Protokoll der Sitzung vom 04.12.2008

Der Antrag der SPD verkennt weiter, dass sich bedürftige Rechtsuchende wie SGB-II-Leistungsbezieher schon nach derzeitiger Rechtslage nicht ohne Weiteres von einem Rechtsanwalt beraten lassen dürfen. Vielmehr wird Beratungshilfe ihrem subsidiären Charakter nach nur gewährt, wenn andere Möglichkeiten für eine Hilfe nicht zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist und die diejenigen, die ihre Anwaltskosten selbst zu tragen haben, in der Regel in Anspruch nehmen, bevor sie einen Anwalt aufsuchen.

Auch hieran ändert unser Gesetzentwurf nichts. Er sieht lediglich die Verpflichtung der Gerichte zur Führung von Listen über vielfältige Hilfemöglichkeiten vor. Solche Listen erleichtern damit nicht nur die Arbeit der Gerichte, sondern sie dienen auch dem Rechtsuchenden, der auf diese Weise einen Überblick über die regionalen Hilfsangebote erhält.

Sichergestellt ist, dass die Listen nur solche Hilfemöglichkeiten aufführen dürfen, die dem Rechtsuchenden zumutbar sind. Bestehen solche Möglichkeiten nicht, ist Beratungshilfe zu gewähren.

Meine Damen und Herren, die SPD kritisiert, dass die Bedürftigkeit des Antragstellers genauer geprüft werden soll. – Richtig ist: Schon nach geltendem Recht wird Beratungshilfe nur gewährt, wenn der Rechtsuchende bedürftig ist, das heißt, wenn er die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann.

Unser Gesetzentwurf erweitert lediglich die Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts in Bezug auf die Bedürftigkeit. Was ist falsch daran, dies näher zu prüfen?

(Zuruf von der SPD)

Oder wollen Sie künftig auch andere Sozialleistungen – um nichts anderes handelt es sich bei der Beratungshilfe – ohne weitere Prüfung gewähren?

Meine Damen und Herren, die SPD moniert weiter, die Kosten für die Vertretung durch einen Anwalt würden verdreifacht. – Richtig ist: Seit dem Jahr 1981 ist der von den Rechtsuchenden zu entrichtende Eigenanteil in Höhe von 10 € unverändert geblieben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kann nicht sein! Da hatten wir noch keinen Euro!)

Der Gesetzentwurf ändert auch daran nichts, sondern er schlägt die Einführung einer zusätzlichen Gebühr von 20 € lediglich für den Fall vor, in dem neben der anwaltlichen Beratung auch eine außergerichtliche Vertretung erfolgt.

Damit wollen wir die Eigenverantwortung des Rechtsuchenden stärken und ihn motivieren, die vorgerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen selbst zu betreiben, wenn dies nach erfolgter anwaltlicher Beratung möglich ist.

Diese zusätzliche Gebühr ist auch im Falle von SGB-II-Leistungsbeziehern nicht unangemessen hoch.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Aha!)

Die meisten Bürgerinnen und Bürger beantragen nur selten in ihrem Leben, meistens sogar gar nicht, Beratungshilfe. Selbst wenn jemand jedes Jahr einen Antrag stellen würde, ergäbe sich eine auf den Monat umgerechnete Belastung von 2,50 €. Im Übrigen ist die neue Gebühr bei anwaltlicher Vertretung in einem Widerspruchsverfahren gerade nicht vorgesehen, also auch nicht in dem Widerspruchsverfahren eines SGB-II-Leistungsbeziehers gegenüber einer Arge.

Sie sehen, die geplante Reform stellt unter keinem Gesichtspunkt einen Einschnitt in die Rechtsstaatlichkeit dar. Der Zugang zum Recht bleibt weiterhin uneingeschränkt gewährleistet. Es ist auch keineswegs merkwürdig, dass sich Rechtsuchende, die sich gegen Bescheide von Behörden wehren wollen, grundsätzlich zunächst von einer Behörde beraten lassen sollen. Das entspricht der allgemein anerkannten Verpflichtung staatlicher Behörden zur Beratung von Bürgerinnen und Bürgern vor allem im Sozialrecht.

