Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Bei der Resozialisierung leisten jedoch neben dem offenen Vollzug insbesondere die sozialen Dienste der Justiz und insbesondere dort die freien Träger eine wichtige Unterstützung. Vor kurzem habe ich den Arbeitskreis der Straffälligenhilfe in Aachen kennen gelernt. Er leistet eine ganz hervorragende Arbeit auf diesem Gebiet. Ich fin

de, das dortige ehrenamtliche Engagement im Rahmen von Alphabetisierungskampagnen, die dort durchgeführt werden, kann nicht positiv genug bewertet werden. Wir werden daher auch genau beobachten, ob im Rahmen der Haushaltsplanberatungen des Jahres 2006 die Mittel für Beratungsstellen und Projekte der freien Straffälligenhilfe Bestand haben.

Der Strafvollzug im Gefängnis ist nicht immer das beste Umfeld, um insbesondere Täter, die Straftaten von kleiner und mittlerer Kriminalität begangen haben, zu resozialisieren. Die SPD-Fraktion wird daher den Vorstoß von CDU und FDP kritisch begleiten, inwieweit die Schaffung von abgeschotteten Bereichen im Strafvollzug vielleicht auch dazu führen kann, die Resozialisierung dieses Gefangenentypus, nämlich der 21- bis 26-jährigen, und zwar auch mit Migrationshintergrund, eher zu verhindern. Wie hat es der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker richtig formuliert?:

Entlassene Straftäter dürfen durch Chancenlosigkeit nicht noch einmal bestraft werden.

Deshalb müssen wir uns den jungen erwachsenen Gefangenen während des Vollzuges der Jugendstrafe widmen und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so fördern, dass sie in Zukunft ein selbst verantwortetes und gemeinschaftsfähiges Leben führen können, denn wir wollen die Menschen doch zur Freiheit erziehen. Das erreichen wir nicht am besten dadurch, dass wir ihnen die Freiheit entziehen.

Deshalb muss der Strafvollzug ganzheitlich erfolgen unter Berücksichtigung der Diskussionspunkte von CDU und FDP, aber auch unseres Entschließungsantrages, damit dies nicht zu kurz kommt. Die Politik ist dazu aufgerufen, dort, wo dies nötig und möglich ist, aber auch nur da, in aller Besonnenheit mit Maßnahmen zu reagieren, welche die Resozialisierung verbessern. Nicht notwendige und geradezu kontraproduktive Verschärfungen des Jugendstrafrechts wie der von Ihnen schon mehrfach angesprochene Warnschussarrest, aber auch die in Ihrer Fraktion mir bekannte Diskussion um die Erhöhung der Jugendhöchststrafe oder die Abkehr vom Jugendstrafrecht für Heranwachsende sieht die SPDFraktion mehr als kritisch.

Wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. Ich bin guter Hoffnung, dass es uns gelingt, eine gemeinsam abgestimmte Auffassung der Fraktionen zu erreichen. Dazu bieten wir unsere Mitarbeit an, wie es Herr Witzel vorhin auch getan hat. - Besten Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Stotko. - Frau Düker von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegen von der CDU und von der FDP, gestern haben wir über Arrest für Jugendliche geredet, heute reden wir über eine Sonderabteilung für junge Erwachsene im Strafvollzug. Sie stellen immer wieder Resozialisierung und Erziehung in den Vordergrund, aber Sie reden eigentlich nur über das Wegsperren, Herr Orth und Herr Biesenbach. Das halte ich für konzept- und phantasielos. Wenn wir darüber reden, wie wir junge Leute wieder in die Gesellschaft hineinbringen, dann ist das, was Sie vorschlagen, relativ konzept- und phantasielos. Herr Biesenbach, mit der Koalition der Erneuerung haben diese alten Konzepte weiß Gott nichts zu tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie erheben den Anspruch - der Kollege Stotko hat das richtig gesagt -, den Erziehungs- und Resozialisierungsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Aber womit denn? Gestern ging es, wie gesagt, um Arrest oder Warnschussarrest, wie auch immer, Hauptsache die Tür ist zu, und heute geht es um eine Sonderabteilung für die Zielgruppe der 21- bis 26-Jährigen.

