Protokoll der Sitzung vom 04.03.2009

Ein dritter Wahltermin im Jahr 2009 nach der Sommerpause ausschließlich für die allgemeinen Kommunalwahlen, zusätzlich zur Europawahl und zur Bundestagswahl birgt die Gefahr einer für die Demokratie unerfreulich geringen Wahlbeteiligung und ist wegen der damit verbundenen zusätzlichen Belastungen nicht vertretbar.

Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Herren.

(Beifall von SPD, GRÜNEN und Rüdiger Sa- gel [fraktionslos] – Zuruf von der SPD: Pure Heuchelei! – Weitere lebhafte Zurufe)

In seiner Begründung geht das Verfassungsgericht noch weiter. Das Verfassungsgericht sagt ausdrücklich:

Das Ziel einer höheren Wahlbeteiligung durch Zusammenlegung hat Verfassungsrang, weil es zu einer höheren demokratischen Legitimation der Gewählten führt.

(Unruhe)

Für mich ist das die entscheidende Aussage dieses Urteils. Dann gilt auch der Umkehrschluss, Herr Innenminister: Eine niedrige Wahlbeteiligung schwächt die demokratische Legitimation. Darauf dürfen Sie, Herr Ministerpräsident, nicht sehenden Auges hinwirken. Das ist unsere Überzeugung.

(Beifall von SPD, GRÜNEN und Rüdiger Sa- gel [fraktionslos])

Niemand, Herr Ministerpräsident – ich glaube, auch Sie nicht –, bezweifelt ernsthaft, dass die Zusammenlegung von Kommunal- und Bundestagswahl die Wahlbeteiligung nach oben bringen wird. Auch da sprechen die Zahlen für sich. Schauen wir doch einmal hin! 1994 gab es eine solche Kombination. Da lag die Wahlbeteiligung bei 81,7 %. Bei den Kommunalwahlen, die 1999 und 2004 isoliert durchgeführt wurden, waren es jeweils rund 55 %. Oder stellen wir es, um es anschaulich zu machen, in absoluten Zahlen dar: Bei der Bundestagswahl 2005 in Nordrhein-Westfalen gab es pi mal Daumen 10,5 Millionen Wählerinnen und Wähler. Bei der Kommunalwahl 2004 gab es 7,5 Millionen Wähler. Das heißt, das Fehlen von rund 3 Millionen Wählerinnen und Wähler wollen Sie mit dieser Entscheidung in Kauf nehmen. Das kann nicht demokratisch korrekt sein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dann kommt, meine Damen und Herren von der CDU – an Sie appelliere ich –, noch eines erschwerend hinzu – reden Sie doch mit den Kommunalpolitikern –: Sie haben die Stichwahl abgeschafft. Auch das erachten wir für falsch. Auch da werden wir noch einmal genau hinschauen; da können Sie ganz sicher sein.

(Beifall von der SPD)

Wer aber die Stichwahl abschafft und dann dafür sorgt, dass die Kommunalwahlbeteiligung nicht auf einem möglichst hohen Niveau sein kann, versündigt sich an der Demokratie dieses Landes.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wer eine Zusammenlegung ablehnt, muss zwingende Gründe dafür haben. Ich kann keine erkennen. Wir als SPD erkennen nur Vorteile: eine Ersparnis von rund 40 Millionen €, eine Entlastung bei

den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern, und wir ersparen den Wählerinnen und Wählern einen dritten Wahltermin innerhalb weniger Wochen.

Ihre Argumentation kenne ich. Sie sagen, es käme zu einer Überlagerung. Kommunalwahlthemen und -kandidaten wären dann nicht mehr erkennbar, wären nicht mehr bedeutend genug. Auch da empfiehlt sich ein Blick in das Jahr 1994, in dem die Wahlen zusammen lagen, also am selben Termin stattfanden. Da wurde sehr wohl differenziert gewählt. Ich sage sogar: Das Argument muss man umdrehen. Bei einer Zusammenlegung ergibt sich eine Riesenchance für diejenigen, die Kommunalpolitik machen, ihre Themen an mehr Menschen zu transportieren. Diese Chance sollten wir gemeinsam nutzen. Das ist doch der entscheidende Schritt dabei.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Im Übrigen, Herr Ministerpräsident, Herr Kollege Stahl, glauben Sie ernsthaft, dass die Menschen, die zur Wahl gehen, nicht zwischen Frau Merkel und Herrn Schramma unterscheiden können? Glauben Sie das ernsthaft?

(Heiterkeit bei der SPD)

Wenn die dann beide abwählen, heißt das nicht, dass sie nicht haben unterscheiden können; das kann ich Ihnen versichern.

(Heiterkeit und Beifall von SPD und GRÜ- NEN)

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Zitat des Bürgermeisters von Schermbeck, CDU. Er sagt, der Termin im August sei die schlechteste Lösung. Weiter sagt er – ich zitiere –: „Man sollte die Bevölkerung nicht für blöd halten.“ – „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 20.02.

