Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

gung ist nicht akzeptabel und widerspricht der Grundphilosophie der Kommission, die Strukturfondsförderung noch stärker auf die strukturschwächsten Regionen zu konzentrieren.

Insofern unterstützen wir die im SPD-Antrag formulierte Forderung nach einer Ausweisung klarer sozioökonomischer Kriterien wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsabbau und Infrastrukturbedarf.

(Beifall von Marc Jan Eumann [SPD])

Nur Regionen, die gemessen am Durchschnitt der Gemeinschaft in Bezug auf diese klar definierten sozioökonomischen Kriterien ein Defizit aufweisen, dürfen von den Mitgliedstaaten für eine P-2Förderung vorgeschlagen werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Mittel wirklich nur dorthin fließen, wo es die Probleme gibt.

Meine Fraktion - dies will ich in aller Deutlichkeit sagen, und hier gibt es einen Unterschied - hält jedoch eine Fokussierung der zukünftigen Priorität-2-Förderung ausschließlich auf das Ruhrgebiet für verfehlt. Denn letztlich müssen sich alle nordrhein-westfälischen Regionen im Sinne der in Lissabon und Göteborg vereinbarten Ziele den Herausforderungen einer globalisierten Welt stellen können.

(Beifall von Werner Jostmeier [CDU])

Insofern halten wir es für richtig, einen bestimmten Prozentsatz der P-2-Mittel gezielt in den Wettbewerb zu stellen und für Unternehmen beziehungsweise Projekte aus allen Regionen des Landes - so sie denn den Strukturdaten und Kriterien entsprechen - zugänglich zu machen. Dass die neue Landesregierung dies auch aufgreifen will, weil es darüber in anderen Regionen viel Unmut gibt, finden wir richtig, und wir sollten schauen, wie wir an dem Punkt zusammenkommen. Wir sollten aber nicht das Ruhrgebiet gegen die anderen Regionen des Landes ausspielen.

(Beifall von CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, ich finde es aber auch nicht hilfreich - das will ich abschließend sagen -, die nationale Kofinanzierung seitens des Landes für zukünftige Projekte - wie es Frau Wirtschaftsministerin Thoben im Zuge ihrer kleinen Regierungserklärung im Ausschuss gemacht hat - unter Verweis auf die Haushaltssituation infrage zu stellen. Das darf aus unserer Sicht auch nicht sein.

(Beifall von der SPD)

Dies ist mit Sicherheit eine der Fragen, die es im Rahmen der Ausschussberatungen aufzugreifen

gilt. Mit einer schwäbischen Haltung nach dem Motto „Wir wollen viel, aber wir geben nichts“ werden wir in Brüssel nicht erfolgreich sein. Wir stimmen der Überweisung selbstverständlich zu und freuen auf die weiteren Beratungen. Ich finde es sehr wohl wichtig, dass wir uns heute mit der Frage beschäftigen. Denn wenn alles entschieden ist, kommen wir in Brüssel zu spät. - Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN, CDU und SPD)

Danke schön, Frau Löhrmann. - Als Nächstes hat Herr Brockes von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Strukturpolitik der Europäischen Gemeinschaft befindet sich in einem bemerkenswerten Umbruch. Nordrhein-Westfalen ist davon besonders stark betroffen. Eines ist klar: Die zu verteilenden Mittel werden nicht wachsen. Steigen muss deshalb die Effizienz der angewandten Mittel. Daher ist aus unserer Sicht die Umstellung von der bisherigen Ziel-2-Förderung durch die EU auf die regionale Wettbewerbsförderung richtig. Die neue Abgrenzung der Fördergebiete nach einem ausgewogenen Kriterienmix ist sinnvoll, und die Anpassung der Verteilung der Fördermittel an die Lissabonstrategie ist aus unserer Sicht überfällig.