Meine Damen und Herren, junge Menschen werden nicht zu einem bestimmten Stichtag erwachsen. Im KJHG ist das ja auch berücksichtigt, das ja zum Teil bis 27 Jahre gilt. Aber auch das Jugendgerichtsgesetz kennt eine flexible Grenze. Danach können junge erwachsene Straftäter zwischen 18 und bis zur Vollendung ihres 24. Lebensjahres im Jugendstrafvollzug untergebracht werden. Entscheidend ist hier der Reifegrad des Täters. Verfügt der Täter nicht über die entsprechende Reife, dann soll ihm eine erzieherische - hier kommt dann der Erziehungsgedanke ins Spiel - Chance eingeräumt werden. Das ist ja das, was Sie mit Ihrem Antrag wollen. Dann ist er aber im Erwachsenenstrafvollzug fehl am Platze, denn dafür haben wir doch den Jugendstrafvollzug. Somit brauchen wir auch keine besondere Abteilung im Erwachsenenstrafvollzug. Dann sollen wir den Jugendstrafvollzug anwenden, denn dort ist ja auch der Erziehungsgedanke verankert. Im Übrigen sind dort die Rückfallquoten auch deutlich niedriger als im Erwachsenenstrafvollzug.

Worüber reden wir dann eigentlich noch? - Dann reden wir über die erwachsenen Straftäter, die das 24. Lebensjahr vollendet haben und bis 26 Jahre alt sind, also über die um 25. Meine Damen und Herren, macht das Sinn, für so eine relativ

überschaubare Tätergruppe irgendwelche Sonderabteilungen einzurichten? Ein Konzept kann ich darin nicht erkennen.

Statt solcher Sonderregelungen schlagen wir vor, besser den eingeleiteten Weg, der ja über Jahre durch die rot-grüne Regierung beschritten wurde, weiterzugehen, denn der ist erfolgreicher, also Ausbau der Prävention, Maßnahmen und Intensivierung von Haftvermeidungsprojekten. Dass diese Maßnahmen greifen, zeigen auch die Belegungszahlen. Waren 1999 noch 18.205 Menschen in NRW in Haft, waren es 2004 nur noch 17.498 Gefangene.

Das ist ausbaufähig; das sehe ich auch. Deswegen findet der Antrag der SPD, hier auf Haftvermeidung zu setzen, weiterhin unsere volle Unterstützung. Das ist schließlich die Linie, die wir immer gemeinsam vertreten haben.

Es bleibt auch offen, wie die neuen Abteilungen finanziert werden sollen. Sie wollen dort ja eine besondere Förderung einrichten. Ich weiß nicht, was Ihre Haushaltsexpertenkommission dazu sagt, wenn Sie hier Anträge auf den Weg bringen, die eigentlich nur Kosten verursachen, aber überhaupt keinen Vorschlag enthalten, wie das finanziert werden soll.

Ein Haftplatz in NRW kostet 25 € am Tag. Die Aufwendungen für gemeinnützige Arbeit sind mit 11 € pro Tag deutlich geringer. Nehmen wir uns die Zahlen einmal vor, und sehen wir uns an, wo die Haftvermeidung noch ausbaufähig ist.

Beispielsweise sind in den Haftanstalten von NRW täglich 600 bis 650 Haftplätze von Menschen belegt, die eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Das heißt, zwei Justizvollzugsanstalten mittlerer Größe könnten morgen geschlossen oder für andere Dinge genutzt werden, wenn die Menschen beispielsweise gemeinnützige Arbeit leisteten, statt wegen der nicht einbringbaren Geldstrafen in Strafanstalten zu sitzen. Die Kosteneinsparungen wären erheblich.

Nach vorsichtiger Schätzung könnte man von einem Bedarf von ca. 500 zusätzlichen Plätzen für gemeinnützige Arbeit pro Tag ausgehen. Legt man Kosten in Höhe von 11 € am Tag zugrunde, sind das pro Jahr 2 Millionen €. 500 Haftplätze in einer Strafanstalt, für die pro Tag ca. 75 € aufgebracht werden müssen, kosten - über den Daumen gepeilt - 13,7 Millionen € im Jahr. Wir hätten also erhebliche Einsparungen in diesem Bereich.

Ein weiteres Beispiel für die Forderung, ein bisschen mehr Intelligenz in diese Debatte zu bringen, sind die in den letzten Jahren eingeleiteten Maß

nahmen, wie zum Beispiel der Täter-OpferAusgleich, die aus unserer Sicht weiterverfolgt werden sollen. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird auch nach dem Jugendgerichtsgesetz durchgeführt. Ein konkretes Beispiel dafür findet sich in Dortmund.

