Protokoll der Sitzung vom 17.12.2008

Die sogenannte Überalterung wird anscheinend erst dadurch ein Problem, dass so viele Menschen mit gewissen alterstypischen Einschränkungen und Bedürfnissen gleichzeitig vorhanden sind. Wir – damit meine ich die Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen – sind fast ausschließlich über 40 Jahre alt, bis auf einige Ausnahmen natürlich. Wir werden im Alter sehr, sehr viele sein. Dafür muss Vorsorge getroffen werden.

Leider gerät durch diese Fokussierung oftmals aus dem Blick, dass es auch heute schon viele ältere Menschen gibt, die ganz aktuell all diese Probleme und Bedürfnisse haben. Es sind vielleicht nicht ganz so viele, aber sie leiden heute unter Altersdiskriminierung, früherer Entberuflichung, nicht seniorengerechten Wohnungen und Lebensumfeldern, Altersarmut, Vereinsamung, nicht auf Senioren abgestimmte Gesundheitskonzepte, unzureichender Infrastruktur sowie fehlender Selbstbestimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über ältere Menschen sprechen – im Übrigen sollten wir nicht über sie, sondern mit ihnen über ihre Wünsche und Probleme sprechen –, dann müssen wir die Unterschiedlichkeit, die Vielschichtigkeit des Alters im Blick haben. Es sind nämlich nicht die Seniorinnen und Senioren, sondern es sind Menschen in verschiedenen Altersstufen, Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten und Kompetenzen.

Wir sind verpflichtet, all diesen Menschen Antworten zu geben und zu helfen. Modell- und Forschungsprojekte sind sinnvoll, aber sie müssen auch zügig in verlässliche Strukturen umgesetzt werden, die im Übrigen alle Betroffenen in NRW erreichen können müssen.

Die aktuelle Debatte um unterstützte Selbsttötung zeigt, welche extremen Formen die Angst vor dem Alter annehmen kann. Auch wenn nur die wenigsten so weit gehen würden – Zukunftsängste begleiten das Leben vieler älterer Menschen: Wird mein Einkommen im Alter ausreichen, um meine Selbstständigkeit und meinen Lebensstandard zu sichern? Werde ich Menschen um mich haben, die sich um mich kümmern? Kann ich in meiner eigenen Wohnung, in meiner vertrauten Umgebung bleiben? Werden meine Wünsche bei Krankheit und Pflege respektiert? Kann ich in Würde alt werden und in Würde sterben?

Um diese berechtigten Ängste abzubauen, muss Politik bei den Menschen Vertrauen aufbauen. Das geht nicht, Herr Minister, über Versprechungen,

sondern über konkrete, verlässliche Angebote. Da ist von Ihnen leider nicht viel zu hören.

Neue Wohnformen im Alter wie das Mehr-Generationen-Wohnen sind wichtig und müssen gefördert werden – in der Tat. Sie können wichtige Impulse geben, aber wir müssen Lösungen für Hunderttausende Wohnungen in Altbestand finden, die barrierefrei und seniorengerecht angepasst werden müssen. Herausgehobene Projekte für das Miteinander von Alt und Jung sind wichtig, aber wir brauchen kulturelle und soziale Begegnungsräume in jedem Stadtviertel, in jeder Gemeinde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich hängt das Zusammenleben zukünftiger Generationen am menschlichen Miteinander. Ohne familiäre und nachbarschaftliche Hilfe sowie ehrenamtliches Engagement können wir keine menschliche Gesellschaft gestalten. Dieses Engagement muss gefördert und begleitet, in benachteiligten Vierteln gemeinsam mit den Betroffenen initiiert werden. Aber es muss auch klar sein, dass freiwilliges bürgerschaftliches Engagement nicht der billige Jakob des Wohlfahrtsstaates sein kann. Es muss öffentlich finanzierte und vorgehaltene Grundstrukturen geben, auf die es aufbauen kann.

