Herr Laschet, ich fand es sehr mutig von Ihnen, die Zukunftskommission des Ministerpräsidenten anzusprechen.
Am Samstag lese ich in der „Rheinischen Post“, dass sich die Zukunftskommission zur Zukunft des Schulsystems bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht äußern wird.
Meine Damen und Herren, das ist doch ein Skandal. So viel Vergangenheit war selten. Sie von der CDU reden über Bildung und bilden sich immer noch ein, die Zukunft der Bildung mit einem Schulsystem gestalten zu können, das aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. So sieht es doch aus.
Frau Doppmeier, Sie haben schöne Worte zur kommunalen Freiheit und den kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten gewählt. Die Kommunen Horstmar und Schöppingen in Nordrhein-Westfalen werden daran gehindert, das Bildungssystem so auszugestalten, wie sie es für richtig, notwendig und
So viel zum Thema Freiheit, demografische Entwicklung und demografischer Wandel. Sie haben die Chance und die Bedeutung, die in diesem Thema liegen, heute Morgen leider vergeigt. – Herzlichen Dank!
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Was sollte das jetzt? Was war die Botschaft?)
Bevor ich dem Kollegen Witzel das Wort für die Fraktion der FDP gebe, möchte ich nur kurz darauf hinweisen, dass Herr Innenminister Dr. Wolf ganztägig entschuldigt ist, weil er das Land NordrheinWestfalen im Vermittlungsausschuss in Berlin vertritt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Demografischer Wandel ist ein wichtiges Thema, mit dem sich der Landtag heute und auch zukünftig beschäftigen muss – gerade deshalb, weil die Debatte zu Recht gezeigt hat, dass es nicht um Pro und Kontra, nicht um Schreckensszenarien geht, sondern dass die entscheidende Frage für die Politik die des Wie ist. Anspruch der Politik muss sein, den demografischen Wandel sinnvoll und zukunftsorientiert zu gestalten.
Deshalb lautet die Frage: Auf welchen Eckpfeilern beruht die Philosophie, mit der mit den Prozessen, die im gesellschaftlichen Umbruch vor uns stehen, umzugehen ist? Für die FDP-Landtagsfraktion werbe ich nachhaltig dafür, ein subsidiäres Modell zu suchen. Wir brauchen in der Gesellschaft Subsidiarität, weil der Staat überhaupt nicht im Detail all das regeln kann, was an strukturellen Brüchen auftreten kann. Je mehr sich Menschen in örtlichen Zusammenhängen und im direkten Zusammenwirken gegenseitig unterstützen und auf Änderungen reagieren, desto besser ist das. Wir brauchen auch im demografischen Wandel „Privat vor Staat“, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Alle Probleme, die Familie, aber nicht nur Familie lösen kann, die auch innerhalb einer Wohngemeinschaft, eines Hauses, eines Stadtteils oder einer Straße gelöst werden können, entlasten den Staat. Der Staat ist nicht in der Lage, ein engmaschiges Netz zu finanzieren, um all das mit staatlichen Strukturen und Institutionen aufzufangen, was sich an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen ergibt. Politisch wäre das von der Frage der Steuerung her auch gar nicht wünschenswert. Deshalb ist es gut, wenn sich diejenigen, die in Pension sind, aber als aktive Alte noch voller Kraft strotzen, um die Betreuung, Erziehung, Begleitung und damit Stabilisierung der Lebensbiografien junger Menschen kümmern, die dann umgekehrt vielleicht auch aus Dankbarkeit, wenn sie älter sind und von der älteren Generation viel für ihre Entwicklung profitiert haben, wenn diese ältere Generation pflegebedürftig wird, Verantwortung übernehmen.
Es ist die Philosophie der Freiheit, wie wir demografischen Wandel gestalten müssen. Es gab entsprechende Zwischenrufe: Die Linken haben das immer anders gesehen: Erst wird die Wirtschaft verstaatlicht. Dann wird das Denken verstaatlicht. Dann wird der Mensch verstaatlicht. Anschließend werden alle Andersgläubigen, die von der staatlichen Linie abweichen, vor große Probleme gestellt und ausgegrenzt. Das ist Ansatz linker Politik. Wir wollen eine freiheitliche Politik in der Gestaltung. Das ist ganz wichtig für die Gesellschaft im demografischen Wandel.