Dort wurde im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs in 156 Fällen Schmerzensgeld vereinbart, insgesamt immerhin ein Betrag von 31.786 €. In 101 Fällen wurde das Schmerzensgeld erarbeitet, in 55 Fällen ging es um Schadenwiedergutmachung. Die jungen Straftäter leisteten im Jahr 2004 allein in Dortmund 5.297 Stunden gemeinnützige Arbeit.

Diese Maßnahmen tragen nicht nur zur Haftvermeidung bei, sondern sie sind nach allem, was uns die Wissenschaft dazu sagt, nachgewiesenermaßen auch wirksamer, was die Rückfallquoten betrifft. Angefangen hat das in Dortmund 1991 mit 25 Fällen. Heute sind wir bei 156 Fällen.

Diesen Weg müssen wir weitergehen. Dies sind wirksamere Maßnahmen. Sie sind wirksamer, weil sie auf das System der Wiedergutmachung setzen. Herr Biesenbach, bei jungen Menschen kann es wirklich wirksamer sein, wenn eine Sanktion über sie verhängt wird, die einen Bezug zur Tat hat. Der Wiedergutmachung liegt die Idee zugrunde, einen Bezug zur Tat herzustellen und damit auch eine Erziehung herbeizuführen.

Wir alle wissen, dass die Konfrontation des Täters mit der Tat tatsächlich die Rückfallquoten senkt und den erzieherischen Gedanken stärkt. Aus unserer Sicht ist das für alle Beteiligten besser. Das Opfer bekommt den Schaden ersetzt. Befindet sich der Täter in Haft, ist er ja häufig gar nicht zahlungsfähig. Für den Täter ist es eine echte Chance, sich mit der Tat auseinander zu setzen. Er wird weder stigmatisiert noch ausgegrenzt, und das Ganze ist auch kostengünstiger.

Das heißt, wir erwarten von der neuen Regierung durchaus ein paar interessantere und phantasievollere Vorschläge, die letztendlich wirksamere Maßnahmen enthalten, als die Menschen in Strafanstalten wegzusperren. Das gilt gerade für die jungen Straftäter.

Wenn es hier ernsthaft um die bis zu 26-Jährigen geht - es mag ja sein, dass man bei den 25Jährigen Lücken oder Defizite sieht, wie auch immer -, dann lassen Sie uns über ein JugendtäterStrafrecht sprechen. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe fordert dies seit Jahren.

Starten Sie eine Bundesratsinitiative für ein effizientes Jugendtäter-Strafrecht, das genau diese Zielgruppe ins Auge fasst, andere Gedanken als das Wegsperren beinhaltet und gerade im Zusammenhang mit den jungen Erwachsenen den Erziehungsgedanken stärkt. Einer solchen Bundesratsinitiative gegenüber wird sich meine Fraktion offen zeigen.

Ich halte diesen Antrag eher für einen, der ins Nirwana führt, nicht aber unbedingt für einen, der uns in dieser Debatte weiterbringt. - Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Düker. - Als nächste Rednerin hat Frau Ministerin Müller-Piepenkötter für die Landesregierung das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle tragen Verantwortung dafür, dass junge Menschen ihren Platz in unserer Gesellschaft finden. Das ist der Hintergrund dieses Antrags.

Bei den jungen Leuten, über die wir heute sprechen, ist das offenkundig aus unterschiedlichen Gründen nicht gelungen. Es geht um die jungen Erwachsenen im Alter von 21 bis 26 Jahren, die sich in den Justizvollzugsanstalten des Landes befinden und nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sind. Wir dürfen sie nicht abschreiben, sondern müssen alles tun, um sie für die Gesellschaft zurückzugewinnen. Natürlich gilt das Resozialisierungsgebot für alle Straftäter ohne Rücksicht auf ihr Alter. Doch bei jungen erwachsenen Straftätern liegt eine besonders günstige Ausgangssituation vor, die es zu nutzen gilt.

Ich wiederhole hier, was Herr Biesenbach schon gesagt hat: Bei den jungen Erwachsenen ist die Entwicklung der Persönlichkeit oft noch nicht abgeschlossen. Kriminelles Verhalten ist bei ihnen deshalb oft noch nicht Ausdruck einer verfestigten kriminellen Lebensweise, sondern Folge einer misslungenen Identitätsfindung und besonderer Problemlagen.

Deshalb ist es beabsichtigt, in Nordrhein-Westfalen einen sogenannten Jungtäter-Vollzug ins Leben zu rufen, der es ermöglicht, gezielt auf die alterstypischen Besonderheiten dieser Gruppe einzugehen und die Gefangenen bei der Entwicklung einer gesellschaftlich anerkannten Identität im Sinne einer Nacherziehung zu unterstützen. Es geht nicht um das Wegsperren. Im Vollzug befinden sie sich schon.

