Protokoll der Sitzung vom 29.01.2009

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn ich auch meinen Fokus hier auf die berufsbildenden Schulen gelegt habe, sind das doch genau die Phänomene, die in den Schulen vor Ort in allen Städten in den allgemeinbildenden Schulen ebenso zu beobachten sind.

Die Beruhigungspillen, die Sie zu verteilen versuchen, Frau Ministerin, wenn Sie mir zum Beispiel auf meine Kleine Anfrage bezüglich der desolaten Lehrerbesetzungssituation in Dortmund mitteilen, wie viele Stellen ausgeschrieben sind, können nicht wirken: Es zählt nicht, ob die Stellen ausgeschrieben sind, sondern ob sie überhaupt besetzt werden und wie lange die Schulen darauf warten müssen.

(Beifall von der SPD)

Sie können sich natürlich noch mehr virtuelle Stellen in den Haushalt schreiben: Eltern und Lehrerinnen und Lehrer nehmen Ihnen das längst nicht mehr ab. Es ist aber eine Beruhigung für Ihren Kollegen Finanzminister; denn dann kann man die Stellenzahl ruhig noch ein bisschen erhöhen, weil sie ja nicht wirksam werden, denn die Gelder werden nicht abgerufen.

Es gibt laufend neue Casting-Shows im Fernsehen. Die neueste sucht erfolgreiche Mentalisten und heißt „The next Uri Geller – Unglaubliche Phänomene live“.

(Lachen von Ministerin Barbara Sommer)

Nehmen Sie Ihren Haushaltsband und bewerben Sie sich da.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Uri Geller kann Löffel verbiegen – Sie versuchen sich halt beim Stellenbiegen. Das ist doch schon einmal eine Annäherung.

Ich habe bei „Wikipedia“ nachgeschaut, was dort zum Begriff Mentalist steht. Das fand ich höchst interessant. Dort heißt es:

Mentalisten betreiben ihre Kunst meistens zu Showzwecken und distanzieren sich überwiegend von jedweder Form der Scharlatanerie, in der unbedarften Opfern ähnliche Phänomene in ausbeuterischer Absicht – oft auch mit gesundheitsschädlichen Folgen – vorgegaukelt werden. Dennoch schöpfen sie aus dem gemeinsamen Repertoire.

Den Begriff Scharlatan kennen Sie sicherlich, Frau Ministerin.

Als Scharlatan wird eine Person bezeichnet, welche vorgibt, Wissen, Fähigkeiten oder Dinge zu besitzen, was allerdings nicht den Tatsachen entspricht.

(Zuruf von Winfried Schittges [CDU])

Die geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer müssen entscheiden, was bei der ganzen Sache überwiegt: Der Showzweck oder die Scharlatanerie.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Eine ziemlich schlechte Show liefern Sie in Sachen Ganztag ab.

(Zuruf von Winfried Schittges [CDU])

108 Realschulen und noch einmal 108 Gymnasien sollen in den beiden nächsten Schuljahren in den gebundenen Ganztag starten. 54 Gymnasien pro Schuljahr: Angesichts der Zumutungen, die Sie durch die verkorkste Schulzeitverkürzung mit Unterricht schon für die Jüngeren bis weit in den Nachmittag hinein allen 630 Gymnasien aufgebürdet haben, sind das in der Tat nur Trippelschritte.

Aber Sie kriegen diese 218 Schulen noch nicht einmal zusammen. Trotz diverser – ich nenne es einmal freundlich – intensiver Seelenmassagen durch die Schulaufsicht sind es lediglich 160 geworden. Da bleibt Luft im Haushalt für 58 Schulen, Frau Ministerin, zum Beispiel für die Gesamtschule in Hemer. Das wäre doch einmal eine sinnvolle Anlage.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Mir fallen natürlich sofort weitere Beispiele von Gesamtschulen ein, die sich in Gründung befinden und die – Herr Kaiser, da können Sie frohgemut sein – dann auch in den Bestand kommen werden. Das gilt für Bonn, für Morsbach, für Lippstadt und auch für Bad Salzuflen, wo ein schrumpfendes Gymnasium und eine schrumpfende Hauptschule jetzt für ein Bürgerbegehren gesorgt haben, weil sie in einen anderen Standort sollen. Der Rat hat sich in dieser Frage aber eindeutig erklärt, und eine Bedarfsfeststellung für die Gesamtschule hat bereits stattgefunden. Auch in Bad Salzuflen wird es in absehbarer Zeit eine Gesamtschule geben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ute Schäfer [SPD]: Mit der FDP! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Übrigens mit der FDP!)

Ich habe Frau Pieper-von Heiden bewusst nicht erwähnt, weil auch die Zuhörerinnen und Zuhörer merken sollen: Man muss nicht auf alles hören, was auf der Heide piept. – Das ist ganz wichtig.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zuruf von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

Ja, das kann man nicht oft genug sagen. Das ist das Schöne an der ganzen Sache.

(Unruhe von CDU und FDP)

Dass Sie sich weigern, den Realitäten ins Gesicht zu blicken und den Gesamtschulen die Ganztagsschulmittel zu eröffnen, ist ein bildungspolitischer Skandal erster Güte. Das werden wir Ihnen tagtäglich vorhalten.