Deshalb werben wir als FDP-Landtagsfraktion ganz ausdrücklich dafür, dass wir dem Thema des demografischen Wandels nicht mit Angst begegnen, dass wir darin nichts Negatives sehen, sondern sehr differenziert schauen: Wo gibt es auf der einen Seite zukünftige Gestaltungsanforderungen, und wo gibt es auf der anderen Seite große Chancen?
Frau Präsidentin, uns wurde mitgeteilt, dass der Minister, wenn ich Ihren Hinweis richtig interpretiere, in der ersten Runde seine Redezeit deutlich überzogen hat. Deshalb haben auch die Fraktionen noch Redezeit.
Meine Damen und Herren, wir werben für eine sehr differenzierte Betrachtung. Es ist kein Problem an sich, wenn Menschen länger leben. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich durch technische Innovation gesundheitliche Verbesserungen im System ergeben. Das ist ein Zeichen dafür, dass es mehr aktive Senioren gibt. Demografischer Wandel lässt sich
auch nicht statisch prognostizieren, weil es viele Prognoseprobleme gibt, wie es sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gezeigt hat.
Selbstverständlich ist für niemanden hier eine sinkende Geburtenrate das Ziel. Ich sage aber ausdrücklich: Es gibt Potenziale und Chancen, die sogenannten Demografiegewinne für Quantität und Qualität in den Angeboten, die wir jungen Menschen unterbreiten, zu nutzen.
Demografischer Wandel läuft regional sehr unterschiedlich ab. Deshalb ist es unsere Philosophie der Freiheit, Menschen vor Ort Gelegenheit zu geben, flexibel bei ihren Einrichtungen und in ihren Strukturen reagieren zu können, weil sich in Zuzugsgemeinden mit demografisch positiver Entwicklung wie zum Beispiel Bonn und Düsseldorf die Frage der Einrichtungen der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern ganz anders darstellt als in bestimmten ländlichen Flächenkreisen, die in den nächsten 15 oder 20 Jahren mit 20 % demografischen Verlusten rechnen müssen.
„Anforderungen der Politik“ heißt deshalb für uns: Wir wollen eine kinderfreundliche Gesellschaft. Ich teile auch ausdrücklich nicht die Auffassung der Grünen, dass es, wenn der Staat Menschen ermuntert, sich für Kinder positiv zu entscheiden, etwas mit Faschismus zu tun hat. Es ist unsere Aufgabe, hier Unterstützung zu geben. Die Frage, wie demografischer Wandel und Geburtenrate sich zueinander verhalten, hängt zum Beispiel davon ab, dass der Staat die richtigen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt, wie viel der Staat an Unterstützungsinfrastruktur im Bereich von U3-Plätzen bietet. Ausdrücklich bedeutet demografischer Wandel nicht automatisch den Kollaps sozialer Sicherungssysteme. Es ist eine Frage, wie soziale Sicherungssysteme ausgestaltet werden müssen.
Richtig ist, dass es dann, wenn weniger Junge in ein Umlagesystem einzahlen und umgekehrt Menschen erfreulicherweise länger leben und dann natürlich auch länger Bezieher von Zahlungen sind, nicht automatisch ein Problem für die soziale Sicherheit gibt, sondern dass es die Aufforderung dazu ist, neue Systeme für eine andere Architektur der sozialen Sicherheit zu finden.
Es ist nicht alles allein über Umlagesysteme zu machen. Wenn ich nach meiner Pensionierung noch längere Zeit aktiv im Leben stehe, muss ich ausdrücklich selber Eigenvorsorge betreiben, weil ich mich nicht darauf verlassen kann, dass ich von den Einzahlungen der jungen Menschen werde leben können. Es muss zukünftig allen Leuten klar sein, dass man bei einer alternden Gesellschaft selber Eigenvorsorge betreiben muss.
vollziehbar, dass die Kommission der Auffassung ist, dass ganz andere Fragen unter dem Aspekt des demografischen Wandels für dieses Land von Bedeutung sind.
