Ihrer Argumentation von gerade eben, dass das dann draufgepackt werden muss.

Herr Kollege Romberg, Sie haben wieder so argumentiert, dass es nicht sein kann, dass ein Ticket nur für die Leistungsbezieherinnen und -bezieher eingeführt wird. Das ist okay. Wenn Sie mit uns gemeinsam sagen, dass wir das Köln-Ticket flächendeckend einführen und den Kreis um diejenigen erweitern, die niedrigere Einkommen haben, dann sind wir gerne dabei. Damit habe ich kein Problem. Dann lassen Sie uns gemeinsam rechnen, wie wir dahin kommen. Das wäre ein großer Konsens an dieser Stelle. Das können wir gerne machen.

Herr Lorth, Sie sagen, unsere Zahlen wären falsch, das wäre so ziemlich alles an den Haaren herbeigezogen. Jede Zahl in unserem Antrag ist begründbar und belegbar.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Diese Zahlen sind nicht an den Haaren herbeigezogen. Mit unseren 25 % waren wir großzügig, denn Dortmund hat zum Beispiel 22 % Nutzer und Nutzerinnen.

(Horst Becker [GRÜNE]: So ist es!)

Nun kommen Sie mit Ihrem Bonn-Ticket. Das BonnTicket ist kein ÖPNV-Ticket, sondern es ist sehr viel mehr. Deswegen hat es einen ganz anderen Nutzerkreis. Sie können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir wollen ein ÖPNV-Ticket mit einem ÖPNVTicket vergleichen. In Dortmund sind es 22 %. Wir haben es mit 25 % angesetzt, weil wir sagen, dass es auch noch mehr sein könnte.

Ein weiterer Punkt: Sie sagen, dass das doch alles im Rahmen des Regelsatzes im Bund gelöst werden soll. Für das SGB XII sind Sie in NordrheinWestfalen zuständig. Sie als Landesregierung müssen den Regelsatz des SGB XII festlegen. Also

können Sie zumindest im SGB XII sagen: Gut, ich finde diese 14,62 € zu wenig, denn in NordrheinWestfalen ist Mobilität teurer. – Dann packen wir dort noch etwas drauf und haben zumindest im Bereich der Sozialhilfebezieher und -bezieherinnen einen höheren Betrag und setzen damit den Bund unter Druck. Oder Sie können den Sozialminister, der heute nicht da ist, initiieren, dass er das, was er hier in etlichen Debatten vorgetragen hat, der Regelsatz für Kinder sei zu niedrig und dieses und jenes müsse aufgestockt werden, mit Zahlen unterlegt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn Sie sind in der Bundesregierung, und Sie sitzen im Bundesrat. Dann setzen sich doch dafür ein, dass der Regelsatz erhöht wird. Solange der Regelsatz nicht erhöht wird – ich prognostiziere, dass er, solange Sie in der Bundesregierung und hier in der Landesregierung sind, nicht weiter erhöht wird, weil es Ihnen gar nicht so wichtig ist –, müssen wir in Nordrhein-Westfalen handeln. Handeln heißt: Wir müssen das Semesterticket einführen, damit die Menschen mobil und nicht von der Gesellschaft abgehängt und ausgeschlossen sind – vor allen Dingen nicht im ländlichen Raum. Da, Herr Romberg, wollen wir nämlich etwas für die Menschen tun, und zwar wirklich für die Menschen. Das haben wir auch in der Vergangenheit getan. Sie wollen die Menschen hier wieder abhängen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Steffens. – Als nächster Redner spricht der fraktionslose Abgeordnete Sagel.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kommunen können natürlich nicht die falsche Politik von Bund und Land vollständig auffangen. Es braucht eine Landesinitiative für ein Sozialticket. Das ist in dieser heutigen Debatte schon deutlich geworden.

Im derzeitigen Hartz IV-Regelsatz sind für den öffentlichen Nahverkehr nur 11,04 € vorgesehen. Das Monatsticket kostet in den meisten Städten das Drei- bis Fünffache. Für den Fernverkehr sind im Hartz IV-Regelsatz sogar nur 2,99 € pro Monat vorgesehen. Weit kommt man damit nicht. Ein Sozialticket sowohl für den Nahverkehr als auch für den Fernverkehr könnte hier Abhilfe schaffen. Darum unterstützt Die Linke die zahlreichen lokalen Initiativen, die für die Einführung von kostenfreien oder ermäßigten Sozialtickets für den lokalen bzw. regionalen öffentlichen Nahverkehr eintreten.

Die Linke fordert darüber hinaus die Einführung eines Sozialtickets für den Fernverkehr. So könnte zum Beispiel die BahnCard 25, mit der man bei längerfristiger Buchung Tickets für weniger als die Hälfte bekommt, an Einkommensschwache für nur

5 € verkauft werden. Die Bundesregierung ist gefragt, ihren Einfluss gegenüber der Deutschen Bahn AG im Sinne eines Sozialtickets geltend zu machen.