Protokoll der Sitzung vom 04.12.2008

So weit wie bei dieser Landesregierung liegen Anspruch und Wirklichkeit nirgendwo auseinander. Frau Müller-Piepenkötter, es bleibt nur zu hoffen,

dass dieses Gesetz im Bundestag genauso scheitern wird wie Ihre alten Überlegungen zur Reduzierung der Prozesskostenhilfe. Aber, bei Ihnen ist guter Rat wohl teuer!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Als Nächstes spricht Kollege Lehne.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Kutschaty, was Sie eben ausgeführt haben, hat mich doch sehr enttäuscht. Ich halte es schon für unverschämt, wenn man einen Sachverhalt so verdreht, wie Sie es hier tun.

(Frank Sichau [SPD]: Wie denn?)

Sie sprechen davon, dass soziale Errungenschaften gestrichen werden sollen, aber Sie sagen nicht, in welcher Form und Güte die Kosten bei der Beratungshilfe gestiegen sind. Sie sagen auch nicht, dass heute eigentlich jeder Beratungshilfe erhält, obwohl er im Wege eines anderen Rates, vom Gericht weg, vor der gerichtlichen Tätigkeit, vor der anwaltlichen Beratung die Möglichkeit hätte, das Problem eventuell gelöst zu bekommen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bis 30.09. hatten wir das noch: das Arbeitslosenzentrum!)

Sie erklären auch nicht, dass die meisten Anwaltskollegen – das wissen Sie wie ich – überhaupt kein Interesse an Beratungsmandaten haben, weil sie daran keinen müden Pfennig verdienen. Das wissen Sie wie ich.

(Heike Gebhard [SPD]: Aha, deshalb machen Sie diese Aktion!)

Nein, das ist ein Berufsstand, der auch von irgendetwas leben muss. Und Anwälte verdienen an der Beratungshilfe nicht; das ist einfach so.

Nun zum Thema. Was mich entsetzt, ist die Art der Wortwahl der Antragsteller. Sie sprechen – Frau Müller-Piepenkötter hat es erwähnt – von perfide.

Wikipedia ist zu entnehmen, dass perfide Handlungen Taten von Personen und Gruppen sind, die vorsätzlich das Vertrauen oder die Loyalität einer anderen Personengruppe, zum Beispiel im geschäftlichen und politischen Bereich, ausnutzen, um einen Vorteil zu erlangen. Perfide wir im Übrigen mit niederträchtig gleichgesetzt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD-Landtagsfraktion! Sie versuchen bewusst, durch Ihren Antrag Vertrauen beim Bürger zu erhaschen, indem Sie ihm vorgaukeln, dass der Schutz

durch den Rechtsstaat für die SGB-II-Leistungsbezieher bedroht sei.

(Frank Sichau [SPD]: Ist es!)

Dies ist nicht der Fall.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bis auf das Wort „vorgaukeln“ stimmte das!)

Hierzu haben Herr Giebels und die Ministerin Ausführungen gemacht, die meines Erachtens nicht weiter erläutert werden müssen.

Ihnen müsste bekannt sein, dass Beratungshilfe beinahe ohne jegliche Prüfung sofort erteilt wird. Nicht bekannt ist Ihnen vielleicht, dass sich die meisten Anwälte über Beratungshilfe nicht freuen und sie, wenn möglich, auch nicht annehmen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann lassen Sie die Arbeitslosenzentren, wenn die Anwälte das nicht wollen!)

Nicht bekannt ist Ihnen vielleicht ebenfalls, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Lösung von Problemen der Beratungssuchenden gibt, die nicht unbedingt beim Anwalt gefunden werden können.

In dem Gesetzentwurf werden lediglich die Voraussetzungen der Beratungshilfe präzisiert und eine genauere Erfassung und Prüfung der Beratungshilfevoraussetzungen ermöglicht.

Auch ist es richtig, dass, wenn denn andere Hilfseinrichtungen vorhanden sind, der Ratsuchende zunächst auch an diese verwiesen wird, da diese ihm meist besser und schneller helfen als der Anwalt, der nicht in allen Bereichen unbedingt immer der absolute Fachmann ist. Die Beratungsstellen leisten hier eine umfangreiche und sehr gute Arbeit. Ich denke unter anderem an die Verbraucherzentralen und andere Einrichtungen, die dem Bürger weit näher stehen als Anwälte und Gerichte.

Sie sehen auch nicht, dass im Jahr 2002 in Nordrhein-Westfalen für die Beratungshilfe 6 Millionen € und im Jahre 2007 beinahe 19 Millionen € ausgegeben wurden.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Sie vergessen auch, dass Sie einen Scherbenhaufen von 113 Milliarden € Schulden hinterlassen haben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das werden auch täglich mehr, Herr Lehne! Gestern waren es noch 112!)

Die Mehrausgaben sind nicht ausschließlich notwendig gewesen, sondern man hätte es anders lösen können.