(Beifall von Heike Gebhard [SPD])

Dazu kommt, dass Sie im Rahmen Ihrer Offensiven bürokratisch immer neue Töpfe kreieren, sodass überhaupt kein Überblick mehr möglich ist. Sie hangeln sich in der Tat von einer Offensive zur anderen: die Ganztagoffensive für Gymnasien, die Ganztagsoffensive für Realschulen, die Pädagogische Übermittagsbetreuung, der Pausenerlass und die x-te Hauptschuloffensive in der Hauptschuloffensive in der Hauptschuloffensive.

In Wahrheit laufen Sie mit Handfeger und Schippe den Auswirkungen Ihrer verfehlten Schulpolitik hinterher und versuchen krampfhaft, die Scherben zusammenzukehren. Genau das erleben wir hier in Nordrhein-Westfalen täglich.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dabei versemmeln Sie Unsummen; denn die ersten Ganztagshauptschulen – das habe ich von Ihnen ja schriftlich bekommen, Frau Ministerin – machen schon wieder dicht.

(Ute Schäfer [SPD]: Fünf Stück!)

Sie bekommen die Schulentwicklungskurve zu mehr gemeinsamem und erfolgreichem Lernen nicht hin. An dieser Stelle hilft auch nicht Ihr Verweis auf die Verbundschulen; denn diese Verbundschulen sind nur halbherzig. Die Bildungsgänge bleiben weiter getrennt.

Auf der anderen Seite ist dies ein Ausweis, dass die Anmeldezahlen an den Hauptschulen weiterhin sinken und dass Sie die Bestandsgefährdung sehr deutlich wahrnehmen. Damit belegen Sie das ja. Sie versuchen verzweifelt, die Kurve zu bekommen. Sie wissen nur nicht, wie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben sich ideologisch so in der Ecke eingemauert, dass es für Sie immer schwerer wird. Das ist das Dramatische. Es ist doch kein Geheimnis, dass auf der kommunalen Ebene längst anders gedacht wird. Sie hinken hinterher und bekommen die Kurve eben nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Das ist schon interessant. Im Übrigen gilt das ja nicht nur für die Hauptschulen, bei denen die Anmeldezahlen in diesem Jahr wieder sinken.

Noch ein Hinweis zu Ihren Äußerungen, Herr Kaiser: Wenn die Zahl der Hauptschulstandorte sich verringert, ist doch klar, dass die Anmeldezahlen an einzelnen Standorten steigen, weil es weniger Hauptschulstandorte gibt und die Eltern ihre Kinder für die Schulen anmelden müssen, die in der Landschaft überhaupt noch existieren. Wenn Sie dann diese Zahlen anführen, ist das wieder einmal Trickserei und nichts anderes.

Lassen Sie mich noch einmal zu den Gymnasien zurückkommen. Sie haben eine zwingende Schulzeitverkürzung in der Sekundarstufe I vorgenommen. Nach drei Jahren starten Sie dann plötzlich Ihre Ganztagsschuloffensive für einen Bruchteil der Schulen und ermöglichen den Schulen in der Tat noch nicht einmal einen flexiblen Einstieg. Vor allen Dingen in der Fläche ist das ein Riesenfehler.

Ihr Koalitionspartner hat das inzwischen auch erkannt und versucht sich wieder einmal in der einen oder anderen Absetzbewegung. Seine Vertreter hätten lieber vorher konzeptionell darüber nachdenken sollen, anstatt im Nachhinein der eigenen Ministerin vors Schienbein zu treten. Inzwischen kennen wir das aus dieser Koalition aber sehr genau. Wir bekommen ja wöchentlich zelebriert, wie das Verhältnis ist.

Bei so viel Schulchaos und Uneinigkeit in dieser Koalition der Beteuerung und der Enttäuschung könnten wir uns als Opposition eigentlich gelassen zurücklehnen und zuschauen, wie der Bumerang auf Sie zurückfällt. Aber das kann niemand tun, dem etwas an dem erfolgreichen Fortkommen der Schulen in NRW liegt

(Beifall von den GRÜNEN)

und der sich für das Wohl und Wehe von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Eltern verantwortlich fühlt.

Frau Ministerin, es ist ja vielleicht schwierig, in solchen Debatten direkt zu reagieren. Ich habe Ihnen aber etwas mitgebracht, und zwar ein Lesebuch. Es müsste Ihnen eigentlich auch auf dem Tisch liegen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, lassen Sie es sich bitte in Ihrem Haus heraussuchen. Dieses Lesebuch heißt „Eltern, Lehrer, Schüler im Stress – Das Gästebuch zum Turbo-Abi“.

Der Radiosender WDR 5 hat im Zusammenhang mit dem von ihm durchgeführten Thementag die eindrucksvollen Rückmeldungen zur Realität der Schulen in Nordrhein-Westfalen in einem InternetGästebuch zusammengefasst. Dieses Buch ist der Ministerin,

(Ministerin Barbara Sommer nickt.)

den Sprecherinnen und Sprechern des Ausschusses sowie den Fraktionsvorsitzenden übersandt worden.