Und man sollte Entscheidungen ganz zur Kenntnis nehmen, Herr Garbrecht und Frau Düker. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass die Ablehnung von Beratungshilfe mit dem Verweis auf eine Behördenberatung verfassungsgemäß ist.

Das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat in diesem Zusammenhang die Argen aufgefordert sicherzustellen, dass ihre Beratungspflicht rechtskonform umgesetzt wird. Die Landesregierung unterstützt die kommunalen Träger der Grundsicherung hierbei unter anderem durch Erstellung von Arbeitshilfen zum SGB II. Das optimiert die Umsetzung des SGB II und dient präventiv einer Verringerung der Klage- und Rechtsbehelfsquote in Widerspruchs- und Sozialgerichtsverfahren. Dazu brauchen wir also Ihre Hilfe nicht. Das schaffen wir schon ohne Ihre Unterstützung, Herr Garbrecht.

Auch der von der SPD suggerierte Zusammenhang zwischen der Einstellung der Finanzierung von Arbeitslosenberatungsstellen und der beabsichtigten Änderung des Beratungshilferechts besteht in der Wirklichkeit nicht. Das ist bereits aus dem Umstand ersichtlich, dass auffällige Effekte bei den Aufwendungen für die Beratungshilfe im Bereich der Arbeitslosenberatungsstellen nicht vorliegen. Insbesondere ist eine Benachteiligung von SGB IILeistungsempfängern in der Realität nicht festzustellen.

Schließlich zu der von der SPD übernommenen Auffassung des Deutschen Anwaltvereins, eine mutwillige Inanspruchnahme der Beratungshilfe könne nicht festgestellt werden: Dies widerspricht eindeutig den insoweit einhelligen Berichten der gerichtlichen Praxis und den Feststellungen des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen. In dem Gesetzentwurf und in dem Bericht des Landesrechnungshofs, den Sie vielleicht mal lesen sollten, werden zahlreiche der beratungshilferechtlichen Praxis entnommene Beispiele für die mutwillige Inanspruchnahme von Beratungshilfe aufgeführt.

(Frank Sichau [SPD]: Wer hat die denn bewil- ligt?)

Hierzu verhält sich der SPD-Antrag mit keiner Silbe.

Ausdrücklich begrüßt hat deshalb der Landesverband Nordrhein-Westfalen im Deutschen Anwaltverein in seiner Stellungnahme gegenüber dem Justizministerium, dass der Begriff der Mutwilligkeit konkretisiert werden soll und hierdurch gegebenenfalls die Inanspruchnahme von Beratungshilfe reduziert wird.

Die Bundesrechtsanwaltskammer hat das Anliegen, in das Beratungshilfegesetz eine Definition der Mutwilligkeit einzufügen, um eine effektive Missbrauchskontrolle zu gewährleisten, ebenfalls grundsätzlich begrüßt.

Damit entspricht unser Entwurf in allem dem, was mein sozialdemokratischer Vorgänger schon 1975 postuliert hat. Das, was damals galt, ist heute nicht falsch. Wir gewähren auch weiterhin jedem Bedürftigen Beratungshilfe; aber wir sind gegen Steuerverschwendung.

Und perfide – offenbar eines der Lieblingsworte des Herrn Abgeordneten Garbrecht – ist hier nur eines, nämlich wie mit Lügen

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Mit Lügen?)

und Verfälschungen Stimmung gemacht wird – Stimmung zulasten derjenigen, die mit ihrer Hände Arbeit das Geld erarbeiten müssen, das die SPD verschleudern will. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Kutschaty das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soeben durchgeführte Debatte zeigt mal wieder deutlich die Grundeinstellung der Landesregierung, aber auch von CDU und FDP im Bereich der Sozial- und Rechtspolitik. Wir sprechen von der Möglichkeit der Teilhabe auch einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen an unserem Rechtssystem, und Sie sprechen von Steuergeldverschwendung – eine Unverschämtheit in diesem Zusammenhang!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Tatsächlich sind die Ausgaben für die Beratungshilfe gestiegen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Anwaltsgebühren sind leicht gestiegen, und die Fallzahlen haben sich erhöht.