Die Daseinsvorsorge ist Sache der Kommunen. Dort wirkt sich der demografische Wandel am stärksten aus. Aber wir dürfen die Kreise, die Städte und Gemeinden mit dieser Aufgabe nicht allein lassen. Wenn wir verlässliche Strukturen schaffen wollen, muss das Land mit Standards und finanzieller Unterstützung helfen; sonst hängt es wie bei KiBiz vom Geldbeutel der Kommune ab, ob ich mir bestimmte Angebote leisten kann oder nicht

(Beifall von der SPD)

Genau hier zeigt sich, ob es die Landesregierung mit den Anstrengungen zum demografischen Wandel ernst meint. 1,85 Milliarden € hat die schwarzgelbe Mehrheit dieses Hauses den Kommunen seit 2005 entzogen.

(Beifall von der SPD)

Das sind 1,85 Milliarden €, die den Kommunen bei der Bewältigung des demografischen Wandels fehlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister, wir erwarten deshalb in einem Jahr kein erneutes Weihnachtsmärchen, sondern ernsthafte Anstrengungen bei der Lösung der drängenden Probleme. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Koschorreck. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Post das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was junge Menschen im Jahre 2025 eigentlich denken und fühlen würden, wenn sie heute unsere Debatte verfolgt und Ihre Wortbeiträge einmal genauer unter die Lupe genommen hätten.

(Beifall von der CDU – Lothar Hegemann [CDU]: Sehr richtig!)

Ich habe das Gefühl, Sie wären enttäuscht und hätten sehr wenig Hoffnung für die Zukunft. Denn das Einzige, was hier gekommen ist, sind irgendwelche Anwürfe, aber keine Vorschläge.

(Elisabeth Koschorreck [SPD]: Doch! Sie ha- ben nicht zugehört!)

Sie haben andauernd nur nach irgendwelchen Dingen gefragt. Sie haben wörtlich gesagt – ich will das einmal zitieren –: Die SPD hat Antworten und den Wandel fest im Blick. – Und dann kam nichts außer heißer Luft.

(Beifall von der CDU)

Es geht darum, dass Menschen heute natürlich Ängste haben, Ängste vor der Zukunft, weil sie nicht fassbar, nicht genau erkennbar ist. Wenn Neues entsteht, können viele das nicht überblicken.

Die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass es im Jahre 2025 statt der jetzigen 18 Millionen um die 17 Millionen Bürger in unserem Lande geben wird. Daraus ergeben sich, meine Damen und Herren, aber auch neue Chancen. Deshalb muss es heute hier heißen: Wir brauchen euch alle. Wir brauchen die Bevölkerungsteile, die weniger werden, die mehr werden, etwa die Alten, und wir brauchen diejenigen, die das Land bunter machen und zu uns kommen. Wir brauchen euch alle.

(Beifall von der CDU)

Wir brauchen sie als ausgebildete Menschen. Bildung ist der zentrale Punkt für die Zukunft dieses Landes, damit jeder, auch derjenige, der alt ist, im Quartier noch jemanden hat, der ihn aufsucht, der ihm hilft, der ihm allein zu leben hilft. Wir haben 45 % Single-Haushalte. An der Stelle müssen wir ansetzen, damit Menschen keine Angst haben, allein zu leben. Und genau da setzen wir an.

(Beifall von der CDU)

Wir haben es mit dem Wohn- und Teilhabegesetz ermöglicht, Wohnformen zu finden, die es uns erlauben, in vernünftiger Form alt zu werden, und den Menschen auch noch die Möglichkeit zur Kommunikation bieten. All das ist geschehen.