Der Einfluss der demografischen Entwicklung auf das Bildungswesen in unserem Land wird oftmals stark überschätzt. Das gilt insbesondere deshalb, weil sich erfreulicherweise in diesem einen Punkt alle Fraktionen dieses Hauses einig sind, dass wir Demografiegewinne im System belassen wollen. Das heißt doch logischerweise, dass dann, wenn Schülerzahlen in den nächsten Jahren, wie prognostiziert, um 10 % zurückgehen, aber die Ressourcen im System bleiben, die Klassen kleiner werden und kein Schulsystem zur Disposition steht. In einer Klasse, in der heute 30 Schüler sitzen, sitzen dann zukünftig – bei 10 % Rückgang – 27 Schüler.
Es ist doch nicht negativ zu sehen, wenn Lerngruppen kleiner werden, aber sich alle Fraktionen hier im Hause darauf verständigt haben, die Ressourcen entsprechend im System zu behalten. Dann gibt es mehr Chancen für individuelle Förderung, dann ist das keine demografische Gefahr für bestimmte Schulstandorte, sondern es gibt mehr Möglichkeiten, flexibel vor Ort vorgehen zu können.
Das Schulgesetz bietet ja – weil wir ja wissen, dass die demografische Entwicklung regional unterschiedlich verläuft – den Kommunen, die Unterstützung brauchen, die sagen, wir müssen hier stärker kooperieren und zwischen unterschiedlichen Schulstandorten zusammenarbeiten, Verbundlösungen an. Meine Prognose ist, dass wir zukünftig stärker von den Möglichkeiten, die das Schulgesetz bietet, werden Gebrauch machen müssen,
um ortsnah Schulangebote sicherstellen zu können. Da wird es sicherlich eine stärkere kommunale Ausdifferenzierung geben, was die Frage der Inanspruchnahme dieser Optionen angeht.
Ausdrücklich, Frau Löhrmann, diskutieren wir in der Koalition die Frage der Schulstruktur nicht ideologiegetrieben wie Sie. Für Sie ist es nämlich ideologiegetrieben ein Ziel, differenzierte Strukturen, unterschiedliche Angebote, Bildungsgänge auf unterschiedlichem Anforderungsniveau beseitigen zu wollen. Das ist es für uns nicht. Wir wollen pragmatisch dort, wo es der demografische Wandel erfordert, gemeinsam mit den Kommunen Lösungen finden, damit ein differenziertes Angebot auch zukünftig ausdrücklich stabilisiert wird.
Für die kommende Legislaturperiode sind deshalb alle Parteien und Fraktionen gut beraten, diesen Prozess miteinander zu diskutieren. Wir haben für die kommende Legislaturperiode nach der LDSPrognose von einem Absinken der Schülerzahlen von 2 Millionen im Jahr 2010 auf 1,8 Millionen im Jahr 2015 auszugehen.
Im Durchschnitt verlieren alle Schulen damit in der nächsten Legislaturperiode jeden zehnten Schüler. Die heute im System befindlichen geburtenstarken Jahrgänge treten aus. Damit wird 2015 wieder der Schülerbestand erreicht, den NRW bereits Ende der 80er-Jahre hatte: 1,8 Millionen Schüler für NRW sind aber keinesfalls eine unübliche Situation, denn bereits im Zehnjahreszeitraum von 1985 bis 1994 lag die Schülerzahl in Nordrhein-Westfalen unter 2 Millionen.
Die letzte entscheidende Frage, Frau Löhrmann, der Sie sich hätten widmen können, der Sie sich politisch in Zukunft widmen können, ist die, wie wir auf die strukturellen Veränderungen reagieren, dass wir immer mehr Kinder mit problematischem Hintergrund haben, die Schwierigkeiten in der Schule haben.
In diese Qualität wollen wir investieren. Deshalb muss die Qualitätsdebatte bei der Bildung im Vordergrund stehen – auch in Zeiten des demografischen Wandels. – Vielen Dank.