Beratungshilfe soll nun nur bewilligt werden, wenn dem Ratsuchenden nicht andere Möglichkeiten der Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme zuzumuten ist und ihm auch schneller hilft. Gerade für Lebensbereiche, für die Rat besonders

häufig in Anspruch genommen wird, zum Beispiel Verbraucher- und Mietangelegenheiten, stehen eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Stellen und Verbänden zur Verfügung, die dem Ratsuchenden in seinem Anliegen weiterhelfen. Selbstverständlich bleibt die Möglichkeit – wenn noch erforderlich –, juristischen Rat zu bekommen.

Nun zu den Arbeitslosenberatungsstellen. Bekanntlich sind die ESF-Mittel – das erwähnen Sie auch nicht –, die bei der Finanzierung der Beratungszentren eine maßgebliche Rolle spielen, in der aktuellen Förderphase 2007 bis 2013 seitens der EU dramatisch gesenkt worden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Haushalt 2009: plus 6,2 Millionen im Haushalt von Herrn Laumann!)

Das bedeutet, dass bis 2013 für die ESFkofinanzierte nordrhein-westfälische Arbeitsmarktpolitik nur noch 60 % der Mittel zur Verfügung stehen. Für diese Kürzung gibt es Gründe, für die weder die Landesregierung noch die regierungstragenden Fraktionen verantwortlich sind.

Mit der Einführung von Hartz IV gibt es eine eindeutige Zuständigkeit für eine Beschäftigungspolitik. Diese liegt bei den Argen und den Optionskommunen. Wir trauen diesen Einrichtungen grundsätzlich zu, eine gute Arbeitsmarktpolitik betreiben zu können. Sie schildern in Ihrem Antrag den Sachverhalt falsch und wollen – nach Wikipedia – den Bürger mit perfiden und niederträchtigen Mitteln beeinflussen. Dies wird Ihnen nicht gelingen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Das war ein Bekenntnis, dass der Rechtsanwalt arme Menschen nicht vertreten wird!)

Vielen Dank, Herr Kollege Lehne. – Für die Fraktion der Grünen hat sich Frau Steffens noch einmal zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehne, Sie tun gerade so, als ob die einzelnen Betroffenen ein Interesse daran haben, mehr Kosten zu verursachen. Sie überlegen überhaupt nicht, woran es denn liegt, dass wir eine Kostensteigerung haben. Die Kostensteigerung haben wir, weil es mehr Gründe gibt, dass Menschen um ihr Recht kämpfen müssen. Wir haben es doch gerade im AGS im Zusammenhang mit den Wohnkosten diskutiert. 30 % der Verfahren sind Verfahren, weil sich Menschen wehren müssen, da die Kommunen ihnen nicht die Wohnkosten in tatsächlicher Höhe zugestehen, die sie eigentlich erstattet bekommen müssten. Und diese Menschen brauchen einen Rechtsbeistand.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Klären Sie auf kommunaler Ebene, dass es weniger Grund gibt, um seine Rechte zu kämpfen – das könnten Sie in vielen Kommunen machen –, dann werden die Kosten auch heruntergehen!

Im Gesetz steht, die Kosten der Beratungshilfe müssten auf ein angemessenes Maß zurückgefahren werden. – Das jedoch auf dem Rücken der Betroffenen zu tun, ist nicht nur perfide, sondern zynisch und dreist.

Natürlich handelt es sich in weiten Teilen um eine Präzisierung. Aber die Präzisierung geht doch so weit, dass etwa eine Pflicht zum Führen von Listen vorgesehen ist, wobei gar nicht klar ist, wie das denn funktionieren soll. Das heißt: Diese Präzisierungen sind im Grunde genommen keine Präzisierungen, die den Menschen helfen, sondern es sind Präzisierungen zur Verankerung einer Misstrauenskultur, die da lautet: Den Menschen wird per se unterstellt, dass der Missbrauch an allererster Stelle steht.

Statt Beratungsstrukturen auszubauen und mit niedrigschwelligen Beratungen Kosten zu sparen, wie wir es in den Anhörungen vernommen haben, schaffen Sie durch Ihr Vorgehen bei den Arbeitslosenzentren die Beratungsstrukturen ab. Das ist Ihre Politik.

(Beifall von der SPD)

Erst wird den Betroffenen die Beratung weggenommen, dann wird den Betroffenen Missbrauch vorgeworfen, und dann wird ihnen noch aufgedrückt, demnächst statt 10 € 30 € zu bezahlen, und das, obwohl doch klar ist, dass der Regelsatz das nicht hergibt.

Das nenne ich nicht nur perfide, sondern dreist und zynisch. Das ist soziale Kälte, die Sie hier verbreiten.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nur einen Satz an die SPD: Sie haben gesagt, Sie hofften, dass das im Bundestag kippt. – Ich dachte, Sie wären in der Koalition. Hoffen Sie nicht, sondern handeln Sie!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner ist Kollege Sagel, fraktionslos, gemeldet.