Die Beratungshilfegebühren, die der nordrheinwestfälische Steuerzahler trägt, liegen in NordrheinWestfalen bei 101,86 € pro Fall. Wollen Sie da noch Anwaltsgebühren reduzieren? Das kann doch wohl nicht sein! Wenn man umrechnet, was den Steuerzahler die Beratungshilfe insgesamt kostet, ist das pro Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr ein Euro. Wir sprechen von einem Euro gut angelegtem Geld für eine vernünftige Teilhabe einkommensschwacher Leute.

(Beifall von der SPD)

Im europäischen Vergleich liegen wir damit im untersten Bereich. In Großbritannien wird für Prozesskosten- und Beratungshilfe zehnmal so viel ausgegeben wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Und dann wollen Sie die Zuzahlung auf 30 € erhöhen und kommentieren dies damit, dass dies für einen ALG-II-Empfänger umgerechnet nur 2,50 € im Monat seien. – Frau Müller-Piepenkötter, das sind 30 €, wenn das anfällt. 30 € sind 10 % des Monatseinkommens eines ALG-II-Empfängers.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Offensichtlich sind Sie und auch Herr Kollege Orth so weit weg von der Realität, dass Sie gar nicht wissen,

was 30 € tatsächlich für einen Sozialhilfeempfänger bedeuten.

Gegen die Erhöhung der Beratungshilfegebühr um 20 € auf 30 € bei einer anwaltlichen Vertretung bestehen aber auch rechtliche Bedenken, weil sie die ihr zugedachte Steuerung des Verhaltens des Rechtsuchenden nicht erreicht. Die Eigenbeteiligung – das haben Sie gerade gesagt – soll die Leute dazu anhalten, ihre Angelegenheit grundsätzlich erst einmal selbst zu regeln und nicht gleich in die Beratung zu rennen. Voraussetzung für die Bewilligung von Beratungshilfe ist doch nach § 2 Beratungshilfegesetz, dass sich die Leute gerade nicht selbst helfen können. Insofern verbietet sich eine Zuzahlung in dieser Größenordnung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Völlig entsetzt, Frau Müller-Piepenkötter, war ich von Ihrer Äußerung im Bundesrat zu diesem Thema. Sie sprechen von einer zunehmenden Inanspruchnahme der Beratungshilfe als allgemeine Lebenshilfe. – Als ob die Leute Langeweile hätten und deshalb einen Anwalt aufsuchen und Lebenshilfeberatung wollten! Tatsächlich sind doch die Fallzahlen gestiegen und die Fälle sind immer problematischer geworden. Das ist es doch. Die Bürger kommen heute nicht mehr klar und schauen nicht mehr durch.

Dann wollen Sie die Leute nicht zum Anwalt schicken, sondern in andere Beratungsstellen.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Die Sie abge- schafft haben!)

Welch ein Hohn, die Leute in Beratungsstellen zu schicken, wenn gleichzeitig aufgrund von Sparmaßnahmen die Arbeitslosenzentren geschlossen werden und, wie wir heute morgen gehört haben, auch die Frauenhäuser in ihrer Existenz bedroht sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Aber, meine Damen und Herren, das Gesetz passt prima zur Arbeit dieser Landesregierung und dieses Ministerpräsidenten, Herr Ministerpräsident Rüttgers. – Er hört gar nicht zu!

(Zuruf von Frank Sichau [SPD])

Herr Ministerpräsident, auf dem CDU-Bundesparteitag in Stuttgart sprechen Sie von Sozialpolitik, für Gerechtigkeit und für mehr Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Und was machen Sie hier zu Hause im Land? Eine sozialpolitische Errungenschaft nach der anderen wird einkassiert und die Bürger werden stärker belastet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Rüttgers als sozialpoliti- scher Sensenmann!)

So weit wie bei dieser Landesregierung liegen Anspruch und Wirklichkeit nirgendwo auseinander. Frau Müller-Piepenkötter, es bleibt nur zu hoffen,