Aber um all das geht es in dem Antrag der SPD nicht. Sie sagen in Ihrem Antrag: Der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen und insbesondere im Ruhrgebiet ist gelungen. - Die daraus abgeleitete Forderung heißt: Deshalb mögen die EUMittel ins Ruhrgebiet weiterhin unverändert fließen. Es war gut und es soll sich nichts ändern. - Meine Damen und Herren, in den Ohren der Arbeitslosen gerade im Ruhrgebiet muss sich das wie blanker Hohn anhören.

(Frank Sichau [SPD]: Warum das denn?)

Wollen Sie bei einer Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet von 15,2 % und bei fast 350.000 Arbeitslosen in dieser Region im Ernst von einem erfolgreich absolvierten Strukturwandel reden?

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Die Wahrheit ist: Trotz seiner enormen Entwicklungspotenziale, des Fleißes und der Leistungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, des großen Reservoirs an gut ausgebildeten Arbeitnehmern bleibt das Ruhrgebiet weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist bisher keine Erfolgsgeschichte.

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über zukünftige Strukturförderung sprechen, müssen wir ehrlich bilanzieren, was die bisherige Regierung gemacht hat. Wir müssen vor allem aus Fehlern lernen. Auch für die Strukturpolitik gilt: An ihren Ergebnissen sollt ihr sie messen.

Im Ruhrgebiet sind die Ergebnisse nicht schlecht, sie sind verheerend. 1980 lag das Pro-KopfEinkommen des Ruhrgebietes um 5,3 % unter dem des übrigen Landes.

(Zuruf von der SPD: Warum wohl?)

Dieser Rückstand hat sich bis 2002 auf 17,4 % erhöht. Gleichzeitig verringerte sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen im Ruhrgebiet von 1,8 Millionen auf 1,5 Millionen. Meine Damen und Herren, das sind die Fakten. Auf dieser Grundlage müssen wir schauen, welches die wirklich richtigen Maßnahmen für die Zukunft sind.

(Beifall von der FDP)

Jetzt reden Sie davon, die Landesregierung solle die bisherige Strukturförderung fortsetzen, und erwähnen da Ihr Lieblingswort: die Kontinuität zur SPD-geführten Vorgängerregierung. Mit Verlaub: Das meinen Sie ja wohl nicht im Ernst! Wollen Sie nicht aus Ihrer verheerenden Bilanz lernen? Wollen Sie dem Patienten weiterhin dasselbe fruchtlose Mittel verabreichen, obwohl er immer schlimmer darbt? Glauben Sie, dass das Placebo, wenn Sie nur die Dosis erhöhen, plötzlich wirkt? Wenn Sie glauben, Sie müssten nur weiterhin Milliardensummen in eine Region pumpen, schon werde alles gut,

(Zuruf von der SPD: Wer macht das denn?)

dann sind Sie finanzpolitische Filous und strukturpolitische Tagträumer, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP - Zuruf von der SPD: Da stellt sich die Frage, wer hier Tagträumer ist!)

Meine Damen und Herren, FDP und CDU glauben an eine Heilung des Ruhrgebietes. Aber wir setzen nicht auf eine Wunderheilung. Wir setzen auf eine strukturelle Reform der Strukturpolitik. Beide Regierungsfraktionen haben mit ihrem Koalitionsvertrag einen Mentalitätswechsel in der Wirtschafts- und Strukturpolitik eingeleitet. Wir wollen wegkommen von dem alten Bild des Ruhrgebietes, das die gesamte Region dauerhaft am Tropf des Staates darstellt. Wir setzen auf die Bereitschaft der Menschen, aus eigener Kraft etwas auf die Beine zu stellen. Wir wollen den Rahmen dafür schaffen, dass die vorhandenen Stärken frei

entfaltet werden. Wir gehen weg vom rot-grünen Subventionssozialismus, in dem Unternehmen durch staatliche Regulierung

(Lachen von SPD und Grünen - Rainer Schmeltzer [SPD]: Mein Gott! Wo haben Sie das Märchenbuch ausgegraben?)