Nehmen wir einmal den Gesundheitsmarkt, in dem es eine große Anzahl von neuen Arbeitsplätzen gibt. Die Landesgesundheitskonferenz hat sich in den letzten beiden Jahren genau mit dieser Thematik

beschäftigt, nämlich mit der Sorge um die Gesundheit im Alter.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte 2025 muss uns hier dazu veranlassen – ich meine, das gilt für alle Fraktionen –, darüber nachzudenken, was wir selbst dazu beitragen können, hier Fortschritte zu erzielen, anstatt das, was an Fortschritten nachweislich erzielt worden ist – die Listen liegen überall aus –, madig zu machen, kaputt zu reden oder Fragen zu stellen, auf die man selbst keine Antworten hat.

(Beifall von der CDU)

Wir müssen Lernen lehren, wir müssen dauerndes Umschulen lehren, und wir müssen verstehen, dass zum Beispiel kurzzeitige Arbeitslosigkeit die Chance bietet, sich umzuschulen, weiterzubilden, weiterzukommen. Wir dürfen nicht diejenigen, die einmal im Laufe ihres Erwerbslebens arbeitslos werden, als nutzlose Bestandteile dieser Gesellschaft benennen, sondern wir müssen ihnen sagen: Das ist die Zeit, in der du dich weiterbilden und auf die neuen Gegebenheiten dieser demografischen Entwicklung einstellen kannst. – All das ist von Ihrer Seite überhaupt nicht betrachtet worden.

(Beifall von der CDU)

Wir müssen in dem Bereich ganz dringend etwas gemeinschaftlich unternehmen. Wir müssen Weiterlernen als das Wichtigste darstellen. Wir haben den Bildungscheck eingerichtet; das ist ja gar nicht Ihre Erfindung. Wieso ist die Nachfrage danach so groß? – Weil wir solche Dinge begonnen haben.

Es bedarf übrigens – das ist das Wichtigste, was ich heute Morgen in den Wortbeiträgen der Oppositionsparteien festgestellt habe – nicht der Forderung nach immer mehr Staat; denn wir wissen heute, dass der Staat das, was Sie fordern, gar nicht leisten kann. Wenn nicht alle Bürger mit in die Arbeit für die Zukunft und die eigene Entwicklung

(Beifall von der CDU)

eintreten, dann kann der Staat das nicht leisten, und dann sind Sie mit Ihrem Latein am Ende. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Löhrmann das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Post, ich will gerne bei Ihnen anknüpfen. Wenn die Debatte dazu gedacht war, zu überlegen, wie wir als Parlament gemeinsam die Herausforderungen des demografischen Wandels

gestalten, dann hätte es aber auch eines anderen Auftakts bedurft

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

und nicht der Rede eines Ministers, der mir heute wie ein Erbsenzähler vorgekommen ist, als er angefangen hat aufzuzählen, man habe das und das und das gemacht. Er hat dann auch noch die ausländischen Lehrerinnen und Lehrer gezählt. Wahrscheinlich hatte er sogar noch im Hinterkopf, dass alle erst 2005 in den Landesdienst eingestellt worden sind. Er hat die Debatte kleinkariert angelegt. Er hat sie wie ein Erbsenzähler angelegt und nicht wie jemand, der die Zukunft gestalten will. Und das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Darum auch mein Hinweis darauf, dass zum Beispiel die Frage viel zu kurz gekommen ist, wie die Kommunen bei der Gestaltung des demografischen Wandels begleitet werden wollen und müssen. Es sind doch die Kommunen, in denen das gestaltet werden muss.

Herrn Wittke wünsche ich von unserer Fraktion aus gute Besserung. Ich weiß nicht, ob der Kommunalminister, der an dieser Debatte ebenfalls nicht teilnimmt, auch erkrankt ist. Auch ihm wünsche ich dann natürlich gute Besserung.

Es muss darum gehen, das gemeinsam zu überlegen. Aber genau das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie wollten lediglich eine Schlussbilanz ziehen und sich wie so oft auf die Schulter klopfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Laschet, ich fand es sehr mutig von Ihnen, die Zukunftskommission des Ministerpräsidenten anzusprechen.