Während bei älteren Gefangenen einzelne Defizite, die es zu beheben gilt, im Vordergrund stehen, ist bei dieser Altersgruppe, ähnlich wie im Jugendvollzug, eine Förderung der Gesamtpersönlichkeit vonnöten. Das kann in speziellen Abteilungen besonders gut erreicht werden. Dann haben die dort tätigen Bediensteten die Möglichkeit, besonders intensiv auf die Stärken und Schwächen eines jeden Gefangenen einzugehen und diese bei der Förderung der Gefangenen zu berücksichtigen.

Wir werden daher spezielle Jungtäter-Abteilungen in dafür besonders geeigneten Justizvollzugsanstalten einrichten. Die dort gezielt auf die Altersstruktur und den Reifegrad abgestimmte Behandlung der Gefangenen wird zum einen durch eine diagnosegestützte Ein- und Zuweisungspraxis und zum anderen durch eine am Behandlungsfortschritt orientierte Überführung in schulische und berufsausbildende Maßnahmen flankiert werden. Deshalb haben wir ein Dreistufenmodell entwickelt.

Die erste Stufe bildet das Einweisungsverfahren. Die Einweisungsanstalt Hagen wird Gefangene im Alter von 21 bis 26 Jahren aufgrund individueller Diagnosen gezielt in die neuen Jungtäterabteilungen einweisen, damit sie dort besonders gefördert werden können.

Die zweite Stufe bilden diese Jungtäterabteilungen. Wir werden in einem ersten Schritt in drei Justizvollzugsanstalten, nämlich in Aachen mit 21 Plätzen, in Geldern mit 30 Plätzen und in Schwerte mit 54 Plätzen, solche Jungtäterabteilungen einrichten.

(Frank Sichau [SPD]: Alles geschlossener Vollzug!)

- Lassen Sie mich doch bitte erst zu Ende reden, Herr Sichau. Dann werden Sie auch dazu etwas hören.

Ziel dieser Abteilungen sind speziell auf diese Altersgruppe zugeschnittene Behandlungsangebote. Sie sollen den Gefangenen helfen, sozial adäquates Verhalten zu erlernen, Konflikte angemessen zu lösen und Fähigkeiten für ein eigenverantwortliches und gemeinschaftsfähiges Leben zu entwickeln.

Durch gezielte Motivationsarbeit sollen sie befähigt werden, eigene Potenziale zu erkennen und berufliche, schulische und therapeutische Angebote innerhalb und außerhalb des Vollzugs anzunehmen und wirksam zu verarbeiten.

Es ist der Wohngruppenvollzug vorgesehen, da das Leben in der Wohngruppe mit seiner Bezie

hungsdichte die besten Möglichkeiten bietet, die Fähigkeiten zu erwerben, die man für ein gesetzestreues Leben braucht. Flankierend werden die hier Untergebrachten im Anstaltsbereich zur Arbeit angehalten.

Die dritte Stufe sind Aufbaumaßnahmen. Ist in den Jungtäterabteilungen die Befähigung und Motivation für berufliche und schulische Maßnahmen aufgebaut, werden sie in die Justizvollzugsanstalten Geldern und Bochum-Langendreer - beides Anstalten mit dem Schwerpunkt berufliche Bildung - oder Münster mit seinem pädagogischen Zentrum verlegt. Dort werden gezielt auf sie zugeschnittene Bildungsmaßnahmen beruflicher und schulischer Art bereitgehalten.

Diese vorgenannten Anstalten bilden einen Verbund Jungtätervollzug. Sie arbeiten vernetzt zusammen und stimmen ihre Angebote aufeinander ab.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, des Landesjustizvollzugsamtes und der genannten Anstalten dieses Projekt der Landesregierung und das Konzept des Verbunds Jungtätervollzug so bereitwillig und zügig aufgegriffen und die konzeptionelle Planung bereits in die Wege geleitet haben. Ich bin stolz darauf.

Diese konkreten Maßnahmen legen ganz klar, dass es um Symbolpolitik nun wirklich nicht geht. Ich bin überzeugt, der Jungtätervollzug als Behandlungsschwerpunkt ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den Gesetzesauftrag des Strafvollzugsgesetzes zu erfüllen. Ich bin sicher, von ihm werden wertvolle Impulse auch für andere Behandlungsbereiche ausgehen.