Nein, meine Damen und Herren, das sollte man nicht, und das darf man nicht, denn Grundlage unserer Demokratie sind allgemeine und gleiche Wahlen. Jeder und jede, der bzw. die wählen geht, ist wichtig und stärkt die demokratische Legitimation der zu Wählenden. Gerade wir – wir alle als gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter – müssen dieses Prinzip verteidigen. Deshalb heute diese Sondersitzung, meine Damen und Herren!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich will einfach nicht glauben, dass Sie die Chance auf eine höhere Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl sehenden Auges ausschlagen wollen. Hören Sie auf Ihre kommunale Basis! Ich könnte hier fast Hunderte zitieren. Ich nenne einmal den Bürgermeister der Stadt Neuss, CDU, nenne den Vorsitzenden der CDU Dortmund und zitiere Bürgermeister Axel Prümm aus Grevenbroich – der droht Ihnen sogar mit einer Klage wegen der Mehrkosten, die ihm entstehen – am 21.02. in der „WZ“:

Wir kämpfen um jeden Euro und jeden Eimer Farbe für einen Kindergarten. Geld so zu verbraten halte ich nicht für richtig.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Unbehagen spürt man auch, wenn man dieser Tage die Presseschau durchblättert. Die Befürchtung ist, Herr Ministerpräsident, Sie haben sich verrannt und finden jetzt den Ausgang nicht. Angst vor Gesichtsverlust darf nicht unser politisches Handeln bestimmen. Das wäre fatal. Sie haben vor wenigen Tagen selbst ein Beispiel dafür gegeben, dass Sie das in Kauf nehmen, wenn es um die Sache geht, nämlich bei der Obdachlosenhilfe. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dafür, dass Sie die Mittel dafür aufgestockt haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das war richtig und gut. Deshalb werde ich nicht müde und werbe auch heute für einen Neuanfang dieser Diskussion im Interesse der Demokratie. Lassen Sie uns die Debatte, diese unsägliche Debatte um den 30.08., beenden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, einen Erfolg für die demokratische Kultur durch eine hohe Wahlbeteiligung bei einer gemeinsamen Kommunal- und Bundestagswahl am 27.09. zu erzielen! Einen engagierten und fairen Wahlkampf können wir führen. Daraus werden ein starkes Interesse der Wählerinnen und Wähler und eine hohe Wahlbeteiligung resultieren. Ich bin der Auffassung: Dafür tragen wir gemeinsam Verantwortung in diesem Land. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall von der SPD – Bei- fall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kraft. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Kollegin Löhrmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Wir befassen uns in dieser Sondersitzung heute mit einem ungeheuerlichen Vorgang. Die Landesregierung, die Koalition von CDU und FDP beschädigen die Demokratie in NordrheinWestfalen. Das sage ich in allem Ernst.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)

Mit Ihrem Versuch, die Kommunalwahl um viereinhalb Monate vorzuziehen und mit der Europawahl zu koppeln, sind Sie vor dem Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen kläglich gescheitert. Dass das ganze Vorhaben von Anfang an parteipolitisch motiviert war, ist durch den Vermerk der Generalsekretäre Wüst und Lindner über das Ge

spräch beim Innenministerium dokumentiert. Ich zitiere es noch einmal:

die Generalsekretäre –

würden sich beide aber aus politischen Erwägungen nur äußerst ungern für eine Zusammenlegung der Kommunalwahl mit der Bundestagswahl aussprechen. – Zitat Ende!

(Christian Lindner [FDP]: So ist das!)

Und was haben die Verantwortlichen nach diesem vernichtenden Urteilsspruch getan? Sind sie zur Besinnung gekommen? Haben sie innegehalten? – Nein, sie haben weiter getrickst, meine Damen und Herren. Das ist der entscheidende unglaubliche Vorgang in diesem Land.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die hehren Argumente, die Sie vorher für die Zusammenlegung der Wahlen angeführt haben, sollen nun nicht mehr gelten, meine Damen und Herren? – Damit strafen Sie selbst Ihr eigenes Reden und Handeln Lügen. Sie selber strafen das Lügen, was Sie tun. Das braucht gar kein anderer mehr zu tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sprechen Sie mit den Menschen vor Ort. Denen brauchen Sie das nicht groß zu erklären. Jeder versteht, dass das eine Schweinerei ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Es ging Ihnen von Anfang an um nichts anderes als darum, die Wahlbeteiligung niedrig zu halten. Darum ging es Ihnen. Das ist belegt. Und warum? – Weil sich die FDP davon ein besseres Wahlergebnis verspricht.

(Beifall von GRÜNEN, SPD und Rüdiger Sa- gel [fraktionslos])

Sie verursachen also selbst eine niedrige Wahlbeteiligung, die Sie dann nach Schließung der Wahllokale immer so wortreich beklagen. Das ist heuchlerisch, meine Damen und Herren.