- hören Sie gut zu, ich erkläre Ihnen das auch -, durch Bevormundung, durch vergiftete Geschenke gelähmt und gefesselt werden.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, das heißt konkret: Lassen Sie uns über die Rahmenbedingungen reden! Lassen Sie uns nicht darüber reden, was wir im Ruhrgebiet mehr verteilen, sondern was wir dort weniger nehmen: an Geld, an Zeit, an Aufwand! Lassen Sie uns über Abgaben, über Bürokratie, über Marktwirtschaft reden! Es gibt keine bessere Strukturpolitik als eine befreite Wirtschaft.

(Beifall von der FDP - Rainer Schmeltzer [SPD]: Ist das hier Plenum oder Andersen? - Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, seien Sie unbesorgt: Das Ruhrgebiet bleibt ein regionaler Schwerpunkt der Landesförderung. Aber wir werden nicht alle Strukturpolitik im Ruhrgebiet monopolisieren. Das Prinzip „Geld rein, geht schon“ hat ausgedient. Wir wollen um die Mittel einen echten Wettbewerb initiieren, in dem die Projekte mit den besten Chancen die beste Aussicht haben und nicht die mit der besten Lobby.

Es gilt immer noch: Was dem Ruhrgebiet nützt, das nützt dem ganzen Land. Aber wir werden die andere Wahrheit nicht vergessen: Was dem ganzen Land nützt, das nützt auch dem Ruhrgebiet. Darauf weist übrigens auch die Europäische Kommission hin.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können der Zukunftskulisse der europäischen Strukturförderung nur zustimmen: weg vom Gießkannenprinzip hin zu einer Bedarfsförderung, weg von der bloßen Strukturerhaltung hin zur Strukturgewinnung, weg von der Förderung sterbender Industrien hin zur Unterstützung zukunftsträchtiger Technologien. Das sind ganz wesentliche Fortschritte, und die sind gut für NordrheinWestfalen. Die EU tut das Richtige, gewiss nicht in allen Details, aber dennoch im Großen und Ganzen.

Insgesamt kann ich daher für meine Fraktion klar signalisieren: Ja, wir werden dem Entscheidungsprozess der Europäischen Gemeinschaft überwiegend positiv begegnen. Ja, wir werden uns da

für einsetzen, dass die notwendigen Änderungen - ich habe sie skizziert - vorgenommen werden. Ja, wir werden vor allem genau beobachten, dass die Fördermittel für Nordrhein-Westfalen auf dem höchstmöglichen Niveau bleiben.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Was heißt denn „höchstmögliches Niveau“?)

Nein, wir werden uns Ihrem Ansinnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einfach alles so weiterzumachen wie bisher, nicht anschließen.

(Beifall von FDP und CDU - Zurufe von der SPD)

Als Nächster hat für die Landesregierung Herr Minister Breuer das Wort.

(Marc Jan Eumann: Michael, das musst du wieder gerade rücken! - Prof. Dr. Gerd Bol- lermann [SPD]: Jetzt muss Herr Breuer das erst einmal klar machen!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die europäische Strukturpolitik war und ist für Nordrhein-Westfalen …

(Zurufe von der SPD - Gegenruf von Dr. Gerhard Papke [FDP]: Er hat keine Ah- nung, wie es aussieht im Ruhrgebiet!)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Überwiegend hat jetzt Herr Minister Breuer das Wort.

(Allgemeine Heiterkeit - Beifall von der SPD)

Ich finde es gut, dass wir quer über die Bänke diskutieren. Das zeigt, dass Ihnen allen bewusst ist, wie herausragend und wichtig dieses Thema ist, meine Damen und Herren. Es besteht bei allen vier Kollegen, die vor mir gesprochen haben, kein Zweifel daran, dass die europäische Strukturpolitik für NordrheinWestfalen von herausragender Bedeutung ist und bleiben wird.